Serie – Geschichten von kleinen individuellen Läden – „Chez Louise“ (Teil 1 )
Louise im Wunderland
Von Petra Kammann
Es kommt immer häufiger vor, dass kleinere Läden verschwinden, weil sie mit den größeren, die Markenartikel bereithalten, nicht mithalten können. Je mehr die Mietpreise in den Innenstädten steigen, desto weniger stimmt für sie der Ertrag. Klar, kaufen Menschen, die nicht nur aus dem Vollen schöpfen, lieber preiswertere Dinge und das in immer größeren Geschäften. Dabei veröden leider die Innenstädte. Wie aber können sich Einzelhändler dagegen wappnen? Und was macht den Einzelhandel liebenswert? Da ist zum Beispiel Persönlichkeit gefragt. Nehmen wir mal Chez Louise in der Schweizer Straße schräg gegenüber vom Café Wacker und gleich hinter „dick und doof“, wo Laurel und Hardy schon am Eingang in die Frankfurter Traditionspizzeria locken. Seit 10 Jahren hält Louise hier inzwischen die Stellung. Und das mit Charme, Warmherzigkeit und Ideenreichtum.
Louise mit ihrer warmherzigen Ausstrahlung ist in Sachsenhausen eine Institution, Foto: Petra Kammann
Draußen am Rollständer flattern bunte Blusen, Kleider, manchmal auch Mäntel. Schaut man durch das Schaufenster in das winzige Lädchen mit den tausend verschiedenen Dingen, so tut sich eine wahre kleine Wunderwelt auf. Da baumeln Ringlein, Kettchen, Ohrgehänge und Taschen, flattern Blusen, Schals und manchmal auch Gewänder auf engstem Raum. Immer sieht man Leute, die dort einfach nur mal reingehen und Louise „Hallo“ sagen und die neuesten Nachrichten austauschen wollen. Andere kommen schnuppern und verlassen am Ende das Ladenlokal mit einer besonders gestalteten Tüte.
Da in Hessen gerade noch Schulferien waren, ist auch ihre hellwache und eifrige 6-jährige Enkeltochter Nayla da. Sie mag es, mit ihrer Mamie Schaufensterpuppen zu dekorieren. Und schwups, schon hat sie im Handumdrehen einen Zettel gefunden, auf den sie mit Filzer ein großes Herz, umringt von hereinspazierenden Strichmännchen, gemalt hat, über dem in großen Lettern geschrieben steht: „OMA OFFEN“. Und schon verschwindet Nayla mit einer Tesarolle nach draußen, um den Zettel auf der Scheibe des Schaufensters anzubringen. Dass sie ihre Oma liebt, ist unübersehbar. Und das beruht auf Gegenseitigkeit, denn Louise liebt Nayla ebenso sehr wie deren kleineren Bruder.
„Ich liebe Kinder und mein Laden ist für große und kleine Mädchen immer offen“, sagt Louise und strahlt. Stimmt. Manchmal kommen auch Kinder aus dem Viertel voller Begeisterung zu ihr angelaufen. Manche wollen sich für ihr erspartes Taschengeld in der Hand ein Ringlein oder Kettchen kaufen. Dann macht Louise ihnen einen Sonderpreis. Andere dürfen auch schon mal aus ihrem bunten Perlenkasten kleine Armbändchen auffädeln. Natürlich gibt es hier nicht nur Überraschendes für kleine Mädchen.
