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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Alljährliches Freundschaftsfest des International Women’s Club (IWC) mit einem ungewöhnlichen Spendenprojekt

Das Cookingbike, eine fahrbare Kochstation, die Gehörlose sichtbar macht 

Von Petra Kammann

Wenn die Sprache versagt, muss eine neue Sprache her. Wie aber können Kontakte und Berührungspunkte zwischen Hörenden und Gehörlosen, die in zwei Parallelwelten leben, geschaffen werden? Diese Frage stellte sich der International Women’s Club, der alljährlich ein soziales Projekt unterstützt. „Grenzen, Barrieren, Horizonte“ lautete das Motto, das die diesjährige IWC- Präsidentin Laura Melara-Dürbeck ausgerufen hatte, und sie war dabei auf ein ganz besonderes Projekt gestoßen: das Resto-Café Sinn&Wandel im Nordend. Gehörlose und hörende Mitarbeiter empfangen hier alle Gäste bei einem Cappuccino, bei köstlichem hausgemachten Kuchen, einem Apérol Spritz oder kleinen Apéro-Snacks. Dabei werden Berührungsängste mit Gehörlosen abgebaut und das Verständnis füreinander wächst. Sascha Nuhn hat gemeinsam mit dem Hessischen Verband für Gehörlose und hörbehinderte Menschen diesen ganz besonders einladenden Ort geschaffen, um Barrieren der Kommunikation einzureißen. Denn Essen verbindet. Das wurde auch in vielfachen Variationen Thema des Internationalen Freundschaftsfest des IWC zum Abschluss des Clubjahres erlebbar.

Laura Melara-Dürbeck (Mitte) überzeugt sich, wie der Ablauf der Bestellungen im Resto-Café funktioniert, Foto: Petra Kammann

Im Resto-Café Sinn&Wandel heißt es: „I speak with my hands, I speak with my heart“. Ist es nicht auch so, wenn man eine Fremdsprache erlernt? Um sich in einem anderen Land zu verständigen, dessen Sprache man nicht spricht, versucht man, wie es umgangssprachlich heißt, sich eben mit „Händen und Füßen“ zu verständigen, was umso mehr gelingt, wenn man sein Gegenüber dabei auch anteilnehmend anschaut. Geschäftsführer dieses Resto-Cafés seit September 2022 ist der 46-jährige Sascha Nuhn, gehörlos von Geburt an. Dieser außergewöhnliche Mensch ist seit vielen Jahren nicht nur im Vorstand des Hessischen Verbandes für Gehörlose und hörbehinderte Menschen e.V.. Sportlich ist er auch. Neben der Fallschirmspringerlizenz besitzt er sogar einen Rettungstaucherschein.

Sascha Nuhn erläutert die niedrige Spezialanfertigung der Espressomaschine, über die Gehörlose den Gästen auf Augenhöhe begegnen können, Foto: Petra Kammann

Wegtauchen, Abtauchen. Das sind Eigenschaften, die Gehörlose oft von früh an internalisiert haben. Weil sie sich lautlich und lauthals nicht bemerkbar machen können, werden sie oft in der Gesellschaft überhaupt nicht wahrgenommen, sondern sind ausgeschlossen und leben in einer Parallelwelt. Aber natürlich möchten sie wie andere Mitglieder der Gesellschaft auch wahrgenommen werden. „Für mich ist es, als säße ich in einem Aquarium, umgeben von sprechenden Menschen, aber kein Wort erreicht mich … Die Gebärdensprachen ist mein einziger Weg, durch das Glas hindurch zu kommunizieren“, sagt Sascha. Deshalb war er wohl auch einige Jahre lang politisch engagiert und als Stadtverordneter in Bad Vilbel tätig, um genau das zu demonstrieren.

Dr. Christof Goldschmidt verständigt sich in Gebärdensprache mit Sascha Nuhn, dem Verantwortlichen des Bistros, Foto: Petra Kammann

„Alles in allem, trotz einiger Schwierigkeiten, ein völlig normales Leben“, sagt er heute. Denn er hat immer eine Vorwärtsperspektive. Sein Motto: „Geht nicht, gibt’s nicht: denn für alles gibt es eine Lösung!“  So wundert es auch nicht, dass er eine Tochter hat, die sowohl hören als dabei auch noch die Gebärdensprache beherrschen kann. Zusammen mit seiner Arbeitskollegin hatte er schon 2017 das Projekt „DGS-Kids – Kindergeschichten in Deutscher Gebärdensprache“ ins Leben gerufen.

