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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Richard Wagner erobert das Ruhrgebiet

Verschiedene Inszenierungen von „Rheingold“ und „Tristan und Isolde“

1. Fred Feuerstein und die Atomraketen

von Simone Hamm

Peter Konwitschny inszeniert Richard Wagners „Rheingold“ an der Dortmunder Oper. Es scheint, als habe uns Peter Konwitschny zu einem Besuch bei Fred Feuerstein und seiner Sippe eingeladen. Wotan und die seinen sind in Felle gefüllt, leben in Jurten, wärmen sich an der Feuerstelle. Wotan schwingt einen große Knochen. Regisseur Konwitschny schwingt die Keule in seiner Inszenierung von Richard Wagners „Rheingold“.

Ks. Morgan Moody, Irina Simmes, Sungho Kim, Tommi Hakala, Ursula Hesse von den Steinen, Ks. Matthias Wohlbrecht, Denis Velev, Artyom Wasnetsov (c) Thomas M. Jauk 

Alberich (herausragend: Joachim Goltz) ist ein zotteliger Angler, den die Rheintöchter hintergehen. Er raubt das Rheingold, das sie bewachen, entsagt der Liebe. Nur so kann er mächtig werden. Der aus dem Gold geschmiedete Ring gibt Alberich Macht über die Nibelungen, Herrschaft über die Welt.

Die nomadischen Steinzeitmenschen werden sesshaft. Wotan lässt sich von den Riesen Hafner und Fasolt (mit fester, dynamischer Stimme: Denis Velev) eine Burg erbauen. Er hat ihnen dafür die Göttin Freia versprochen. Sie läuft mit einem Einkaufsnetz voller Äpfel herum, die Äpfel machen die Götter unsterblich. Die Riesen wollen Freia gegen den Goldschatz tauschen. Wotan zögert. Erst die Erdgöttin Erda (großartig: Melissa Zgouridi) überzeugt ihn.

Alberich ist inzwischen ein reicher Rüstungsfabrikant in New York geworden. Er trägt feinen Zwirn. Sein Rheingold sind Atomraketen. Wotan und Loge wollen ihm den Schatz, die Tarnkappe und den goldenen Ring wieder abluchsen. Sie fordern ihn auf, seine Kunst, sich zu verwandeln, zu zeigen.

Alberich wird zu einem riesigen Schatten, einem Nosferatu zwischen Wolkenkratzern, dann wird er zur Kröte, winzig klein und lässt sich fangen. Er verflucht den Ring. Die Riesen erhalten die Beute im Austausch für Freia, schon während sie den Schatz teilen, streiten sie sich, einer erschlägt den anderen.

Die Götter ziehen in Walhalla ein. Das ist bei Konwitschny ein Pflegeheim. Die drei Rheintöchter kümmern sieht um die dementen Greise mit Hörrohr und Asthmaspray, die am Ende mit ihren Rollstühlen von der Bühne und ins Dunkle rollen.

Eine derbe Kapitalismuskritik, die man sich ironischer, feiner gewünscht hätte. Und das Dirigat dazu vielschichtiger, leidenschafticher. Gabriel Feltz dirigierte die Dortmunder Symphoniker ohne Verve.

Die Welt steht vor dem Untergang. Und wem das immer noch nicht klar ist, für den lässt Konwitschny Flugblätter regnen auf denen ein Zitat aus „Rheingold“ steht: „Falsch und reif ist, was dort oben sich freut“.

Rheingold kann man noch sehen am:

19.5., 24.5., 1.6., 8.6. 2024

2. Tragik auf kleinstem Raum

Das Essener Aalto Theater zeigt Barrie Koksys Inszenierung von „Tristan und Isolde“ mit Starbesetzung.

Die Essener Philharmoniker feiern in diesem Jahr ihr 125-jähriges Jubiläum. Das ist Anlass genug, Barrie Koksys Inszenierung von „Tristan und Isolde“ aus dem Jahre 2006 wieder aufzuführen, die so gar nichts Verstaubtes an sich an. Die Bühne von Klaus Grünberg besteht aus einemQuadrat von drei mal drei Metern, im ersten Akt Isoldes Schiffskabine. Ein Schiff bringt sie nach Cornwall, dort soll sie König Marke heiraten. Tristan soll sie ihm bringen. Isolde lässt einen Todestrank vorbereiten, doch ihre Dienerin Brangäne tauscht ihn aus, serviert einen Liebestrank.

Tristan und Isolde, mit Ensemble, Foto: Matthias Jung

Im 2. Akt beteuern Tristan und Isolde ihre Liebe. Jetzt rotiert der Würfel um seine eigene Achse, ganz langsam und unmerklich, bis der Kronleuchter auf dem Boden steht und die Blumenvase verkehrt herum von der Decke hängt.

Im letzten Akt steht der Würfel fest auf der Bühne, um ihn herum wieder Schafe. Es ist kein Bühnenbild, das von der Musik ablenkt. Das Geschehen auf der kleinen Guckgastenbühne kann ausgelassen sein, wenn Tristan mit seinen Freunden trinkt, ausufernd und furchtbar, wenn Brangäne Gewalt angetan wird. Innig wie beim Liebesduett. Dramatisch, wenn im letzten Akt der verwundete Siegfried im Würfel liegt. Und Isolde singt: „Ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust“.

Barrie Kosky setzt ganz auf die Sänger: „Tristan und Isoldeist eine Fuge der Sinne. Sie kosten die Liebe durch einen Zaubertrank. Sie sprechen Worte aus, die nicht ausgesprochen werden können. Sie erblicken einander. Sie berühren einander. Sie hören den Klang ihrer eigenen Ekstase und Qual“.

Eine hochkarätige Isolde ist nach Essen gekommen, die derzeitige Isolde der Isolden. Catherine Foster. Im letzten Jahr sang sie die Isolde in Bayreuth. Ihre Stimme ist warm und farbenreich. Sie ist sanft, dann dramatisch. Sie singt immer mit, nie gegen das Orchester und ist gut zu verstehen.

Bettina Ranch ist eine herausragende Brangäne, sehr sicher. Sebastian Pilgrim als König Marke hat einen satten, vollen Bass. Bryan Register als Tristan ist eher ein lyrischer Tenor, bisweilen ist er kaum zu hören, die Essener Symphoniker übertönen ihn.

Unter dem Dirigat von Andrea Sanguineti spielen sie expressiv und dynamisch, meistern aber auch die zarten, die elegischen Passagen.

Ein Genuß!

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