Museum Wiesbaden zeigt „Günter Fruhtrunk. Retrospektive“
Intensives Seherlebnis dank farbgewaltiger Arbeiten
Von Hans-Bernd Heier
Günther Fruhtrunk revolutionierte die abstrakte Nachkriegsmalerei in einer Weise, die bis heute ihresgleichen sucht. Seine Kunst prägte jahrzehntelang das Straßenbild der Bundesrepublik. Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet jetzt das Museum Wiesbaden dem Maler und Grafiker eine sehenswerte Retrospektive – nach der ersten Station im letzten Jahr in Bonn. Es ist die erste große Einzelausstellung des Künstlers nach drei Jahrzehnten in Deutschland. Bis zum 25. August 2024 zeigt das Landesmuseum Wiesbaden rund 50 Gemälde aus allen Schaffensphasen Fruhtrunks.
Ausstellungsansicht der Fruhtunk-Restrospektive; Foto: Museum Wiesbaden
Günter Fruhtrunks Gemälde fordern die Betrachterinnen und Betrachter heraus, bieten dem Auge Flirren und Halt zugleich. Seine Arbeiten zeichnen sich durch klare Linien, geometrische Formen und kontrastreiche Farben aus. Über viele Jahre entwickelte er eine eigene abstrakte Bildsprache, die er in vielfältigen Variationen perfektionierte. „Es entstanden enorm verdichtete, leuchtende Bilder, die sich der passiven Betrachtung entziehen und den Sehvorgang permanent herausfordern. Die Arbeit in Serien und seine Bezüge zur Musik sind dabei charakteristisch“, sagt Museumsdirektor Dr. Andreas Henning.
Kurator Dr. Jörg Daur beim Presse-Rundgang; Foto: Hans-Bernd Heier
Nach dem Abitur begann Fruhtrunk (1923 in München geboren — und dort 1982 gestorben) ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule in München, das er nach zwei Semestern abbrach. Als Kriegsfreiwilliger während des Zweiten Weltkrieges, von 1941 bis 1945, kam er unter anderem in Finnland zum Einsatz und erlitt mehrere schwere Verletzungen. Von 1945 bis 1950 studierte er Malerei bei dem Privatdozenten, Maler und Grafiker William Straube und hatte 1947 seine erste Einzelausstellung in Freiburg.
1948 traf er mit dem abstrakten Maler Willi Baumeister zusammen und tauschte sich mit Julius Bissier aus, der ihn mit der Bedeutung der gegenstandslosen Malerei vertraut machte. Diese Treffen waren entscheidend für sein zukünftiges Schaffen. Fruhtrunk näherte sich der gegenstandslosen Malerei an. 1951 machte er eine Studienreise nach Paris. Dort war er zunächst Mitarbeiter im Atelier von Fernand Léger und arbeitete später auch im Atelier von Hans Arp. Von 1967 bis zu seinem Freitod war er Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München. Insgesamt umfasst das Werk Frutrunks, der 1968 an der 4. Documenta 4 in Kassel und an der Biennale in Venedig teilnahm, rund 1.000 Arbeiten.
Der Künstler machte sich nicht nur als Maler und Grafiker einen Namen, sondern auch in der Ausgestaltung von Architektur. Popularität gewann er 1970 zusätzlich mit dem Entwurf des ikonischen blau-weißen Diagonalmusters auf den Plastiktüten des Discounters ALDI Nord. Ein Exemplar ist der bis 2018 millionenfach verbreiteten Aldi-Nord-Tasche ist in der Schau ausgestellt. Fruhtrunks Design prägte so jahrzehntelang das Straßenbild der Bundesrepublik. Die ikonische ALDI-Tasche trug sein Design in den Alltag der Menschen. „Wobei tatsächlich die wenigsten wussten, wem das ‚Aldi-Design‘ zu verdanken war und auch der Lebensmittelhändler selbst dies nie gesondert hervorhob. Es handelte sich dabei also weder um eine ‚Künstler-Edition‘ noch wollte man sich mit dem Namen des Künstlers schmücken“, schreibt Dr. Jörg Daur, Kurator der Ausstellung und Kustos für Zeitgenössische Kunst, in dem profunden Katalog.
Ausstellungsansicht Günter Fruhtrunk Retrospektive; Foto: Museum Wiesbaden
Die gemeinsam mit dem Kunstmuseum Bonn konzipierte Ausstellung beleuchtet die Werkentwicklung Fruhtrunks in drei großen Blöcken: Sie reflektiert das bislang wenig gezeigte Frühwerk zwischen 1950 und 1954, mit vorwiegend kleinen Formaten, auf denen geometrische Formen frei im Raum schweben und in denen Bild und Motiv noch getrennte Ebenen darstellen. Der zweite Schwerpunkt der chronologisch gehängten Werke beschäftigt sich mit den späten 1950er und 1960er Jahren, in denen Fruhtrunk seine geschichteten, großformatigen Streifenbilder entwickelte. Hier verschmelzen Bild und Motiv miteinander und die Farbe gewinnt immer deutlicher eine eigenständige Bedeutung.
Den Abschluss der farbgewaltigen Schau bilden Werke aus den 1970er und frühen 1980er Jahren, in denen sich die Streifenstruktur zu Feldern und Flächen ausbildet und die Emanzipation der Farbe vollständig gelingt. In der letzten Phase seines Schaffens lässt der Maler die „Farben brüchiger und durchscheinender werden, zeigt den bislang so sorgfältig vermiedenen Pinselduktus und erlaubt sich eine bisher undenkbare gestische Freiheit“, erläutert der Kurator. „Neben dem Frühwerk ist sicherlich auch das Spätwerk von Günter Fruhtrunk eine Entdeckung. Seine Malerei löst sich zu Beginn der 80er Jahre von der strengen Geometrie und zeigt eine Offenheit, die Lust auf mehr macht. Gerne wüsste ich, wie Fruhtrunk in den 90er Jahren gemalt hätte“, so Daur.
Die höchst beeindruckende Retrospektive, die durch die Hessische Kulturstiftung und die Freunde des Museums Wiesbaden gefördert wird, ist noch bis zum 25. August 2024 im Landesmuseum Wiesbaden zu sehen.
Eine kostenfreie Media-Tour in der MuWi-App begleitet die Schau; weitere Informationen unter: