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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Nach 9 Jahren Recherchearbeit endlich ein gültiges Werkverzeichnis für den Maler Ludwig Meidner

Späte geistige Wiedergutmachung für den urbanen Expressionisten

von Petra Kammann

Gerade wurde im Hofheimer Museum „Meine liebe Hanna!“ eröffnet, eine Ausstellung zweier expressionistischer Malerinnen: Ida Kerkovius und Hanna Bekker vom Rath, die auch eine bedeutende Galeristin war. Sie hatte die Hand über etliche verfemte Künstler gehalten, so auch über den in Berlin als Expressionist gefeierten, und als Jude von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierten Künstler Ludwig Meidner. Sie hatte  ihm nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil in die Bundesrepublik 1955 zu einem Atelier im damals noch sehr dörflichen Hofheim-Marxheim verholfen, wo er acht Jahre lang lebte und arbeitete. Doch konnte er hier nicht wieder an seinem früheren Ruhm anknüpfen. Nach neun Jahren intensiver internationaler Recherche konnte Kunst-Kurator Erik Riedel vom Jüdischen Museum Frankfurt konnte nun endlich Ludwig Meidners „Werkverzeichnis der Gemälde bis 1927 “ präsentieren.  

Ludwig Meidner, Selbstbilsnis mit Palette, 1912, St. Louis

Dabei: Meidner wusste immer um seinen Wert, selbst in dem etwas bohemehaften Atelier in Marxheim. „Ich bin nicht schlechter als die Berliner Maler“, hatte er der jungen Schülerin Conny, die in der Nachkriegszeit in seinem Hofheimer Atelier Modell für ein Porträt gestanden hatte, gesagt und ihr auf eine Postkarte geschrieben: „Du kannst stolz sein, dass Du einen so berühmten Freund hast“.

Cornelia von Plottnitz,Vorsitzende der Ludwig-Meidner-Gesellschaft, ist glücklich über die Vollendung des Werkverzeichnisses, Foto: Petra Kammann

Es muss die Schülerin Conny damals angetriggert haben. Anlässlich ihrer häufigen Atelierbesuche bei Ludwig Meidner in Hofheim-Marxheim war sie nicht nur von seiner künstlerischen Qualität angetan, sondern auch von seiner profunden Bildung, seinem Humor und seiner tiefen Menschlichkeit. Aus Conny wurde später dann Cornelia von Plottnitz, die heutige Vorsitzende der Ludwig-Meidner-Gesellschaft und frühere Stadträtin des Magistrats der Stadt Frankfurt. Seit 1990 setzt sie sich gezielt für das Werk Ludwig Meidners und für die seiner Person gebührende Anerkennung als Avantgarde-Künstler ein.

Ludwig Meidner, Weltuntergang, 1912, Aust.Kalaog Recklinghausen, 1963

Meidner muss in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts schon so etwas wie einen siebten Sinn für Zeitthemen und für die erste Weltkatastrophe, d.h. für den dräuenden Ersten Weltkrieg, gehabt haben. Visionen von in sich zusammenklappenden Hauswänden und Städten, von Feuersbrünsten und flüchtenden Menschen, die keinen Ort mehr hatten, von endzeitlichen Landschaften – davon zeugen seine Bilder. Vor allem seine „Apokalyptischen Landschaften“ und seine Großstadtszenen mit den stürzenden Linien machten ihn zu einem wichtigen Vertreter des urbanen Expressionismus.

Parallel dazu waren seine expressiven Portraits von Berliner Literaten und Künstlern, in deren Kreisen Meidner verkehrte, begehrt. Und die in dieser Zeit entstandenen Selbstbildnisse sind eindringlich. „Alles, was er macht, ist Ausdruck, Ausbruch und Aussprengung“  hieß es 1920 in: „Das Junge Deutschland“ über Meidner. „Ich! zerhauener Erdenkloß, verfehmt [!], apokalyptisch, Schädel zerweht im Winterwind!“ lautete die Inschrift auf einem Selbstporträt von 1917. Seine Arbeiten waren denen von Lovis Corinth oder Oskar Kokoschka durchaus ebenbürtig. Doch ließ die Rezeption erst einmal auf sich warten, vor allem nach 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Inzwischen scheint es sich jedoch herumgesprochen zu haben, dass diese frühen expressionistischen Bilder von besonderer Güte sind und eine ganz starke Aussagekraft haben. So wurde Ludwig Meidner, der bedeutende Vertreter des urbanen Expressionismus, der 1912 gemeinsam mit Jakob Steinhardt und Richard Janthur die Künstlergruppe „Die Pathetiker” gegründet und dem in Herwarth Waldens legendärer Galerie „Der Sturm” der künstlerische Durchbruch gelang, wieder entdeckt.

