„Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1874 – 2024“: Genre- und generationsübergreifende Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt (1)
Selbstbewusste Chronistinnen, Lichtbilderinnen und Künstlerinnen
Von Petra Kammann
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Beruf der Fotografin attraktiv für Frauen, gab er ihnen doch die Möglichkeit, in die Berufstätigkeit zu starten. Dennoch kamen Fotografinnen lange Zeit in der Fotografiegeschichte kaum vor. Einer der Gründe für eine umfassende Rück- und Vorschau im Historischen Museum Frankfurt (HMF), die auf 1000 Quadratmetern 180 Jahre einer Fotogeschichte mit 40 Fotografinnen der Medienmetropole Frankfurt präsentiert. Seit der Erfindung der Fotografie bildete sich vor allem wegen der vielfältigen Wirkmöglichkeiten in der Mainmetropole ein Zentrum für Fotografinnen, die regional, national und international wirken konnten. Die Schau stellt nur eine kleine Auswahl aus den im HMF-Archiv schlummernden rund 300 000 ungehobenen fotografischen Schätze dar, vom Porträtbild über die Stadtansicht bis zum Fotoalbum. Den urbanen Ort leuchten die ausgewählten Fotografinnen quer durch alle Genres und Generationen als sozialen, politischen und kulturellen Ort aus – mal reportageartig, mal objektbezogen, mal experimentell: vom Bildjournalismus über die Architektur-, Mode-, Porträt- und Theaterfotografie bis hin zu künstlerischen Fotokonzeptionen.
Die Ausstellungskuratorin Dr. Dorothee Linnemann, Foto: Petra Kammann
Ein Theater der Bilder
Quicklebendig und farbenfroh gekleidet sitzt die 86-jährige, in Rostock geborene und nun eigens aus Berlin angereiste Foto-, Licht- und Lebenskünstlerin Mara Eggert am Vormittag in der Pressekonferenz, die der Eröffnung der Ausstellung im Historischen Museum vorausging. Neben ihr Dr. Claude W. Sul, der Leiter des Forum Internationale Photographie (FIP) bei den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, wo sie zwischen 1962 und 1974 am Nationaltheater Mannheim als Theaterfotografin arbeitete und wo schon 1971 vor über 50 Jahren ihre berühmten „Theaterbilder“ ausgestellt wurden. Dort lagern auch frühe Fotografien von ihr. Diese Karriere hat die Perfektionistin, die sich heute selbstironisch als „workaholic“ bezeichnet, oft in nächtelanger Arbeit mutig und hart erkämpft.
Theaterfotografin Mara Eggert und Claude W. Sul, Leiter des Forum Internationale Photographie (FIP) Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, Foto: Petra Kammann
Nach ihrer Flucht aus der DDR 1951 wollte Mara Eggert unbedingt Fotografin werden, besaß jedoch, weil sie arm waren, keine Kamera. So stellte sie sich bei einem Fotografen in Heidelberg vor, der seine Kameras noch selber aus Einzelteilen zusammenbaute, und absolvierte dort eine Lehre als Fotografin. Hier lernte sie nicht nur, dass man sich sparsamer Mittel nicht etwa schämen muss, sondern auch, welche Vorüberlegungen bei begrenzten Mitteln notwendig sind, um die richtigen Lichter in der Komposition eines Bildes zu setzen, und nicht zuletzt, wie man sein Atelier zu organisieren hat, wovon auch während ihrer Lehre der Fotograf profitierte.
Zunächst arbeitete Eggert als Porträtfotografin und assistierte, um ihre Palette zu erweitern, schon bald bei dem Modefotografen Herbert Tobias in Berlin, wo sie erfuhr, wie man Mode inszenieren kann. Über ihre besonderen Porträts gelangte sie über Musik und Film schließlich zur Theaterfotografie. Zu Beginn der 1970er Jahre kam sie in der Ära des Intendanten Peter Palitzsch und einem ständigen Spagat zwischen Heidelberg, Mannheim, Frankfurt ans Schauspiel Frankfurt, wo sie erfuhr, was Mitbestimmung in aller Konsequenz bedeutet. „Viele Augen sehen mehr“, sagt sie rückblickend und voller Hochachtung, zumal sie ihren Sohn Moritz Eggert, heute ein profilierter Komponist, damals mit in die Proben nehmen konnte, was woanders in dieser Zeit schlicht unmöglich gewesen wäre.
