Johan Simons inszeniert Ionescos „Kahle Sängerin“ am Schauspiel Bochum
Völlig losgelöst von jedem Sinn – Absurdes Theater eben
von Simone Hamm
Auf der Bühne: schwere metallene Bettgestelle. Eine Notunterkunft? Ein altmodisches Krankenhauszimmer? Eine karge Herberge? Ein Gefängnis? Über den Betten moderne LED Röhren, Monitore, auf denen bisweilen Ausschnitte alter Filme, alte Werbeclips (Persil, Afri Cola) laufen. (Bühne: Sascha Kühne, Johan Simons).
Die Bühne ist betont schlicht, die Schauspieler hingegen tragen auffällige, knallbunte Kostüme (Kostüme: Britta Brodda, Sophia Kaddoura): Mrs. Smith (Stacyian Jackson) eine enge rote Abendrobe mit langer Schleppe und hohem langem Schlitz, Mr. Smith (Stefan Hunstein) einen Hausmantel aus blauem Samt. Und das ist schon ein Hinweis auf ihre Persönlichkeiten.
Eine Dame, die mondäner sein will als sie ist, die mit der Schleppe schon mal um sich schlägt und den wehrlosen, ängstlichen Ehemann trifft. Einst mag er attraktiv und aufregend gewesen sein, jetzt sind seine grauen Haare fisselig. Viel zu sagen haben sie sich nicht. „Mein Brathähnchen“ nennt er sie. Sie langweilen sich, tauschen Allgemeinplätze aus, werfen mit Plattitüden um sich, streiten sich um Kleinigkeiten. Sie erwarten das Ehepaar Martin.
So beginnt „Die kahle Sängerin“ des französisch-rumänischen Autors Eugène Ionesco (1909-1994) am Bochumer Schauspiel.
Eine junge Frau (Jele Brückner) in lindgrünem Kleid und ein Mann (Marius Huth) in Gelb treten auf. „Sind wir uns nicht schon mal irgendwo begegnet?“, fragt er sie. Verwundert stellen sie fest, dass sie beide aus Manchester kommen, mit demselben Zug nach London gekommen sind, in der selben Straße, im selben Haus in der selben Wohnung wohnen. Sie schlafen sogar im selben Bett. Beide haben eine zweijährige Tochter mit verschiedenfarbigen Augen. Sie sind überwältigt. „Wir haben uns bereits einmal gesehen, und Sie sind meine eigene Gattin.“ Viele Phrasen werden gedroschen: Unglaublich, my Gott. Das ist doch nicht möglich.
Sie wissen (noch) nicht, was die Dienerin (Konstantin Bühler, hier gekleidet wie Sherlock Holmes) dem Publikum verrät, das andersfarbige Auge der Tochter ist einmal links, einmal rechts. Es kann also nicht dieselbe Tochter sein, also können die Martins auch kein Ehepaar sein.
Das großartige Ensemble trumpft auf. Mal krachend komisch, dann leise ironisch tragen sie ihre völlig bedeutungsleeren Sätze vor, später nur noch einzelne Laute.
Eine Sprache ohne Sinn, eine Handlung ohne Sinn, eine Gesellschaft von Menschen auf Sinnsuche. Glaubt man den Titelseiten der „ZEIT“ mit ihren küchenpsychologischen Hilfestellungen, ist ja unsere gesamte Gesellschaft auf der Suche nach Sinn.
Ionesco konnte die orientierungslose Welt von 1948, dem Jahr, in dem er wahrscheinlich Die kahle Sängerin schrieb (sie wurde 1950 uraufgeführt), nicht anders ertragen als mit Ironie und grotesker Komik. Sinnlosigkeit ist offensichtlich die einzig sinnvolle Daseinsberechtigung.
Niemand bringt das so prägnant auf die Bühne wie der Feuerwehrhauptmann (Danai Chatzipetrou). Sie erzählt mit „Der Schnupfen“ eine ellenlange Geschichte von komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen, so kompliziert, dass ich mich frage, wie sie das alles behalten und dann mit einer so stoischen Ruhe erzählen könnte. Sie trägt ihre Story mit größter Ernsthaftigkeit vor – umso komischer wirkt sie. Die Feuerwehrfrau sucht einen Brand, den sie löschen kann, obwohl sie genau weiß, dass es erst in drei Stunden brennen wird. Auch als sie in der Dienerin (Konstantin Bühler jetzt prächtig gekleidet, wie eine indische Maharani) einen Mann wiederkennt, in den sie sich früher einmal verliebt hatte und die beiden einander glücklich in die Arme nehmen, scheint das echt – im Gegensatz zu all den Gefühlsbezeugungen der anderen beiden Paare. Als er geht fragt, der Feuerwehrhauptmann. „Wie geht’s der kahlen Sängerin?“, Mrs. Smith antwortet ungerührt: „Sie trägt immer noch dieselbe Frisur“.
Bei Ionesco streiten die Paare immer heftiger, und dann beginnt das Stück von vorn – mit vertauschten Rollen. Die Sinnlosigkeit ist auch noch endlos. Bei Johann Simons klammeren sich die beiden Paare aneinander, liegen alle zusammen in einem der schmalen Betten. Das hat fast etwas rührend Verzweifeltes wie auch etwas Groteskes.
Denn als Groteske hat Johan Simons „Die kahle Sängerin“ inszeniert, die Bezüge zur Gegenwart sollen die Zuschauer schon selber finden. Ob man die Welt nun genauso irrsinnig und sinnlos erlebt wie Ionesco oder auch nicht, im Schauspiel Bochum ist jedenfalls ein hinreißender Abend zu sehen.