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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Gemeinsam statt einsam“ – Depressions-Kongress in der Alten Oper

Vielfältig wie nie, mutmachend wie nie: Große Bühne für eine Krankheit

Von Uwe Kammann

Immer noch eine große Tabuzone um eine Krankheit, die viele Menschen betrifft, die gleichsam von einem Moment auf den anderen eintreten kann? Das ist schwer zu sagen, denn inzwischen gibt es zunehmend Aufmerksamkeit, wenn es um Depressionen geht. Und auch Öffentlichkeit wird mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit, trägt dazu bei, eine frühere Stigmatisierung zu überwinden. Das bewies jetzt Anfang Juni der nunmehr 7. Deutsche Patientenkongress Depression, zu dem die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention und die Deutsche DepressionsLiga gemeinsam eingeladen hatten.

Und gemeinsam ziehen sie an einem Strang und sind stärker, Foto: Barbara Walzer

Der große Saal der Alten Oper war bis auf den letzten Platz gefüllt, es hätten sogar noch viel mehr als die 1200 Tickets verkauft werden kann. Denn für viele Betroffene – also an Depression erkrankte Menschen – und ihre Angehörigen ist es hilfreich und wertvoll, sich mit vielen Aspekten dieser das Leben oft völlig umkehrenden Erkrankung zu beschäftigen, und dies unter vielfältigen Aspekten, mit zahlreichen Formen und Angeboten. So mit Vorträgen und Gesprächsrunden, mit Musik und Lesungen, mit dem Kennenlernen spezieller Medienangebote, mit Kontakten zu Hilfsangeboten, aber auch im ganz direkten Austausch.

Initiator der Patientenkongresse: Prof. Ulrich Hegerl, Foto: Barbara Walzer

Der Kongress stand unter einem klaren Motto: „Gemeinsam statt einsam“. Denn tatsächlich, so ergab es eine Untersuchung, fühlt sich jeder zweite der über 5 Millionen Menschen, die in jedem Jahr an einer behandlungsbedürftigen Depression erkranken, in hohem Maße einsam, empfindet sich als sozial isoliert – was dann oft gerade zu einem Rückzug führt. Doch „selbst bei zahlreichen Sozialkontakten geht die Erkrankung mit dem Gefühl des Abgeschnittenseis der völligen Isolation einher“, so beschreibt Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, den oft anzutreffenden Zustand.

Initiatoren und Organisatoren: Prof. Ulrich Hegerl, Susanne Baldauf und Waltraud Rinke beim Depressionskongress, Foto: Barbara Walzer

War es da verwunderlich, dass Katty Salié, prominente Medienmoderatorin (so beim ZDF-Kulturmagazin „aspekte“), in einer Gesprächsrunde auf der Bühne tief berührt war von ihren Eindrücken auf dem Kongress? Nie, so gestand sie, habe sie so intensiv erlebt, was es bedeute, im Austausch untereinander zu sein und mit hoher Intensität auf die vielfältigen Angebote zu reagieren, sie gleichsam mitzugestalten: „Der Austausch mit anderen Betroffenen streichelt die Seele.“

Die bekannte  Kulturmoderatorin Katty Salié war auch betroffen, Foto: Petra Kammann

Salié war selbst betroffen, hat vor zwei Jahren ihre Krankheitserfahrungen in einem Buch zusammengefasst („Das andere Gesicht“) und als Grundlage viele Gespräch geführt, nicht zuletzt mit Prominenten, bei denen die wenigsten vermutet hätten, dass sie an einer Depression leiden. Auch den Fernsehmoderator Kurt Krömer, vielfach ausgezeichnet wegen seines schrägen Humors, hatte sie interviewt. Und auch er hat nach seinem überraschenden ‚Outing’ – über dreißig Jahre habe er an Depressionen gelitten – ein Art Bekenntnisbuch geschrieben: „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“.