So könnte das maßangefertigte Cooking Bike aussehen, die Gehörlosen konnten ausliefern und wären sichtbar, Foto: IWC

Der Besuch der IWC-Mitglieder im Frühjahr 2024 im Resto-Café Sinn&Wandel hat die Clubfrauen überzeugt und sie fragten sich, womit man die „Gehörlosen“ denn weiterhin merklich unterstützten könne. Da alle gemeinsam das Essen als existentielle und damit verbindende Sache empfanden, war für sie die Unterstützung für den Bau eines Cooking-Bikes eine wirklich überzeugende Sache und sie sammelten seit März über 20.000 Euro für die Anschubfinanzierung einer solch fahrbaren Kochstation, die kleine Speisen und Getränke in die Parks, auf Feste oder auch in Firmen ausliefert. „Wow, für uns ein Sechser im Lotto!“, wie Sascha in Gebärdensprache kommentierte. Mit einem solchen Gefährt sind die Gehörlosen in der Stadt sichtbar und können die Botschaft des im Viertel angenommenen Cafés auch nach draußen tragen, und damit die Barrieren zwischen Gehörlosen und Hörenden überwinden. 

Franziska Redomske, Mitglied im Vorstand, arbeitete intensiv am Projekt mit; hier mit ihrem Mann Klaus beim Internationalen Freundschaftsfest, Foto: Petra Kammann 

Der offizielle Gebärdendolmetscher Daniel Weber war beim Besuch des Cafés noch unterwegs. So übersetzte für ihn zunächst Dr. Christof Goldschmidt, Ehemann einer IWC-Mitgliedsfrau. Er weiß um die Bedeutung der Übersetzung, denn er selbst hatte einen gehörlosen Bruder, was erst erkannt wurde, als er drei war. Und das, obwohl der Vater Kinderarzt war. Überzeugend berichtete er vom Leidensweg seines Bruders. Äußerst mühsam musste der die oft unverständliche Sprache anderer von den Lippen ablesen, lesen und schreiben lernen, was eine Mehrfachübersetzung und – belastung bedeutet. Und oft nahm man ihn nicht für voll.

Bevor es ins Emma Metzler geht: Dr. Christof Goldschmidt und Laura Melara-Dürbeck, Foto: Petra Kammann

Eine Qual! Christof Goldschmidt hatte bei gehörlosen Freunden seines Bruders die Gebärdensprache ganz selbstverständlich miterlebt und dabei eben auch erlernt. So war er ein wichtiges Bindeglied für seinen intelligenten Bruder, der seine Ziele nur über mühsame Umwege erreichte. Vor allem hatte er Verständnis dafür, dass der eigentlich gerne eine Ausbildung machen wollte, Abitur auf einem Berufskolleg nachholte und sogar in den USA studierte, was für ihn der „Befreiungsschlag“ war, weil dort die Gebärdensprache anerkannt war. Heute bildet er an der Münchner Universität Gehörlosen-Pädagogen aus.

„Christof Goldschmidt  war unsere Brücke zur Community, der uns ein neues Universum eröffnet hat,“ sagt Melara-Dürbeck begeistert. Denn der IWC, der 1946 von Elisabeth Norgall gegründete Frauenclub, der heute mit über 400 Mitgliedern aus mehr als 50 Nationen verfügt, sollte als Mittel der Völkerverständigung für Frauen aus verschiedenen Nationen dienen, um sich sich für Frieden und Freiheit einzusetzen.

Einstimmung mit dem Jazz-Saxophonisten Markus Lihocky, Foto: Petra Kammann

Beim Internationalen Freundschaftsfest am Ende des Spendenmarathons im Emma Metzler wurden die Gäste bei strahlendem Sommerwetter vom Jazz-Saxophonisten Markus Lihocky auf der Terrasse zum Park hin empfangen, und mit einer, das Thema umreißenden Begrüßungsrede der Präsidentin Melara-Dürbeck. Diesmal war die völkerverbindende Clubsprache jedoch nicht Englisch, sondern Deutsch und Gebärdensprache.

