Hommage an drei Frankfurter, für die Frankfurt zu ihrer Wirkstätte wurde: Petra Roth, Arno Lustiger und Lothar Ruske
Ehre wem Ehre gebührt: Mai-Käfer in der Paulskirche, im Römer und im Jüdischen Museum
von Petra Kammann
Kaum hatten sich am 6. Mai, dem Gedenktag des Holocaust, Frankfurter Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen, Kulturakteure und Akteurinnen in der Paulskirche versammelt, um mit Lesungen ein Zeichen der Humanität gegen die Gräueltaten des 7. Oktobers 2023 in Israel zu setzen, so folgten auch schon Würdigungen dreier besonders engagierter Persönlichkeiten: Am 7. Mai erhielt der Frankfurter Literaturvermittler Lothar Ruske die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt. Am selben Abend fand anlässlich des 100. Geburtstags im Jüdischen Museum eine Hommage an Arno Lustiger in Anwesenheit seiner Tochter, der Schriftstellerin Gila Lustiger, statt. Und schließlich versammelten sich am 9. Mai zum 80ten Geburtstags der ehemaligen Oberbürgermeisterin Petra Roth im Kaisersaal Politiker aller Couleur, Weggefährten und Familienmitglieder aus Nah und fern.
Hut ab! Frankfurt feiert seine besonderen Bürger und Bürgerinnen, Foto: Petra Kammann
Haben diese drei Persönlichkeiten etwas gemein? Alle miteinander sind sie keine gebürtigen Frankfurter, sondern „Eingeplackte“, wie es auf Franforderisch heißt, haben diese Stadt aber als ihre langjährige Wirkungsstätte angenommen und sogar liebgewonnen. Und sie haben sich trotz individuell ganz unterschiedlicher Voraussetzung etwas getraut, was von Anfang an nicht gesettelt war und dabei Glück gehabt. Zweifellos das Glück der Tüchtigen, waren sie doch geprägt von ihrem persönlichen Engagement für die Sache, gingen in ihrer Offenheit auf Andere, Zugezogene und Andersdenkende zu und waren beflügelt von ihrem jeweiligen Wunsch nach Freiheit. Sie alle hatten etwas miteinander zu feiern.
v.l.n.r.: Kulturdezernentin Ina Hartwig, OB Mike Josef, Lothar Ruske (Ehrenplakette), Literaturagent Eldad Stobezki, Petra Roth (ehemalige OB), Foto: Salome Roessler
Der Literaturmanager
Geradezu hymnische Zustimmung der Literaturinteressierten und Lob von höchster Stelle gab es von Mike Josef, dem Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt persönlich wie auch von der Kulturdezernentin Ina Hartwig, für den umtriebigen und buchbesessenen Literaturveranstalter Lothar Ruske. Der beliebte Organisator von ‚Frankfurt liest ein Buch‘ und vom ‚LiteraturBahnhof‘ während der Buchmesse musste nach dem starken Applaus und den geballten Lobesreden erst einmal tief Luft holen und gestehen, dass er nach all den Jahren der Erfahrung immer noch Lampenfieber vor Reden habe und die leichte Angst, dass irgend etwas nicht klappen könnte.
Zahlreiche Freunde Ruskes und seines Mannes, dem Literaturvermittler israelischer Literatur Eldad Stobezki, dessen Großeltern 1933 vor den Nazis aus Deutschland fliehen mussten, waren erschienen, und hatten der Musik des neuen Leiters der Romanfabrik Gregor Praml gelauscht, der mit seinem Kontrabass zu den von Katharina Bach gesungenen und gesprochenen Texten entsprechend improvisiert hatte.
Humorvoll erinnerte sich der norddeutsche Dankesredner Ruske daran, dass er eigentlich gar nicht nach Frankfurt wollte und ihm die Stadt am Main zunächst ganz kleinbürgerlich vorkam, er schließlich aber blieb, Ruske, der 1947 in der Nähe von Bremen geborene, lebt immerhin seit über 40 Jahren in der ,gemütlichen‘ , aber international ausgerichteten Mainmetropole, in der man einander immer wieder begegnet und Dinge aushandeln kann, anders als etwa in Berlin.
