Die Verleihung des Karl-Dedecius-Preises 2024
„Freude an Schönheit und Wissen um Schrecklichkeit“
Der wichtigste deutsch-polnische Kulturpreis – zum 11. Mal vergeben
Von Christian Weise
„Als Übersetzer darf man nicht besonders eitel sein“, gleichzeitig ist die Aufgabe des Übersetzens von zwei „über“ geprägt, einer überaus langen und überaus ausdauernden Tätigkeit, so Prof. Dr. Peter Oliver Loew, der Direktor des Deutschen Poleninstituts (DPI). In einem Tandem wurden am Freitagabend in der Darmstädter Stadtkirche eine polnische Übersetzerin und ein deutscher Übersetzer für ihre herausragenden Übersetzungsarbeiten mit dem Karl-Dedecius-Preis gewürdigt.
Der Direktor des Deutschen Poleninstituts in Darmstadt Peter Oliver Loew, Foto: Christian Weise
Die polnische Preisträgerin, Urszula Poprawska wurde vom ehemaligen deutschen Außenminister Heiko Maas vorgestellt und ausgezeichnet. „Als Außenminister kennt man den Wert von Übersetzern“, sein Eindruck heute sei: „Man hat sich einander schon lange nicht mehr verstanden – man werde daher also mehr Übersetzer brauchen!“
Der ehemalige Außenminister Heiko Maas als Laudator weiß, wovon er spricht: mehr Übersetzer braucht das Land!, Foto: Christian Weise
Urzula Poprawska habe mit über 50 übersetzten Büchern, darunter zuletzt auch Arthur Koestlers Sonnenfinsternis, Asfa Wossen-Asserates Biografie von Kaiser Haile Selassie, zahlreichen theologischen Werken, darunter Bücher des großen Theologen Hans Urs von Balthasar, bei ihren polnischen Lesern einen großen Anklang gefunden.
Über Lothar Quinkenstein sprach einleitend Peter Lehr für die Sparkasse Darmstadt, die zu den Mitauslobenden des Preises gehört: Lothar Quinkenstein zelebriere die Sprache und sei jetzt seit 2022 vielfach in der Unterstützung der Menschen in der Ukraine engagiert.
„Preistragende und Laudanden“- v.l.n.r.: Heiko Maas, Urszula Poprawska, Lothar Quinkenstein, Peter Lehr, Foto: Christian Weise
Die Laudatio auf Urszula Poprawska hielt Katja Petrowsjaka (passend zur Preisträgerin in – gespiegelten Farbtönen gekleidet), deren 2015 erschienenes Buch „Vielleicht Esther“ vor allem Anlass für die Auszeichnung war. Katja umriss die Biografie der „Preistragenden“ (so Loew später) und erwähnte, dass sie beide sich erstmals vor vielen Jahren im Straelener Übersetzerkolleg getroffen hatten und darüber diskutierten, wie man ihr Buch übersetzen könne – das ja doch selbst schon eine Übersetzung ist. Leider könne sie selbst kein Polnisch und daher nichts zur Sprache der Übersetzung sagen.
Katja Petrowskaja: „Mein Buch ist doch selbst schon eine Übersetzung“, Foto: Christian Weise
Als Antwort führte Urszula Poprawska aus, welche Zufälle sie 48jährig bereits 2002 auf die Übersetzerin-Laufbahn warfen: Berliner saisonale Arbeitgeber und Freunde, die ein anspruchsvolles Thomas-Mann-Deutsch pflegten, und sie in die Theaterwelt in und um Berlin einführten, ließen sie von der deutschen Sprache geblendet sein. Allerdings galt die künftige Übersetzerin, die sich zunächst mit der polnischen Sprache des 17. Jahrhunderts intensiv beschäftigte: „Ich war schon immer von Sprache fasziniert!“
Nachdem sie 2002 zunächst einen vergeblichen Versuch unternahm, ein Kinderbuch ins Polnische zu übersetzen, erhielt die in Krakau Lebende plötzlich von dem hiesigen wichtigen theologischen Verlag Anfragen, theologische Literatur zu übersetzen. Schließlich gelang ihr der Sprung in die Welt der Belletristik: Sie zu übersetzen sei der „Traum eines jeden Übersetzers“.
