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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Himmelsdecke als UNESCO-Weltkulturerbe – Ein Wunderwerk in Präzision und Schönheit

Das Sonnensystem im Wohnzimmer

Von Paulina Heiligenthal

Die Sterne lauter ganze Noten. Der Himmel die Partitur. Der Mensch das Instrument. (Christian Morgenstern, 1871 – 1914)

Im friesischen Franeker/Niederlande bewegt sich eine einzigartige Himmelsdecke im Wohnzimmer eines Grachtenhauses: das älteste funktionsfähige Planetarium der Welt. Dieses Haus, das „Königliche Eise Eisinga Planetarium“, erzählt die wundersame, fast märchenhafte Geschichte des gleichnamigen Himmelsbauers und Freizeit-Astronomen „Vom Grundschüler zum Bauernprofessor“.

An der Wand über der Schlafstätte sieht man den sogenannten Himmelsplatz, Foto: Paulina Heiligenthal

Einst versetzte er die Welt ins Sich Wundern und seitdem fesselt er diese Welt weiterhin. Im Wohnzimmer dieses sympathischen Museums erhält jeder Besucher eine so engagierte wie sachkundige Erklärung dieses prächtigen Planetariums, dazu über die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Planeten. Und das notabene jeweils mehrsprachig!

Der große Umfang dieses einmaligen Instruments und die kunstvollen Deckenmalereien faszinieren und begeistern die Besucher. Schlicht atemberaubend schön!

Die gute Stube aus dem 18. Jahrhundert beherbergt zahlreiche Instrumente, Foto: Paulina Heiligenthal

Eise Eisinga wurde am 21. Februar 1744 im Dorf Dronrijp in der niederländischen Provinz Friesland geboren. Da der Schulbesuch zu dieser Zeit passend zum jeweiligen Stande entsprach, kam eine Latein-Schule für den Hochbegabten nicht in Frage. Er besuchte lediglich die Grundschule in seinem Dorf, um danach als Kind in der Wollkämmerei seines Vaters mitzuarbeiten. Ein üblicher Werdegang im 18. Jahrhundert.

Indigo- Aqua- und Lilatöne und deren subtilen Schattierungen wurden im Parterre des Wohnhauses gefärbt, Foto: Paulina Heiligenthal

Dort erlernte er nicht nur das Fach des Wollkämmens, sondern der Vater und Mentor weckte auch eine Faszination für Mathematik und Astronomie in ihm. Daher nahm der junge Eise wöchentlich einen Fußmarsch von 14 km hin und zurück auf sich, um über einen Kontakt seines Vaters, bei Willem Wytzes, dem Knecht des Weber- und Wollkämmers, voller Genuss den Unterricht zu verfolgen.

Im Alter von 24 Jahren ehelichte Eise Eisinga seine Liebe Pietje Jacobs und ließ sich als Wollkämmer 1768 in Franeker nieder. Er galt als talentierter Handwerker, war Wollkämmer-Meister und erfolgreicher Unternehmer. 1820 gewann er sogar einen internationalen Preis für das Färben seiner Wolle.

Eise Eisinga war als Wollkämmer unternehmerisch erfolgreich und erhielt auch als Wollfärber 1820 eine internationale Auszeichnung, Foto: Paulina Heiligenthal

Hier befasste er sich mit den Methoden des griechischen antiken Mathematikers Euklid (3. Jahrhundert v. Chr. aus Alexandria) und des französischen Mathematikers und Astronomen Jérôme de Lalande (1732 – 1807 ). Es folgten drei weitere Jahre, in denen er sich mit Astronomie beschäftigte.

Das Ergebnis war ein 650-seitiges Manuskript, das er im Alter von nur 15 Jahren verfasst hatte. Unmittelbar gefolgt von einer Aufzeichnung über Astronomie. Zusätzlich prophezeite er Dutzende Mond- und Sonnenfinsternisse. Insgesamt liegen 5 Handschriften von ihm vor, die uns das junge Genie sehr nah bringen.

Ist dies das Ende der Zeiten?  Oder werdet ihr dann, wie Bosmans‘ Kinder des Lichts, die Sterne anzünden, wenn die Krise alles verfinstert hat? (Nach Phil Bosman, 1922 – 2012)

Was könnte der Grund sein für solche düsteren Prophezeiungen? Vor nunmehr 250 Jahren fand eine besondere Konjunktion der Planeten statt. Am frühen Morgen des 8. Mai 1774 standen Merkur, Venus, Mars, Jupiter und der Mond am Firmament dicht beieinander. Daher wurde behauptet, dass durch die gegenseitigen Anziehungskräfte diese Himmelskörper kollidieren und die Erde aus ihrer Umlaufbahn schleudern würden, um sodann in der Sonne zu verbrennen.

