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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900 im Städel

Die Netzwerke der „Malweiber“ im Männer-dominierten Kunstbetrieb

Von Hans-Bernd Heier

Die Moderne ist ohne den Beitrag von Künstlerinnen nicht zu denken. Dabei mussten die Malerinnen und Bildhauerinnen viele gesellschaftliche Hürden und Benachteiligungen in der Ausbildung und im Kunstbetrieb überwinden. Private und berufliche Netzwerke waren für die Künstlerinnen im ausgehenden 19. Jahrhundert deshalb von eminenter Bedeutung. Diesen Malerinnen und Bildhauerinnen widmet das Städel unter dem Titel „Städel | Frauen – Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“ erstmals eine große Ausstellung. In der aufwendigen Schau sind rund 80 hochkarätige Gemälde und Skulpturen von insgesamt 26 Künstlerinnen versammelt.

Louise Catherine Breslau „Porträt der Freunde“, 1881, Öl auf Leinwand; MAH Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève, achat avec l’aide de la Fondation Diday, 1883; © Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève, Foto: Flora Bevilacqua

Neben bekannten Malerinnen und Bildhauerinnen wie Louise Breslau, Ottilie W. Roederstein und Marg Moll haben sich viele weitere erfolgreich im Kunstbetrieb der Zeit um 1900 behauptet, wie Erna Auerbach, Eugenie Bandell, Mathilde Battenberg, Marie Bertuch, Ida Gerhardi, Dora Hitz, Elizabeth Nourse, Pauline Kowarzik, Louise Schmidt oder Annie Stebler-Hopf. Von Paris und Frankfurt aus knüpften sie internationale Netzwerke und unterstützten sich gegenseitig. Als einflussreiche Lehrerinnen und Kunstagentinnen prägten einige von ihnen auch die Geschichte des Städel Museums und der Städelschule, wie Ottilie W. Roederstein.

Die Präsentation im Städel Museum zeigt Künstlerinnen, die sich mit großer Eigenständigkeit und geschickten Netzwerken in einem durch männliche „Künstlergenies“ und gravierende Benachteiligungen bestimmten Kulturbetrieb durchsetzen konnten. Dazu gehörten unter anderem der bis 1919 in Deutschland geltende Ausschluss von staatlichen Kunstakademien sowie Einschränkungen ihrer individuellen Freiheit.

Als junge Frau alleine in einer Wohnung zu leben, galt beispielsweise als unschicklich. Andere Vorurteile sprachen Frauen Professionalität und Schöpferkraft ab und desavouierten sie als „Malweiber“. „Unter dem Blickwinkel der Netzwerke entstand ein komplexes Bild der Ausbildungs- und Arbeitssituation von Künstlerinnen in der Moderne: vom Kampf der Wegbereiterinnen im Paris der 1880er-Jahre über die ersten Bildhauerinnen an der Kunstschule des Städel um 1900 bis hin zu einer jungen selbstbestimmten Generation von Künstlerinnen im Neuen Frankfurt der 1920er- und 1930er-Jahre“, so Alexander Eiling, Eva-Maria Höllerer und Aude-Line Schamschula, die Kuratoren der Ausstellung:

Annie Stebler-Hopf „Am Seziertisch (Professor Poirier, Paris)“, um 1889, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Bern, Geschenk des Gatten aus dem Nachlass der Künstlerin; © Kunstmuseum Bern

Die gezeigten stilistisch sehr unterschiedlichen Arbeiten zeigen die Vielfalt weiblicher Positionen in der Kunst auf und spiegeln die radikalen gesellschaftlichen und ästhetischen Umbrüche der Zeit. In ihren Werken setzten sich die Malerinnen und Bildhauerinnen auch mit ihrer eigenen Existenz als Künstlerinnen in einem männlich dominierten Umfeld auseinander. Sie zeigten sich selbstbewusst im Kreis ihrer Freundinnen und Mitstreiterinnen und stellten die überkommenen Geschlechterrollen infrage.

Mit Darstellungen des menschlichen Aktes reklamierten sie einen zuvor den Männern vorbehaltenen Motivkomplex auch für sich. Obwohl das Aktstudium damals elementarer Bestandteil der künstlerischen Ausbildung war, wurde Frauen der Zugang wegen moralischer Vorbehalte erschwert. Selbst in Paris fanden Frauen damals noch keine gleichberechtigten Ausbildungsbedingungen vor.

Doch teure Privatschulen und „Damenateliers“ ließen ungeahnte Freiräume entstehen. Hier konnten Frauen Aktzeichnen lernen und auch Bildhauerei, die aufgrund der physischen Anstrengung sowie der technischen und materiellen Anforderungen lange als unweiblichste aller Künste galt. Dabei beschränkten sich die Künstlerinnen wie Martha Settler, Louise Schmidt oder Tola Certowicz nicht nur auf die Darstellung weiblicher Akte, sondern zeichneten, malten und bildhauernten auch Männerakte.