Die Theaterfotografin Mara Eggert in der Ausstellung vor ihrem Foto vom „Dickicht der Städte“, Foto: Petra Kammann
Auch an der Oper Frankfurt dokumentierte sie über Jahrzehnte zahlreiche Inszenierungen und verdichtete die interessanten Bühnenbilder zu gemäldeartigen Bildern, die sich ins Gedächtnis einbrennen. Schon bald zählte sie zu den ganz Großen ihres Fachs, weil es ihr in den vielen Probenteilnahmen und dank bester Textkenntnis gelang, den Kerngedanken einer speziellen Inszenierung herauszuarbeiten sowie die Atmosphäre des Bühnenraums mit seinen Akteuren einzufangen und zu einem Bild zu verdichten.
Eindrucksvoll etwa ihre Perspektive auf das Bühnenbild von Klaus Michael Grübers Inszenierung am (mitbestimmten) Schauspiel Frankfurt von Brechts „Im Dickicht der Städte“, eine unübersichtliche, von keinem Geringeren als von Eduardo Arroyo arrangierte Landschaft mit Figuren, in der viele Menschen wie in Chicago (oder Frankfurt?) sich unbehaust und unsicheren Schrittes, über den von Tausenden ausgetretenener Schuhe bedeckten Boden bewegten, darüber am Rand Figuren in abgetragenen Mänteln und Hüten auf abgestoßenen Krankenbetten im Licht, was sie aus der Unterperspektive effektvoll in Szene setzte.
„Aus Bildern des Theaters wird ein Theater der Bilder“ hat der Theaterkritiker Peter Iden einmal über die von Mara Eggert verwandelten Theaterszenen treffend gesagt. Darin sind ihre Theaterstills mit Gemälden verwandt. Sie schreiben die jeweilige szenische Wahrhaftigkeit fest und weisen über sich hinaus. Seither hat Mara Eggert an vielen großen Bühnen, wie der Oper Stuttgart, der Deutschen Oper Berlin sowie den Salzburger Festspielen gearbeitet und das mit so prägenden Regisseuren wie Hans Neuenfels, Robert Wilson und eben Peter Palitzsch. Später waren es die legendären Frankfurter Ring-Inszenierungen einer Ruth Berghaus, von denen im Historischen Museum auch Originalabzüge ihrer puristischen Bildkompositionen als eigenständiger Ausdruck einerbesonderen Aufführung zu sehen sind.
Blick in die Ausstellung, auf die Porträts, Foto: Petra Kammann
Daneben auch immer wieder ihre besonderen inszenierten Porträts: Da sitzt zum Beispiel stolz und selbstbewusst Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld auf der Bibliotheksleiter unter seinem und seitenverkehrt gespiegelten Andy-Warhol-Konterfei, dann die kürzlich verstorbene Elisabeth Trissenaar auf rohen Brettern als Medea in der Neuenfels-Inzenierung in ihrem schlichten sexy Unterkleid, barfuß, stolz und einsam auf einem einfachen schlichten Holzstuhl, der frühere Direktor des Frankfurter Kunstvereins Peter Weiermair blickt skeptisch drein, die Frankfurter Schriftstellerin Eva Demski , sinnlich pompös aufgemacht, cool und warmherzig zugleich, schaut ganz unmittelbar in die Kamera, Irene Peschick, „eine Künstlerin, die mit Fotografie arbeitet“ schwingt dramatisch in ihrem langen Mantel ein Tuch in die Lüfte, was ihrer Aussage über die Dynamik zwischen Leben und Abstraktion von Strenge, Stille und Distanz entspricht.
