Mario Adorf, ein Weltstar, im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum (DFF)
In Hollywood habe er sich nicht wohlgefühlt
von Renate Feyerbacher
Karten für das Gespräch mit Mario Adorf, das wegen Corona nun Ende Mai nachgeholt werden konnte, waren lange ausverkauft. Das Publikum im voll besetzten Foyer des DFF begrüßte den 93jährigen Filmschauspieler, Autor, Hörspielsprecher frenetisch. Seine Ehefrau Monique und Tochter Stella saßen in der ersten Reihe. Mit Urs Spörri (DFF) sprach er über seine Karriere, seine Filme, über sein Leben.
Mit diesem Plakat wurde Mario Adorf im DFF empfangen, Foto: Renate Feyerbacher
Eigentlich wollte er Maler werden, Bildhauer, aber die harte, von Hunger geprägte Zeit verhinderte das. Die Kindheit in Mayen in der Eifel, wo die Mutter aufgewachsen war und mit ihm hinzog, nennt er seine schlimmste Erfahrung. Die Mutter, die einst in Italien als Röntgenassistentin gearbeitet hatte, der Vater, ein verheirateter italienischer Arzt. Die Mutter musste Italien verlassen und verdiente nun den Lebensunterhalt für sich und das Kind mit Näh- und Schneiderarbeiten.
Mit Mühe habe er das Abitur geschafft und dann an der Universität Mainz im Bereich Geisteswissenschaften studiert unter anderem Theaterwissenschaft. Das Studententheater begeisterte ihn. In der Freizeit fuhr er nach Frankfurt, um zu boxen und sammelte erste Schauspiel-Erfahrungen auf der Mainzer Studentenbühne, die er auf der Otto Falckenbergschule in München vertiefte.
Nach den Filmen „08 /15“ kam 1957 mit der Rolle des als Serienmörders verdächtigten geistig behinderten Bruno Lüdke im Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ (1957) der Durchbruch. Der Film wurde nach dem Gespräch im Kino des DFF gezeigt. Der aus Dresden stammende Regisseur Robert Siodmak wollte Adorf zunächst nicht besetzen, weil er nicht besessen genug geblickt habe: „Schauen sie mal beese.“
Lüdke hatte sich nach Verhören selbst bezichtigt, viele Morde begangen zu haben. Ihm, der die Morde nie begangen hatte, wurde kein Prozess gemacht. Er kam in Gewahrsam. Es wird vermutet, dass er an den Folgen von Menschenversuchen starb.
Adorf erzählt, dass er half, für ihn einen Stolperstein zu setzen.
Der Film wurde für den Oscar nominiert, erhielt den Bundesfilmpreis und verhalf dem jungen Schauspieler, der damals an den Münchner Kammerspielen engagiert war, zum Durchbruch. Es heißt, er habe ein besonderes Gespür für die Realität gehabt und vor Drehbeginn sich mit einem Packen von Akten und Dokumenten zu Lüdke befasst.
Lange Zeit war Adorf allerdings auf Schurkenrollen festgelegt.
Mario Adorf am 29. 5. 2024 im DFF, Foto: Renate Feyerbacher
Er erwähnt voller Hochachtung René Deltgen (1909–1979), mit dem er 1976 im Film „Gefundenes Fressen“ des kürzlich verstorbenen Filmregisseurs Michael Verhoeven (1938-2024) vor der Kamera stand. Faszinierend dieser großartige Bühnenschauspieler, der von den Nazis begeistert war. Das wusste ich mit 12 Jahren nicht, als ich ihn in den Kölner Kammerspielen erlebte und begeistert war.
Hollywood wird auf Mario Adorf aufmerksam, aber da habe er sich nicht wohlgefühlt. Viele Jahre lebte er in Rom, wohin alle Berühmtheiten damals zogen, und drehte in Cinecitta, den römischen Filmstudios. Allerdings habe er bedauert, mit den ganz Großen nicht gedreht zu haben. „Ich war der Deutsche.“
,
Volker Schlöndorf, Foto: Renate Feyerbacher
Der Junge Deutsche Film beschäftigte ihn: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975), nach der gleichnamigen Erzählung des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll (1917-1985) – Regie Volker Schlöndorff- Margarethe von Trotta, Musik: Hans Werner Henze, einer der bedeutendsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Dann folgte „Die Blechtrommel“ (1979) nach dem gleichnamigen Roman von Günter Grass (1927-2015), Literaturnobelpreis 1999 – abermals unter der Regie von Volker Schlöndorff mit der Filmmusik des mehrfach ausgezeichneten Franzosen Maurice Jarre (1924-2009). „Die Blechtrommel“ erhielt den Oscar für den besten ausländischen Film und die Goldene Palme in Cannes.
Mario Adorf drehte mit Edgar Reitz, mit Rainer Werner Fassbinder und vielen anderen bedeutenden Regisseuren. Regisseur Dieter Wedel gab ihm mehrere Rollen. Urs Spörri befragte Mario Adorf nach Wedel. Adorf: Er habe nie einen eklatanten Macht-Missbrauch von Wedel mitbekommen. Zuviel Macht habe er allerdings gehabt.
Mario Adorf vor dem Friedrichstadtpalast – BERLINALE 2009, Foto: Renate Feyerbacher
221 Filme hat Mario Adorf insgesamt gedreht, aber es gibt viele, die vergessen werden könnten, sagt er selbstkritisch. „Bomber &Paganini“ (1976), die Gaunerkomödie mit Tilo Brückner und Hermann Beyer, nennt er seinen Lieblingsfilm. 2019 eine Neuauflage mit Tilo Brückner in der Gaunerkomödie „Alte Bande“.
Den Traum von einer Filmrolle hat er nicht mehr: „Nein – kein Ehrgeiz“, diesen hatte er ein Leben lang gehabt. Aber eine Energie brodelt noch immer in ihm. Fantastisch ist auch sein Gedächtnis. Nach diesem spannenden Abend viel Applaus und eine lange Schlange, um ein Autogramm zu ergattern, das er geduldig und freundlich jeder und jedem gab.
„Unsere Demokratie muss erhalten bleiben“, das waren letzte Worte eines „Großen Europäers“, wie er sich selbst bezeichnete.