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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Helmut Werres und Christiane Hamacher: Mischwesen im Ausstellungsraum EULENGASSE 

Faszination für das Hybride

Von Brigitta Amalia Gonser

Die Ausstellung „Mischwesen“, mit Werken von Helmut Werres und Christiane Hamacher, als Kooperation zwischen den Kunstvereinen EULENGASSE Frankfurt am Main und Kunstbalkon Kassel, führt den Betrachter in das Reich ästhetischer Fiktionen, die das Ergebnis reger künstlerischer Imagination sind. Sie zeugen in Zeichnungen und Porzellanskulpturen von der uralten Faszination für Hybride, entstanden aus der Verschmelzung von Mensch und Tier.

Gemischte Hängung im Kunstverein EULENGASSE, Foto: Helmut Werres

Diese Vision der Beherrschung des Fremden und Unglaublichen durch die Erschaffung von Mischwesen – oder besser Chimären ist in beinahe allen Hochkulturen seit Jahrtausenden zu finden. Chimären sind nach antiker Überlieferung monströse Mischwesen, die dort, wo sie auftreten, feuerspeiend das Land verwüsten. Mittelalterlich stehen sie für das Böse und den Antichristen. Die Emblematik der Renaissance kennt sie als mörderische Vogelweiber.

Kreativ erschaffen aber unsere beiden Künstler zahllose neue Mensch-Tier-Hybride.

Es gelingt ihnen mit den Mitteln des Surrealismus, wie André Breton sagte, „die Grenzen des sogenannten Realen zu verrücken“. Einzig die Imagination zeigt ihnen, was sein kann.

Sie glauben an die Auflösung der so scheinbar gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Surrealität, in der „Leben und Tod, Reales und Imaginäres, Vergangenes und Zukünftiges, Mitteilbares und Nichtmitteilbares, Oben und Unten nicht mehr als widersprüchlich empfunden werden.“ (André Breton, Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek 1977)

Hamachers Porzellanskulpturen: männliche und weibliche Wassergeister mit Fischrumpf und menschlichem Antlitz, Foto; Helmut Werres

Christiane Hamachers Passion für ihre miniaturalen Porzellanskulpturen wurde geweckt, als sie 2016 von einer befreundeten Keramikerin mit Porzellanerde – bestehend aus Kaolin, Feldspat und Quarz – versorgt wurde, um ein Geschenk zu modellieren. Die taktile Haptik des Materials beim Modellieren ohne Vorzeichnung und die Oberflächenbehandlung mit Glasur und neuestens auch akzentuierter Bemalung sowie der hochgradige Brennprozess faszinieren sie, weil sie ihr als Holzbildhauerin ganz andere gestalterische Möglichkeiten eröffnen. Das Brennen erfolgt aber außerhalb ihres Ateliers bei derselben Keramikerin. Der Glattbrand ist bei Porzellan der zweite abschließende Brennvorgang mit einer vollständigen Sinterung bei 1300°C bis 1400°C. So erhalten ihre weißen, mit einer klaren Glasur überzogenen, relativ kleinen Porzellanfiguren, mit deren feinen und fragilen Optik, einen spiegelnden Effekt und einen ästhetischen Schimmer.

Mit Enthusiasmus gestaltet Hamacher nun seit 2019 bis heute ihre figurativen Fabelwesen.  Ihre Inspiration holt sie sich dabei aus der griechischen, asiatischen oder nordamerikanischen Mythologie aber auch aus den Alb- und Tagträumen der Bildwelt Hieronymus Boschs sowie aus sprachlichen Metaphern. Die Künstlerin erschafft so ihr eigenes Universum von Mischwesen, in denen Mensch und Tier phantastisch verschmelzen. Und wir entdecken einen weiblichen Kentaur oder Zentaur mit Pferd-Unterleib und Frauen-Oberkörper; Nixe und Nix: männliche und weibliche Wassergeister mit Fischrumpf und menschlichem Antlitz; maskuline und feminine Vogelmenschen als Pinguin, prachtvolle Entenfrau, oder Society-Tratsch-Ente, und martialische Geierwesen, denn Schamanen aus dem Mittleren Orient verehrten den Geier als das heiligste aller Wesen, das Seite an Seite mit ihnen für das Wohl der Bevölkerung kämpfte; oder einen Bärentänzer und Rübezahl mit Totenschädel; die vermenschlichte kleine Raupe Nimmersatt in Metamorphose; zwei Hirschkuhköpfe, die statt Ohren einerseits aggressiv geballte Fäuste, andererseits friedlich segnende Hände tragen; einen Kopffüßler mit Riesenfüßen, die einen übergroßen Kopf balancieren, aus dem ein speiendes Drachenmaul herausragt;  und dann ist da auch die große Allegorie des vergoldeten Hasen im Mond, der dem portraitierten Menschenkopf  auf dem er thront, die Sinne vernebelt.

