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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Florian Kochs MeterMorphosen – Geschichte und Geschichten am laufenden Meter

Mit Wissen und Witz – Auch Kulturmanagement geht so

Von Petra Kammann

Der Frankfurter Publizist, Kurator und Verleger Florian Koch schafft seit gut einem Vierteljahrhundert im Verlag MeterMorphosen, den er im Jahre 1998 mitbegründet hat, buchaffine sogenannte „Nonbooks“.  Dass etliche seiner einfallsreichen buchähnlichen Produkte mit Preisen ausgezeichnet oder nominiert wurden, wen wundert’s? So erschien u.a. bei MeterMorphosen schon 2015 das beliebte Redensarten-Memospiel des erfolgreichen Frankfurter Illustrators Philip Waechter. Aber Koch ist nicht nur Verleger. In Frankfurt/Rhein-Main betreibt er eine Kulturmanagement-Agentur: Dreimal jährlich kuratiert er in Sachsenhausen mit dem Künstler Daniel Hartlaub die Frankfurter KunstSäule, wo Künstler in drei Wechselausstellungen pro Jahr ihr Werk auf einer 3,80 m hohen Litfaßsäule präsentieren. Jährlich organisiert er für die Publikumsverlage den beliebten „Langen Tag der Bücher“, und er hilft auch seit 2004 dem Kulturamt der Stadt Frankfurt bei der Planung, Koordinierung und Umsetzung des zweijährlich stattfindenden Literaturfestivals LiteraTurm in den Hochhaustürmen der Stadt Frankfurt.

Der Nonbook-Verlag MeterMorphosen im Hinterhof in Oberrad, Foto: Petra Kammann

Woher der schräge Name MeterMorphosen stammt, will ich natürlich wissen. Es war die geniale Anfangsidee, in der soviel Witz wie auch Alltagserfahrung und Bildung steckt. Ausgangspunkt war nämlich ein schlichter Zollstock, wie wir ihn kennen, der allerdings nicht die Zentimeterlänge misst, sondern mit einer Skala von 2000 Jahren am laufenden Meter die Geschichte mit ihren wichtigen und scheinbar weniger wichtigen Ereignissen notiert, also nicht nur, dass 1969 die erste Mondlandung stattfand, sondern auch, dass  510 die ersten Kirchenglocken in Nordafrika gegossen wurden oder 1193 die ersten Gummibälle durch Südamerika hüpften.

Nun ja, man assoziiert die lautlich ähnlich klingenden „Metamorphosen“ des römischen Dichters Ovid. Das „Buch der Verwandlungen“ ist auch Teil der 2000 Jahre (Kultur-) Geschichte. Der Name MeterMorphosen vereinigt eben alles in einem Wort. Sinnreiche Dinge miteinander verknüpfen und sie transformieren, das scheint das Grundprinzip in allem zu sein, was Florian Koch anpackt und was ihn antreibt. Phantasie und Experimentierlust habe er wohl von seiner Mutter, einer Goldschmiedin und Fotografin, den Geschäftssinn hingegen von seinem Bankervater geerbt.

Voller Freude präsentiert Florian Koch die illustrierten Karten, die in den einfallsreichen Boxen stecken, Foto: Petra Kammann

Ausgedacht hatten sich zunächst den Zollstock 5 Freunde, die aus unterschiedlichen Bereichen ihr Knowhow mitbrachten. Neben dem Verlagskaufmann Florian Koch waren es der Architekt und Gestalter Christoph Kremer, der gelernte Tischler Ingo Kollmann, der einstige Sprachlehrer Jordi Guasti und der Kaufmann und Buchhalter Michael Knäbe,  die nach wie vor bis heute jedes neue anvisierte Projekt erst einmal kritisch unter die Lupe nehmen, um es dann qualität- und sinnvoll auszuarbeiten, damit ein Ganzes, eine runde Sache, aus der Anfangsidee entsteht. Und im Gegensatz zu den Belletristik-Verlagen beschränken sie sich lediglich auf zwei bis drei neue Produkte pro Jahr: ungewöhnliche Objekte eben, die einfach anregen und stimmen müssen.

Und da sind wir schon beim Kern der Verlegerei. Im Hinterhof der Offenbacher Landstr. 374 in Oberrad sind eigentlich nicht ständig Bücher im Werden, sondern eben kleine handfeste und hochwertige Papier-Objekte oder Schachteln, die aber „nicht von Pappe“, sondern pfiffig gestaltet sind. Mit ihrem kreativen Wortwitz, komplexe Dinge auf den Begriff zu bringen, schaffen sie es auch optisch, akustisch und haptisch, abstrakte Zusammenhänge sinnlich erfahr- und begreifbar zu machen und neue eigene Fragen auszulösen. Vorteil dieser spielerischen Bildungsobjekte: sie eignen sich auch bestens als Mitbringsel für Menschen, die keine Lust haben, 600 Seiten-Wälzer zu lesen und deswegen trotzdem nicht dumm bleiben wollen.

Das Auslieferungslager vor Ort in einer ehemaligen Schmiede, Foto: Petra Kammann

Inzwischen gibt es in dem Verlag MeterMorphosen jedoch nicht nur die kreativen Zollstöcke wie zum Beispiel den vierfarbig bedruckten Erdzeit-Zollstock, der, wenn man ihn auseinanderklappt, uns die Entwicklung der Erdzeitgeschichte der vergangenen fünf Milliarden Jahre näherbringt, von der Ursuppe bis zur Gegenwart. Spielspaß ist immer mit dabei wie auch bei den Memo-Spielen, auf die sich der Verlag konzentriert hat. Hier zählt nicht die Masse des Publizierten, sondern die Qualität, wozu nicht zuletzt die solide Herstellung zählt, denn das macht die Produkte im Gegensatz zu etlichen Buch-Eintagsfliegen aus Belletristik-Verlagen eher zu Longsellern.

Einsamer Renner bis heute ist zum Beispiel das Kult-Memospiel des Schweizer Komikers Urs Wehrli  „Die Kunst, aufzuräumen“, der genüsslich alle komplexen Dinge auseinandernimmt und wieder neuordnet, gleich, ob es sich um den MetroPlan der Wiener U-Bahn, um abgezählte Pommes oder eine Beethoven-Partitur handelt. Da muss man sich anschließend ob der abstrusen Ordnungsliebe einfach schlapp lachen. Ein anspielungsreiches Geschenk für ganz besonders penible Zeitgenossen, die es verzeihen, wenn sie trotz ihrer Korrektheit auch mal „auf den Arm genommen“ werden. Und schon wären wir bei den Redensarten.

Da kommen wir zu einer anderen Spezialität des Verlags: Memospiele wie zum Beispiel „Die Wände haben Ohren“. Das beliebte Redensarten-Memospiel wurde vom renommierten Frankfurter Zeichner und Karikaturisten Philipp Waechter illustriert. Die Wort-Bild-Paare bestehen aus einem Bild, das Redensarten wie „Krokodilstränen vergießen“, sich „wie gerädert fühlen“ und „Perlen vor die Säue“ werfen, im wahrsten Wortsinne veranschaulicht.

 

Das Redensarten-Memospiel „Die Wände haben Ohren“ von Philipp Waechter

So lässt Philipp Waechter – übrigens der Sohn des Karikaturisten F.K. Waechter – sich nicht nehmen, die Redensart „Jemanden einen Bären aufbinden“ (umgangssprachlich: eine unwahre Geschichte erzählen) auch ganz wörtlich zu nehmen. Hier lässt er jemanden auf die Leiter klettern, um von dort aus den Bären rücklings mit einem Seil auf dem Flunkeropfer anzubinden, so dass der Bär zwangsläufig zu einer schweren Last wird. Seine so treffenden wie augenzwinkernden Zeichnungen nehmen auch viele andere Redewendungen beim Wort. Selbst bei der Illustration der Schachtel in Gestalt eines Einfamilienhauses mit Dach wird um die Ecke gedacht.

Woher die Redensarten, die wir hören und benutzen, eigentlich kommen, wissen wir oft nicht. Ein beigefügtes Booklet ist daher dem Papphäusschen beigefügt, das die Redensarten erläutert, so dass man nach der Lektüre schmunzeln muss und schon wieder ein wenig schlauer geworden ist. Da hat man bei diesem Memospiel auf spielerische Art und wie nebenbei gelernt, dass etwa die berühmten „schwarzen Schafe“ schon in der Bibel zu den Außenseitern zählten, weil Schafe damals vor allem wegen ihrer weißen Wolle gehalten wurden. Zwei Preise hat das Memospiel übrigens bereits erhalten: Den Form Produktpreis 2016 und den Promotional Gift Award 2017.

Einen Riesenspaß verspricht auch das Zungenbrecher-Memospiels des Bilderbuch-Duos Philipp Waechter und Moni Port „Der Flugplatzspatz nahm auf dem Flugblatt Platz. Seit 2015 ist die erfolgreiche Box im Verlagsangebot. Schaut man in den Hangar aus Pappe hinein, so kann man sich erst einmal einen kleinen Flieger basteln und ihn auf dem auseinandergefalteten Flugplatz platzieren, bevor man sich auf die  Herausforderungen einlässt, passende Wort-Bild-Paare zu suchen und zu finden. Und dann geht es an die Radebrecherei. Wie schnell und fehlerfrei können die Spieler Zungenbrecher wie „Brautkleid bleibt wie das Blaukraut Blaukraut“ rezitieren? Von den fast gleichklingenden Lautkombinationen sind die Sprechmuskeln schon arg herausgefordert. Immerhin wird dabei auch noch die präzise Aussprache trainiert.

Das Zungenbrecher-Memospiel von Philipp Waechter und Moni Port „Der Flugplatzspatz nahm auf dem Flugblatt Platz“

Gelingt es einem in Gemeinschaft, die Zungenbrecher schnell und fehlerfrei zu rezitieren, ist das natürlich ein großer Spaß und Ansporn für alle Beteiligten. Und wenn man glaubt, so leicht daher sagen zu können: „Flamingos tragen freitags Fischflossenflipflops“, beißt man sich versehentlich doch ganz schnell auf die Zunge. Ob Florian Koch während der Entwicklung des Produkts auf seine Erfahrung zurückgreifen konnte, dass er einst bei Professor Walter Jens in Tübingen Rhetorik studiert hat?

Bauernregel-Memo „Wenn die Kuh am Himmel schwirrt“ von Moni Port und Philipp Waechter

Vom Frankfurter Kreativ-Paar Moni Port und Philipp Waechter, die seit rund 30 Jahren eine Arbeits- und Lebensgemeinschaft bilden und unermüdlich zeichnen, schreiben und gestalten, stammt auch das kürzlich erschienene Bauernregel-Memo „Wenn die Kuh am Himmel schwirrt“. In diesem Memospiel haben sich die beiden alten Bauernregeln wie „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, bleibt das Wetter wie es ist“ vorgenommen, um in Zeiten von Sommerhitze und Regenflaute ähnliche Weisheiten neu zu interpretieren. Aus den für Bauernregeln typischen Wetterbeobachtungen hat Moni Port in Erinnerung an ihre eigene Bauernhof-Großmutter flotte Zweizeiler-Reime und kleine Tierfabeln entwickelt wie „Kräht der Maulwurf auf dem Dach, liegt der Hahn vor Lachen flach.“

Vermutlich wäre der Eber zu Großmutters Zeiten nicht auf seiner roten Vespa abgehauen, wenn ihm am Ende der Schlachttermin drohte… Da heißt es nämlich: „Hat der Bauer Lust auf Schinken, fängt der Eber an zu winken.“ Philip Waechter hat mit seinen detailreichen und dynamischen Zeichnungen von der verkehrten Welt in den 24 Paaren des Spiels viel vom unromantischen Landleben in Zeiten des Klimawandels und anderen Naturverständnisses hinzugefügt, bevor die Karten in eine scheunenförmige Box gepackt wurden. Denn „Wenn die Kuh am Himmel schwirrt, hat sich die Natur geirrt“. Als Gimmick gibt es passend  zur wohl bekanntesten Wetterregel einen Hahn auf dem Misthaufen aus Pappe zum Zusammenstecken. Ein Spaß für Städter, die sich gerne mal ins Landleben hineinphantasieren, ist es allemal.

Florian Koch (Mitte) beim Literaturfestival LiTeraTurm mit der städtischen Literaturverantortlichen Sonja Vandenrath und Deutschlandfunk-Redakteur Stefan Koldehoff, Foto: Petra Kammann