„DMM“ – Das Auge ihrer Zeit auf Kontaktbögen
Dann eine kleine Besonderheit in dieser so vielseitig, auch so medial angelegten Ausstellung: Neben den fotografischen Sozialreportagen der sechziger und siebziger Jahre verblüffen die gesammelten Kontaktabzüge der renommierten Bildchronistin und Filmemacherin Digne Meller-Markovicz (DMM), (1934-2014), die als „feste Freie“ für den SPIEGEL von den Sechzigern bis in die Achtziger Jahren aus der Welt der Kultur und Politik bildhaft und ungekünstelt erzählte, jedoch damals untypisch für das Spiegel-Blatt, mit vollem Namen neben ihrem Foto.
Digne Meller Marcovicz, präsent in Kontaktabzügen, Foto: Petra Kammann
Trotz der kleinen Streifen ist die so spitzzüngige wie elegante Chronistin des kulturellen Lebens der alten Bundesrepublik ganz präsent, war sie selbst doch Teil der Szene. Kein Wunder, hat Meller Marcovicz doch unermüdlich Politiker, Künstler, Filmemacher, Schauspieler und Philosophen abgelichtet. Die repräsentativen Intellektuellen dieser Zeit hat sie fast alle vor die Kamera gestellt, gleich ob Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann, Gerhard Richter, Ernst Bloch, Rudi Dutschke, Reiner Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Martin Heidegger als Privatmensch auf seiner Schwarzwaldhütte, Theodor W. Adorno, auch privat, Werner Schroeter am Filmset undundund…
In ihrer Frankfurter Zeit interessierte sie sich u.a. besonders für Ferdinand Kramer und den Kramerschen Ofen. Bereits 2015 hat kurz nach ihrem Tod die bpk-Bildagentur, das gemeinsame Vertriebsportal der Kultureinrichtungen, das Archiv der großen Pressefotografin Digne Meller Marcovicz übernommen, denn ihr Nachlass umfasst unzählige Leitzordner mit über 350.000 Negativen – eben das klassische Ausmaß eines Lebenswerks.
Was das in nicht digitalen Zeiten bedeutet hat, Bilder schnell herzustellen, wird einem schlagartig anhand dieser Bilderstreifen im Miniformat, dieser „old school“-Kontaktbögen, wieder vor Augen geführt. Man muss nach der Filmentwicklung eines Rollfilms mit 36 Bildern erst einmal ganz klein das Motiv mit der Lupe anschauen, bevor man aufwändig und kostspielig eine Vergrößerung auf teurem Barytpapier in Angriff nimmt, damit es die Redaktion übernimmt. Und das alles unter hohem Zeitdruck oft des Nachts. Da wurde dann auch schon mal schnell ein Teil, Thema oder bestimmtes Porträt mit der Schere aus dem Bogen herausgeschnitten, um als Beigabe Alternativen anzudeuten…
Und Gisèle Freund…
Sophia Gisela (Gisèle) Freund ist wie viele der anderen Fotografinnen eine eigene Geschichte wert. Deren Anfänge mit der Voigtländer und dann mit der Leica liegen in Frankfurt, wo sie am Institut für Sozialforschung studierte und wo sie zunächst den prekären sozialen und politischen Alltag, vor allem den politischen Umschwung, bei dem die den neuen Hitlergruß der erhobenen Ende in der Stadt bzw. an der Universität festhielt, bevor sie nach Paris emigrierte…, um zunächst dort auf Anregung von Norbert Elias an einer soziologischen Dissertation über die Anfänge der Fotografie in Frankreich zu arbeiten.
Ausstellungsansicht, Foto: Petra Kammann
Und dann kam alles anders. Sie nutzte ihre theoretische Arbeit und setzte ihre fotojournalistische Tätigkeit dort fort, bevor sie mit dem deutschen Einmarsch in Frankreich nach Lateinamerika floh. ..