Mike Josef überreicht Lothar Ruske die Ehrenplakette, Foto: Petra Kammann
„Seit mehreren Jahrzehnten prägt Lothar Ruske das literarische Leben der Stadt. Mit Projekten wie zur Frankfurter Buchmesse im Haus des Buches hat er Formate geschaffen, die weit über die Grenzen Frankfurts hinaus wirken“, sagte Kulturdezernentin Ina Hartwig, der es ähnlich wie ihm erging, als sie mal in Berlin beinander saßen, und weiter: „Mit seiner kenntnisreichen Leidenschaft trägt Lothar Ruske wesentlich zur Vermittlung von Literatur bei, ganz in dem Bewusstsein, dass Bücher eine Bühne brauchen, um ihre Leserinnen und Leser zu finden.“
Der Chronist des jüdischen Widerstands
Arno Lustiger in der Paulskirche, Foto: Petra Kammann
Am Abend desselben Tags fand dann im Jüdischen Museum, eine andere, anrührend mit Anekdoten gespickte Hommage Anden Publiszisten und Historiker Arno Lustiger (1924-2012) anlässlich von dessen 100. Geburtstag statt. Er, der im polnischen Bedzin aufgewachsen war, führte ein sehr oszillierendes Leben. Er überstand – was an ein Wunder grenzt – Lager wie Sosnowitz, Annaberg, Otmuth, Auschwitz, Auschwitz-Blechhammer, Groß Rosen, Buchenwald und Langenstein sowie zwei Todesmärsche. Seine Tochter, die Schriftstellerin Gila Lustiger, war eigens mit ihren Kindern aus Paris bzw. Israel angereist. Sie hatte dem Jüdischen Museum Lustigers Nachlass (insgesamt 14 Regalmeter) als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt und wollte ihren Kindern das Beispiel ihres Großvaters vor Augen führen, eines Mannes, der die Hölle überlebt und vor nichts mehr Angst hatte, und spät erst, mit 60 Jahren, nach einem Herzinfarkt zu seiner eigentlichen Berufung fand und das aufschrieb, was er wusste und noch recherchieren konnte.
Ausstellungsvitrine im Jüdischen Museum, Foto: Christian Weise
So wurde er zum wohl wichtigsten Chronist des jüdischen Widerstands, er, der im Herzen immer Zionist geblieben ist, wie seine Tochter Gila bemerkte. Schließlich galten Juden lange Zeit als passive Feiglinge, „die sich willenlos zur Schlachtbank führen ließen und an ihrem Unglück im Grunde selbst schuld waren“, ein Bild, das der US-Historiker Raul Hillberg mit seinem Standardwerk „Die Vernichtung der europäischen Juden“ verfestigt hatte. Dem wollte er – und auch sie – unbedingt widersprechen.
Prof. Doron Kiesel und Gila Lustiger im Roundtable-Gespräch, Foto: Petra Kammann
„Nie ist mein Vater ein Über-Lebender gewesen. Denn selbst in Auschwitz, Buchenwald und Langenstein hat er nie aufgehört zu leben, zu leiden, zu atmen und zu hoffen. Ein Lebender, kein Arbeitstier, kein Unter-Mensch, kein Organismus, den man in seine Organe, Gewebe, Zellen hätte zerlegen können. Nicht auf etwas so Irrelevantes reduzierbar wie Leistung, Plagen, Brotrationen und Durchhaltevermögen. Nie ist mein Vater ein Überlebender gewesen. Immer nur das: sich zwischen parkenden Autos hindurchschlängelnd – ein Lebender. Vor einem reich garnierten Bücherregal glücklich seufzend“, schrieb die Tochter über ihn. in „So sind wir. Ein Familienroman.“ Auch Prof. Doron Kiesel, Gründungsdirektor der Jüdischen Akademie, sah es ähnlich.
In Frankfurt hatte Lustiger nach dem Krieg nicht nur eine Textilfirma aufgebaut, sondern auch am Aufbau der die jüdischen Gemeinde mitgewirkt und er war jahrelang Vorsitzender der Zionistischen Organisation in Deutschland (ZOD). Familie, Zeitgenossen, Weggefährten und Freunden hatten sich an dem Abend in Frankfurt eingefunden, um seiner zu gedenken. Lustigers Geschichte ist voller Leben, Witz und Widerstandsfreude verquickt mit der Geschichte des Zionismus und der Historie des jüdischen Frankfurt, wo er als Textilfabrikant arbeitete, bevor er sich mit der Geschichte etlicher jüdischer Viten beschäftigte. Lustiger verband zudem eine spätere Freundschaft mit dem um einiges jüngeren, ebenfalls anwesenden Konzertmanager Marek Lieberberg, der am selben Geburtstag hat. Die beiden hatten sich ursprünglich im DP-Lager Zeilsheim kennengelernt. Aber das ist eine andere Geschichte. Nun lagern die Kisten mit Lustigers noch zu recherchierenden Nachlass im Jüdischen Museum Frankfurt. Ab sofort ist ein Teil einsehbar, auch online.
