„Surrogate Cities“ von Heiner Goebbels als Tanzuraufführung von Demis Volpi
Szenen einer Großstadt – Abschied von Demis Volpi aus Düsseldorf
von Simone Hamm
Der deutsch-argentinische Choreograph und Opernregisseur Demis Volpi gibt seine letzte Uraufführung im Ballett am Rhein. Und was für eine! Das gesamte Ensemble, rund vierzig Tänzer und Tänzerinnen und achtzig Düsseldorfer Symphoniker schlendern lässig auf Bühne (Leitung: Vitali Alekseenok).
Als alle angekommen sind, erklingt ein akustisch verfremdetes Posaunensolo (Matthias Muche), fern und sehnsüchtig, dann knatternd laut.
Der Frankfurter Komponist Heiner Goebbels hat mit „Surrogate Cities“ (1994) die Melodie einer Großstadt komponiert: Starke Rhythmen, Stampfen, Kratzen, Rascheln, Stöhnen zeigen die Großstadt in all ihren Facetten. Laut, hektisch, flirrend mit wenigen Momenten der Stille.
Goebbels hatte keine bestimme Stadt im Auge, aber die Bühne (Katharina Schlipf) mit ihren Feuertreppen, dem Dampf, der vom Boden aufsteigt, der Düsternis lässt keinen Zweifel daran aufkommen, das Volpi diesen Abend in der Hauptstadt der Welt, in New York verortet.
Volpi erzählt keine Geschichte, er schafft Szenen. Tänzer rasen hin und her, verknäulen sich, scheinen einander geradezu zu verschlingen (oder werden sie von der Stadt verschlungen?) springen vor und zurück, zeigen das Wuselige, Unruhige der Stadt. Zwischendurch Pas de deux und Soli. Und das sind die stärksten Szenen des Abends.
Etwa wenn die Sopranistin Tamara Lukasheva, die drei souligen Horatiersongs singt, Bearbeitungen eines Berichts von Titus Linus über den Kampf zwischen Rom und Alba. Zwei Männer treten einander gegenüber, beäugen sich, kämpfen, führen synchrone Bewegungen aus, denn sie sind sich ähnlicher, als sie glauben.
Paare tanzen innig miteinander, um gleich drauf eistanzkühne Hebefiguren zu zeigen, die Frauen oft auf Spitze. Zwei schöne Männer kreisen mit den Armen um den Kopf des jeweils anderen. Ist es innige Liebe, die zum Kampf werden wird? Riesen treten auf, eine Loreley mit blondem Haar, das bis zur Hüfte reicht, fliegt durch die Lüfte, berührt kaum den Boden, wird von Männern gehalten. Eine Frau nimmt erst beim Schlussapplaus ihre Sonnenbrille ab.
Extrem unvorteilhaft sind die dunklen durchsichtigen Strumpfhosen, die die Tänzerinnen manchmal über ihrer fleischfarbenen Unterwäsche tragen. Die Männer, die solche Strumpfhosen tragen, dürfen im Hintergrund sitzen bleiben, die Tänzer, die vorn tanzen, behalten ihre Hosen an (Kostüme: Thomas Lempertz). Meist aber sind alle ganz in schwarz gekleidet, bilden zugleich die Nonchalance und das Uniforme der Großstadt ab.
Zwei Männern sind die beeindruckendsten Momente des an beeindruckenden Momenten reichen Abends vorbehalten: Miquel Martínez Pedro zeigt ein phänomenales Solo, wird immer wilder, seine Drehungen werden immer schneller.
Jack Bruce hechtet über die Bühne und rezitiert dabei einen Text über die Stadt. Er springt, er fliegt, er hastet und spricht immer weiter. Unglaublich. Als er am Ende erschöpft am Boden liegt, segeln zahllose Papierflieger auf die Bühne.
Demis Volpi wird nach Hamburg gehen, etliche Tänzer, auch Jack Bruce, nimmt er mit, Miquel Martínez Pedro wird zum Nederlands Dans Theater gehen. Wir werden sie vermissen. „Surrogate City“ wird nur noch wenige Male aufgeführt. Das sollte sich kein Tanzbegeisterter entgehen lassen.
Surrogate City
ist im Ballett am Rhein im Düsseldorfer Opernhaus noch zu sehen am 4.5., 5.5.,9.5.,11.5., 19.5.2024