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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

»Buchräume öffnen Denkräume« – Lesenswerte Analogien einer Design-Professorin für Gestaltungsräume

Eine Bühne für den Freiraum der Gedanken

Von Petra Kammann

In dem funktional konsequent und sorgfältig gestalteten Sammelband »Buchräume öffnen Denkräume« von Irmgard Sonnen resümiert die Herausgeberin, Kommunikations-Designerin, Künstlerin, Honorarprofessorin für Typografie und Editorial Design an der Hochschule Düsseldorf nach 44 aktiven Berufsjahren ihre professionellen Erfahrungen. Und das anhand von 14 realisierten Buchprojekten, darunter 3 Lehr- und Forschungsprojekte. Ein Blick in das Buch macht es anschaulich: Sonnens Lebenselixier ist es, Bücher und Kataloge an der Schnittstelle von Literatur, Poesie, Bildender Kunst und Design zu gestalten.

Blick in das Buch »Buchräume öffnen Denkräume«, Foto: Irmgard Sonnen

Anders als Gertrude Steins berühmte »Rose« ist auch ein Raum nicht nur ein Raum ein Raum… Und erst recht nicht der Zwischenraum, den wir auf Zeichnungen oder Gemälden erleben, die nicht nur die Wirklichkeit abkupfern und alles zumalen, sondern solche, die Raum für Assoziationen lassen und spannungsvoll Elemente zueinander in Beziehung setzen.

Aber wir haben ein ähnliches Erlebnis, wenn wir  zwischen zwei Buchdeckeln hin- und herblättern, für deren Seiten ein bestimmtes Format,  Spalten und Satzspiegel sowie eine bestimmte Typografie vorgesehen sind. Durch Aussparung wird einzelnen Wörtern ein eigener Bedeutungsraum beigemessen. Durch was und wie aber nimmt man diesen Spielraum überhaupt wahr? Durch das eigene Denken, durch Grenzerfahrung?

»Ereignis der Linie« zwischen zwei Buchdeckeln. Diplomarbeit Ludmila Rusch, Foto: Irmgard Sonnen

Wieviel weißer Raum umgibt die Schrifttypen einer Buchseite? »Typografie kann Sprache sichtbar machen«, vor allem wenn man die Schrifttypen wirkungsvoll auf einer Seite anordnet. Davon ist Irmgard Sonnen ebenso überzeugt wie vom Einfluss von Sprache, Poesie, Musik, Architektur, von Kunst eben, auf ihre Gestaltungsideen.

Inspiriert haben sie Persönlichkeiten wie etwa Roger Willemsen und seine letzte Zukunftsrede »Wer wir waren«. Vor allem aber war es sicher der unhörbare Komponist John Cage mit seiner Komposition »Silence,  4′33«, einer Performance, die aus vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden komponierter Stille besteht.  Ein Paradox? Wird die Musik nicht vor allem im überraschenden Schweigen der Musik, der komponierten Pause, in ihrer Besonderheit vernehmlich? 

Irmgard Sonnen erhielt für ihre Arbeiten und die ihrer Studierenden zahlreiche internationale Auszeichnungen, Foto: privat

Irmgards Sonnens ästhetischen Minimalismus prägte wohl auch der »Lob des Schattens«, ein erzählerischer Essay über die Ästhetik des Japaners Tanizaki Jun’ichirō, der sich vor allem mit dem Wechselspiel von Licht und Schatten befasste und das Schöne in der Dunkelheit und im Schatten suchte, um dem Denken und Empfinden eine gewisse Tiefe zu verschaffen..

Offene Denkräume entstehen häufig am Rande des Sprachlosen, Bilderlosen, Tonlosen, ja jenseits dieser Grenze. So wie bei der Pause in der Musik schöpfen wir frischen Atem für das Innehalten und Nachdenken im Zwischenraum der Töne, so auch in dem der Wörter auf dem Papier. Gestalterisch gelungene Konzepte sind im Wesentlichen an diesen und ähnlichen Prozessen beteiligt. So können Buchräume auch Seite für Seite Denkräume öffnen, wie es der Titel des gerade im Queredo Verlag erschienenen Buches nahelegt.

Neben dem Thema des Raumes beschäftigte sich die Herausgeberin ebenso mit dem Thema Zeit und der damit verbundenen Erinnerung, etwa in dem Projekt »Balancieren auf dem Gedankenstrich«.