Gebärdendolmetscher Daniel Weber (li) und Elke Voitl, Dezernentin für Soziales und Gesundheit im Gespräch  (re), Foto : Petra Kammann

Im Inneren verteilt saßen für das diesjährige Inklusionsprojekt Gebärdendolmetscher, die eine Brücke zu den Mitgliedern schafften. Denn man mag es kaum glauben. Auch die lautlich nicht vernehmbare Gebärdensprache kann von Land zu Land, sogar Landschaft zu Landschaft differieren. Unterschiede, worauf auch Hans Beilborn aus dem Vorstand des Hessischen Verbands für Gehörlose und hörbehinderte Menschen aufmerksam machte. Als Vertretung für den Schirmherren, den Oberbürgermeister Mike Josef, der mit einer Delegation in Frankfurts Partnerstadt Tel Aviv unterwegs war, nahm sich Elke Voitl, Dezernentin für Soziales und Gesundheit, der Sache der Gehörlosen zugewandt an.

Überreichung des Spendenschecks der Präsidentin Laura Melara-Dürbeck (Mi) an Sascha Nuhn (li) und Hans Beilborn (re), Foto: Petra Kammann

Nach der köstlichen Vorspeise der Ricotta Ravioli mit Blüten und Kräutern war für die Betroffenen, die wenig Lobby haben, natürlich die Überreichung des Spendenschecks – dessen Summe sich bis Ende des Monats sogar noch erhöhen könnte – schlicht beglückend. Um Bewegung in die Sache zu bringen, ging es nach der Hauptspeise dann wieder raus auf die Terrasse, wo die bekannte Querflötistin Désirée Hall, Initiatorin und Projektleiterin von „Ensemble in Transition“, und dazu auf zahlreichen internationalen Festivals unterwegs, sowie die taube Tänzerin und experimentierfreudige Choreografin Kassandra Wedel in einer beeindruckenden und poetischen Performance vorführten, wie auch Grenzerfahrungen zwischen Musik und Gebärdentanz überwunden werden können, wenn man nur aufeinander eingeht.

Performance der Querflötistin Désirée Hall und der Tänzerin und Choreografin Kassandra Wedel, Foto: Petra Kammann

Nach dem köstlichen saisonalen Mahl von Küchenchef Anton de Bruyn, der ebenso Wert auf regionale Speisen legt wie auf Produkte aus artgerechter Haltung und von Lieferanten aus dem Rhein-Main-Gebiet, war die Stimmung an den verschiedenen Tischen, die sie miteinander teilten, gelöst und angeregend. Bestens ging es dann mit der Mischung aus Gypsy Swing, Jazz und Klezmer mit dem virtuosen Quartett Bohème weiter. Und so konnte das sommerlich beschwingte Fest, das nicht nur verschiedene Nationen einschloss, sondern auch die in unserer Gesellschaft oft so unsichtbaren und ideenreichen Gehörlosen, die voller Ideen sind, sichtbar machte, harmonisch ausklingen.

Alex Heilmann, Bassist und Komponist des Quartett Bohème, Foto: Petra Kammann

Ein rundherum gelungenes Inklusionsprojekt, zu dem Laura Melara-Dürbeck, die nun scheidende Präsidentin italienischen Ursprungs, allen Beteiligten GRAZIE MOLTO a tutti! zurufen. UndFeuilleton Frankfurt möchte ergänzen: Felicitazione! Glückwunsch! Die Parallelwelten wurden an diesem Abend aufgehoben. Aktion gelungen!

Über die Staffelübergabe an die kommende IWC-Präsidentin wird später berichtet.

Weitere Infos: 

Café Sinn & Wandel,
Bornheimer Landstraße 48
60316 Frankfurt am Main

https://www.sinnwandel.com/

Der International Women’s Club Frankfurt

https://www.iwc-frankfurt.de/

Hessischer Verbands für Gehörlose und hörbehinderte Menschen e.V.

https://hvghm.de/

 

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