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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Holbein und die Renaissance im Norden“ im Städel (Teil 3)

Porträts als wirkstarke Mittel der Selbstinszenierung

Von Hans-Bernd Heier

Die Malerei der Renaissance ist eine Zeitwende in der Geschichte der Kunst. Eine Kunstrichtung, die in Italien ihren Anfang nahm, entwickelte sich im Norden Europas mit den Wegbereitern Hans Holbein dem Älteren und Hans Burgkmair dem Älteren zu etwas völlig Neuem. Das Städel Museum bietet in der grandiosen Schau „Holbein und die Renaissance im Norden“ einen hervorragenden Überblick über die Anfänge der Renaissancemalerei nördlich der Alpen.

Ausstellungsansicht mit Meeresgott Neptun, Städel Museum

Augsburg war gerade protestantisch geworden, als der Stadtrat 1536 selbstbewusst beschloss, den städtischen Fischmarkt grundlegend zu verändern: Hier wachte seit über 100 Jahren die spätgotische Brunnenfigur des Heiligen Ulrich. Der Heilige war nicht nur der Patron der Fischer und Fischhändler, sondern auch Gründer des Bistums Augsburg. Ihn durch die lebensgroße, in Bronze gegossene Aktfigur des antiken Meeresgottes Neptun zu ersetzen, war eine kühne Machtdemonstration gegenüber dem katholischen Klerus. So wurde dies auch verstanden. Der Augsburger Bischof beschwerte sich erfolglos darüber beim Kaiser.

„Mit der Neptunfigur von Sebastian Loscher (1482/83–1551) schrieb Augsburg Kunstgeschichte, denn sie ist die älteste Bronzeskulptur nördlich der Alpen, die ein an der Antike orientiertes Körperideal präsentiert. Mit diesem Werk wurde zugleich die Geschichte der Stadt ins Bewusstsein der Menschen geholt. Sie reicht bis in die Zeit der römischen Stadtgründung im Jahr 121 durch Kaiser Hadrian zurück.“, erklärt Kurator Sander. Ähnlich wie in Italien gab es auch in Augsburg archäologische Bodenfunde antiker Skulpturen. Augsburger Künstler griffen mit diesem Werk die wiederentdeckten antiken Formen, Themen und Techniken auf.

Niklas Reiser Maria von Burgund, Halbfigur im Profil, um 1500; Kunsthistorisches Museum Wien

Doch zurück zur Malerei. Das Porträt ist eine typische Bildgattung der Renaissance: Mit dem Aufkommen des Humanismus war der Mensch als Individuum ins Zentrum von Wissenschaft, Philosophie und Kunst gerückt. Man war bestrebt, das menschliche Antlitz anatomisch korrekt wiederzugeben und Wiedererkennbarkeit zu schaffen. Erstmals waren nicht nur Herrscher, sondern auch Bürger bildwürdig – vorausgesetzt, sie konnten sich Porträts zur Selbstdarstellung leisten. Zu verschiedenen Anlässen gaben wohlhabende Augsburger Bildnisse in Auftrag: während der Brautsuche, anlässlich der Eheschließung, im Zuge einer Stiftung oder auch als Zeugnis einer Freundschaft unter Gelehrten. Porträts waren Statusobjekte und wirkungsvolle Mittel der Selbstinszenierung. Ziel war es immer, ein bestimmtes „Image“ der Dargestellten zu vermitteln.

Sowohl Hans Holbein d. Ä. als auch Hans Burgkmair waren außerordentlich produktive Porträtmaler. Im Falle Holbeins haben sich zahlreiche vorbereitende Zeichnungen erhalten, die meist in Silberstift auf Papier ausgeführt worden sind. Holbein konzentrierte sich dabei vor allem auf die Gesichter, während Einzelheiten etwa der Kleidung nur ausschnitthaft angegeben und erst im Gemälde detailliert ausgeführt wurden.

