„Ida Dehmel-Kunstpreis der GEDOK“ für Iris Hoppe und deren Ausstellung „Counter Balance“
Ausloten der Grenzen von Körper, Psyche und Lebensraum
Von Petra Kammann
Zum dritten Mal wurde der „Ida Dehmel-Kunstpreis der GEDOK“ bundesweit ausgeschrieben. Ausgezeichnet wurde in diesem Jahr mit dem Ida Dehmel-Kunstpreis der GEDOK e.V.(Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden e.V) das Gesamtwerk einer Künstlerin, „die in der Auseinandersetzung mit zentralen Themen der Gegenwart und zu herausragenden Ausdrucksformen gefunden hat“. Er ging an die Multi-Media-Künstlerin Iris Hoppe. Eines ihrer Themen: Ist die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht geraten? Der Sinn für die Balance, den Körper und die Psyche ins Gleichgewicht zu bringen, durchzieht das gesamte Werk der in Köln arbeitenden experimentierfreudigen Künstlerin. In Zeichnungen, Videos, Fotos, Skulpturen und Performances komponiert sie vorgefundene und händisch bearbeitete Materialien in Fläche und Raum, in Bewegung, Handlung und Zeit. Und sie bringt diese mit poetischen Texten und musikalischen Kompositionen ästhetisch in Schwingung.
Exercises on equality von Iris Hoppe
Lichtdurchflutet ist die Gründerzeitvilla an Wiesbadens Wilhelmstraße, in welcher der Nassauische Kunstverein beherbergt ist, der zur Straßenseite hin in goldenen Lettern die Aufschrift trägt: „der zeit ihre kunst – der kunst ihre freiheit„. Beim Betreten der prachtvollen Villa, die ihm Inneren einheitlich geweißelt ist, spürt man allüberall diese Freiheit und künstlerische Experimentierfreude, mit der die heutigen Formen und Farben der unterschiedlichsten Genres auf den strahlend weißen Wänden zur Geltung kommen. Mal ist es die in einer Kirche platzierte Wippe, mal sind es die farbigen Kayino Hula-Hoop-Reifen, die sich hier zu Olympia-Ringen zusammensetzen ließen.
Béatrice Portoff, Präsidentin Bundesverband GEDOK e.V. und Multi-Media-Künstlerin Iris Hoppe, Foto: Petra Kammann
Und die Ausstellungsplätze sind im ersten Stock des Gebäudes bewusst von der Künstlerin so inszeniert, dass sie den Blick der Betrachter auf sich ziehen. So sind Iris Hoppes rahmensprengende sitzenden und hockenden feinlasierten Keramikskulpturen bewusst im Erker in Regalen mit Blick zur Parkseite hin platziert. Auf einem Glastisch zappeln unterhalb der durchsichtigen Glasplatte die Beine einer Tänzerin, die abzurutschen scheint. Zieht ein starker Mann die Person aus dem Schlamassel? Fängt ein Tanzpartner sie auf? Starke Arme und der Tütü scheinen noch Halt zu bieten, die Gesichter bleiben unkenntlich. Ist es doch nicht nur ein individuelles Problem, wie nah Mutlosigkeit, Scheitern, Gelingen und Hoffnung doch beieinander liegen.
Iris Hoppe, Ohne Titel, Keramikskulptur mit Glastisch, Foto: Petra Kammann
Bemerkenswert, wie Iris Hoppe auf einem schmalen Grat die den Rahmen sprengenden Bewegungen ausbalanciert, indem sie diese in verschiedenen Ausdrucksformen und Medien auslotet. Zu sehen ist das an den verschiedenen Orten der Schau im Haus des Nassauischen Kunstvereins. Mal entsteht die Balance durch eine fein gezeichnete Linie, mal mittels einer Wippe, auf der das Gleichgewicht gefunden und gehalten wird, mal kann man eine gegenläufige Bewegung des Hula-Hoop-Schwungs im Video verfolgen, ein andermal sind die 5-farbigen Kayino Hula-Hoop Reifen geformt aus Karamiplast, einer lufttrocknenden Kermaikmasse, aufgehängt an Kleiderhaken wie Olympiaringe. Nicht von ungefähr lautet der Titel dieser Arbeit „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Iris Hoppe stellt in ihren Arbeiten ebenso Fragen an gesellschaftliche und soziale Anliegen wie an die fragilen menschlichen Beziehungen, auch in der eigenen Lebensumwelt. Wir müssen uns bewegen, wenn wir neue Denk-Räume erobern wollen.