https://www.juedischesmuseum.de/sammlung/dokumente-fotografien/detail/nachlass-arno-lustiger/
Standing ovations für die erste Frau, die 17 Jahre lange im Römer regierte, Foto: Petra Kammann
Die überzeugte Demokratin und Europäerin
Schließlich wurde im prallvollen Kaisersaal des Römers am 9. Mai der 80. Geburtstag der früheren Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, einer nach wie vor weltoffenen und leidenschaftlichen Demokratin, gefeiert. Da tönte es zur Einstimmung auf die Geburtstagsfeier klar und hell: „Die Gedanken sind frei“ aus den Kehlen der Frankfurter Kantorei unter der fabelhaften Leitung des Dirigenten Winfried Toll, so klar, dass am Ende der ganze Saal mit Vertretern aller Couleur kraftvoll gemeinsam mit ihnen sang. Die Stimmung an diesem sonnigen Maitag war bestens. Denn so heißt es bei Hoffmann von Fallersleben in der vierten Strophe: „Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen und denken dabei: die Gedanken sind frei!“
Volles Haus im Römer anlässlich des 80ten Geburtstags von Petra Roth, Foto: Petra Kammann
Roth war ebenfalls eine „Eingeplackte“ und ein Nordlicht aus Bremen wie Lothar Ruske, die Kulturdezernentin Ina Hartwig oder einst der legendäre Museumsufererbauer Hilmar Hoffman. Sie bekannte sich zu Frankfurt und tut es nach wie vor. Und das, obwohl sie zunächst als „Notlösung“ gewählt wurde, als in der Innenstadt noch auf die Wände gesprüht stand: „Lieber tot als Roth“. Am Ende hatte sie 17 Jahre lang die Geschicke der Stadt in die Hand genommen und sich gegen die politische Männerriege behauptet. Sie war auch die erste, die eine schwarz-grüne Koalition in einer Großstadt auf die Beine gestellt hat. Und vor allem war sie diejenige, die sich nach wie vor einmischt und sich dafür starkmacht, dass sich mündige Bürger für ihre Republik und ihre Stadt einsetzen. Ihr Plus: Sie kann bis heute ohne Berührungsängste auf Menschen zugehen.
Als Präsidentin des Deutschen Städtetags spielte sie auch auf bundespolitischer Ebene eine Rolle. Ihre bis heute anhaltende Popularität zeuge auf beeindruckende Weise von ihren Erfolgen und vor allem von ihrer außerordentlichen Bürgernähe, sagte sogar der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, für dessen Amt sie schon einmal vorgeschlagen wurde, über sie. Ihre CDU-Parteifreunde jedoch konnte sie nicht immer überzeugen.
Offensichtlich verstehen der heutige OB Mike Josef (SPD) und die ehemalige OB /CDU) Roth einander, setzen sie doch auf ähnliche Themen, wie die Wirtschaftskraft der Stadt wieder ankurbeln zu wollen, auf den Sport und darauf, das Bahnhofsviertel wieder für dort Arbeitende und für Tagestouristen attraktiv zu machen. Auch suchen beide den Dialog mit der Landesregierung, da Frankfurt nunmal mit seinen 750 ooo Einwohners die größte Stadt Hessens ist. Das lässt hoffen, dass es am Ende zu einer neuen guten Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land und zu besserer Lebensqualität führen möge…
Rhein und Roth verbindet eine alte Freundschaft. Ob als Abgeordnete des Landtags, als Parteichefin der CDU in Frankfurt, als Vorsteherin der Stadtverordnetenversammlung im Römer oder als Oberbürgermeisterin Frankfurts und Präsidentin des Deutschen Städtetags. „Frankfurt hat gezeigt, was für eine Ausnahmepolitikerin in Petra Roth steckt. Und gleichzeitig hat Petra Roth die besten Seiten von Frankfurt zum Vorschein gebracht: das lebenswerte Frankfurt, die Wissenschafts- und Kulturstadt Frankfurt, die weltoffene Heimat im Herzen Europas“ lobte Boris Rhein, der Ministerpräsident des Landes Hessen, die ehemalige Frankfurter OB und würdigte ihre „charmante Hartnäcktigkeit“.
Vergnügte Stadtoberhäupter konträrer Parteien: Petra Roth(CDU) und Mike Josef (SPD), Foto: Petra Kammann
Anschließend verlieh er ihr die Ehrenprofessur des Landes Hessen für ihre Bemühungen um den Wissenschaftsstandort, worauf Roths eigener Geburtstagswunsch folgte, dass nämlich der Kulturcampus endlich Gestalt annehmen möge, damit Frankfurt als internationale Stadt in der Mitte des Landes erhalten bleibe, außerdem, dass die im Juni anstehende eminent bedeutende Europawahl, die für unsere Freiheitswerte stehe, für die sie sich nach wie vor engagiert, gelingen möge. Sie ermunterte die Anwesenden, die Europawahl ernst zu nehmen und diese Meinung weiter zu verbreiten. Politikerin ist sie geblieben, auch ganz ohne Amt, einfach als selbstbewusste Bürgerin dieser Stadt.