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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kabinettpräsentation „Else Meidner. Melancholia“ im Jüdischen Museum

Die Dämonenbändigerin

Von Christian Weise

Else Meidner (1901 – 1987) studierte – willensstark, entgegen dem Wunsch ihrer Eltern – in Berlin Kunst und wurde dabei von Käthe Kollwitz und Max Slevogt gefördert. Sie war Schülerin des Expressionisten Ludwig Meidner, später seine Ehefrau und Gefährtin in der Zeit des Exils in London. Lange stand Else Meidner im Schatten ihres berühmten Mannes. Das Jüdische Museum Frankfurt zeigt nun bis März 2025 in drei Hängungen insgesamt 57 großformatige Porträtzeichnungen der Künstlerin.

Else Meidner, Selbstbildnis mit Dämonen, 1927–1930 © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Herbert Fischer

„Da sind ja lauter Dämonen zu sehen!“, kommentierte Ludwig Meidner in Berlin, als er die vorgelegten Zeichnungen seiner neuen Studentin sah. Prompt zerriss sie die Blätter. Temperamentvoll, lebendig und unterhaltend konnte Else Meidner sein, gleichzeitig aber blickte sie intensiv und tief auf die inneren Stimmungen und Dämonen. Einer der wichtigen Dämonen – er bremst nämlich das gesamte menschliche Tun – ist die Melancholie. Mit diesem Titel wurde am Donnerstag Abend die Kabinett-Ausstellung „Else Meidner – Melancholia“ im Frankfurter Jüdischen Museum eröffnet.

Was ist im 3. Stock in einem der hintersten Räume nun zu sehen? Beim Eintreten begrüßen die Besucher vier große Kohlezeichnungen von Frauenköpfen. In der Mitte sind Else Meidner sowie ihre Schwester Hildegard. Die Köpfe dieser und rund drei Dutzend weiterer Zeichnungen sind alle mindestens lebengroß mit rascher und sicherer Hand auf die A-2-Blätter aufgetragen.

Else Meyer war 1901 als Tochter eines gutsituierten Berliner Arztes und Urologen aufgewachsen – vielleicht daher der Name Hildegard der jüngsten Schwester, daher der frühe Blick auf die Gesten angeschlagener Menschen?–, hatte intensiv Kunst und Kultur aufgenommen und entschieden, Künstlerin zu werden.

Nach mehreren Stationen landete sie schließlich bei Ludwig Meidner, der als bereits anerkannter Künstler Zeichnen lehrte. Bald wurden die beiden ein Paar. Die Biografie stellte Erik Riedel in seinem Einführungsvortrag vor:

Der Kurator Erik Riedel in seinem Einführungsvortrag, Foto: Christian Weise

Nach der Heirat wurde 1929 dem Paar ein Sohn geboren, es gab erste Ausstellungen der jungen Künstlerin, dann der abrupte Karrierebruch mit dem Dritten Reich, ein Umzug nach Köln 1939, die Emigration nach London 1939 und eine Existenz in der Emigration. Also reichlich Anlass, von Dämonen – nicht nur dem der Melancholie – geplagt zu sein.

Anders als Ludwig Meidner, der zu den Expressionisten und von modernen graphischen Impulsen angeregt war, entwickelte Else melancholische Porträts zu ihrem Stil. So genau, wie sie sich selbst beobachtete und in vielen Selbstporträts zeichnete, so genau schaute sie die Menschen und vor allem Frauen um sich herum an. In der ersten, von insgesamt drei jeweils drei Monate dauernden Hängungen sind fast ausschließlich Frauenporträts zu sehen.

 „Die Augen sind ja völlig schwarz!“, beobachtete eine Besucherin. Die schwarzen Augen, geschlossene Augen mit schweren Lidern, auf die Hand aufgestützte Köpfe – vermutlich angeregt durch Dürers berühmter Melancholia-Darstellung – ziehen sich durch die gezeigte Auswahl und wirken auf die Betrachter.

Blick in die Ausstellung auf die Altersporträts von Else Meidner, Foto: Christian Weise

Die Frisuren der Frauen ändern sich mit den Jahren: sind die Haare zunächst ein ungebremster, lebendiger Schwarm kleiner Locken, so werden sie auf den späten Londoner Zeichnungen glatt, liegen streng am Kopf, sind gar kurz und streng nach hinten gekämmt. Altersfrisuren.

In ihrer Lesung trug die Schauspielerin Anja Becker konzentriert unveröffentlichte Texte Else Meidners vor, unter anderem auch ein „Zwiegespräch mit dem Tod“. Der Tod hat die Künstlerin seit ihrer Jugend als Thema beschäftigt. Sowohl in ihren Texten als auch ihren Zeichnungen versuchte sie, ihn zu bannen.

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Die Schauspielerin Anja Becker las Texte, Foto: Christian Weise

Else Meidner hatte aber auch andere Seiten, bevor und nachdem sie die Dämonen gebannt hatte („contra agere“ – war der Rat der frühen Mönchspsychologen ab Evagrios). Diese andere Seite ging aus mehreren vorgetragenen Texten hervor, geht ferner aus den nicht gezeigneten bunteren Gemälden, ebenso aber auch aus einer frühen Karikatur, in der sie sich selbst und ihren Ehemann, in dessen Schatten sie stand, mit Tusche darstellte, hier im Gestus von Heiligen.

Selbstironie war ihr nicht fremd – Blick auf die Karikatur Else und Ludwig Meidner als „Apostel“ , Foto: Christian Weise

Von den insgesamt 1300 Zeichnungen und 250 Gemälden, die zum Bestand des Jüdischen Museums seit dem Jahr 2000 gehören, werden in den nächsten neun Monaten in drei wechselnden Hängungen die auf Papier gebannten melancholisch gestimmten Porträts zu sehen sein.

Selbstporträt einer unbändigen, kraftvollen Else Meidner mit aufgestütztem Kinn, um 1925 © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Herbert Fischer

Texte zu Else Meidner

finden sich in zwei älteren Publikationen, einer Biografie und einem Ausstellungsband mit einführenden Texten:

Joseph Paul Hodin,
Aus den Erinnerungen von Else Meidner:
Eine Würdigung ihres Werkes.
Darmstadt 1979.

Else Meidner 1901–1987: Ölbilder, Gouachen, Zeichnungen, Radierungen
Jüdische Gemeinde Darmstadt vom 8. November 1998 bis 24. Januar 1999.
Hrsg.: Kulturamt der Stadt Darmstadt ;
Ludwig-Meidner-Gesellschaft e.V., Hofheim.
Ausstellung und Katalog:
Ludwig-Meidner-Gesellschaft e.V. und Jüdische Gemeinde Darmstadt. Darmstadt 1998.

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