Irmela Joppen (Vorstand des NKV), betreute gemeinsam mit der Künstlerin vor Ort die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Augenfällig in den an der Wand montierten Bildschirmen, auf denen „Move in Balance (red yellow blue)“ abgespielt wird. Wer dächte bei den tänzerischen Darbietungen nicht an Barnett Newmans monumentale Bildfolge „Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau“, die rigoros auf die Primärfarben Rot, Gelb und Blau reduziert ist, welche der amerikanische Künstler kurz vor seinem Tod 1970 vollendete? Scheinbar eine Art Endpunkt, allenfalls vergleichbar mit dem schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch aus dem Jahre 1915. Schwarz und Weiß erweitern das Farbspektrum der Primärfarben.
„Echappement, Move, Flucht? in verschiedenen Ausdrucksformen wie Zeichnung, Skulptur, Ein-Kanal-Video, Foto: © Iris Hoppe
Bei Iris Hoppe bestimmen die Grundfarben Rot, Gelb und Blau auch das Bewegtbild: beim Tanzen auf der Suche nach einer „Counter Balance“. Dazu misst sie in den Ein-Kanal-Filmen die Spielräume gegenläufiger Bewegungen aus wie die ausladenden sich zuspitzenden Schwünge einer Tänzerin – in diesem Falle ihrer Tochter, der Tänzerin Smila – welcher durch ein 4K-Tracking-Verfahren eine blaue Haut übergezogen wurde, was die Bewegung entpersonalisiert. Auf den Videoclips der gegenüberliegenden Bildschirme sind die jeweiligen Tänzer von einer gelben und einer roten Haut umgeben und bekommen dadurch etwas Skupturales in einer neuen Dimension.
Offensichtlich hat das Studium der Bildenden Kunst an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam eine nachhaltig prägende Wirkung auf Iris Hoppe ausgeübt. Man denke nur an den ikonischen rot-blauen Stuhl des Namensgebers der Akademie, den De Stijl-Architekten Gerrit Rietveld und seine entworfenen Möbel mit dem markanten Farbschema aus Primärfarben, bei dem drei Latten aus drei Richtungen aufeinander treffen müssen, damit der Sessel die Waage hält, um vollständig und funktionstüchtig zu werden …
Hoppes Lebenspartner und ihre Tochter Smila, Tänzerin und Performerin, verfolgten vergnügt die Preisverleihung, Foto: Petra Kammann
Bei der Preisverleihung schaffte zu den Videoclips die Querflötistin Brunhild Fischer zeitlich passgenau die Flöten-Töne und die elektronisch-musikalischen Ergänzungen als ausbalancierte Echos, die mal ergänzt durch einen feinen Windhauch, mal den zarten Bewegungen auf dem Bildschirm folgten, dann wiederum dem sich aufbäumenden fliehenden Bewegungen bis an den Rand des Bildschirms.
Die Querflötistin Brunhild Fischer improvisierte zu den Bildern und Videos, Foto: Petra Kammann
Iris Hoppe bedenkt mit ihrer natürlich kommunikativen Ausstrahlung in ihrer Arbeit immer wieder die menschlichen Beziehungen, bezieht dabei frühere, auch historische künstlerische Positionen mit ein wie zum Beispiel religiöse Bauwerke wie Kirchen. Dabei lässt sie auch das eigene Lebensumfeld an ihren Aktionen teilhaben, indem sie Akteure aus ihrer unmittelbaren Umgebung einbezieht wie etwa ihre Tochter Smila Vita Hoppe bei der interaktiven Audio-Skulptur der St. Aldegundiskirche in Emmerich am Niederrhein. Die Akteurin macht gerade ihre Ausbildung als Tänzerin an der renommierten Folkwang Schule in Essen wie auch ihr Balance-Partner Florian Kreßer. Smila war schon in eine Abramovic-Performance eingebunden, bei der sie das eigene Körpergefühl in Extremsituationen bis an die Grenzen testen konnte.
