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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Retrospektive des französischen Foto-Künstlers Henri Cartier-Bresson

Untrügliches Gespür für den Augen-Blick

Von Petra Kammann

Mit seinen perfekt komponierten Momentaufnahmen gehört Henri Cartier-Bresson (1908-2004) zu den großen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Als  Zeit- und Augenzeuge hat der mit 96 Jahren Verstorbene fast das gesamte 20. Jahrhundert fotografisch dokumentiert. Dem Gesamtwerk des französischen Mitbegründers der legendären Fotoagentur Magnum widmet nun die mäzenatische privatwirtschaftliche Kulturstiftung Fonds Hélène & Edouard Leclerc pour la culture (FHEL) eine groß angelegte Retrospektive im einstigen Kapuzinerkloster in Landerneau, wo das französische Supermarktimperium Leclerc in einem 16 m² großen Tante-Emma-Laden seinen Ursprung nahm. Seit 10 Jahren organisiert dort  Michel-Édouard Leclerc, Sohn des Leclerc-Gründers, zeitgenössische publikumswirksame Ausstellungen zur Kunst der Moderne.

Henri Cartier-Bresson, Brüssel, Belgien 1932, Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos

In der 1200 m² großen Ausstellungshalle sind derzeit erstmals 300 Fotografien zu sehen: neben den frühen, surrealistisch geprägten Aufnahmen, Filmarbeiten und Fotoreportagen in den verschiedensten Ländern, Cartier-Bressons fantastische Künstlerporträts und seine anrührend humorvollen Alltagsszenen. So wie die Ausstellungsstruktur in offenen Zickzack-Kabinen angelegt ist, so verzahnt verläuft auch Henri Cartier-Bressons vielgestaltiges Leben, das eng mit seinem fotografischen und künstlerischen Wirken verknüpft ist. Gegliedert in 23 Abschnitte seines Schaffens wird man durch auf Stelen angebrachte vergrößerte eingefärbte Schwarz-Weiß-Porträts des Künstlers auf eine spannende Blick-Reise durch das widersprüchliche 20. Jahrhundert geleitet.

Stelen als Orientierung mit dem Konterfei Henri Cartier Bressons leiten durch die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Köstlich zunächst Cartier-Bressons Anfänge in den 1920er und 1930er Jahren, gewürzt durch das „Salz des Surrealismus“ – „Le sel du surréalisme“,  wie es im ersten Kapitel heißt. Da hatte der Kunststudent Cartier-Bresson durch Vermittlung des französischen Dichters René Frevel Kontakt zur Gruppe der Surrealisten wie André Breton, Max Ernst und Salvador Dalí bekommen, die nachhaltig seinen Blick beeinflussten. Er fand Gefallen am Geschmack des Absurden, am Erhaschen des skurrilen Zufalls inmitten groß-und kleinstädtischer Straßenszenen, die seine Phantasie beflügelten. Köstlich zum Bespiel, wie 1933 der Vorhang einer Bar in Livorno sich wie ein Turm um den Kopf eines Zeitungslesenden gezwirbelt hatte und ihn in die Höhe zu ziehen schien.

Diese frühen Aufnahmen – häufig auch simultane Zweierkonstellationen – von zwei verschiedenen Menschentypen, die in der gleichen Situation in verschiedene Richtungen blicken, wie etwa die beiden ungleichen Herren in Brüssel 1932, die vor einem blickdichten Absperrzaun stehen, markieren seinen Stil. Der eine mit bürgerlichem Hut, der die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen will und der andere mit Schlägermütze, der den Durchblick und etwas Spannendes erspäht hat. Durch seinen anteilnehmenden Blick öffnet Cartier-Bresson uns die Augen für die Widersprüchlichkeiten menschlicher Verhaltensweisen wie auch für die die sozialen Ungleichheiten, die der Sohn einer wohlhabenden Familie wahrnimmt. Etliche dieser Bilder wurden zu Ikonen.

In Landerneau überrascht jedoch insgesamt die Vielfalt der Cartier-Bressonschen Szenerien und Augen-Blicke, gleich, ob es sich um das Picknick einfacher Leute, die völlig entspannt ihren ersten bezahlten Urlaub am Seineufer verbringen, oder um eine in der Pfütze gespiegelte Regen-Momentaufnahme hinter der Gare Saint-Lazare handelt oder um das Verhalten der Menschen im Alltäglichen in den umwälzenden Bewegungen des 20. Jahrhunderts.