Louise Schmidt „Sonnenanbeter“, 1913, Marmor; Städel Museum, Frankfurt am Main

Die sehr arbeitsaufwendige Ausstellung resultiert aus einem Forschungsprojekt, das an die Retrospektive zur Malerin Ottilie W. Roederstein (2022) anknüpft. Das seit 2019 im Städel Museum verwahrte Roederstein-Jughenn-Archiv gibt Einblick in ein Frauen-Netzwerk um die Malerin, das sich in Ausbildungs- und Ausstellungsfragen, aber auch durch praktische Hilfe gegenseitig unterstützte und förderte. Wichtige Erkenntnisse lieferte auch die akribische Aufarbeitung des historischen Archivs des Städel Museums mit Blick auf die Ausbildungssituation von in Vergessenheit geratenen Künstlerinnen an der Städelschule. Weitere Recherchen in privaten Nachlässen und externen Archiven, insbesondere in Paris, ergänzten die Forschungsarbeiten.

Eugenie Bandell „Sonne am Mittag (Wilhelmsbad)“, 1913, Öl auf Leinwand; Städel Museum, Frankfurt am Main

„Als Ergebnis dieses weitreichenden Forschungsprojekts zur Geschichte unserer Institution und seiner Sammlung ist es dem Städel Museum gelungen, bemerkenswerte Künstlerinnenbiografien zu rekonstruieren, verschollene Werke zu lokalisieren und damit Lücken in der Forschung zu schließen und wiederum Türen für weiterführende Recherchen zu öffnen“, so Städel-Direktor Philipp Demandt. „Der Blick auf die Situation von Künstlerinnen um die Jahrhundertwende und ihren Einfluss auf die Entwicklung der modernen Kunst wird sich mit dieser Ausstellung nachhaltig verändern“. Dazu dürfte auch der im Hirmer Verlag erschienene exzellente Katalog mit englischen Übersetzungen der Essays und Künstlerinnen-Biografien beitragen.

Die außergewöhnliche Schau, welche die Vielseitigkeit der weiblichen Kunstproduktion um 1900 anhand der engen Verbindungen von Frankfurter Künstlerinnen nach Paris beleuchtet, nimmt drei Generationen von Malerinnen und Bildhauerinnen in den Blick und bildet damit neben den stilistischen und ästhetischen Veränderungen in ihrer Kunst auch die Entwicklung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen zwischen 1880 und den 1930er-Jahren ab. Der Rundgang ist chronologisch organisiert, greift aber auch Themen auf, die für die Malerinnen und Bildhauerinnen in ihrer Zeit virulent waren.

Erna Auerbach „Bildnis einer Frau in Schwarz (Selbstporträt)“, 1932, Öl auf Leinwand; Historisches Museum Frankfurt, Foto: Horst Ziegenfus

Unter den präsentierten Gemälden und Skulpturen befinden sich Kunstwerke aus renommierten US-amerikanischen und europäischen Museen sowie zahlreiche Arbeiten aus Privatbesitz, die zum ersten Mal gezeigt werden. Ergänzt werden sie durch bislang unveröffentlichtes Archivmaterial. Fotografien und Briefe erzählen von internationalen Ateliergemeinschaften, von der strategischen Bedeutung professioneller Künstlerinnenverbände, von Erfolgen, aber auch vom andauernden Streben um Anerkennung.

Zu sehen ist auch das „Stillleben mit bunten Blumen, Zwiebeln und Steinkrug“ (1913) von Pauline Kowarzik, das jetzt als Neuerwerbung Teil der Städel Sammlung ist. Die heutzutage nahezu vergessene Frankfurter Künstlerin, Sammlerin und Mäzenin Pauline Kowarzik war eng mit dem Städel Museum verbunden. Aufgrund ihrer Expertise wurde sie 1916 als erste Frau in die Ankaufskommission für die dem Städel Museum angegliederte Städtische Galerie berufen.

1926 vermachte sie gegen eine monatliche Leibrente ihre Sammlung an die Stadt Frankfurt. Auf diesem Wege gelangten zahlreiche qualitätsvolle Gemälde und Skulpturen ins Städel, darunter Arbeiten von Heinrich Campendonk, Maurice Denis, Paul Gauguin, Erich Heckel, Paul Klee und Paula Modersohn-Becker. 18 dieser Werke wurden durch das Reichspropagandaministerium im Rahmen der Aktion “Entartete Kunst“ beschlagnahmt. Heute hängen diese Arbeiten in Museen in ganz Europa. Nur ein Gemälde, Heckels „Holsteinische Landschaft“, konnte das Städel zurückerwerben.

Die bemerkenswerte Schau „Städel | Frauen – Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“ wird gefördert durch den Kulturfonds FrankfurtRheinMain, die Damengesellschaft des Städelschen Museums-Vereins e. V., die Dr. Marschner Stiftung, die Ernst von Siemens Kunststiftung sowie CATRICE ist noch bis zum 27. Oktober 2024 zu sehen.

Kuratorisches Team der Ausstellung „Städel I Frauen“; Von links: Alexander Eiling, Aude-Line Schamschula und Eva-Maria Höllerer; Foto: Norbert Miguletz – Städel Museum

Eine Audioguide-App bietet Audiotracks und Abbildungen zu rund 30 Kunstwerken; sie dauert rund 60 Minuten. Die Tour ist als kostenlose App für die Betriebssysteme iOS und Android im App Store und Google Play Store zum Ausstellungsbeginn erhältlich und kann entweder bequem zu Hause oder im Städel WiFi auf das Smartphone geladen werden.

Weitere Informationen

www.staedelmuseum.de

 

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