Draußen baumeln farbenfrohe Hingucker. Da ist für jeden etwas dabei, Foto: Petra Kammann
Bei Louise ist die jede Kundin Königin. Gleich, welchen Alters und Körperumfangs. Frau muss keine Mannequin-Figur haben, um der letzten Ausgabe eines Modemagazins zu entsprechen. Hauptsache, ihr gefällt es, sich etwas anders zu kleiden und durch kleine peppige Accessoires auf sich aufmerksam zu machen, denn Louise setzt nicht auf Markennamen. „Ich bin gegen Marken, ich möchte einfach gute Qualität und Dinge verkaufen, die ich selbst überzeugend finde. Und die Preise sollen nicht zu hoch sein, so dass viele verschiedene Menschen sie sich auch leisten können. Manche kommen nur der Ohrclips wegen, weil man die sonst fast nirgends mehr findet. Und wenn schon, dann kosten sie meist das Doppelte.“
Louise schwätzt ihren Kundinnen nichts auf, von dem sie nicht überzeugt ist. Sie bringt sie allenfalls auf Ideen, damit sie sich selbst schöner und begehrenswerter finden und sei es auch nur, weil ihre Pelzumhängetasche plötzlich mit einem anders blau schimmernden Streifen versehen ist, der scheinbar nicht zum Blau des Kleides passt. Tut es aber. Dafür hat Louise den siebten Sinn und das Gespür für modische Besonderheiten. Und siehe da, plötzlich hat die Kundin selbst eine ganz neue Farbpalette unterschiedlicher Blaus vor dem inneren Auge und der Riemen hängt an ihrer Tasche.
Ungewöhnliche Kombination verschiedener Blautöne, die nur scheinbar nicht zusammenpassen, Foto: Petra Kammann
Und Louise achtet auf die jeweilige Individualität der Persönlichkeit. Sie weiß, wie diese sich durch kleine Hingucker von anderen abheben kann. Das kann ein auffälliger Ohrclip sein, eine dicke Brosche, oder ein prächtiges Collier, das auch einem schlichten Kleid einen gewissen Pfiff verleiht. Oder der besondere Schnitt eines Kleides oder Mantels, das Muster einer Bluse oder eben eine peppige Hand- oder Umhängetasche, für die sie auch eine gute Auswahl an Umhängeriemen bereithält. Und schon verlässt die Kundin neu gestylt den Laden mit dem Gefühl, sie hätte sich neu erfunden.
Weil Louise Mode ohne Label, oft in Einheitsgröße einkauft, deren Schnitt auch für kräftigere Figuren geeignet ist und trotzdem alles andere als spießig wirkt wie zum Beispiel ein besonders geschnittener Regenmantel aus einer knitterfreien Taftseide. Da kann es durchaus passieren, dass sie davon mal eben 100 Stück verkauft, ohne dass eine Frau genauso aussähe wie eine andere, die sie kennt. Schließlich hat Louise dann davon alle möglichem Farbvarianten vorrätig, die sie geschickt mit anderen Gegenstücken und besonderen Accessoires kombiniert. Ein guter Nährboden für den Verkauf. Und so fällt oft der Satz: „Oh, das sieht aber schön aus“.
Kleine Variationen wie Perlenbesätze werten die Schlichtheit einer Jacke oder eines Kleides modisch auf , Foto: Petra Kammann
In Sachsenhausen ist Louise einfach eine Institution. Inspiration, Warmherzigkeit und Geschmack für das Individuelle zeichnet die Frau mit dem charmanten französischen Akzent aus, deren Familie aus dem französisch-karibischen Überseedepartement Gouadeloupe stammt. Sie selbst wuchs jedoch in Paris auf und kam vor fast 40 Jahren von Paris nach Frankfurt, eigentlich um Deutsch zu lernen. Doch schon bald traf sie auf ihren späteren Ehemann. Aber schon vier Jahre später, nach der Geburt ihrer Tochter, wurde sie geschieden und wurde alleinerziehende Mutter. Also arbeitete sie zunächst halbtags, dafür mit großem Verkaufserfolg in Neu-Isenburg in einer Boutique für mexikanischen Silberschmuck. Das wiederum machte ihr großen Spaß.