Sense of Balance, interaktive Audio-Skulptur der St. Aldegundiskirche in Emmerich am Niederrhein Foto: Iris Hoppe
Der Balanceakt, widerstrebende Emotionen und Spannungen in Einklang zu bringen, zeigte sich gerade auch Anfang Mai im Willibrordi-Dom in Wesel, der innerhalb eines Gottesdienstes mit Musik und religiösen Ritualen vollzogen wurde. Der Versuch, auf die Unordnung der Kirchen heuteaufmerksam zu machen und diese wieder in die Waage zu bringen? Die diesjährige Ida Dehmel-Kunstpreisträgerin der GEDOK Hoppe entwickelt ihre Werke jeweils mit ihrem neugierig-offenem Blick auf die Außenwelt und auf den öffentlichen Raum. Und das multimedial in den verschiedensten künstlerischen Formen – von der Zeichnung über die Fotografie und Skulptur bis hin zu audiovisuellen Installationen und Performances. In ihren vielschichtigen Werken bezieht die charismatische Künstlerin sowohl die Spannkraft des eigenen Körpers als auch die Reaktion von Passanten in ihre Überlegungen und Aktionen mit ein.
Interaktive Audioskulptur ‚Sense of Balance‘ im Willibrordi-Dom in Wesel, Foto: Iris Hoppe
Das Hasenfell auf der Wippe – eine Hommage an Joseph Beuys -, den international bekannten Künstler vom Niederrhein, der in einer frühen Performance „dem toten Hasen die Kunst erklärte“ macht deutlich, dass die Künstlerin immer auch mit Referenzen an die Kunstgeschichte arbeitet und dabei wie die Video-Kunstpionierin Pippilotti-Rist alltäglichen Dinge eine selbstverständliche Aufmerksamkeit schenkt wie dem Leerstand von Gebäuden oder der Natur.
Link zur Videodokumentation im WeselerWillibrordi-Dom:
So hatte 2018 die selbst auch sportlich engagierte Künstlerin im Kölner Vorgebirgspark mit dem Videoclip bzw. einer Drohnen-Fotografie die Arbeit Zielübung / target practice mit zwei Kajak-Fahrerinnen dokumentiert, die ihre Zielgerade einhalten, d.h. deren Aktionen in eine strenge geometrische Komposition von Landschaftsarchitektur eingebunden sind. Deren disziplinierte Zielübung ist geprägt von der fast meditativen Präsenz der Sportlerinnen, die wiederum eine konzentriert innere Ruhe ausstrahlen.
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Zielübung / target practice von Iris Hoppe
„Die performenden Figuren changieren in einem steten Bewegungsspiel scheinbar von Farbfläche zu Farbkörper und zwischen Zweidimensionalität und plastischen Formen – in kurzen Momenten muten sie wie skulpturale Erscheinungen an“. So lautete eine der Schlussfolgerungen, welche die Laudatorin, die Kunsthistorikerin Susanne Maier-Faust M.A., in ihrer Rede zog.
Die offizielle Preisverleihung: v.l.n.r.: Laudatorin Susanne Meier-Faust, M.A., Förderpreisträgerin Effrosyni Kontogeorgou und Preisträgerin Iris Hoppe, GEDOK-Präsidentin Béatrice Portoff, Foto: Petra Kammann
Full house im Nassauischen Kunstverein, Foto: Petra Kammann
Iris Hoppe
lebt in Leichlingen, ihr Atelier befindet sich in Köln.
1992 bis 1996 Studium der Bildenden Kunst an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam u. a. bei den Konzeptkünstlern Paul Goede und Roy Villevoye, dem Bildhauer Frank Mandersloot, der Netzkünstlerin Martine Neddam (Mouchette) und Video- und Performancekunst Pionierin Nan Hoover. Wohnt in Amsterdam bis 2013.
1998 Zusatzqualifikation nach dem Studium in der Video- und Audionachbearbeitung an der mse-Medienschule Erftkreis.
Seit 1999 regelmäßig verschiedene Projekt- und Aufenthaltsstipendien in den Niederlanden und Deutschland.
