home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Vorhang auf für die „Wälder“! Von der Romantik in die Zukunft: Eine Ausstellungstrilogie

Wunderbare Waldszenen zwischen Waldangst und Waldlust

Ein Überblick und ein kleiner Einblick in die verschiedenen Ausstellungshäuser

von Petra Kammann

Sind Wälder heute für viele Menschen nicht Orte, in denen sie sich von der Hektik des Alltags erholen wollen und auch können? Drei große Institutionen  im Rhein-Main haben sich gemeinsam des Themas „Wald“ angenommen und dazu in einem großen mehrteiligen Ausstellungsprojekt von verschiedenen Seiten beleuchtet: das Deutsche Romantik-Museum, das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt und das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg. Die dortigen Ausstellungen spannen den Bogen von den ersten Wäldern und Nutzwäldern, über die Sehnsuchtswälder der Romantik bis in die Gegenwart und die Zukunft vor dem Hintergrund ökologischer Krisen. Die facettenreiche Entdeckungsreise ist noch bis zum 11. August zu erleben.

August Cappelen (vollendet von Johann Wilhelm Schirmer), Sterbender Urwald nach dem Sturm (Urwald im Charakter der Telemark), 1851/52 © Museum Zitadelle Jülich, Landschaftsgalerie, Inv.-Nr.2021-0001 (Schenkung Dr. Matthias Bühler), Foto: Bernhard Dautzenberg

Rauschen, Knistern der Äste, Vogelzwitschern. Nicht nur ein wunderbarer Sehnsuchtsort, sondern auch ein Schreckensort ist und war der Wald schon in der Geschichte. Musikalisch finden wir seine Geräusche wieder in den „Waldszenen“, dem akustischen Waldspaziergang des romantischen Komponisten Robert Schumann, Musik, die einerseits eine Huldigung an die Wälder in der idyllischen Umgebung Dresdens war, zugleich aber auch ein Raum dunkler Geheimnisse und düsterer Tragödien, in dem der Vogel mit seinem rätselhaften Gesang als Prophet aufscheint. War der Wald immer nur ein meditativer Rückzugsort? Sicher nicht. Das machen uns die drei verschiedenen Ausstellungen mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten mehr als deutlich: literarisch, musikalisch, wissenschaftlich und künstlerisch. Dazu gab es einen interessanten Vortrag der Musikwissenschaftlerin Dr.Ulrike Kienzle. „Der WALD ALS RAUM der Sehnsucht und des Schreckens in der Musik der Romantik.Von wilden Jägern, prophetischen Vögeln und heiligen Hainen“.

Die Waldeinsamkeit- eine Erfindung der Romantiker? , Ausstellungsansicht: Petra Kammann

Was aber war der gemeinsame Ausgangspunkt, der zur Gesamtkonzeption der drei aufeinander bezogenen Ausstellungen führte: „Wälder sind außerordentlich vieldeutige Naturräume. Sie sind wirtschaftliche Ressource und sie sind heute auf der ganzen Welt in ihrem Bestand gefährdet. Bei der Ausstellungskonzeption wurde schnell klar, dass es bei den brennenden Fragen der Gegenwart gar nicht anders geht, als sich dem Thema transdisziplinär zu nähern“, sagt  die Verantwortliche der kuratorischen Gesamtidee Prof. Nicola Lepp, die gemeinsam mit der Direktorin Prof. Anne Bohnenkamp-Renken, und dem Leiter der Romantikforschung Prof. Wolfgang Bunzel die Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum kuratiert hat.

Prof. Nicola Lepp , kuratorische Gesamtleitung der Ausstellung, hier mit Prof. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Deutschen Romantik-Museums, Foto: Petra Kammann

Bildet sich um 1800 noch ein Verständnis von Natur heraus, das Mensch und Natur in Wechselbeziehungen zueinander bedenkt, so stellt sich heute die hochaktuelle Frage: Werden wir in 50 Jahren in anderen Wäldern zuhause sein? Und das betrifft etwa nicht nur den „deutschen Wald“, der auf zahlreichen Gemälden des 19. Jahrhunderts, die teils zum festen  Bestand des Deutschen Romantik-Museums gehören, festgehalten wurden.

Daher sollte die Ausstellung vor dem Hintergrund von Klima- und Biodiversitätskrisen frühe Ansätze zur Entwicklung neuer Naturverhältnisse im Dialog mit aktuellen Fragestellungen aufzeigen und dabei den Blick auf verschiedene Wälder der Erde richten. So wurde in den drei sehr unterschiedlich angelegten Museen in der jeweiligen Ausstellung nach möglichen Antworten gesucht.