Eine Anzeige in der Zeitung „Leeuwarder Courant“ zur Bewerbung einer Broschüre verkündigte solche Endzeitvisionen, die anonym unter dem Titel „Philosophische Bedenken über die Konjunktion der Planeten“ veröffentlicht wurde und auf eindringliche Weise auf das Ende der Zeiten hinwiesen. Diese Nachricht führte zu einer nervösen Untergangspanik im ganzen Land. Auch dann noch, als die friesische Regierung alle Büchlein aus dem Verkehr zog. Manche Menschen weigerten sich am 8. Mai sogar, ihr Bett zu verlassen……

In der sogenannten Opkamer- dem Arbeitszimmer im Zwischenstock befinden sich seine Handschriften. Hier scheint Eise Eisinga weiter zu arbeiten, Foto: Paulina Heiligenthal

Dass der selbsternannte „Liebhaber der Wahrheit“, Pfarrer Eelco Alta aus Boazum/Friesland, Verfasser dieser aufsehenerregenden Publikation war, stellte sich erst später heraus.

Eelco Alta (1723-1798) studierte von 1737 bis 1745 in Franeker, an der zweiten Universität der Niederlande. Er war ein Intellektueller, der die Öffentlichkeit der Presse suchte, um den Regenten seinen Ratschlag ungebeten zu unterbreiten. Ein Novum im 18. Jahrhundert.

Mit Publikationen und öffentlichen Auftritten nahm er Einfluss auf die politische Entwicklung in Richtung Demokratie. Mit seinen Werken über Glaubensfragen stieß seine wachsende Toleranz zur Reformierung der Religion auf Widerstand in der Bevölkerung.

Der Kleriker Alta war nicht nur Theologe und Philosoph, sondern auch Viehhändler und Veterinär. Sein erfolgreichster Beitrag für die Gesellschaft war allerdings eher sein anhaltendes Plädoyer zur Impfung von Kälbern gegen die Rinderpest.

Als einer der Ersten im Land führte er selbst viele Impfungen durch, und das gegen den Willen vieler Bauern. 1780 ehrte ihn die Gesellschaft zur Förderung der Agrarwirtschaft in Amsterdam hierfür mit 30 Golddukaten .

Handbemaltes Porzellangeschirr im Vitrinenschrrank deutet auf einen gewissen Wohlstand hin, Foto: Paulina Heiligenthal

„Ich weiß nichts mit Sicherheit, aber die Sterne lassen mich träumen…“ (Vincent van Gogh, 1853-1890)

Möglicherweise wurde Eise Eisinga 1774 zum Bau eines Planetariums inspiriert, um Bedenken von Apokalyptikern anhand eines beweglichen Himmelsmodells zu widerlegen. Möglicherweise benötigte er den richtigen Anlass, um seine große Vision, „damit ich jeden Moment sehen kann, was am Himmel passiert“  zu realisieren. Was für eine Passion!

 Ölgemälde, Willem Bartel van der Kooi 1827, Fotografiert von Paulina Heiligenthal

Eise Eisinga erforscht den Sternenhimmel nach der wissenschaftlichen Tradition von Isaac Newton. Er jedenfalls wollte gegen den Aberglauben ankämpfen, um die Menschen dazu zu ermutigen, ihren ureigenen Verstand anzuwenden, statt Gerüchte und unreflektiertes Gedankenglut wahllos zu übernehmen.

Mit Unterstützung seines Vaters, der die Zahnräder und die Holzscheiben fertigte und seines Bruders, der für die Deckenmalerei zuständig war, baute er hauptsächlich abends und nachts an seinem Präzisionswunderwerk. Während der Bauzeit von 1774 bis 1781 hatte Eise Eisinga für weiteren Nachwuchs keine Zeit.

Das prächtige Planetarium ist Perfektion und Poesie pur, Foto: Paulina Heiligenthal

Für einen Platz an der Decke seines Wohnzimmer musste er das Sonnensystem eine Billion mal, heißt tausend Milliarde mal, verkleinern. Dies wiederum bedeutet, dass ein Millimeter an der Decke in Wirklichkeit einer Million Kilometer entspricht. Will heißen: Die Umkreisungen der Planeten sind identisch mit der Wirklichkeit. Merkur dreht innerhalb von 88 Tagen um die Sonne, Saturn mehr als 29 Jahre.

Im Zentrum seines Werkes steht die Sonne, die als Stern gezeichnet wurde. Drumherum mussten kreisförmig Schlitze gesägt werden, aus denen Planeten als Kugeln herausragen, um sich im Kreis zu drehen. Diese Kugeln sind hälftig vergoldet, hälftig schwarz bemalt. Symbolisch für den Tag und die Nacht. Die Distanzen der Planeten sind maßstabsgetreu, die Kugeln jedoch nicht, da sonst die Erde unsichtbar klein geworden wäre.

Die Planeten des mechanischen Planetariums bewegen sich mit derselben Geschwindigkeit um die Sonne wie die echten Planeten. Außerhalb der Bahn von Saturn befindet sich der siebte Schlitz, in dem sich der Datumszeiger ein Jahr lang bewegt. In einem Schaltjahr wird dieser Zeiger durch eine Entkopplung des zentralen Antriebs um einen Tag zurückgesetzt, sodass der 28. Februar zweimal vorkommt. Welch weitsichtige Überlegungen!

