Holocaust-Gedenken: Musikalische Lesung über das Ghetto Theresienstadt im Historischen Museum
Der Ton macht die Musik: „Ich wand’re durch Theresienstadt …“
Von Petra Kammann
Erstaunlich, wie sich ein so sachlicher Vortragsraum wie der Sonnemann-Saal im Historischen Museum Frankfurt plötzlich in einen Theatersaal verwandeln kann, wenn er von exzellenten Performern eingenommen wird wie dem Bläserquintett OPUS 45 und dem Schauspieler Roman Knižka. In der feingetunten Dramaturgie von Kathrin Liebhäuser stimmt in der musikalischen Lesung einfach alles. Die Erinnerung an das unfassbare Leid, die Hoffnungen und die künstlerische Selbstbehauptung der in Theresienstadt inhaftierten Jüdinnen und Juden ist ebenso präsent wie es die wenigen glücklichen Momente waren, wenn dort etwas zur Aufführung kam. Dazu tragen passend ausgewählte Texte von dort inhaftierten Kindern und Jugendlichen bei ebenso wie solche von Schriftstellern wie Ruth Klüger. Dass eine reale Zeitzeugin aus Theresienstadt wie Edith Erbrich (*1937) dazu im Publikum des Sonnemann-Saals saß, war am Samstag das Tüpfelchen auf dem i.
Roman Knižka, ein echter Performer und das OPUS45-Bläserquintett, Foto: Petra Kammann
Es begann fast populär mit dem hereinspringenden und tanzenden Roman Knižka, der die Veranstaltung mit einem Song aus demMusical Cabaret einleitete, das an die Variété-Stimmung und den Tanz auf dem Vulkan der Weltwirtschaftskrise im Berlin Anfang der 1930er Jahre erinnerte, und schließlich in der Frage mündete: „Wie kommt man hier wieder weg?“ Gemeint war die kleine Festung, wo 1941 die SS in der böhmischen Stadt Terezín das Durchgangslager Theresienstadt errichtete, das bis Kriegsende als Gefängnis für 150.000 deutsche, österreichische, tschechische, später auch holländische und dänische Juden diente. Für die meisten von ihnen war es ein „Vorhof der Hölle“ und die letzte Station vor dem Weitertransport in Vernichtungslager wie das KZ Auschwitz-Birkenau.
Trotz der im Ghetto Theresienstadt herrschenden Zwangsarbeit, dem Wegschaffen von Leichen, dem ständigen Hunger, der Krankheiten und sich ausbreitenden Seuchen wie der allgegenwärtigen Todesangst, entwickelte sich dort ein reges kulturelles Leben, das die jüdischen Inhaftierten selbst organisierten: Theater- und Opernaufführungen, Kabarett, Jazzkonzerte undundund…
Knižka beherrscht die leisen Töne wie in dem „Eia popeia“ ebenso wie das Gebrüll eines Aufsehers, Foto: Petra Kammann
Allein die Kinderoper „Brundibár“ des deutsch-tschechischen Komponisten Hans Krása wurde dort mit großem Erfolg aufgeführt, „Die verkaufte Braut“ von Bedřich Smetana gar 35-mal. Für die jungen Menschen war die künstlerische Betätigung und der Unterricht, den sie von anderen jüdischen Mithäftlingen erhielten, mutmachend. So war das Grauen des Alltags für sie leichter erträglich. Und sie schmiedeten Gemeinschaft.
Die kulturellen Aktivitäten in Theresienstadt wurden zunächst von den nationalsozialistischen Machthabern geduldet, dann jedoch auf zynische Weise für Propagandazwecke missbraucht, wie die eindrucksvoll geschilderte Szene aus dem Jahre 1943 vermittelte, als das Rote Kreuz zu Besuch kam. Denn nach außen hin wurde Theresienstadt der Weltöffentlichkeit als „Musterlager“ mit vielseitigem Freizeitangebot präsentiert.
Roman Knižka, Querflötistin Antonia Heyne und der Oboist Gonzalo Mejía, Foto: Petra Kammann
Grandios gelesen und in Szene gesetzt von Roman Knižka, der sich, in eine imaginären Walzer wiegend, das Gedicht „Als ob“ von dem bekanntem Kabarettisten Leo Strauss als Kommentar zur Verschönerungsaktion des Städtchens für die Vertreter des Roten Kreuzes, vortrug.
„Ich kenn ein kleines Städtchen, ein Städtchen ganz tiptop, ich nenn es nicht bei Namen, ich nenn’s die Stadt Als-ob. Die leben dort ihr Leben, als ob’s ein Leben wär, und freun sich mit Gerüchten, als ob’s die Wahrheit wär. Es gibt auch ein Kaffehaus gleich dem Cafe de l’Europe, und bei Musikbegleitung fühlt man sich als ob… Man legt sich auf den Boden, also ob das wär ein Bett, und denkt an seine Lieben, als ob man Nachricht hätt. Man trägt das schwere Schicksal, als ob es nicht so schwer, und spricht von schöner Zukunft, als obs schon morgen wär. Nicht alle Leute dürfen in diese Stadt hinein, es müssen Auserwählte der Als-ob-Rasse sein.“ Wer fühlt sich da nicht an die heutigen Fake News erinnert?