Henri Cartier-Bresson: Erster bezahlter Urlaub, Ufer der Seine bei Juvisy-sur-Orge, Frankreich, 1938, © 2024 Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos

Möglich war Cartier-Bressons Art zu fotografieren vor allem dank einer kleinen, handlichen Kamera, einer Leica, die er 1931 erworben hatte, um  unbeobachtet solche uninszenierten Momente menschlichen Verhaltens im Alltag einzufangen. Aber sie sind jeweils perfekt komponiert und mit einem ausgeprägten Blick für geometrische Kompositionen angelegt. Dabei sind die Szenen, die er festhält, so rätselhaft, wie das Bild des Alltags selbst, dem er nun mit Fotoreportagen auf den Grund geht.

Henri Cartier-Bresson: Hinter dem Gare Saint- Lazare, 1932, © 2024 Fondation Henri Cartier- Bresson / Magnum Photos

Zunehmend interessierte sich Cartier-Bresson für soziale und gesellschaftliche Themen. Als Augenzeuge sich verändernder gesellschaftlicher Verhältnisse beginnt er, zahlreiche historische und politische Großereignisse zu dokumentieren, zunächst für französische Illustrierte, später für internationale. Gleich ob es sich dabei um den Beginn des Spanischen Bürgerkriegs handelt oder um die britischen Krönungsfeierlichkeiten von George VI .

So interessiert er sich 1937 am Trafalgar Square mehr für das halbamüsierte, halb uninteressierte Volk am Straßenrand als für die royale Präsenz und schon gar nicht das „Event selbst“. So gibt er nicht die Würde der Mitglieder der Königsfamilie wieder, sondern führt uns die skurrilen Szenen  am Rande auf den Straßen Londons vor Augen, die dann auch in den Illustrierten der Zeit veröffentlicht werden.

Blick in die Ausstellung in Landerneau, Foto: Petra Kammann

Immer stehen in seinen fabelhaft komponierten Fotos wie auch in den sozialen Fotoreportagen die Menschen im Mittelpunkt: in ihrem Leid, in ihrem Alltag, in ihrer ungewollten Komik, mit ihren Hoffnungen. Mit dem aufkommenden Faschismus in Europa und dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs sympathisierte er – wie viele der Künstler um ihn herum – anfangs auch mit der politischen Linken, mit dem Kommunismus.

Dabei ist es vor allem auch die mediterrane Welt, die ihn fasziniert, diejenige, in der sich das Leben auf der Straße abspielt und wo er seine Art der Street Photography entwickeln kann. Dafür reiste er eigens nach Italien, Griechenland, Spanien, wohin er mehrfach fuhr. Da zeigt er zum Beispiel 1933 in Sevilla Kinder, die sich in den Ruinen eines zerschossenen Hauses amüsieren. Immer wieder entstehen dabei ambivalente flüchtige Szenen,  die er wie komponierte geometrisch angelegte Bühnenszenen sichtbar macht.

Interessiertes Publikum aller Generationen – Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Da sein Herz links schlägt –„Le Coeur à Gauche“ wie eines der 23 Kapitel in Landerneau übertitelt ist– , zeigt er verzweifelte Bettler auf der Straße, aufgeplusterte Polizisten der Vor-Franco-Ära, Prostituierte in Alicante am Straßenrand, von denen eine mit Flamenco-Schuhen halb bekleidet den Handstand versucht, um auf sich aufmerksam zu machen. Aus der Komposition der Gegenbewegungen der Beine ihrer Kolleginnen und Schuhe entwickelt sich bildlich eine Art Matisse’scher „Tanz“. Dann wiederum spielt er kunstvoll mit den Licht – und Schattenseiten von Menschen, Gebäuden und Gässchen.

Ausgelöst durch eine Ausstellung im Pariser Museum „Trocadero“, ist er ganz wild auf Mexiko, „Fou du Mexique“, wohin es ihn 1934 zieht und er sinnliche Erlebnisse aller Art festhält: Prostituierte, die uns aus ausgeschnittenen, Fensterklappen ähnlichen Haustüröffnungen intensiv  verlockend anschauen, dann wieder am Straßenrand eingeschlafene Menschen. Er geht in die Häuser, stößt per Zufall auf eine dunkle Szene, in der sich zwei Frauen mit gekreuzten Beinen lieben.