Viele kennen vor allem ihre frühen farbigen Portraits, die in Paris entstanden, wie die von James Joyce, Adrienne Monnier (Maison des Amis des Livree gegenüber Shakespeare & Company), die die französische Version des Ulysses veröffentlichte oder von Walter Benjamin. Auch dies eine lange und eigene Geschichte, die in der Ausstellung zu sehen sind, ebensowie ein frühes Fotoalbum von ihr.
Ein neuer sachlicher Blick auf die Architektur der Nachkriegszeit
Ganz anders die Motive bei Ursula Edelmann, die seit den 1950ern für das Hochbauamt und für Museen arbeitete. Sie ist mit ihren 97 Jahren die älteste noch lebende Fotografin der Ausstellung. An der Ausstellungseröffnung konnte sie aus Altersgründen jedoch nicht teilnehmen. Stellvertretend für sie war ihr Sohn, der Designkritiker Thomas Edelmann, zugegen, der die Arbeitsweise seiner Mutter bestens kennt. Er beriet auch die Ausstellungskuratorin Dr. Dorothee Linnemann mit seiner Kenntnis der Dinge, mit technischen Details und gab Hinweise auf Fotografinnen, die in Vergessenheit gerieten.
Ursula Edelmann hatte gegen den Willen des Vaters, einem Hobbyfotografen, der ihr gesagt habe, als sie ihn zum letzten Mal 1945 in einem Gefangenenlager in Frankfurt (Oder) sah: „Fotografie ist elitär, das braucht kein Mensch“, den Beruf der Fotografin verfolgt. Die Russen hatten ihn kurz nach Ende des Kriegs abgeholt, 1946 starb er in Russland. Sie ging einfach in Potsdam in das Atelier des strengen Max Baur. Den „Mann im weißen Kittel“ verwickelte sie in ein langes Gespräch, um ihm klarzumachen, dass sie unbedingt Fotografin werden wollte. Da sagte er ihr spontan zu: „Du kannst am Montag anfangen.“ Daraus wurde dann eine dreijährige Fotolehre in Potsdam. Immer wieder war sie fasziniert in der Dunkelkammer, wie aus dem Nichts auf dem Papier auf einmal ein Bild Konturen annimmt.
Ursula Edelmanns Sohn Thomas erläutert die Architekturfotografien seiner Mutter, Foto: Petra Kammann
Sie wollte weg von zu Hause leben und entschied sich für Frankfurt. Abenteuerlich ging sie schwarz über die grüne Grenze und traf dort auf eine Trümmerstadt. Doch sie machte Frankfurt zu ihrer Stadt, indem sie alles fotografierte, die übriggebliebene historische Bausubstanz wie im Karmeliterkloster und das neue Frankfurt, das sich aus den Trümmern wieder erhob. Geradezu erschütternd ist ihr Blick auf das zerstörte Karmeliterkloster, in dem das heutige Stadtarchiv beherbergt ist oder ihr Blick von oben in die Großmarkthalle, der einstigen „Gemüsekirch“ von Frankfurt. Für Ursula Edelmann ein wichtiges Schlüsselerlebnis. Im Karmeliterkloster fand sie nicht nur ihre ersten Auftraggeber, sondern lernte auch ihren späteren Mann, Thomas Edelmanns Vater, kennen.
Der Sohn erläuterte präzise die Bedeutung der sorgfältig mit der Plattenkamera aufgenommenen tiefenscharfen Architekturfotografie seiner Mutter, die als „Fremde“ in die zerstörte Stadt Frankfurt gekommen war und dort auch so empfunden wurde. Wie froh sie dann war, als über den Trümmern der Stadt eine neue sachliche Architektur entstand, die gut funktionierende Messe wieder einen neuen Aufschwung brachte. Seit der Ausbildung beim Postkartenverleger Max Baur interessierte sie sich für Architektur und lichtete die neuen Bankgebäude ab und konnte sich bald schon mit dem dort verdienten Geld selbständig machen. Ihr Handwerk beherrschte sie trotz des komplizierten Umgangs mit Plattenkameras bestens. Und in der so zerstörten wie einst wohlhabenden Mainmetropole gab es zudem eine, zahlreiche Zeitschriften und Verlage, und die städtischen Bühnen, die schon seit dem 19. Jahrhundert immer wieder ein wichtiger Auftraggeber waren.