Alexander von Humboldts Einsicht, dass die Natur gefühlt werden müsse, findet sich im Ansatz in allen drei Ausstellungen wieder, Foto: Petra Kammann

Einen gemeinsamen Bezugspunkt für die aktuell drängenden Fragen bildet dabei vor allem die Epoche der Romantik in den unterschiedlichen Genres. So steht in der Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum dieses neu definierte Verständnis der Natur im Fokus, während im Senckenberg Naturmuseum aktuelle Perspektiven der Naturwissenschaften im Spiegel ihrer gesellschaftlichen Relevanz  im Austausch mit künstlerischen Forschungen herausgestellt werden und im Museum Sinclair-Haus wird ausgelotet, wie die Mensch-Wald-Verbindungen im Möglichkeitsraum der Kunst in der Romantik wie auch in der Jetzt-Zeit im Hinblick auf die Zukunft imaginiert werden.

„Wälder“ im Deutschen Romantik-Museum

In einem dichten Gefüge aus Bildern und Noten, Texten und Dingen, bewegter Schrift und Musik geht es um das Naturverständnis der romantischen Künstler und Schriftsteller:innen, Wissenschaftler und Komponist:innen um 1800 und ihre Wald-Arbeiten. So ist im ersten Kapitel dort „Der ganze Wald“ mit Augen und Ohren zu erleben: der romantische Wald eben, auch als Sinneserlebnis.

Die romantischen Künstlerinnen und Künstler fühlen sich erst dann zuhause, wenn sie in die Natur eintauchen und sich ihr anverwandeln. Eine solche intime Zwiesprache mit der Natur ereignet sich vorzugsweise in der „Waldeinsamkeit“: ein Wort, das der Schriftsteller Ludwig Tieck 1797 für seine Erzählung „Der blonde Eckbert“ erfunden hat. Der Wald wird nun zu einem – wenn auch als zutiefst zwiespältig empfundenen – Sehnsuchtsraum. Die poetischen Wälder der Romantik sind nicht mehr die von Menschen gemiedenen Schreckensorte.

Blick in die Ausstellung im Romantik-Museum, Foto: Petra Kammann

Vielmehr wird der Wald zu einem  Spür- und Gefühlsraum, in dem sich Verbindungen zwischen Menschen und der lebendigen Mitwelt entwerfen und erproben lassen. Dabei verschwinden die Grenzen zwischen den verschiedenen Künsten und den Wissenschaften: Das neue Wald- und Naturbild umfasst das Denken ebenso wie das Fühlen und die Einbildungskraft, die Imagination.

Mit der Vorstellung einer Natur, die selbst spricht und mit der Menschen in Austausch treten können, setzt in der Romantik ein fundamentaler Perspektivwechsel ein. Die Ahnung, dass Menschen (nur) Lebewesen unter anderen Lebewesen sind, eröffnet die Möglichkeit eines anderen Denkens– eines, das seinen Blick auf die Beziehungen und Wechselwirkungen in der realen Welt richtet. Diesen künstlerischen Imaginationräumen stellt die Ausstellung den realen Zustand der Wälder um 1800 zur Seite.

So ist das zweite Kapitel mit „Waldumbau“ überschrieben, da es von ihrem schlechten Zustand erzählt. Eine exzessive Nutzung der Wälder vor allem als Brennstoff für den Bergbau, als Viehweide und als Bauholz hatte ihnen stark zugesetzt und sie teilweise zum Verschwinden gebracht. Man muss sich vorstellen, dass die bewaldete Fläche in Deutschland um 1800 weit unter dem heutigen Niveau von etwa einem Drittel liegt. In der Schau wird  nachvollziehbar, dass die Wälder, durch die wir heute streifen, ein Produkt forstwirtschaftlicher Praktiken sind, die damals entwickelt wurden.

Denn parallel zu den neuen Ausdrucksmöglichkeiten der Künste hatte sich um 1800 die klassische Forstwissenschaft als Reaktion auf den schlechten Zustand, in dem sich die Wälder in ganz Europa befanden, an staatlichen Fachschulen und Universitäten als eine eigenständige Disziplin etabliert und die Wälder neu geordnet.