Für den universalbegabten „Tausendsassa“, wie Florian Koch oft genannt wird, macht die Verlegerei natürlich nur einen kleinen Teil seiner Aktivitäten aus. Der alten Buchstadt Frankfurt, die in den letzten Jahren wichtige Verlage hat ziehen lassen, wirkt er oft segensreich als Organisator im Hintergrund. Die Buchszene kennt er aus eigener Erfahrung bestens, hat er seine Ausbildung als Verlagsbuchhändler von der Pieke doch bei Suhrkamp gemacht, als Verleger Siegfried Unseld noch lebte und eine Weile den Buchverlag im Verlag der Autoren geleitet. Aber das ist eine andere Geschichte. Und der von Natur aus neugierige erfolgreiche Verleger eines Nicht-Bücher-Verlags hat sich ein Jahr lang auch in der Welt umgetan und dabei Asien und Afrika kennengelernt. All das geht natürlich in seine Arbeit ein. Hätte er eigentlich einen besseren Namen für den Verlag als MeterMorphosen finden können? Heißt es doch beim Frankfurter Dichter Goethe in „Urworte. Orphisch: „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt“… und … „Die strenge Grenze doch umgeht gefällig / Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt; / Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig“…

 

Florian Koch

1967 in Wuppertal geboren, ist Publizist, Kurator und Verleger in Frankfurt am Main. Nach dem Abitur machte er eine Ausbildung zum Verlagsbuchhändler im Suhrkamp Verlag. Er studierte Rhetorik bei Walter Jens sowie Literatur- und Kulturwissenschaften in Tübingen und Paris.

1996-1997: Mitarbeiter in der Frankfurter Galerie Rothe.

Seit 1996: Freier Journalist und Kurator in Frankfurt, Entwicklung und Realisierung verschiedener Kulturprojekte.

1998: Mitarbeit an der Kulturzeitschrift BÜCHNER, hier Betreuung u.a. der Reihe „Städelschüler stellen sich vor“.

1998 bis 2001: Leiter des Buchverlages im Verlag der Autoren

1999: Gründung des Nonbook Verlages MeterMorphosen, dessen Geschäftsführer er bis heute ist, hier sehr erfolgreiche Produkte wie „Historischer Zollstock“ u.a.

Seit 2000: Konzept und Durchführung von literarisch-musikalischen Programmen mit wechselnden Musikern: Mit dem Pianisten Klemens Althapp „Lichtenberg & Schostakowitsch“ sowie „Bernhard & Bach“, mit Evgenia Rubinova (Piano) und Pavel Smirnov (Bariton) „Daniil Charms in Musik gebettet“ und mit Guoda Gedvilaite „Walser & Walzer“.

2001 bis 2004: Im Zusammenspiel mit Chaja Koren-Born Kurator für Kunstausstellungen in Frankfurt an drei Orten: „Kunst bei Orgler“ in der Immobilienfirma auf der Eschersheimer Landstraße 248, „Kunst im Savoy“ im Viersterne-Hotel am Bahnhof sowie „Kunst im Haus“ in der Villa von Chaja Koren-Born auf dem Frankfurter Lerchesberg.

Seit 2004: Organisation des Frankfurter Literaturfestes „LiteraTurm“ und Organisation des „Langen Tages der Bücher“ für die Publikumsverlage Frankfurts.

Seit 2005: Kurator für den Frankfurter KunstBlock FKB.

2005 bis 2013: Kurator für den Frankfurter KunstBlock FKB.

2014-2016: Kurator bei Kunst in der Fabrik in Sachsenhausen

Seit 2017: Kurator an der Frankfurter KunstSäule in der Brückenstraße

 

Philipp Waechter

Sohn des Zeichners und Cartoonisten Friedrich Karl Waechter illustriert erfolgreich für Verlage, Zeitungen und fürs Fernsehen. Nach dem Abitur machte er in einem integrativen Kindergarten seinen Zivildienst. Bis 1997 studierte er in Frankfurt Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Illustration. Waechter illustriert seit 1995 Bilderbücher, Buchumschläge, CD-Roms und verschiedene Zeitschriften für Kinder und Erwachsene. 1999 gründete er mit anderen Illustratoren die Ateliergemeinschaft LABOR. Heute lebt er als freier Graphiker und Illustrator in Frankfurt am Main

Moni Port

geboren 1968, Abitur, Buchhändlerin in Trier, Kommunikationsdesignstudium in Mainz, Umschlaggestalterin im Frankfurter Eichborn Verlag, 21 Jahre Labor Ateliergemeinschaft. Seit November 2020 eigenes Atelier „studio soundso“ im Frankfurter Nordend.

 

MeterMorphosen GmbH
Nonbook Verlag
Offenbacher Landstraße 372-374
D-60599 Frankfurt am Main
Telefon: +49 69 – 21 99 59 83

www.metermorphosen.de

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