„Flesh for Fantasy“ – Miron Schmückles phantastische Pflanzenwelt im Städel
Wundersames Wuchern und „eine dritte Natur“
Still und beunruhigend zugleich wirkt der Kosmos aus fließenden Linien, pflanzlichen Mustern und sich auflösend geschwungenen Formen auf den hyperrealistischen Zeichnungen und Aquarellen des rumänien-deutschen Künstlers Miron Schmückle. Gebannt fällt der Blick auf die saftigen, fleischigen Blüten und Blätter in der Säulenhalle vor dem Metzler-Saal des Städel-Museums. Schlicht atemberaubend! Irritiert fragt man sich: Handelt es sich hier um Blumenstillleben oder Florilegien alter Meister à la Maria Sybilla Merian oder mehr noch um die feingliedrigen Illuminationen des flämischen Minaturen- und Buchmalers Joris Hofnagel vom ausgehenden 16. Jahrhundert? Aber – in dieser Größe? Ist das Fotorealismus? Und überhaupt, sind die dargestellten phantastischen Gebilde reine Blüten?
Ausstellungsansicht mit dem rumänien-deutschen Künstler Miron Schmückle, Foto: Petra Kammann
Eher nimmt man ein pflanzlich-fleischiges Wuchern wahr oder jeweils eine „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt“, wie es in dem berühmten Gedicht Goethes in: „Urworte. Orphisch“ heißt. Und wie Johann Wolfgang Goethe 1817 in sein Tagebuch notiert: „Da Mythos erfunden wird, werden die Bilder durch die Sachen groß, wenn’s Mythologie wird, werden die Sachen durch die Bilder groß“.
Ausstellungsanischt, Foto: Petra Kammann
Staunend steht man da im unteren Zwischen-Geschoss des Städel-Museums in dem Säulen-Saal, der durch die Hängung wie zum Tempel mutiert scheint, bevor es noch eine Etage tiefer in die zeitgenössische Abteilung geht. Und man glaubt, an seinen Sinnen zu zweifeln, wenn man die Konturen an der glitzernden Oberfläche der hinteren Spiegelfläche verschwimmen sieht.
Kühn ist das Format der riesigen Aquarelle allemal, von unglaublicher Feingliedrigkeit ebenso! Der am Tag der Eröffnung anwesende Künstler beantwortet geduldig auch technische Fragen der Pressevertreter: Nein, er gehe nicht von Fotos als Vorlagen aus und: „Alles ist auf Hadern-Papier gezeichnet und bemalt, manches hier dort Ort entstanden“. Natürlich stets nach präzisen Vorzeichnungen, die Schmückle auf die große Fläche überträgt und dann zart mit dem feinsten Pinsel koloriert.
Miron Schmückle vor einer seiner Vorzeichnungen in Bleistift, Foto: Petra Kammann
Ist das im Aquarell überhaupt möglich? Es setze langsames Arbeiten, oft ein halbes Jahr, sowie eine große Präzision voraus: „Das Aquarell verzeiht nichts“, sagt der 1966 geborene Künstler Miron Schmückle vor einem seiner Bilder, welche Ausmaße von rund zwei mal drei Metern haben.
In seinem Berliner Atelier hat er die besonderen Papiere schlicht an die Wand geheftet, um der jeweiligen feinziselierten Arbeit nahe zu sein, „face to face“ eben. Da scheut er sich nicht, auf eine Leiter zu steigen, um immer die Originalzeichnung unmittelbar vor Augen zu haben. Hieß es nicht auch in dem berühmten titelgebenden Popsong „Flesh for Fantasy“ bei Billy Idol so? „Face to face“ und „back to back“?
Miron Schmückle im Gespräch mit Städeldirektor Philipp Demandt, Foto: Petra Kammann
Die unregulierte wuchernde Natur sei in Rumänien in der Zeit von vor dem Mauerfall politisch unbesetzt und somit ein Freiheitsversprechen gewesen. Für den Künstler persönlich, der unter der Ceausescu-Diktatur dort aufwuchs, habe das eine Form von Eskapismus bedeutet, sagt Philipp Demandt, Städeldirektor und Kurator der Ausstellung.
Hier im Städel scheinen die eigentümlichen aparten Bilder von Gewächsen, die eigens für den Raum konzipiert wurden, wurzel- und schwerelos im Weißraum des Papiers zu schweben. Bei näherer Betrachtung entwickeln sie jedoch ein Eigenleben, das ganz unterschiedliche Assoziationen hervorruft: seien es Gehirnstrukturen, Augäpfel oder auch Vulven, verdeckte erotische Anspielungen.
Auf jeden Fall eröffnen sie uns einen Blick in das Innenleben eines biologischen Organismus. Auch da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. PETRA KAMMANN
Die Ausstellung „Flesh for Fantasy“ ist im Städel Museum bis zum 14. April 2024 zu sehen.
Biografie des Künstlers
Miron Schmückle wurde 1966 in Hermannstadt geboren, wuchs in Rumänien während der Ceausescu-Diktatur in einem deutsch-rumänischen Elternhaus auf. 1988 flüchtete er über Ungarn nach Deutschland und studierte zunächst an der Kunsthochschule Kiel, später als Gaststudent in Hamburg bei Marina Abramovic. Da die Konzeptkunst Mitte der 1990er Jahre an den Hochschulen sehr dominant war und das Zeichnen an der Universität nicht gelehrt wurde, brachte er sich dies eigenständig bei. Nach der Finanzkrise 2008 schrieb Schmückle seine Doktorarbeit unter dem Titel „Una terza natura“. Im Rahmen der Promotion setzte er sich mit den Kabinettminiaturen von Joris Hoefnagel auseinander. Seit 2008 lebt er als freier Künstler in Berlin.