Die Arbeit des Borkenkäfers oder ,Buchdruckers‘ höhlt die Stämme der Bäume aus, Blick in die Ausstellung von Petra Kammann

Den nicht menschlichen, den „(tierlichen) Waldumbau“ behandelt das dritte Kapitel. Einer der gefürchtetsten Bewohner des Waldes ist heute der Buchdrucker, ein in Europa verbreiteter Borkenkäfer. Schon die Forstleute um 1800 hatten mit ihm ein Problem. Denn die abgestorbenen Bäume, die die Käfer hinterlassen, unterlaufen die nachhaltigen Planungen des Waldbaus und machen die Holzernte unberechenbar.

Wälder haben schön und für uns dazusein. Diese Einstellung hat die Romantik in unseren Köpfen verankert. Doch ob Käfer Schädlinge sind, ist eine Frage der Perspektive. Forstinsekten sind zunächst einmal Teil der Lebensgemeinschaft in den Wäldern gemäßigter Zonen. Nicht Wälder, sondern Bäume bringen sie zum Absterben. Durch forstwirtschaftliche Praktiken oder durch natürliche Verjüngung – sind die Insekten bzw. Käfer jedenfalls deutlich widerstandsfähiger und artenreicher als die Wälder, die sie heimsuchen. So lehren sie uns die Bedeutung eines klimaresilienten Mischwalds verstehen lassen.

Der Wald von Nahem, Flechtwerk, Foto: Sven Tränkner, Senckenberg

Das vierte der insgesamt 13 Kapitel erkundet den „Wald von Nahem“. Es führt in den faszinierenden Mikrokosmos der Moose, Pilze und Flechten und in den unsichtbaren Unterwald. Die Nahsicht lässt die Komplexität von Ökosystemen gerade mal erahnen.

Dass Menschen Rechte an Wäldern beanspruchen – das Recht der Jagd, der Weide, der Holzernte oder der Erholung –erscheint uns selbstverständlich, nicht jedoch, dass auch „Wälder Rechte“ haben, womit sich das fünfte Kapitel der Ausstellung beschäftigt. Ob ihre Anerkennung, die mit einer Pflicht zur Fürsorge für die Natur verbunden ist, einen Weg aus der Not der Wälder weist? Schließlich sind seit einigen Jahren die Rechte der Natur in verschiedenen Verfassungen verankert worden.

Um Rechte der Wälder ging es bei dem die Ausstellung ergänzenden interdisziplinären Kolloquium, in einem Gespräch mit der Investigativjournalistin und Autorin Elisabeth Weydt (li) und Prof. Dr. Wolfgang Bunzel (Freies Deutsches Hochstift, (re), Foto: Petra Kammann 

Doch kann umgekehrt auch ein Wald selbst Rechte haben? „Lebendiger Wald“ nennen Angehörige des Kichwa-Volkes in Sarayaku ihren Lebensraum im Amazonas-Regenwald. Für sie ist der Mensch Teil dieses von physischen und spirituellen Wesenheiten bevölkerten Kosmos. Die Lebensrechte jener komplexen, belebten Natur – „Pachamama“ genannt – wurden 2008 in die ecuadorianische Verfassung aufgenommen. Weltweit folgen immer mehr Gesetzesinitiativen diesem Beispiel.

https://deutsches-romantik-museum.de/

Senckenberg Naturmuseum Frankfurt

Im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt spielen Wälder seit jeher eine wichtige Rolle. Hier sind frühe, mehrere Millionen Jahre alte Baumversteinerungen ebenso zu sehen wie Waldlebewesen weit entfernter Erdzeitalter, etwa die Dinosaurier oder die Urpferde und Primaten aus der Grube Messel. So begibt sich das Senckenberg Naturmuseum auf die Spur des naturwissenschaftlichen Wissens über den Wald.

Der Waldspaziergang durch das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt beginnt im Museumsfoyer, wo Besucher:innen durch einen grünen Vorhang in die Wälder eintreten. Über die große Freitreppe geht es weiter in die Vogel-Schausammlung, wo das Kapitel „Wälderwissen“ die Diversität des Waldes und seiner Bewohner aufgreift und sie in Bezug zur menschlichen Einflussnahme auf die Wälder dieser Welt setzt.

Vorhang auf für die Wälder heißt es im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt, hier mit der Kuratorin Prof. Dr. Brigitte Franzen, Foto: Petra Kammann

Die „Wälder“-Ausstellung thematisiert hier in vier Kapiteln wissenschaftliche, kulturelle, soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte von Wäldern. Eine Wanderkarte leitet durch das Dickicht der Exponate anhand der Kapitel „Wälderwissen“, „Das ,Wir‘ und die Wälder“, „Leben und Sterben der Wälder“ sowie „Wälder modellieren“, die – eingebettet in die Dauerausstellung – in der ersten und zweiten Etage des Museums zu entdecken sind.