Brillanter Solo-Klarinettist Nemorino Scheliga, Foto: Petra Kammann
Raphael Schächter, einer der wichtigsten Personen für das Kulturleben des Ghettos, hatte in dieser Musteridylle eines Potemkinschen Dorfes mit Chor und Solisten Verdis Messa da Requiem allein 16 mal aufgeführt. Doch Raphael Schächter wurde ebenso wie Gideon Klein, Pavel Haas oder Hans Krása im Oktober 1944 im sogenannten „Künstlertransport“ in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Keiner von ihnen überlebte den Holocaust. Stille im Saal, als Knižka den Satz offen hält und das letzte Wort nicht mehr ausspricht.
Sämtliche Aufs und Abs der Inhaftierten, Aufbruchmomente, musikalisches Aufbäumen, Klagen wurden bei dieser berührenden Veranstaltung hör- und spürbar. Bisweilen tänzerisch erlebte man die Töne der Querflötistin und dann auch wieder so hell und schrill, dass es bisweilen schmerzte, schmerzen sollte.
Triumphal klingen die Bläser beim „Casting für den Brundibár“, als die vergnügten Tiere wie Katze, Vogel und Hund ihren Sieg über den bösen Leierkastenmann Brundibár feiern. Immer wieder gaben die Bläser die Rhythmen und Tonlagen in dieser Vorstellung vor bis zum völligen Verstummen, als der Hornist mit einfachem Besteck fast meditativ an den Notenständer schlug.“The rest is silence“.
Meditativer Anschlag des Hornisten Benjamin Comparot , Foto: Petra Kammann
Das ausgezeichnete Bläserquintett opus 45 knüpfte an bekannter Musik an, am sanften Fließen der „Moldau“ von Bedřich Smetana zum Beispiel, als das 14-jährige Mädchen Raja sich „nach Haus“ sehnt. Und sie spielten unbekanntere Musik und machte „unerhörte“ Töne hörbar aus Kompositionen der Musiker Pavel Haas, Hans Krása, Viktor Ullmann und Gideon Klein, die allesamt im Ghetto komponierten, mit Anklängen an Kurt Weill.
Ebenso vielseitig und unter die Haut gehend waren die emotional dichten Rezitationen von Roman Knižka, der die klug ausgewählten Texte von Schriftstellern und Schriftstellerinnen wie Ruth Klüger, Ilse Weber, Zvi Cohen, Leo Strauss, Jana Renée Friesová, Helga Hošková-Weissová, Hannelore Brenner-Wonschick und Gerty Spies. entsprechend vortrug. Dabei zog er sämtliche Stimmungsregister.
Das OPUS-45-Bläserquintett, mit Roman Knižka (Mitte) Foto: Petra Kammann
Eine unvergessliche Aufführung, gepaart mit Witz und scharfem Verstand, deren unmittelbarer emotionaler Dichte sicher künftig auch Jugendliche folgen können, weil die angeschlagenen Töne unmittelbar unter die Haut gehen.
Sieghard Pawlik, ehrenamtlicher Stadtrat im Gespräch mit der Zeitzeugin Edith Erbrich (Mitte), Foto: Petra Kammann
OPUS 45, dieses wunderbare Ensemble hochprofessioneller Musiker, die auch in unterschiedlichen renommierten Orchestern spielen, wird in diesem Jahr mit seinem Programm und dem Schauspieler Roman Knižka durch die Lande touren. Im Februar in Hamburg wird in der Laeiszhalle auch die im Frankfurter Ostend aufgewachsene „Halbjüdin“ Edith Erbrich mit von der Partie sein, die als 7-jährige nach Theresienstadt kam und der in letzter Minute und unter schwierigen Bedingungen noch die Flucht „nach Haus“ gelang.
Über all das Erlebte sprach sie erst nach ihrer Verrentung und schrieb dann darüber: „Ich hab das Lachen nicht verlernt„, das 1994 in der Edition momos (Hessische Landeszentrale für politische Bildung, die auch die Lesung maßgeblich unterstützt hat) erschien.
Auch das wahrzunehmen, kann ein Mutmacher für die nächste Generation sein, selbst, wenn es keine Zeitzeugen mehr geben wird. Charismatische Vermittler bewirken zweifellos mehr als reine Ideologen. Die Geschichten und die Geschichte, die sterben nicht aus.
Die Veranstaltung war kurzfristig vom Kulturdezernat organisiert worden.