„La Juive“ Oper von Fromental Halévy in Frankfurt
Die Geschichte von Judenhass während des Kirchenkonzils in Konstanz von bedrückender Aktualität
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt
Die Reaktionen bei der Uraufführung der Grand Opéra 1835 in Paris waren gespalten. Bei der Premiere von „La Juive“ am 16. Juni in der Oper Frankfurt wurde die Inszenierung von einigen lautstark ausgebuht. Warum? Denn die Inszenierung von Tatjana Gürbaca fasziniert, bedrückt – ein Spiegel der aktuellen Situation.
Das Ensemble bei der Premiere von „La Juive“ am in der Oper Frankfurt, Foto: Monika Ritterhaus
Die katholische Bevölkerung bereitet sich auf die Eröffnung des Konzils vor, um das Schisma, die Glaubensspaltung, zu beenden. Es gab damals drei Päpste: in Rom, in Avignon und in Pisa. Alle erwarten die Rückkehr ihres obersten Feldherrn Fürst Léopold, der die Hussiten besiegte (Benannt nach dem Theologen Jan Hus (1370-1415), der wegen „Ketzerei“ in Konstanz verbrannt wurde.“)
Die katholische Meute, aufgestachelt durch den Bürgermeister, hetzt gegen den jüdischen Goldschmied Éléazar und dessen Ziehtochter Rachel. Die Regisseurin lässt den Chor alias Meute ständig in Bewegung sein. Sie attackiert Éléazar und Rachel, ist gewalttätig, aggressiv ist ihr Gesang. Chordirektor Tilman Michael, der nach dieser Saison für voraussichtlich ein Jahr an die Metropolitan Opera gehen wird, hat mit den Sängerinnen und Sängern des Chores wieder ein Meisterstück auf die Frankfurter Bühne gebracht. Großartig! Überwältigender Jubel.
Kardinal Brogni trifft ein und beruhigt die geladene Stimmung beim Volk. Er und Éléazar kennen sich aus Rom. Éléazar rettete Rachel, die Tochter des Magistrats Brogni, nach einem Überfall aus dem brennenden Haus, obwohl dieser seine beiden Söhne hat hinrichten lassen. Brogni wurde Priester, Kardinal und ist nun Vorsitzender des Konzils in Konstanz. Er bittet den jüdischen Goldschmied um Verzeihung – dieser lehnt ab. Rachel und Léopold, der sich als jüdischer Student namens Samuel ausgab, haben seit geraumer Zeit eine Liebesbeziehung. Sie lädt ihn zum Pessachmahl bei ihrem Vater ein. Sie wundert sich allerdings, dass er den Mob, der Vater und Tochter ertränken will, beruhigen konnte.
Wer ist er? Es bleibt nicht aus, dass Rachel an der jüdischen Identität von Samuel alias Fürst Léopold zweifelt. Sie weiß, dass eine Beziehung zwischen Juden und Christen mit dem Tod bestraft wird. Sie wollen fliehen, aber der Vater verhindert das. Einer Heirat kann Léopold nicht zustimmen, denn er ist mit Prinzessin Eudoxie verheiratet. Zu ihr und den Kindern kehrt er zurück. Auch er, wie Rachel und Éléazar müssen sterben. Den Vorschlag von Kardinal Brogni zu konvertieren, lehnt Éléazar ab – auch Rachel lehnt die Taufe ab. Erst nach der Hinrichtung erfährt der Kardinal, dass Rachel seine Tochter war.
v.l.n.r: Simon Lim (Kardinal Brogni) und John Osborn (Éléazar), Foto: Monika Ritterhaus
Rachel steht, ohne es zu wissen, zwischen den beiden Religionen. Dem christlichen Geliebten ermöglicht sie, nachdem sie ihn angeklagt hatte, doch noch zu überleben. Sie selbst wählt den Märtyrertod. Eine starke, Freiheit liebende Persönlichkeit, die zunehmend zerrissen ist. Eine sympathische Heldin, die wütend, ungerecht und sehr leidenschaftlich sein kann, aber aufrecht in den Tod geht. Léopold hat sie missbraucht, ihr die Ehre genommen. Seine Frau Eudoxie, eine pfiffige Person, hat er betrogen, aber sie verzeiht ihrem Mann und kämpft im Gespräch mit Rachel um sein Leben. Diese gibt ihre Rache auf und zieht die Anklage gegen den Betrüger zurück. Sie bleibt bei der jüdischen Glaubensgemeinschaft.
vorne: Ambur Braid (Rachel; in roter Felljacke) und rechts daneben Gerard Schneider (Léopold) sowie Ensemble, Foto: Monika Ritterhaus
Rache und Hass prägen den fünften Akt. Sie gehen vor allem von Éléazar aus. Er ist nicht bereit, Brogni zu sagen, dass Rachel seine Tochter ist.