Christiane Hamacher ging im Anschluss an ihr Studium an der Kunsthochschule in Kassel erst der Illustration nach, wobei sie auch Textilpuppen gestaltete, um jetzt endlich in der plastischen Figuration ihrer Porzellanskulpturen ihre volle Kreativität frei zu entfalten.

Das Universum der filigranen und zugleich dichten Zeichnungen des Künstlers Helmut Werres, wofür er 1991 den Hauptpreis der Darmstädter Sezession erhalten hat, wird in dieser Ausstellung vom Fabeltier des Drachen dominiert, der dazu mit dem Menschen fusioniert.

Inspiriert von Dürers Drachenzeichnung: Helmut Werres‘ fragile Zeichnungen von surrealen Mischwesen, Foto: Helmut Werres  

In der Mythologie ist der Drache im Westen in der Regel einköpfig, im Osten in der Regel mehrköpfig dargestellt. Ebenso eigenständig gilt die Hydra, der neunköpfige Drache.

Auslöser für diese Passion des Künstlers war an einem Wintertag des Jahres 2013 im Museumsshop des Frankfurter Städel seine Entdeckung „einer wunderschönen Dürer’schen Drachenzeichnung, die ihn so begeisterte“, dass er sie kopiert und variiert hat, bis ein ganzes „Drachenbuch“ entstanden ist. Der zwischenzeitliche Verlust des Skizzenbuchs beflügelte seine Kreativität und künstlerische Imagination, so dass über die Jahre ein ganzes Konvolut an Zeichnungen entstanden ist, auf Spaziergängen und Reisen, beim Zeitungslesen oder im Konzert, im Zug oder vor dem Bildschirm, in denen sich dieser „allererste Drache“ mit Lebenden und Toten, Schriftstellern und Politikern, Engeln oder Hunden zu Mischwesen verbindet, die die Welt und die Hölle bevölkern. Das ergibt ein mystisches Panorama voller Geist und surrealer Bildgewalt.

Lassen wir die Bildereignisse Revue passieren: Aus dem tiefen Dunkel ins Licht bricht ein Unheil bringender Drache und aus dem androgynen Profil eines Menschen wächst aus dessen Nacken und Hinterkopf ein riesiger, gekrönter Drache; eng beieinander Löwe und Drache oder Walross und Drache und in die Lüfte erhebt sich ein aufgebäumter, tanzender Drache mit drei um ihn schwebenden Kronen und erinnert uns an Dürers Apokalypse;

dann erscheinen: der vom Drachen besessene Matisse, mit Hut und Pinsel, und Jan Böhmermann, getrieben von den Klauen eines fliegenden Drachen; E.T.A. Hoffmann, der Magier der Geister, janusköpfig in Fusion mit einem Engel; ebenso E.T.A. Hoffmann in corpore mit Jean Paul, der die Vorrede zu dessen „Fantasiestücken in Callot’s Manier“ geschrieben hat; auch Kasper mit Hut und vor allem Kasper mit Drachen und Hexe; aber auch selbstironische Parabeln: der Künstler in Symbiose mit einer Krabbe auf dem Kopf oder das Portrait als „KönIch“ – König Ich mit Drachen; doch dann gibt es „Regen, Elektrizität und Geschwindigkeit“ und in der Finsternis, die sich über die Erde senkt, agiert Helmut Werres als authentisches Zoon politikon; so tauchen aus dem Dunkel auf: Kim Jong-un, der „Oberste Führer“ Nordkoreas, diktatorischer Alleinherrscher des Landes, getrieben von einem Kriegsdrachen; Frau Marine Le Pen, im rechtspopulistisch bis rechtsextrem Abgrund der französischen Partei Rassemblement National,  vormals Front National; der amerikanische Virus Donald Trump; der Kopf eines Schergen aber auch Ekke Nekkepenn, das Feuermännlein, das mit seinem Schadenzauber für das Verdorren der Felder sorgt.

Helmut Werres verwendet für seine intensiven Zeichnungen spezielle japanische Geltintenstifte und erzielt damit jene besondere Farbintensität und malerische Expressivität, wie sie für Aquatinta-Radierungen charakteristisch ist.

„Il disegno è una cosa mentale“, verkündeten schon die Meister der italienischen Renaissance.  Die Zeichnung ist für Helmut Werres zugleich eine sehr intuitive und geistige Angelegenheit, wovon sein umfangreiches Œuvre an „ambulanten Reise-, Geist- oder Gelegenheitszeichnungen“ (Zitat: Helmut Werres) zeugt.

Mit ihren in der Ausstellung „Mischwesen“ gezeigten Werken verleihen die beiden Künstler, Christiane Hamacher und Helmut Werres, einer Philosophie der Immanenz Ausdruck, bei der die Surrealität bereits in der Realität enthalten ist.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Wahrnehmen und Entdecken.

Die Ausstellung geht noch bis zum 23. Juni 2024.

Ausstellungsraum EULENGASSE

Seckbacher Landstraße 16
60389 Frankfurt-Bornheim
Fon 069. 5600 5910 · Fax 069. 5600 5915
eMail: info@eulengasse.de
www.eulengasse.de

 

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