Ausstellungsansicht mit Flügelbildern der kleinen Orgel der Fuggerkapelle

Neben zahlreichen Porträtaufträgen beschäftigte Hans Holbein d. Ä. und seine Werkstattmitarbeiter vor allem die Nachfrage nach Altarbildern und nach Bildern für die individuelle Andacht. Mit seiner Kenntnis niederländischer Vorbilder konnte Holbein sich ein lukratives Marktsegment sichern. Dabei ging das Renommee seiner Werkstatt weit über Augsburg hinaus. Dies bezeugen zahlreiche Aufträge auswärtiger Kunden, darunter die Ordensniederlassung der Dominikaner in Frankfurt. Für sie schuf der Künstler unter Mitarbeit seiner damaligen Gesellen die Flügelbilder und den bemalten Altarsockel, die Predella, des 1501 vollendeten Hochaltars.

„Der Dominikaneraltar mit seinem Passions- und Marienzyklus ist nicht nur eine ausführliche Bebilderung der Heilsgeschichte. Er stellt darüber hinaus ein eindrückliches Zeugnis der aggressiven Bildpropaganda der Frankfurter Dominikaner dar: Mit den Passionsdarstellungen richtete sich der Konvent gegen die Juden, die im Ghetto in unmittelbarer Nähe lebten. Mit dem „Dominikaner-Stammbaum“ wurde aber auch gegen die konkurrierenden christlichen Ordensgemeinschaften in Frankfurt agitiert“, so Sander. Von dem Altarretabel ist nur ein Teil der gemalten Flügelbilder erhalten geblieben.

Jost de Negker (Formschneider), Hans Burgkmair d. Ä., Kaiser Maximilian I. zu Pferd, 1508; Wien Albertina

Während Hans Holbein d. Ä. traditionellen Bildformen verpflichtet blieb, zeigte sich Burgkmair experimentierfreudiger. Er griff neue Bildthemen und neue künstlerische Techniken auf. So zeichnete er als einer der Ersten nördlich der Alpen mit dem in der italienischen Zeichenkunst etablierten Rötelstein, druckte mit verschiedenfarbigen Druckplatten, entwarf Motive für Holzschnitte im Großformat oder ließ Bildentwürfe in Eisen ätzen. Basierend auf zeitgenössischen Reiseberichten schuf Burgkmair die ersten weitgehend authentischen Darstellungen von außereuropäischen Völkern. Außerdem nahm er sich die antike Mythologie zum Vorbild. Ermutigt zu diesen Innovationen wurde der Künstler nicht nur durch neue Seheindrücke, die er während seiner Italienreise gewonnen hatte, sondern vor allem durch seine engen Kontakte zu Augsburger Humanisten und Künstlern verschiedener Richtungen. Dieses intellektuelle und kreative Netzwerk war laut Kurator ein entscheidender Faktor, gar „Motor“ der Renaissance.

Dank der geschickten Vermittlung des Stadtschreibers und Humanisten Konrad Peutinger gelang es, die Aufmerksamkeit des Kaisers – und damit auch der Reichsfürsten – auf die in Augsburg tätigen Künstler zu lenken, allen voran auf Hans Burgkmair, der davon besonders profitierte. Er galt als „Hofgrafiker“ von Kaiser Maximilian I.

In keiner anderen Stadt des Reiches hielt sich der häufig umherreisende Herrscher öfter und länger auf als in Augsburg. Für die dortigen Künstler ein Glücksfall: Der Kaiser verstand es, die Künste für die Inszenierung seiner Person zu nutzen. In verschiedenen Bildmedien ließ er sich und das Haus Habsburg nach seinen Vorstellungen verherrlichen. Vor allem in der Druckgrafik wurden neue Maßstäbe gesetzt. Groß angelegte und reich bebilderte Memorialprojekte, die sogenannten „Gedächtnis-Werke“, führen der Nachwelt bis heute Maximilians Errungenschaften vor Augen, auch wenn kaum eines komplett fertig gestellt wurde. Oft konnte auch der chronisch über seine Verhältnisse lebende Kaiser die Künstler nicht bezahlen, aber da gab es ja noch die Bankhäuser der reichen Fugger und Welser.