Ursula Edelmann, Treppe im Römer, Architekturaufnahme innen, 1962, HMF
Von den Bildern der Zerstörung hatte sie sich dann in den 1950er Jahren erst einmal befreien wollen. So entstanden in der Nachkriegszeit vor allem Fotografien der neuen Architektur bis in die 2000er Jahre, die das Zerstörerische des Krieges ein wenig vergessen machten. So wurde sie zur Chronistin von Frankfurts Nachkriegsjahren.
Die Bilder der neuen sachlichen Gebäude – sie sind alle bestens komponiert, tiefenscharf und ohne stürzende Linien. Personen auf den Bildern empfand sie als störend. Mal tauchen zwei Passanten in der Ferne von hinten auf. Sie habe sich jeweils sorgfältig auf das beste Licht, die Dämmerung oder das Nachtlicht vorbereitet, erläutert ihr Sohn. Das kommt ganz besonders in den hier ausgestellten Nachtfotografien zum Ausdruck, wo die Farben auf dem fließenden Main wie ein fein gemaltes Bild wirken. Ihre strengen Architekturfotografien erinnern an die Fotos aus der Zeit der „Neuen Sachlichkeit“. Dabei macht man auch Entdeckungen architektonischer Besonderheiten wie den Bau mit der schrägen Fassade eines Frank Gehry-Baus in Goldstein, den ich bislang noch nie wahrgenommen hatte. Rasant der geschwungene Treppenausschnitt im wiederaufgebauten Römer Anfang der 1960er Jahre, der noch in die damals mit Rot gestrichene Decke ragt, eine kleine Hommage an die damals regierende SPD?
Eine junge Generation auf der Suche
Auf den ersten Blick chaotisch und bunt Asli Özdemirs Selbstporträt, „ich – Offenbach, Almanya“, Injektprint, Dezember 2022, Foto: Asli Özdemir/ HMF
Ganz anders die ganz junge Generation auf der Suche nach Identität, nach Ausdrucksmöglichkeiten, die mühelos zwischen den verschiedenen Medien wie Fotografie, Video- und Toninstallation hin- und herswitchen. Ihnen scheinen keine technischen Grenzen gesetzt zu sein. Sie kommen oft nicht aus sogenannten bürgerlichen Familien. Eines der Beispiele ist die 1993 geborene, in Erbach aufgewachsene und heute in Offenbach lebende Asli Özdemir, wo sie auch an der Hochschule für Gestaltung Offenbach studierte. Die Enkelin einer Einwanderungsfamilie aus der Türkei porträtiert sich selbst in ihrem Zimmer und setzt sich in mit der eigenen Familien-und Vorgeschichte auseinander, nimmt die Unterschiede zu den hier Aufgewachsenen in kleinen Details wie Spitzengarnituren, Aufbewahren von Obst wahr.
Asli Özdemirs Szenen einer türkischen Einwandererfamilie in Details des Wohnumfelds, Foto: Petra Kammann
Die Vertreterin der in Deutschland angewachsenen ,dritten Generation‘ verschränkt durch den Blick der Tochter/Enkeltochter Vergangenheit und Gegenwart, setzt sie auf ein Sofa, sich selbst darunter. Sie wollte raus der Enge des ländlichen Umfelds im Odenwald, in dem ihre Familie heute noch lebt, wenn auch der Großvater zwischenzeitlich verstorben ist. Mit ihm ist ein Teil der Erzähltradition von Geschichten aus der einstigen Heimat abgebrochen. Das Foto aber hat ihm eine Art Ewigkeit verliehen und die Künstlerin mit seiner Geschichte verschränkt.