Das bewegte Leben Cartier-Bressons in Jahreszahlen lässt sich am Ende der Ausstellung noch einmal rekapitulieren, Foto: Petra Kammann

Er selbst versteckt sich eher hinter seiner Kamera und wollte nicht erkannt werden, um unbeobachtet fotografieren zu können. „Man nähert sich auf leisen Sohlen, auch wenn es sich um ein Stillleben handelt. Auf Samtpfoten muss man gehen und ein scharfes Auge haben. […] Kein Blitzlicht, das versteht sich wohl, aus Rücksicht vor dem Licht, selbst wenn es dunkel ist. Andernfalls wird der Photograph unerträglich aggressiv. Das Handwerk hängt stark von den Beziehungen ab, die man mit den Menschen herstellen kann. Ein Wort kann alles verderben, alle verkrampfen und machen dicht“, sagte er über seine Vorgehensweise in dem Buch  „Auf der Suche nach dem rechten Augenblick“, Edition Christian Pixis. Berlin und München, 1998.

Ein Mann auf einer Mauer unter einer Decke liegend, aus der am Ende lediglich ein paar nackte Zehen hervorlugen, nennt er „Selbstporträt“. Es  entstand 1933 in Siena. Zwar hat später Cartier-Bresson auf Wunsch der Zeitschriften auch farbig fotografiert. In der Schau in Landerneau konzentrierte Kurator Clément Chéroux, der Direktor der Fondation Henri Cartier-Bresson, sich vor allem auf seine  Schwarzweißfotografien, die Cartier-Bresson besonders liebte, weil er Grau als die „Farbe aller Farben“ ansah.

Von 1937 bis 1939 war Henri Cartier-Bresson als Regieassistent bei dem Filmemacher Jean Renoir, dem Neffen des Malers Jean Renoir, tätig. Und er drehte auch drei eigene Dokumentarfilme. Selbst wenn er erst Anfang der 1950er Jahre seine Theorie der Fotografie des „entscheidenden Augenblicks“ formulierte, so wurde das jedoch schon frühzeitig in seinen Kriegsreportagen sichtbar.

Henri Cartier-Bresson, Mai-Juni Dessau  1945, Foto: Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos

Der Zweite Weltkrieg wurde für ihn zu einer besonders prägenden Erfahrung. Nachdem er einige Monate als Fotograf in der französischen Armee gearbeitet hatte, um der massiven NS-Propaganda etwas entgegenzusetzen, geriet er 1940 als Kriegsgefangener in ein Gefangenenlager nach Deutschland. Nach der Kriegsgefangenschaft, der er 1943 bei einem dritten Fluchtversuch entkam, trat er in die Résistance ein. Dort sollte er einen Film über seine Erfahrungen im Stalag verarbeiten.

Nach Ende des Zweiten Weltkriege, im Jahre 1945 fotografierte und filmte er in Dessau die Rückführung von „Displaced People” in ihre Heimat. Da entstand der Film „Le Retour“ – für ihn auch eine Möglichkeit, zum Kino zurückzukehren. Begleitet von zwei amerikanischen Kameramännern  entstanden Aufnahmen von der Befreiung des Konzentrationslagers in Dessau und von der Rückführung von Kriegsgefangenen und Deportierten.

Diese bewegenden Bilder repräsentieren den Auftakt zu einer beeindruckenden Laufbahn als Fotoreporter für die auflagenstärksten Illustrierten in den USA und in Europa. Das erlaubte Cartier Bresson nebenher in Dessau auch eine Szene in einem DP-Lager zu fotografieren, wo eine frühere Aufseherin des KZ Dessau zur Rechenschaft gezogen wird. Wir werden Zeuge, wie  eine Inhaftierte eine Frau ohrfeigt, die sie zuvor als Spitzel an die Gestapo verraten hat.

Im Lauf des Jahres 1947 wird der Film in den Vereinigten Staaten gezeigt. Nachdem man fälschlicherweise annahm, Cartier-Bresson sei im Krieg gefallen, widmete ihm das Museum of Modern Art (MoMA)in New York Cartier-Bresson im selben Jahr noch posthum eine große Retrospektive. Er aber stellte klar, dass er noch lebte.

Henri Cartier-Bresson USA. Washington DC. 1957, © Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos

Im gleichen Jahr gründete er in New York gemeinsam mit anderen bedeutenden Fotografen wie Robert Capa, David Seymour und George Rodger die Agentur Magnum Photos, mit deren Hilfe die Position der Fotografen gegenüber den Verlagen gestärkt werden sollte. Sie verfolgten das Ziel, den Fotografen die Rechte an ihren Arbeiten zu belassen. Außerdem sollte das Ansehen der gesamten Berufs- und Künstlergruppe der Fotografen  angehoben bzw. in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden. Die Agentur vertrieb von Stund an weltweit Cartier-Bressons fotografisches Werk.