Der Weg führt unter anderem zu einer indigenen Universität des Waldwissens im Amazonasgebiet, einem Protestcamp zum Waldsterben bis hin zu einem Kameraflug von den Wurzeln in die Wipfel eines virtuellen Urwalds.

Catharsis, 2019, Stillleben des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen / Senckenberg Naturmuseum

Erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse aus der Senckenberg-Forschung und zahlreiche Präparate von Waldbewohnern werden spannungsreich ergänzt durch künstlerische Positionen etwa des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen und der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann, die in eine eindrucksvolle Bilderwelt ihrer eigenen Erforschung der Wälder einladen. Dieses Projekt basiert auf naturwissenschaftlichen Daten, die Besucher:innen können einen Kameraflug durch einen virtuellen Urwald erleben und Prozesse im Zeitraffer begreifen.

Die Dresden Frankfurt Dance Company setzte unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis das Thema tänzerisch-performativ um. So lud die Performance an zehn Mittwochabenden Besuchende dazu ein, sich gemeinsam auf eine Reise durch den Wald zu machen und sich darin zu verlaufen, um eine neue unmittelbar emotionale und physische Orientierung zu erleben.

Die Pflanzung der 7000 Eichen in der Documentastadt Kassel kann man als erstes ökologisches Kunstwerk begreifen, Foto: Petra Kammann 

Es ist schon beeindruckend, die Filme und Gespräche von Zeitzeugen zu verfolgen, die zeigen, mit wieviel Witz und Weitsicht der provokative rheinische Künstler Joseph Beuys vor über 40 Jahren seine Aktion „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ auf der Documenta 7 begonnen und dann durchgesetzt hatte, was als erstes ökologisches Kunstwerk der Welt gilt. Das Projekt wurde im Zeitraum von 1982 bis 1987 in Kassel realisiert und seither nach wie vor kopiert oder weiterentwickelt.

Plakate, historische Unterlagen und gesellschaftliche Zeitzeugnisse zum Lebenskreislauf von Wäldern eröffnen weitere Perspektiven. Wie ein zukünftiger Wald in 50 bis 100 Jahren aussehen könnte, veranschaulichen wissenschaftliche Modellierungen von Senckenberg-Forschenden.

Das Wälderwissen

Schon in der Romantik hatte man erkannt, dass ungebremste Abholzung zur Verarmung der Wälder führt. Unser Verständnis des Naturraums Wald ist heute von der Notwendigkeit geprägt, ihn nachhaltig zu nutzen und zu schützen. Durch die neu entwickelte Forst- und Naturwissenschaft vermehrte sich das Wälderwissen zwar weltweit rasant, drängte jedoch das indigene Wissen von Waldbewohner:innen zurück.

Dabei sind die positiven Wirkungen gesunder Wälder und Naturphänomene wie Gerüche, Windrauschen, Wassergeplätscher und Vogelstimmen auf Puls und Blutdruck, Atmung und Hormonhaushalt heute inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen. Aber während in der westlichen Welt der Wald das Geheimnisvolle und Bedrohliche verliert und zum reinen Erholungsraum wird, schwindet das Bewusstsein, dass Wälder auch Lebensräume für tausende von Lebewesen, z. B. für Vögel sind.

Im Naturmuseum Senckenberg wurden die Schaukästen teilweise abgedeckt, um die Neugier zu wecken, Foto: Petra Kammann

Das „Wir“ und die Wälder

Frankfurt hat die größten innerstädtischen Waldgebiete Deutschlands. Ihr Zustand macht nach Dürrejahren und Trockenheit in der Wachstumsperiode nicht nur den Förster:innen Sorge. Der Schutz der Stadtbäume und die Proteste bei der Rodung von Waldflächen beschäftigt die Stadtgesellschaft. Einmalig ist in Deutschland der Frankfurter Stadtwald, dem sogar am Dienstag nach Pfingsten der „Wäldchestag“, ein Volksfest  gewidmet ist. Eine Tradition, die sich bis  ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Auch Spuren von „Urwäldern“ existieren noch: z. B. die „Reliktwälder“, Biegwald und Teufelsbruch.

Sie sind wichtige Untersuchungsfelder für stadtökologische Forschung. Seit 1985 beobachtet die Senckenberg Forschungsgruppe Biotopkartierung die städtischen Ökosysteme; ab 2000 auch den Stadtwald, dessen  Zustand hat sich dramatisch verschlechtert hat.