Aber bald schon zog es sie in die größere Stadt nach Frankfurt, wo sie zunächst in dem Asiatica-Geschäft von Lothar Heubel, der auch Läden mit Kunst und Antikem aus Afrika und Asien in Köln, Düsseldorf und Frankfurt unterhielt, als Verkäuferin in der Schweizer Straße. Heubel erkannte Louises Besonderheit, ihre Zuverlässigkeit, er ließ sie gewähren und verkaufen. Als er starb, hat sie den Laden in der Schweizer Straße erworben und ist dort seit nunmehr zehn Jahren selbstständig. Wie mag sie nur ihren Einkauf gestalten?
„Manchmal verliebe ich mich, d.h. meine Augen verlieben sich einfach in eine Kette, einen besonderen Ohrklipp, eine schöne Bluse. Dann bestelle ich sie für meinen Laden“, sagt sie. „Und wenn ich etwas schön finde, dann springt der Funke oft auch auf die Kundinnen über. Schauen Sie diese große rote vegan Tasche, die gerade mal 40 Euro kostet, die hat eben eine Ärztin aus dem Viertel gekauft.“ Angefangen von 5 Euro bis maximal 100 Euro findet man bei Louise eigentlich immer etwas Ausgefallenes, gleich ob besondere Oberteile wie Pullover, besondere Blusen und Röcke und Hosen, manchmal auch Kleider, Handtaschen und eben besonderen Schmuck.
Das wissen die Leute aus dem Viertel, für die Louise eben eine Institution und oftmals auch eine Anlaufstelle zum Erzählen ist. Und sie strahlt, wenn sie beteuert: „Ich werde von vielen Seiten hier in Sachsenhausen unterstützt, vor allem von denen, die in der gleichen Straße arbeiten“. Sie empfindet sie nicht als Konkurrenz. „Außerdem von einer Ärztin, vom Friseur, vom Café Wacker. Ist das nicht wunderbar? Sie empfehlen mich sogar per Mundpropaganda und schicken mir immer wieder neue Kundinnen vorbei. Den Geschäftsleuten gebe ich dann auch einen Kollegenrabatt. So war es Tradition bei uns in Frankreich.“ Ob sie denn Paris nicht nachtrauere?
Die Pariserin lebt ausgesprochen gerne hier, Foto: Petra Kammann
„Nein, die Stadt finde ich heute glamourös, aber stressig“, sagt sie: „In Paris hatte ich meinen ersten Job in einem Reformhaus im 16.ten Arrondissement: ,Régime Gourmet‘. Da habe ich viel gelernt. Das war ein Diät-Reformhaus, ungewöhnlich für das damalige Paris und ganz schön teuer dazu. Da hatte ich dann Kunden wie die französischen Schauspieler Jean-Louis Trintignant und Simone Signoret, die einfach die Naturprodukte liebten. Heute weiß ich, dass sie wohl Mitgefühl mit mir hatten, denn ich war damals sehr scheu, schüchtern und auch etwas einsam“.
Sie aber gaben ihr Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit und öffneten sie für die Kommunikation zu anderen Menschen. Heute ist Louise 68 Jahre alt und bekennt, dass sie neben vielen schwierig zu bewältigenden Situationen doch auch viel Glück im Leben gehabt habe. Deswegen möchte sie zurückgeben, was sie nicht zuletzt durch solche Persönlichkeiten empfangen hat. Ihre Grundüberzeugung lautet: „Wir lieben, was wir tun. Das verbindet uns. Wir leben in Fülle, weil wir das, was uns gegeben wurde, auch mit anderen wieder teilen möchten.“
Heute ist Louise froh, hier zu leben. „Frankfurt ist meine Stadt und Deutschland mein Land geworden, in dem ich gerne lebe und Vertrauen genieße. Das ist schön.“
Das ist es wohl auch, was ihre Ausstrahlung ausmacht und die Kunden anziehend finden.
Chez Louise
Schweizer Straße 25
60594 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag 10-19 Uhr
Samstag 10-18 Uhr