Charakteristisch für Übersetzer ist es, in jede Übersetzung Herzblut zu investieren. Jedem Werk wolle der Übersetzer gerecht werden, es ergebe sich eine tiefe Symbiose, was ein großes Privileg sei. Bei allen Beschwernissen stelle sich beim Übersetzen der Rausch ein – und die Erleuchtung.
Karl Dedecius, Initiator des Deutschen Polen-Instituts bis Ende 1997 dessen Direktor, Foto (2011): Petra Kammann
Abgesehen davon, dass sie beglückt sei, dass ihre Geschichte nun mit einem glücklichen Ende geschrieben sei, erwähnte sie eine anrührende Verflechtung mit Karl Dedecius: Ihre mittlerweile 92-jährige Mutter habe neulich auf die Nachricht von der Auszeichnung nachdenklich erwähnt, was sie selbst nie zuvor gehört hatte: „Ich habe einmal für die 4-bändige Darstellung ‚Deutsch-polnische Beziehungen in Geschichte und Gegenwart‘ eine umfangreiche Bibliographie erstellt, 1600 Einträge…“
Daher danke sie nun auch im Namen ihrer Mutter für die Auszeichnung mit dem Karl-Dedecius-Preis sehr herzlich.
Ehemalige Dedecius- und Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk auf der Frankfurter Buchmesse 2020, Foto: Petra Kammann
Der Verleger des Kampa-Verlages, Daniel Kampa, bezog sich in seiner Rede vor allem auf Olga Tokarczuks Essay „Wie Übersetzer die Welt retten“, den die Nobelpreisträgerin 2021 in Darmstadt gehalten hatte. Übersetzen ist eine „Übung im Femdsein und in Unschuld“.
Tokarczuk-Verleger Daniel Kampa (Verlag Kampa / Schöffling et al.) und Ida Schöffling auf der Frankfurter Buchmesse 2023, Foto: Petra Kammann
Einen besseren Preisträger als Quinkenstein, dem offenbar eine Schwäche für Großprojekte, wenn nicht gar für Monstren eigen sei, könne er sich gar nicht vorstellen: Quinkenstein wurde vor allem für seine Übersetzung von Olga Tokarczuks Roman „Die Jakobsbücher“ ausgezeichnet, die er gemeinsam mit Lisa Palmes angefertigt hat. Quinkenstein selber nannte zunächst prägende Kontexte, nämlich die frühe Lektüre von Friedrich Torbergs „Tante Jolesch“ und Joseph Roths „Flucht ohne Ende“.
Lothar Quinkenstein: „Freude an Schönheit und Wissen um Schrecklichkeit“, Foto: Christian Weise
Auch sein Weg zum Übersetzer ergab sich zufällig: im Laufe von plötzlich sich ergebender 17 Jahre währender Tätigkeit als Deutsch-Lehrer in Südpolen. Vor allem aber fühlte sich Quinkenstein gedrängt, auf die jüngsten Eindrücke zu sprechen zu kommen.
2018 nahm er auf dem Bruno-Schulz-Festival im ukrainischen Dohobytsch teil und pflegte seither Kontakt mit der ukrainischen Kulturwelt. Der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 habe ihn fassungslos gemacht, noch fassungsloser dann der Tod Viktoria Amelinas, die infolge des Angriffs auf Kramatorsk starb, gerade am Geburtstag Volodymyr Vakulenkos.
Das Tagebuch des Monate zuvor von den russischen Invasoren ermordeten Autors hatte sie kurz vorher unter einem Baum vergraben gefunden. Dass nun gerade am Vortag der Preisverleihung auch noch die Druckerei Faktor-Druk in Charkiv, in dem Mitte 2023 Vakulenkos Tagebuch publiziert wurde, bombardiert worden sei, wobei 50.000 Bücher vernichtet wurden und sieben Mitarbeiterinnen den Tod fanden – das mache sprachlos. „Freude an Schönheit und Wissen um Schrecklichkeit“ – das seien seine jetzigen Eindrücke von Literatur und Geschehen.
Urszula Poprawska und Katja Petrowskaja in Schwarz und Türkis so wie schrecklich und schön, Foto: Christian Weise
Zum Abschluss der Preisverleihung lasen beide Preistragenden, alteriert durch Lesungen der Originale, kurze Passagen aus ihren Übersetzungen. Musikalisch untermalt wurde die Veranstaltung mit Piano und Gesang durch Kasia Bortnik.