Ausstellungsansicht der Schutzmantelmadonna und der Solothurner Madonna

Die gut strukturierte Schau mit der ansprechenden Ausstellungsarchitektur endet mit überragenden Gemälden Hans Holbeins des Jüngeren (1497–1543), darunter eines der größten Meisterwerke der deutschen Renaissance – die „Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen“ (Sammlung Würth). Dazu Städel Direktor Philipp Demandt: „Holbeins Madonna ist ein Schlüsselwerk unserer großen Ausstellung zur Malerei der Renaissance. Als Städel Direktor bin ich sehr glücklich über diese bedeutende Leihgabe aus der Sammlung Würth. Dem Hohenloher Unternehmer, Kunstsammler und Mäzen ist es zu verdanken, dass dieses Meisterwerk noch immer zu sehen ist – er allein war es, der die Verpflichtung wahrnahm, dieses Werk zu sichern und für die Öffentlichkeit zu erhalten“. Das Zusammentreffen von Holbeins Madonna aus der Sammlung Würth mit der Solothurner Madonna ist ein Höhepunkt der Städel-Schau.

Als Holbein d. J. noch als Geselle 1515 in Basel eintraf, war er dank der väterlichen Ausbildung und der Kenntnis der Kunst Burgkmairs ein perfekter Vertreter der Kunst seiner Geburtsstadt. Innerhalb kurzer Zeit wurde er zum „angesagtesten“ Künstler Basels. Dort gelang dem jungen Holbein der künstlerische und gesellschaftliche Durchbruch mit dem Doppelbildnis des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen und seiner Ehefrau Dorothea Kannengießer (Kunstmuseum Basel), das noch ganz von der Kunst Holbeins d. Ä. und Burgkmairs geprägt war. Doch in weniger als einem Jahrzehnt entwickelte der Ausnahmekünstler seine Kunst weiter.

Hans Holbein d. J., Bildnis des Simon George of Cornwall, ca. 1535–1540;

Während er bei der 1522 entstandenen Solothurner Madonna (Kunstmuseum Solothurn) unmittelbar auf ein Gemälde von Jan van Eyck zurückgriff, wie ein Blick auf van Eycks großartiger Lucca Madonna zeigt, wandelte sich seine Kunst mit der Schutzmantelmadonna von 1526 –1528, die ebenfalls Basels Bürgermeister Meyer in Auftrag gab, ein weiteres Mal. „Nun war die zeitgenössische italienische Malerei von Andrea Solario und Leonardo da Vinci für ihn der Ausgangspunkt, um erneut eine unvergleichliche neue, ganz eigenständige Bildlösung zu finden, die den absoluten Höhepunkt der Renaissance im Norden darstellt“, betont Prof. Sander. Hans Holbein d. J. – der unbestrittene Meister der Renaissance im Norden – krönte schließlich seine Karriere mit dem Amt des Hofmalers König Heinrichs VIII. von England.

Die exzellente Schau „Holbein und die Renaissance im Norden“ im Städel Museum, die von der Sparkassen-Finanzgruppe mit Deutsche Leasing AG, Frankfurter Sparkasse & Sparkassen-Kulturfonds des Deutschen Sparkassen- & Giroverbandes und dem Städelschen Museums-Verein, der Dagmar-Westberg-Stiftung mit zusätzlicher Unterstützung durch die Fontana Stiftung, Ernst von Siemens Kunststiftung sowie Christa Verhein Stiftung gefördert wird, ist bis zum 18. Februar 2024 zu sehen.

Weitere Informationen unter:

www.staedelmuseum.de

Der opulente Katalog (360 Seiten) kostet als Museumsausgabe 44,90 Euro.

Digitorial®: Das kostenfreie Digitorial führt mit interaktiven Modulen und informativen Kurztexten spannend in die Themen der Ausstellung ein. Anschaulich lassen sich die wegweisenden Neuerungen in Malerei, Skulptur und Druckgrafik der Renaissancekünstler des Nordens entdecken:

holbein.staedelmuseum.de

→ Holbein und die Renaissance im Norden“ im Städel Museum (Teil 2)

→ „Holbein und die Renaissance im Norden“ im Frankfurter Städel (1)

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