Angesichts der unterschiedlsos von auf dem Boden ausgebreiteten Gegenstände wie Obst, Bücher, Negative, Pflanzen oder Stickdecken an Wand und auf Tischen reflektiert sie über einen möglichen Ausweg aus dem neuen Transit-Dasein. Wird sie weiter nach Berlin weiterziehen, auf zu neuen Ufern?
Im Umfeld des Neuen Frankfurt der Zwanziger Jahre
Natürlich sind die Bubikopf-Fotografinnen der 1920er Jahre, als in der Weimarer Republik das „Neue Frankfurt“ entstand, besonders interessant und verbunden mit den Bauten der besonderen Architekten wie denen von Ernst May oder Martin Elsaesser.
Blick auf die Fotos von Grete Leistikow, Foto: Petra Kammann
Eine wirkliche Fotografinnen-Entdeckung ist in dieser Ausstellung die Grafikerin Grete Leistikow, Schwester des legendären Gestalters Hans Leistikow, die zwischen 1927 und 1930 für die Zeitschrift Das neue Frankfurt zahlreiche Bauwerke dieser Epoche fotografierte, vor allem auch für die Sonderausstellungen Die neue Wohnung und ihr Innenausbau und Der neuzeitliche Haushalt. Ihr Name tauchte zwar im Impressum der Avantgarde-Zeitschrift auf, allerdings lediglich für Titelblatt und Layout als „Geschwister Leistikow“.
Das betraf auch die anderen hochkarätigen Fotografinnen, welche die Zeitschrift markant bebilderten, wie Ella Bergmann-Michel, Jeanne Mandello oder Hannah Reeck, Ilse Bing und Martha Hoepffner, die zentrale Vertreterin der experimentellen Fotografie, Schülerin von Willi Baumeister an der Städelschule bis 1933. Ihre Porträt-, Sport- und Aktaufnahmen wurden teils durch Solarisationen oder Mehrfachbelichtungen verfremdet. Ihre geometrischen Fotogramme und Fotomontagen wurden durch Rhythmisierung konstruktiver Elemente zu abstrakten Bildkompositionen.
1944 fiel ihr Frankfurter Atelier den Bomben zum Opfer. Ihre experimentellen Arbeiten und die fototechnische Ausrüstung waren glücklicherweise frühzeitig dank Hanna Bekker vom Rath in Hofheim am Taunus ausgelagert, so dass in der Nachkriegszeit an ihrem Werk und ihrer Experimentierfreude wieder angeknüpft werden konnte.
Das Geschwisterpaar Leistikow wiederum arbeitete Seite an Seite mit dem Breslauer Architekten und Leiter des Hochbauamts Ernst May, der damals das Neue Frankfurt prägte und daher vielen Frankfurtern vertraut ist: Gretes Bruder wiederum hatte als Leiter des grafischen Büros in Frankfurt das neue Corporate Design der Stadtverwaltung (Ausstellungsgestaltung, Formulare, Aktendeckel, Plakate, konstruktivistisches Adlersignet u. a. m.) gestaltet. Im Fuchshohl 55 betrieb Grete vor ihrer Ehe mit dem Architekten Werner Hebebrand eine „Photographische Werkstatt“.
Grete Leistikow, Palmengarten-Gesellschaftshaus, Umbau, 1929 / ©HMF
Eine echte geometrische Komposition ist u.a. Grete Leistkows lichtdurchflutetes Foto vom umgebauten Palmengarten-Gesellschaftshaus durch den Architekten Martin Elsaesser.
Spannend und teils bedrückend sind die Exilgeschichten der Fotografinnen nach 1933. Nachdem Grete 1930 den Architekten Werner Hebebrand geheiratet hatte, hat sie ihre Fotografentätigkeit aufgegeben. Und dann war das Ehepaar, um dem Nationalsozialismus zu entfliehen, mit Ernst May in die Sowjetunion ausgewandert, leider mit unliebsamen Folgen. Im Rahmen der stalinistischen Säuberungen wurde Werner Hebebrand 1937 in der Sowjetunion verhaftet und interniert. Grete kehrte zunächst alleine mit ihrem in Russland geborenen Sohn nach Deutschland zurück und arbeitete unbemerkt als Angestellte der Fotografin Dore Barleben in Berlin.