Schirmherr und Moderator – der Entertainer Harald Schmidt, Foto: Barbara Walzer

Ein höchst Prominenter aus dem Mediengeschäft, Harald Schmidt, hat auf seine Art ein Bonmot geprägt, das vielleicht besonders gut sein Engagement erklärt, mit dem er seit Anfang an als Schirmherr die Aktivitäten der in Leipzig beheimateten Deutschen Depressionshilfe begleitet und unterstützt, so auch als Moderator der Patientenkongresse: „Ganz im Ernst, Depressionen sind nicht lustig“. Um dann ganz ohne ironische Anspielungen anzuschließen, dass sie „besser behandelbar sind als viele denken.“ Was zur klaren Schlussfolgerung führt: „Je mehr wir alle über die Behandlung wissen, desto besser können wir damit umgehen.“

Mittagspause im Restaurant der Alten Oper mit dem Balkon, Foto: Barbara Walzer

Dass dieser aufklärerische Mehr-Wert auf dem eintägigen Kongress eingelöst wurde, das bestätigten viele Teilnehmer in der Essenspause, für die das Foyer, das Restaurant und der Balkon der Alten Oper einen großzügigen Rahmen bildeten, ganz so wie in früheren Jahren die gestaffelten Räume des Gewandhauses in Leipzig. Natürlich gehörte auch zu diesem (wie eigentlich jedem anderen) Kongress die Erfahrung, dass der Zeitrahmen für die Fülle des Programms zu knapp war, sich nach hinten verschob.

Aber beim späteren Fazit auf der Bühne hätte niemand Harald Schmidt widersprechen mögen. Als er nämlich feststellte, eigentlich sei schon beim ersten Blick klar gewesen, dass die vielen Einzelblöcke zeitmäßig gar nicht zu bewältigen seien; aber ebenso klar laute am Schluss die Feststellung, dass man auf keine einzelne Runde hätte verzichten wollen – so dicht, so interessant, so ergiebig seien sie alle gewesen.

Leiterin der DepressionsLiga Waltraud Rinke, Foto: Barbara Walzer

Das galt für die prägnanten Vorträge von Fachleuten, so zu neuen Behandlungsmethoden; das galt für hilfreiche Vor- und Ratschläge zu Fragen nach Wartezeiten und Therapieplätzen; das galt für die Möglichkeiten und Grenzen der Angehörigen (später befand ein Betroffener unter starkem Beifall: „die wahren Helden“) oder auch die Fragen, wie hilfreich und notwendig ein Klinikaufenthalt ist.

Von hohem Interesse war, dies zeigte sich an den Reaktionen im Publikum, die Frage, wie man sich gegenüber Arbeitgebern verhalten sollte: „Sag ich’s oder sag ich’s nicht?“, bei klarer Antworten von Betroffenen: Ja, unbedingt – wobei sicher noch nicht alle Unternehmen in jedem Falle Verständnis zeigten.

Aber auch hier wieder der Tenor: Es geht um Offenheit, hilfreich ist stets ein aktives Umgehen mit der Krankheit. Was wiederum Selbsthilfegruppen in bester Art befördern, unterstützen und ausbauen  können, wie in einer weiteren Runde sehr anschaulich vorgeführt wurde. Nicht zu vergessen: Es gibt inzwischen auch umfangreiche, viele Aspekte aufgreifende Online-Plattformen mit Hilfsangeboten, als kostenlose Basis, um mit der eigenen Krankheit umzugehen.

Kooperationen sind wichtig: hier mit NDR Info und einem Podcast, Foto: Petra Kammann

Dass inzwischen auch die Medien in vielfältiger Form das so komplexe, für nicht wenige Menschen immer noch heikle und schambesetzte Thema behandeln, bewies wieder einmal die inzwischen traditionelle Verleihung des Deutschen Medienpreises Depressionshilfe. Drei sehr unterschiedliche Medienprodukte wurden ausgezeichnet. So ein intensives, zugewandtes Gespräch mit einem Bauern, der unter der alltäglichen Last fast zusammengebrochen wäre – ein ungewöhnliches Thema in einem TV-Landwirtschafsmagazin des Bayerischen Rundfunks.