Leben und Sterben der Wälder

Wälder sind lebende Systeme. Sie unterliegen natürlichen und menschengemachten und technischen Prozessen von Werden und Vergehen. In den 1980er Jahren wurde das Waldsterben mit dem „Sauren Regen“ erstmals offensichtlich. Wälder sind heute weltweit bedroht und damit auch die Artenvielfalt. Kreisläufe bestimmen die Komplexität des Lebens und Sterbens.

Blick in die Ausstellung, Hinweis auf Protestaktionen zu „Leben und Sterben der Wälder“, Foto: Petra Kammann

Abgestorbene Bäume heißen Totholz und wimmeln von Leben. Insekten, Pilze und Flechten ernähren sich vom zerfallenden Holz und nutzen es als Lebensraum. Am Ende bleibt fruchtbare Erde, die den Grund für neue Bäume und die Lebensgemeinschaft Wald bildet. Weil neu aufwachsende Pflanzen, insbesondere Bäume, CO2 binden, ist es entscheidend, diese Ökosystemleistungen global zu schützen.

Auch die Geowissenschaften beziehen sich auf ehemalige Wälder. Die Rekonstruktion des Lebens und das Verständnis von Evolution gewinnt mit Fossilien wichtige Informationen. Gleichzeitig sind heutige Kohlelagerstätten, mithilfe geologischer Forschung entdeckt, Überreste von Wäldern vor Jahrmillionen.

Wälder modellieren

Unter dem Titel „Wälder modellieren“ werden in der 2. Etage des Museums neben den Wäldern der Vergangenheit durch paläobotanische Exponate vor allem die aktuelle Senckenberg Forschung und mögliche Zukunftsentwicklungen vorgestellt.

Eine Hommage an den Naturforscher Johann Wolfgang Goethe im Naturmuseum Senckenberg, Foto: Petra Kammann

In der Romantik  – wie in der Ausstellung im Romantik-Museum zu sehen, wandelt sich der wirtschaftlich genutzte Wald zum Sehnsuchtsort. So wird er zur ideellen und idealisierten Gegenwelt der weltweiten Ausbeutung. Während Musik, Malerei, Philosophie und Literatur die oft als „magisch“ empfundenen Natur- und Selbsterfahrungen in Wäldern abbilden, systematisiert parallel dazu die Forstwirtschaft das Wissen über Wälder im 19. Jahrhundert. Dabei spielten sowohl die Wälder der Umgebung als auch schon weit entfernte Wälder in kolonisierten Gebieten als Referenz eine Rolle.

Goethes Holzbibliothek, ausgestellt im Deutschen-Romantik-Museum, Foto: Petra Kammann

Die systematische naturwissenschaftliche Beschreibung und Erfassung der Arten hat schon Mitte des 18. Jahrhunderts Carl von Linné begonnen, während der vorromantische Johann Wolfgang Goethe in seinen „Leiden des jungen Werther“ die Vorlage bot, mit der Natur zu empfinden. Aber er beschäftigte sich auch wissenschaftlich mit den Wäldern, er war nämlich als „Staatsdiener“ auch  Wegebaudirektor des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Und er hatte eigens eine Holzbibliothek erstellte, die im Romantik-Museum zu sehen ist.

Heute sammeln und untersuchen Forscher:innen Daten aus Wäldern sowohl global als auch lokal im Hinblick auf Wechselwirkungen zwischen Biodiversität, Ökosystemfunktion und Klima. Ziele sind das Verständnis grundlegender Prozesse, die Bewertung von Ökosystemleistungen und die Entwicklung von Szenarien und Maßnahmen für zukünftige nachhaltige Anpassungen in der Klimakrise.

Home

Im Museum Sinclair-Haus

Was können wir von der Romantik für unsere heutigen Beziehungen zu Wäldern lernen? Hier, im Sinclair-Haus stehen die künstlerischen Auseinandersetzungen mit den Wäldern im Mittelpunkt.