Ilse Bing, Selbstporträt der Fotografin Ilse Bing mit Leica im Spiegel, 1931 /© HMF
Ilse Bing wiederum, 1899 in Frankfurt geboren, wuchs in einer bürgerlichen jüdischen Familie auf. Nach dem Studium der Mathematik, Physik und Kunstgeschichte zog sie, beeinflusst von der in Paris lebenden Fotografin Florence Henri 1930 in die freie Seinemetropole, um sich dort als Bildjournalistin und Exponentin des Neuen Sehens zu etablieren und fasste auch dort bestens Fuß. Mit ihren Modefotografien und experimentierfreudigen Straßenszenen konnte sie sich in Paris schnell etablieren, veröffentlichte in der deutschen und französischen Presse sowie in US-amerikanischen Blättern wie Vogue und Harper’s Bazar.
Daneben ist ein häufiges Motiv in Ilse Bings Werk immer wieder die Selbstinszenierung mit Spiegel, bei dem sie mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung spielt und dabei auf die Vielschichtigkeit unterschiedlicher Blicke auf das eigene Ich aufmerksam macht.
Bings Porträt von Thomas Mann auf Seite 1 der New York Times, Foto: Petra Kammann
1940 wurde sie im besetzten Frankreich dann jäh von NS-Truppen in Gurs interniert. Nach einem längeren Aufenthalt in Marseille gelang ihr im Juni 1941 schließlich mit der Unterstützung des Emergency Rescue Committee (ERC) die Flucht nach Amerika, wo sie in New York weiterhin bis 1959 als Bildjournalistin arbeitete. Auch wenn sie dort an viele ihrer früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen konnte, blieb die Messlatte ihres künstlerischen Anspruchs und das Anknüpfen an große Intellektuelle stets hoch. So sehen wir im Schaukasten des Museums einen Zeitungsausschnitt auf Seite 1 der New York Times, die ihr Porträt des Nobelpreisträgers Thomas Mann von ihr veröffentlicht hatte.
Bürgerliche Fotografinnen in der Kaiserzeit
Natürlich ist die Ausstellung chronologisch aufgebaut. Aber immer wieder werden auch thematische Fäden gespannt und Verknüpfungen sichtbar gemacht. Die Ausstellung ist so angelegt, dass man sie jeweils unter verschiedensten Gesichtspunkten betrachten und an verschiedenen Stellen wieder andere Fäden aufnehmen kann. Denn der Ritt durch die Geschichte verläuft niemals eindimensional.
Überraschend sind in dieser inspirierenden Schau vor allem auch die Fotoserien der allerfrühestens Zeit, wo Foto-Pionierinnen wie Julie Vogel ab den 1840er Jahren in Frankfurt tätig wurden und schon tapfer Salzpapierabzüge machten, während in der Kaiserzeit Frauen schon vor 1917 selbständig Fotoateliers führten wie die Porträt – und Theaterfotografin Katharina Culié, die damit sogar Preise gewann. Das ansprechende Rahmenprogramm bietet ebenfalls viele Anreize, mit anderen Augen auf die Fotografie, und wie Frauen sich mit ihr auseinandergesetzt und professionell emanzipiert haben, zu schauen. Begleitet wird „Stadt der Fotografinnen“ durch ein Veranstaltungsprogramm aus Generationengesprächen mit den Fotografinnen, Filmvorführungen, Workshops und Dialogführungen. Deswegen sollen diese wenigen Bespiele auch nur ein kleiner Anreiz sein, andere Aspekte zu entdecken.
Katharina Culié, Porträt von zwei Mädchen, um 1890 ©HMF
Auch hier bewahrtet sich Susan Sonntags Bemerkung über das Wesen der Fotografie: „Jede Fotografie ist ein Memento mori. Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen (oder Dinge).“
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