Ein weiterer Preis ging an eine mit strengen Stilmitteln und optischen Metaphern aufbereitete Reportage des Kulturkanals ARTE über die Lebenswelt von depressiven Menschen, ergänzt um prägnante fachliche Beschreibungen der Krankheit. Der Toppreiss schließlich wurde einer Programmaktion des regionalen Radio Hochstift zugesprochen, das mit der Tageszeitung Neue Westfälische einen intensiven Medienverbund schmiedete, der auf beiden Seiten die üblichen Formate sprengte.

48 Betroffene konnten in einem längeren Vorlauf gewonnen werden, ihre Befindlichkeiten und Erfahrungen mit der Krankheit zu schildern – durch eine kluge und lebendige Moderation einbezogen in zwei Radiotagen, während die Zeitung parallel in spezifischer journalistischer Aufbereitung das Themenspektrum sehr umfangreich behandelte. Hier war die Jury spontan und einhellig der Meinung: wir hören und lesen das Musterbeispiel einer medienübergreifenden Erhellung des Krankheit, höchst lebendig, sehr anschaulich und mit hoher Qualität der vielen vertiefenden Elemente auf der Radio- und auf der Printseite.

Erster Preis beim Deutschen Medienpreis: Radio Hochstift und die Neue Westfälische, Foto: Holger Peters

Eingebettet waren diese Elemente des Kongresses in eine Vielzahl von weiteren Aktivitäten, ein höchst eindrucksvolles Spektrum. So mit Ständen von (nicht selten örtlichen) Hilfseinrichtungen, von Verlagen und Initiativen, von Fach-Unterstützern oder von der auch interaktiv arbeitenden, mit gehörigem Schwung auftretenden Jugendbeirats der Depressionshilfe-Stiftung. Oder auch, ganz neu, mit einem Raum der Ruhe, von der Beisheim-Stiftung als „digitale Tankstelle“ eingerichtet.

Plakative Forderungen des Jugendbeirats, Foto: Holger Peters

Das konnte man als programmatischen Gegenpunkt verstehen zum wieder einmal fulminanten Auftritt des Kabarettisten – und seit fünf Jahren auch Schirmherren der DepressionsLiga – Torsten Sträter, der selbst unter Depressionsschüben leidet. Aber, bester anschaulicher Beleg, ohne dass man ihm dies direkt ansehen könnte. Denn sein Ad-hoc-Sketch, der auf witzigste Weise mit dem Gedächtnisverlust an einer Tankstelle spielte, wirkte einfach professionell wie immer, ohne jegliche aktuelle Beeinträchtigung.

Der Kabarettist Torsten Sträter, Foto: Barbara Walzer

Das Zeit- und Geduldmoment betonte eine so genannte StandUp-Lesung, Motto: Morgen ist leider auch noch ein Tag. Daneben spiegelten Kunst-Auftritte ein ganz anderes Element: das des spielerischen, kreativen Umgangs mit individuellen Krankheitserfahrungen. Fulminant mit der deutschen Pop-Gruppe Glüxkinder, anfeuernd mit der Mutmach-Sängerin Marie-Luise Gunst, poetisch mit der Performance der Licht-Akrobaten Caroline und Selmar Allenhoff.

Ansingen gegen die Depression: Glüxkinder, Foto; Barbara Walzer

Neben den vielen Fachimpulsen und dem intensiven individuellen Austausch waren das zwar nur Einzel-Elemente, aber sie trugen im besten Sinne essenziel bei zu einem Gesamterlebnis: einem Patientenkongress, der zeigte, was es sein kann, was es sein sollte, wenn wir so schlicht wie voller Überzeugung sagen: gemeinsam statt einsam.

↑ Mutmach-Sängerin Marie-Luise Gunst, Foto: Barbara Walzer

Die Licht-Akrobaten Caroline und Selmar Allenhoff, Foto: Barbara Walzer

Weitere Infos:

deutsche-depressionshilfe.de

depressionsliga.de 

 

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