Im Museum Sinclair-Haus stehen die künstlerischen Auseinandersetzungen mit Wäldern im Mittelpunkt. Ausstellungsansicht: Petra Kammann

Dazu Direktorin Kathrin Meyer, die auch die Ausstellung kuratiert hat: „Der Rückblick in die Romantik führt zu den Anfängen ökologischen Denkens. Künstler:innen damals und heute beschäftigen ähnliche Fragen: Wie können wir uns eine Natur begreiflich machen, die sowohl eigenständig als auch mit dem Menschen verbunden ist? Welche Konsequenzen hat es, Natur als Gegenüber zu begreifen? Wie können wir uns menschliche Verbindungen mit Wäldern vorstellen oder sogar sinnlich wahrnehmen? Welche Verantwortung haben Menschen Wäldern gegenüber? Das Vorrecht der Künste ist es, zu fragen und zu konfrontieren – die Antworten zu finden, ist unser gemeinsamer gesellschaftlicher Auftrag.“

Kathrin Meyer, Direktorin Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg, Foto: Petra Kammann

In den drei Ausstellungskapiteln wird dort der Blick für neue Sichtweisen auf Natur in den Künsten der Romantik und der Gegenwart gerichtet. „In die Wälder!“ heißt es im ersten Kapitel, in dem das Zusammenspiel von Texten aus der Romantik und zeitgenössischen Kunstwerken den Verstand wie auch unterschiedliche Sinne anspricht.

So basiert etwa die Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer-Brandis  auf der Tatsache, dass Pflanzen „Volatile Organic Compounds“ (VOCs) emittieren und damit kommunizieren. „One Tree ID“ verdichtet die Duft-Identität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, das Besuchende benutzen können. Ob es ihnen vermittelt, dass sie als Mensch möglicherweise an der olfaktiven Pflanzenkommunikation teilhaben können, wie es heißt, erschließt sich jedoch nicht unmittelbar, es sei denn, unsere Nasen sind zu wenig trainiert worden.

Erdlebenbilder“ in luftiger Petersburger Hängung im Sinclair-Haus, Foto: Petra Kammann

Erdlebenbilder“  – dieser romantische Begriff für die Landschaftsmalerei der Zeit wurde für das zweite Kapitel der Exponate gewählt. Es zeigt Waldbilder in so verschiedenen Medien wie Zeichnung, Malerei, Fotografie, Musik und Datenvisualisierung, die von der faszinierenden Wirkung von Wäldern auf Menschen ebenso (bild-)gewaltig erzählen. Gleichzeitig stellen sie die zerbrechlichen und vielschichtigen Ökosysteme dar.

„Waldangst und Waldlust“ finden wir vor allem in den romantischen Märchen,  Inszenierung im Museum Sinclair-Haus: FotoPetra Kammann

Das dritte und letzte Ausstellungskapitel „Waldangst – Waldlust“ lockt in den Wald als Ort des Schauderns. Das Kapitel hat zwei Aspekte und damit auch Teile: Im ersten führen Märchen, Bilder und Objekte aus der Kunst und Populärkultur auf die Spuren menschlicher Urängste. Im zweiten Teil dieses Kapitels wird der Blick auf die Sorge um die Zukunft der Wälder in den Mittelpunkt gerückt– verbunden mit der Frage, was trösten und Hoffnung schenken kann.

Zu sehen sind künstlerische Arbeiten u. a. von Yann Arthus-Bertrand, Julius von Bismarck, Carl Blechen, August Cappelen, Ellie Davies, Heinrich Dreber, Jasper Goodall, Wilhelm Klein, Carl Friedrich Lessing, Agnes Meyer-Brandis, Beth Moon, Loredana Nemes, Mariele Neudecker, Katina Vasileva Peeva, Friedrich Preller, Sophie Reuter, Abel Rodríguez, Johann Wilhelm Schirmer, Rasa Smite & Raitis Smits, Thomas Struth, Thomas Wrede, Zheng Bo

Das nachdenklich stimmende Gesamtprojekt wurde im Sinne nachhaltiger Planung und Umsetzung ressourcenschonend und multimedial produziert, was sich in der jeweiligen Dramaturgie der Themenkapitel widerspiegelt. Und ich kann mir kaum jemanden vorstellen, der all diese interessanten Verbindungen schon einmal in dieser Dichte erlebt hat.

https://kunst-und-natur.de/museum-sinclair-haus/ausstellungen/waelder

Menschen, die das Romantik-Museum lieben, können nun auch noch mit dem 3-Wälder-Ticket bis zum 11. August die einmalige Gelegenheit wahrnehmen, unter bestimmten Aspekten  das Senckenberg Naturmuseum und das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg kennenlernen.

Magazin zur Ausstellung

„Wälder zwischen Romantik und Gegenwart in Text und Bild“, 176 Seiten, 152 Abbildungen, 12 €, exklusiv erhältlich in den beteiligten Museen.

Comments are closed.