Zum Zeitpunkt des Planetariumbaus waren erst 6 Planeten bekannt. Von Innen nach Aussen sind dies Merkur – Venus – die Erde- Mars – Jupiter – Saturn. Im Zentrum steht die Sonne, Foto: Paulina Heiligenthal

Ursprünglich hatte der beflügelte Macher seine Berechnungen einem Pendel von einem Meter Länge zu Grunde gelegt, das exakt  60 Mal pro Minute hin und her schwingen würde. Als das Planetarium fast fertig war, wurde das Uhrwerk genau oberhalb des Alkovens installiert. Jedoch das Pendel war zu lang. Ein neuer Schlitz sollte in der Decke der Bettstätte eingelassen werden, um dem Pendel Raum zu geben.

Dies behagte seiner Ehefrau Pietje absolut nicht. Hatte der Herr Gemahl doch nicht schon die komplette Wohnzimmerdecke in Beschlag genommen? Und jetzt auch noch die geliebte Schlafstätte? Eise musste das Pendel um 25 cm kürzen, damit es sich genau über der Decke bewegen konnte. Aber ein kürzeres Pendel schwingt schneller… Nun  mussten alle Zahnräder des Uhrwerks aufs Neue berechnet werden.

Der Genius publizierte 150 Zeichnungen von Sonnenzeigern. Diese Präzisionswerke sind ästhetische Kunstwerke die uns das Sonnenlicht für Sonnenstunden zeigen, Foto: Paulina Heiligenthal

Jean Henri van Swinden, ein Professor der damaligen Universität von Franeker, konnte seine Neugierde nicht bezwingen, als er von der Himmelsdecke erfuhr. Er empfand Eisingas Werk als derartig außergewöhnlich, dass er sich zu einem Buch über das Planetarium entschloss.

Auch bot er Eisinga eine Gastprofessur an. Im Museum wird er als Bauernprofessor erwähnt. Dies lieferte dem Erbauer de facto eine wissenschaftliche Anerkennung und machte ihn in Windeseile bekannt. Viele Interessierte kamen, auch die Prominenz wie zum Beispiel der König von Schweden im Jahre 1782.

Der Planetoide oder auch Asteroide Eisinga (5530) wurde nach dem genialen Macher des Planetariums benannt, Foto: Paulina Heiligenthal

1818 statteten König Willem I. und sein Sohn Prinz Friedrich der Niederlande dem Planetarium einen Besuch ab. Einige Jahre später, im Jahr 1825, erwarb der König für eine damals sehr hohe Summe das Planetarium als Reichsbesitz. Dabei durfte Eisinga in seinem Lebenswerk wohnen bleiben und erhielt jährlich ein großzügiges Honorar für die Instandhaltung und für die Wartung. 1859 schenkte der Staat das Planetarium der Stadt Franeker.

Noch immer, selbst nach fast 250 Jahren, können wir das gleichmäßige Ticken seiner Uhr im Alkoven hören. Aber was ist mit dem Sternenhimmel von damals, als es noch keine Lichtverschmutzung gab?

„Ohne Sterne wäre alles nichts. Und das Nichts wäre überall“, sagte 2022 der bekannte Wissenschaftsjournalist und Naturphilosoph Harald Lesch.

Auf dem Giebel des Planetariums steht die Jahreszahl 1768. Im eigentlichen Haus datieren die ältesten Balken aus 1490, Foto: Paulina Heiligenthal

Eisinga war weitsichtig. Schon vom Anbeginn der Konstruktion seines Sonnensystems an sah er seine pädagogische Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen voraus und hinterließ daher in seinem Testament der Nachwelt eine detaillierte Handanleitung.

Am 19. September 2023 hatte man in Franeker allen Anlass zum Jubel und so manche Augen glänzten feucht: Das Koninklijk Eise Eisinga Planetarium erhielt den Status des UNESCO-Weltkulturerbes und steht jetzt u.a. neben dem Taj Mahal und der Chinesischen Mauer auf der renommierten Liste.

Eisinga wollte sein Planetarium mit der ganzen Welt teilen, damit jeder in der Universitätsstadt sehen und erkennen konnte, wie Planeten funktionieren. Er wäre sicherlich sehr stolz auf die blaue UNESCO-Fahne gewesen, die jetzt fröhlich in Franeker flattert.

Es ist eine Hommage an einen Genius aus dem 18. Jahrhundert, der seiner Zeit weit voraus war und der durch sein Kunstwerk für immer lebendig bleiben wird. „Die Tatsache, dass man etwas über den Himmel weiß, ändert an seinem Zauber nichts“, schrieb derselbe Astrophysiker Harald Lesch am 17. März 2009 in der Tageszeitung  „Die Welt“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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