Ein grausames Schlussbild inszenierte Regisseurin Tatjana Gürbaca. Sie lässt die hingerichtete Rachel vom Bühnenboden stürzen und interpretiert das als apokalyptischen Moment, der wie ein Komet aus dem Himmel stürzt. Éléazar nennt sie einen Untergangspropheten. „In einer Welt der Intoleranz wird kein kultureller Reichtum, kein Frieden und über viele Generationen auch kein Verzeihen möglich sein. Denn wenn man „die anderen tötet“, tötet man letztlich auch sich selbst.“ (Zitat Gürbaca: Programmheft S.13)
Sie macht aus Halévys Historienthema ein lebendiges Geschehen mit ausgeprägten Charakteren. Sie spannt den Bogen der jüdischen Geschichte, des Antisemitismus, vom Mittelalter bis heute, aber ohne historisierende Anbiederung. Die Kostüme, die Silke Willrett, unterstützt von Carl-Christian Andresen kreierte, sind differenziert – mal heutig, mal in Anlehnung an früher. Bühnenbildner Klaus Grünberg, Mitarbeit Anne Kuhn, hat eine turmartige Architektur von Enge und Überbelegung, die zu Zeiten des Konzils in Konstanz herrschte, entworfen.
Die große Spannung kommt auch von der Musik.
Dass Fromental Halévy (1799-1862) diese Grand Opéra mit jüdischem Thema komponieren konnte, lag an der damaligen politischen Situation, denn Frankreich gewährte auch den jüdischen Menschen uneingeschränkte Bürgerrechte.
Der französische Dramatiker und Librettist Eugen Scribe (1791-1861) hatte den Komponisten bei einem Spaziergang für das Historiendrama begeistern können. Veränderungen gab es mehrfach im Konzept. Ursprünglich sah Scribe vor, dass sich Rachel taufen lässt und so der Hinrichtung entgeht.
Henrik Nánási am 2. Juni nach Oper extra, Foto: Renate Feyerbacher
Halévy schafft es, die permanent schwelende Gewalt, musikalisch eindringlich auszudrücken – immer wieder Tempowechsel, beziehungsweise bedrohliche und weniger bedrohliche Veränderung in der Musik zu schaffen. „Die Musik lässt uns also live zusehen, wie Hass entsteht und zu immer weiteren Eskalationen führt“, Dirigent Henrik Nánási im Gespräch mit Dramaturg Maximilian Enderle.
Der gebürtige Ungar, mehrere Jahre Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin und bereits vorher Gast an der Frankfurter Oper, leitet souverän das groß besetzte, erstklassisch musizierende Frankfurter Opern- und Museumsorchester: dabei fünf Kontrabässe, vier Hörner, vier Trompeten / Kornett, drei Posaunen, drei Schlagzeuger, eine Pauke, viele Streicher, auch Harfe und Orgel. Versöhnende Momente machen immer wieder Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts. Zwischen Kardinal Brogni und Rachel besteht offensichtlich Zuneigung. Sie ist ja seine Tochter.
Was für grandiose Sängerinnen und Sänger!
Allen voran John Osborn. Es heißt, er sei derzeit der weltbeste Éléazar, der Einzige am Abend, der die Rolle bereits kannte, für alle Anderen war es ein Rollendebüt.
John Osborn bedankt sich beim Publikum am 16.6. nach der Premiere, Foto: Renate Feyerbacher
Der amerikanische Tenor begeisterte mit seiner Belcanto-Stimme und seinem Spiel.
Bejubelt wurde auch Ensemblemitglied Ambur Braid als Rachel. Die kanadische Sopranistin, die mit Salome bereits einen überragenden Erfolg hatte, überzeugt mit kraftvoller, wütender, aber auch zärtlicher Stimme und großartigem Spiel.
Ambur Braid und Gerard Schneider am 2. Juni, Fotos: Renate Feyerbacher
Den lustvollen, jüdische Frauen begehrenden, aber ansonsten schwachen, unehrlichen Léopold gibt der österreichisch-australische Tenor, Ensemblemitglied Gerard Schneider, der unter anderem am Salzburger Mozarteum und an der Juillard School New York studierte. Diese schwierige Partie mit Höhenspitzen, meistert er – abgesehen von winzigen Unsauberkeiten – eindrucksvoll. Bei den „Offenbach-Banditen“ im Februar war er dabei.
Zwischenapplaus löste Ensemblemitglied Monika Buczkowska als schnippige Luxusdame Eudoxie aus. Grandios ihre Koloratur-Leistung. Der südkoreanische Bassist Simon Lim debütierte bereits mit großen Rollen an der Oper Frankfurt. Nun gibt er Kardinal Brogni seine Stimme, die mühelos enorme Tiefen erreicht. Geradezu sympathisch kommt er rüber.
Die Rollen des Ruggiero und Albert singen die sehr geschätzten Ensemblemitglieder Sebastian Geyer als hetzerischer Bürgermeister Ruggiero und Danylo Matviienko als Albert, kaiserlicher Gardist.
Ein Opernabend, der erschüttert, nachdenklich macht und auch bewusst provoziert. Die außergewöhnliche Musik von „La Juive“ des Komponisten Fromental Halévy und das großartige Sängerteam sollten viele zum Besuch anregen.
Weitere Termine:
28. Juni, am 6. – auch Oper im Dialog -, am 11. und am 14. Juli.
Sondertermine:
am 1.7. Michel Friedman in der Oper „Christlicher Antisemitismus“
am 8.7. Liederabend mit John Osborn
Weitere Informationen unter:
Telefonischer Kartenverkauf:
069 212- 49494
Online:
oper-frankfurt.de/tickets