Wagners fliegender Holländer an der Oper am Rhein
Von wilden Meeren, bunten Shopping Mails und singenden Fußballfans
Vasily Barkhatov überträgt Wagners fliegenden Holländer an der Oper am Rhein in Düsseldorf ins Hier und Jetzt.
von Simone Hamm
Wieder und wieder geht das kleine Mädchen mit seinen Eltern ins Kino. Sie schaut immer denselben Film: „Der fliegende Holländer“. Die Sage des verfluchten Seemanns, der über die Weltmeere irrt, der nicht sterben darf, bis die Liebe einer Frau ihn erlöst, berührt sie tief. Ihre Mutter lässt sich in die Arme anderer Kinobesucher fallen. Der Vater kommt lange schon nicht mehr mit, und immer noch sitzt die längst erwachsen gewordene Senta im Kino.
Die Zuschauer im Kinosaal sitzen dem Publikum gegenüber. Die Filmszenen sind gespiegelt durch eine durchsichtige Leinwand zu sehen. Der grimmige, bärtige Holländer im dicken Pelzmantel, wie er durch ein Fernrohr lugt, rohen Fisch zerschneidet, zu Paketen verschnürte Leichen über Bord wird. Beim Chor der Seemannes tanzen die Wellen, die Kinositze bewegen sich. Zinovy Margolin hat ein grandioses Bühnenbild geschaffen, Alexander Sivaev setzt klug das Licht dazu.
Die Idee, eine Frau zu zeigen, die sich in ein Bild verliebt, ist bei Wagner schon angelegt. Mehr noch als im Original gehen bei Vasily Barkhatovs Interpretation Sentas Leben und Sentas Träume ineinander über.
Alle sieben Jahre darf der Holländer an Land gehen und nach der Frau suchen, die ihn durch ihre unbedingte Liebe erlösen kann. Bei einem solchen Landgang trifft er auf Sentas Vater. Der ist geblendet vom unerhörten Reichtum des Holländers und verspricht ihm seine Tochter als Frau.
Senta (Gabriela Scherer) langweilt sich unter den Freundinnen, sie langweilt sich mit Eric (Jussi Myllys), dem sie doch die Treue versprochen hat. In Vasily Barkhatovs Interpretation flieht Senta regelrecht ins Kino, um alldem zu entkommen.
Im zweiten Aufzug singt Senta die Ballade des Holländers in einer Shopping Mail zwischen Kinderkarussell, Dönerbude und einem Automaten, aus dem man Kuscheltiere angeln kann. Die anderen Frauen, unter ihnen einige junge Mütter – bei Wagner noch am Spinnrad, swipen rythmisch auf ihren Handys, Senta träumt.
Die Eltern schreiben eine Email an den Schauspieler, der den Holländer darstellt. Er solle sich mit Senta treffen. Er stimmt zu.
Sie treffen sich während eines Fussballspiels beim Public Viewing. Die norwegischen Fans tragen Hörner und Schals, haben die Gesichter in den Farben der Landesflagge bemalt. (Kostüme: Olga Shaishmelashvili). Sie bejubeln ihre Mannschaft, verspotten die gegnerische. Der Holländer demaskiert sich, nimmt Bart und Kappe ab. Senta aber läßt sich nicht von ihrer Liebe abbringen. Sie geht zurück ins Kino. Allein.
Mit der fulminanten Kinoszene hatte der Holländer begonnen. Aber diese Spannung kann die Inszenierung nicht halten. Schon in der Shopping Mail, vor allem aber beim Public Viewing nimmt Vasily Barkhatov sie heraus. Wenn die Seemänner auf die Mannschaft des Holländers treffen, ist das eher verwirrend als aufregend.
Da ist viel Lustiges zu sehen (manchmal auch Überhebliches, was die handyverzückten jungen Mütter oder die Fußballfans angeht), dramatisch ist nur noch die Musik.
Michael Volle als Holländer ist großartig. Er kann leise und zart singen, seine gewaltige Stimme über das Orchester erheben. Er kann Wehmut in seine Stimme legen oder Trotz. Seine Bannbreite ist enorm. Stimmlich, auch darstellerisch. Zudem singt er textverständlich. Ein sehr lässiger Holländer. Gabriela Scherer singt die verträumte Unschuld, die sich von nichts als der Liebe beherrschen will, mit großer Kraft und sehr beeindruckend.
Der Chor (Leitung: Patrick Francis Chestnut) singt und spielt überragend, nur der Geisterchor, der vom Band kam, scheppert. Die Mitglieder des Ensembles der Oper am Rhein, Bogdan Talos (Daland), Jussi Myllys (Erik), Anna Harvey (Mary) und David Fischer (Steuermann) überzeugen. Es ist die letzte Premiere des Dirigenten Axel Kober in Düsseldorf. Er hält sich zurück, untermalt die bunte Inszenierung. Zu gewaltig sind die Bilder.
Weitere Aufführungen
am 29.6., 3.7. , 6.7.
und wieder ab Januar 2025