Von 1999 bis 2001 Zusammenarbeit mit Yariv Alter Fin als Netzkunst-Kuratorin bei der Stiftung für zeitgenössische Kunst, Amsterdam.
2001 in Kooperation mit dem Filmer und Komponisten Arnoud Noordegraaf, Leitung eines großen Projekts multimedialer Performance „0.“ (Nullpunkt) mit fünf visuellen Künstlern, u. a. Oliver Schwabe und fünf Komponisten, u. a. David Dramm, Cor Fuhler, Yannis Kyriakides und Marko Ciciliani, (atonale Musik, gespielt von zehn Pianisten im Paradiso, Amsterdam)
Ab 2002 erste Gastvorträge an der Kunsthochschule für Medien, Köln, und an der Faculty of Fine Arts, Chiang Mai Universität, Thailand
2007 bis 2022 Lehraufträge zur Praxis der zeitgenössischen Kunst an die Hochschule der Bildenden Künste Saar und an die Ruhrakademie Schwerte. Dort Praxisseminarsim Fachbereich Freie Kunst/Ruhrakademie unter ihrer Leitung un der die denkmalgeschützten Gartenstadt in Schwerte-Ost
2008 kontextspezifisch und projektbezogene Themen Grenzmarkierungen-Köln, eine Feldforschung zum Thema Grenzen im öffentlichen Raum für Jugendliche aus sozial schwachen Stadtteilen
2011 Gewalt. Frei, ein partizipatorisches Ausstellungsprojekts mit SuS der Gesamtschule Leverkusen-Schlebusch in Kooperation mit Kristina Leko im Kunstverein Leverkusen Schloss Morsbroich e.V.
2014 Future Perfect – wir vollenden die Zukunft, konzeptübergreifende Interventionen in Leerständen und auf Straßen zur Neugestaltung des Viehplätzchenviertels Euskirchen oder Stadtbesetzung mit Kunst auf offener Straße
2024 Occulux. Ausstellung in der Molkerei Werkstatt Köln; Ausstellung Counter Balance im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden. Audioskulptur
Die Jury für den Ida Dehmel – Kunstpreis 2024:
Elke Gruhn, M.A.- Kunstwissenschaftlerin, Wiesbaden- Langjährige Direktorin des Nassauischem Kunstvereins Wiesbaden
Ing Ohmes – Bundes-GEDOK – Freiburg
Christine Düwel, M.A., Bundes-GEDOK, Berlin
Dr. Carla Wagner – Kunstwissenschaftlerin
Cornelia Hesse-Berndorff – Kunstpädagogin, Köln
Ida Dehmel (1870 – 1942)
war eine bekannte Frauenrechtlerin und angesehene Kunstförderin. Sie setzte sich als Pionierin für die Anerkennung künstlerischer Arbeit von Frauen und deren sozialen Belangen ein. Ihr Engagement fand 1926 seinen Höhepunkt in der Gründung des GEDOK Verbandes, dessen neuartige Struktur deutschlandweit bald zahlreiche regionale Nachgründungen hervorbrachte.
Während des NS-Regimes wurde Ida Dehmel aller Ämter enthoben und aus der GEDOK ausgeschlossen. Bedrohungen und Verfolgungen trieben sie 1942 in den Freitod. Heute besteht der Bundesverband GEDOK e.V. aus 23 Regionalgruppen mit mehr als 2800 Mitgliedern.
Die GEDOK e.V.
Der Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden e.V., ist das älteste und europaweit größte Netzwerk von Künstlerinnen aller Disziplinen und ehrenamtlichen Kunstfördernden. Gemeinsam engagieren sie sich für die Gleichstellung von Künstlerinnen und Chancengleichheit im Kunstbetrieb.
Eröffnungrede bei der Vernissage von GEDOK-Präsidentin Béatrice Portoff:
Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Juli im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden zu sehen.
Am 23. Mai wird um 19 Uhr ein Künstlertalk im Nassauischen Kunstverein stattfinden.
Der Ausstellungskatalog „Iris Hoppe Counter Balance“ https://www.verlag-kettler.de/de/buecher/iris-hoppe/wurde von der Stiftung Kunstfonds aus dem Nachlass von Charlotte Dietrich finanziell unterstützt.