Blick in die Filmkabine innerhalb der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Auch in der Nachkriegszeit dokumentieren Cartier-Bressons Fotoreportagen herausragende Momente der Zeitgeschichte. Zwischen 1948 und 1950 trifft er in Indien Mahatma Gandhi, nur wenige Stunden vor dessen Ermordung. Die bei der Beisetzung aufgenommenen Fotos gingen um die Welt. Anschließend reiste er nach China und berichtete über die letzten Tage der politischen Partei Kuomintang. 1949 verlässt er China und kehrt nach Zwischenstopps in Singapur, Indonesien und dem Iran im Winter 1950 nach Paris zurück.

1954 macht Cartier-Bresson in Moskau als erster westlicher Reporter seit Beginn des Kalten Krieges Bilder in der UdSSR. Als erster europäischer Fotograf machte er 1954 nach dem Tode Stalins Aufnahmen in der Sowjetunion. In der Ära des Kalten Krieges wurde er 1962 zum gefragten Zeitzeugen im geteilten Berlin. Da faszinierte ihn der Bau der Berliner Mauer, weil dieser Vorgang die Welten Ost und West voneinander trennte. Schon beim Anblick der drei westlich gekleideten Herren auf einem Sockel, die wie auf einem seiner sort entstandenen Fotos wie Statuen wirken, fröstelt es einen. Sie beobachten, was sich auf der anderen Seiten der wachsenden Mauer abspielt.

In den 1960er Jahren bereist er abermals die USA, fertigt im Auftrag des Unternehmens IBM die Reportage „The Man and the Machine“ an, die im folgenden Jahr ausgestellt wird, zeigt die Unterhaltungsgesellschaft nach den politischen Umschwüngen,  Er zeigt Jackie und John Kennedy im offenen Straßenkreuzer kurz nach der Wahl in Washington D.C., aber auch hier die Schattenseiten, eine Gefängnisaufnahme des „Prison de Leesburg“ in New Jersey 1975, wo nur die geballte Faust eines Mannes und ein nackter Fuß aus den Gefängnisgittern rausragen. Und ihm entgeht aber auch nicht die Lage der Afro-Amerikaner, die nach wie vor unter der Diksriminierung leiden.

1963 kehrt er nach Mexiko zurück. Und kurz nach der Raketenkrise reist er nach Kuba, wo er 1963 Fidel Castro trifft. Und zwischen 1959 und 1965 entstehen in den USA eine Reihe von Porträts.

Dann in den Jahren 1968–1970 immer wieder Frankreich. „Vive la France“ heißt das Kapitel. Ein Jahr lang reist er durch Frankreich,und seine Provinzen, hält Szenen im Bistro und auf der Straße fest, zeigt das ländliche Frankreich und seine Menschen, sFrankreichs  mit Baum bestandenen kerzengeraden Landstraßen wie in Brie, aber er begleitet auch den Präsidenten Charles de Gaulle.

Bis in die 1970er Jahre hinein dokumentierte Henri Cartier-Bresson vor allem aber auch die Brennpunkte des Weltgeschehens mit seiner Kamera und hinterließ dabei einmalige Bilder, die einfach und ungeschönt die Realität zeigen. Seine auf diese Weise entstandenen Bilder blicken hinter das, was wir normalerweise aus Dokumentationen und Geschichtsbüchern erfahren – sie erzählen Geschichte und Geschichten. So entstand vor allem ein unverfälschtes Bild der jeweiligen Situation, weil er die brisanten Momente erkannte, die es Wert waren, für die Zukunft aufbewahrt zu werden – den Alltag der Entrechteten bei Maos Machtantritt in China, in den Fängen der Camorra in Neapel, unter den Bedingungen der Technisierung der Arbeitswelt.

Henri Cartier-Breton, Ein ikonisches Porträt des Malers Henri Matisse mit den Tauben in seinem Haus in Vence, 1944

Da Cartier-Bresson aber auch jahrelang seine Freundschaften in die Kunst- und Kulturwelt pflegte, fallen seine markanten Porträts bekannter Künstler und Künstlerinnen sowie Schriftsteller und Schriftstellerinnen auf wie etwa die von Coco Chanel, Simone de Beauvoir, Alberto Giacometti, Henri Matisse, Balthus von der selbstbewussten jungen Susan Sonntag oder die vom Bildhauer Alberto Giacometti, der schnellen Schrittes im Pariser Regen mit dem Regenmantel über dem Kopf Schutz sucht oder und die von seinen Atelierbesuchen beidem Bildhauer der fragilen Gestalten. Man spürt, er kennt sie und ihr Werk. Sie waren es letztlich, die ihn inspirierten und sein künstlerisches Schaffen nachhaltig prägten und beeinflussten.