»für die dauer eines gedankenstrichs kehrte das gewesene zurück«, heißt es darin. Aber nicht nur das. In der Literatur verschafft der Gedankenstrich den aufmerksamen Lesern immer wieder neue Freiräume, Dinge aus ihrer Eindeutigkeit zu befreien. »Dieser Strich bedeutet ein schwarzes Sofa, und darauf passierte die Geschichte, die ich nicht erzähle«, heißt es beim anspielungsreichen, zwischen den Welten lebenden  Dichter Heinrich Heine

Innenseite von »Balancieren auf dem Gedankenstrich zwischen Reden und Schweigen«, Foto: Queredo-Verlag

»Wir betreten den Raum des Buches, die Seite scheint fast leer zu sein, doch die Zeichen verleihen dem Weiß Bedeutung, das Zeichen ist zu lesen als die Schwelle zu einem Raum, den wir als Leser betreten können«, sagt der von Sonnen geschätzte niederländische Typograf Walter Nickels.

Wie schön, dass wir in dem so variationsreich angelegten Buch auch Hommagen an andere vergangene oder zukünftige Gestalter- und Gestalterinnen finden. Vor allem die Erinnerung an den 2013 verstorbenen Ästhetikprofessor, den Germanisten und Philosophen Dieter Fuder (»Der Funke der Semantik«), zu der auch die angehende Gestalterin Zerrin Aydin-Herwegh ihre Diplomarbeit unter dem Thema »in Bewegung – Tanz als Erfahrung « – erarbeitete.

Entstanden sind so bewegende Doppelseiten von federnder poetischer Leichtigkeit. Neben einer vollseitigen zarten Mehrfachbelichtung, dem Bild des Verschmelzens und Verschwindens einer Person, steht nur eine einzelne Zeile gegenüber: »vergessen, sich selbst vergessen, getragen werden«. Lässt sich das allmähliche Verblassen eines bedeutsamen Menschen besser in die Gegenwart holen?

Immer wieder stoßen wir in diesem so anspruchsvollen wie anregenden Band auf  Text-Bild-Dialoge, die für Irmgard Sonnen wesentliche Kernfragen der Gestaltung aufgreifen. Die dramaturgische Planung der Seitenfolge entspricht für sie einer Regiearbeit, was die seriell angeordneten Fotos mit ihren Studierenden deutlich machen. So bildete auch die theoretische Durchdringung und Verdichtung eines Themas und die Ableitung von Denkfiguren in den vergangenen Jahren für gestalterische Parameter einen besonderen Fokus ihrer Lehre.

Farbseiten aus: » Anna Blume ist rot«, Foto: Irmgard Sonnen

»Lehren und Lernen sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Diese Kombination begleitete meinen Werdegang kontinuierlich und stellt im Rückblick eine enorme Bereicherung in fachlicher und zwischenmenschlicher Hinsicht dar«, resümiert die Kommunikationsdesignerin und Professorin Irmgard Sonnen ihre professionelle Erfahrung nach nunmehr beinahe einem halben Jahrhundert Lehre als Buchgestalterin. So bietet die Publikation auch  Anregungen und Inspirationen für angehende und berufstätige Gestalter für ihre eigenen Forschungsfelder.

Auf die Frage: »Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst zu, antwortete Sonnen salomonisch mit einem Ausspruch von Pablo Picasso: »Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen«, und sie ergänzt die Aussage: »Immer wieder neue Perspektiven und Sichtweisen aufzuzeigen, bedeutet ständigen Neubeginn«.

Dem ist nichts hinzuzufügen, es sei denn, man macht sich selbst an die Arbeit der Neugestaltung.

»Buchräume öffnen  Denkräume«
Queredo Verlag
Format 21,0 x 28,5 cm, 4farbig,
156 Seiten, 297 Abbildungen
Schweizer Broschur,
Fadenbindung
EUR 35.-

Weitere Buchgestaltungen von Irmgard Sonnen

lustwandeln. Szenarien eines Spazierganges
Anna Blume ist rot. Farbe als Ereignis
Balancieren auf dem Gedankenstrich
Dieter Fuder, Der Funke der Semantik. Designtheorie als Erkenntnismethodik
Hans-Georg Lenzen, Mit leichter Hand
Ideen. Das Buch Le Grand
Panta rhei. Der Fluss und die Zeit
Zur Poesie des Augenblicks

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