Diese intimen und Künstler-, Schriftsteller und Fotografenporträts bilden insgesamt einen wichtigen Teil seines Œuvres und werden in der Ausstellung präsentiert. Hinter all diesesen ikonischen Porträts steht aber für den Fotografen ein Fragezeichen. So endet mit diesem 23. Kapitel  unter dem Stichwort „Point d’intérrogation“ die Ausstellung. Denn das Individuum Mensch hinter dem Porträt bleibt für Cartier-Bresson immer rätselhaft. Nähert er sich ihnen, nimmt er sich selbst zurück, indem er eine distanzierte beobachtende Haltung einnimmt, um das Wesen des Gegenübers umso besser erfassen zu können. Das hat seine Frau Martine Franck, die amerikanische Fotografin, auf ihrem Foto von ihm, sehr schön festgehalten. Da vergleicht der Fotograf, der immer auch gezeichnet hat, kritisch seine Zeichnung mit dem Ergebnis des von ihm entstandenen Foto-Porträts.

Henri Cartier-Bresson, Paris, France, 1992, Foto :ck@Martine Franck/Magnum Photos

Nachdem Cartier-Bresson sich 1974 von Magnum Photos distanzierte, gründete er 2003, ein Jahr vor seinem Tod gemeinsam mit seiner Frau, eben dieser amerikanischen Fotografin Martine Franck im Pariser Viertel Montparnasse die gemeinnützige Fondation Henri Cartier-Bresson. Dort wird nicht nur sein Werk archiviert; in den Ausstellungsräumen werden auch Werke anderer Künstler gezeigt. Für die Ausstellung in Landerneau ist die Stiftung eine Kooperation mit dem Fonds Hélène & Edouard Leclerc pour la culture eine gelungene Kooperation eingegangen, die eine solch vielfältige Retrospektive möglich gemacht hat. Direktor Clément Chéroux hat sie eigenhändig kuratiert.

Das trifft wohl auch auf eine weitere Retrospektive des politischen und humanen Fotografen zu, die derzeit im Bucerius Kunst Forum in Hamburg stattfindet: „Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson“, die wohl auch in Deutschland ein neues Cartier-Bresson-Bild entstehen. Da hat der dortige Kurator Ulrich Pohlmann Monate in der Cartier-Bresson-Stifung verbracht und recherchiert. Immerhin hat in Deutschland die letzte Gesamtschau noch zu Lebzeiten des Fotografen im Martin Gropoius-Bau stattgefunden.

Kapitel 24: Von einer kleine nKuriosität am Ende der Ausstellung in Landerneau ist noch zu berichten. Vom Selfie-Automat, der die Besucher und Besucherinnen auffordert ein Konterfei von sich zu machen. Beglückt und dankbar über diese gelungene Schau, sage ich: „Me voilà“. Hier in Cartier-Bressons Welt im bretonischen Landerneau fühle ich mich gut aufgehoben.

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Selfie Von Petra Kammann

Weitere Infos:

Die Ausstellung in Landerneau „Henri Cartier-Bresson“ läuft noch bis zum 5. Januar 2025:

Fonds Hélène & Édouard Leclerc
pour la culture
Aux Capucins
29800 Landerneau

www.fonds-culturel-leclerc.fr

Zu beiden Ausstellungen gibt es informative und bestens bebilderte Kataloge:

Katalog zur Ausstellung in Landerneau:

Henri Cartier-Bresson
Herausgeber: Clément Chéroux,
Autoren:  Marie NDiaye,
Michel-Édouard Leclerc,
Clément Chéroux,

Éditions FHEL,
Cover: JDas Auge von Henri Cartier-Bresson, 1966
© Jean Lattès © Fonds Lattès,
© Archives départementales desYvelines
39€

 

 

 

Katalog zu Hamburger Ausstellung
WATCH! WATCH! WATCH! HENRI CARTIER-BRESSON
15.6. – 22.9.2024

Eine Ausstellung des Bucerius Kunst Forums, Hamburg,
und der Fundación MAPFRE, Barcelona,
in Kooperation mit der Fondation
Henri Cartier-Bresson, Paris
Hirmer Verlag, 39,90 €

 

 

 

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