Kunst-Kurator Erik Riedel hat neun Jahre lang in verschiedenen Ländern geforscht, Foto: Petra Kammann

Kurator Erik Riedel, auch zuständig für den Schwerpunkt „Kunst und Exil“ im Jüdischen Museum, hat über die Jahre unendlich viel Quellenmaterial untersucht, wozu auch Briefe gehören. Er beschrieb, dass Meidners Bilder in der frühen Zeit durchaus sehr begehrt waren, und er sie auch gut verkaufte, allerdings zu überschaubaren Preisen. Manches Bild verkaufte er für 25 Mark. 2018 war sein „Weltuntergang“ von 1912 dem Käufer auf einer Sotheby’s Aktion in New York immerhin dann 14 Millionen Dollar wert.

Schade, dass der Künstler, der sich vor allem in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit verkannt fühlte und gar nicht von der sich so avantgardistisch gebenden Kasseler Documenta wahrgenommen worden war, selbst die Wertsteigerung seines Oeuvres ebensowenig erlebt hat wie weiland van Gogh. Werner Haftmann wollte ihn und andere rückgekehrte jüdische Künstler einfach nicht zur Kenntnis nehmen.

Riedel verweist auf den Schatz der Fotos, die weitere Auskunft geben wie hier die Szene aus den 60ern im Marxheimer Atelier, wo der Mann mit Strohhut von 1912 einfach an die Wand gepinnt ist, Foto: Petra Kammann 

In den Vereinigten Staaten, wohin etliche einstige jüdische Käufer ausgewandert sind, wurde der Künstler jedoch sehr geschätzt, anders als in seinem englischen Exil. So wurden in den USA seine Bilder durchaus gekauft und gelangten in die Museen wie nach St. Louis oder nach Chicago, Milwaukee oder Cincinnati oder nicht zuletzt auch nach Israel.

Das soeben erschienene Werkverzeichnis widmet sich ausschließlich dem Maler Ludwig Meidner und seinen Gemälden, die bis einschließlich 1927 entstanden sind, weniger dem Zeichner oder gar dem Schriftsteller. Es beginnt um 1906 im damaligen Zentrum der Kunst, in Paris, wo er an den Akademien Julien und Cormon studiert und eng mit Amedeo Modigliani befreundet war. In Berlin, wo er Kunst unterrichtet, trifft er auf die Schülerin Else Meyer (1901–1987), einer eigenwillige Malerin, die er im Jahre 1927 heiratet,. Und dann endet das Werkverzeichnis. 1929 wurde der gemeinsame Sohn David geboren. Zunächst – noch in Berlin – führten die Meidners eine nicht immer unkomplizierte Künstlerehe.

Erste künstlerische Erfahrungen Ludwig Meidners in Paris, Rue du Mont Remis, 1906, Privatbesitz, Maryland

Für Ludwig Meidner tritt ab dann seine Malerei zugunsten der Zeichnung und der Auseinandersetzung mit religiösen Themen in den Hintergrund. Das Werkverzeichnis endet daher folgerichtig mit dem Jahr 1927. Schon bald bekommen die Beiden dann auch den sich verbreitenden antisemitischen Druck zu spüren. Und ihr künstlerischer Freiraum wird nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunehmend eingeschränkt. In der Ausstellung „Entartete Kunst” wird an prominenter Stelle sogar ein Selbstbildnis des „Maljuden” Ludwig Meidner präsentiert. Perfide!

Kurz vor Kriegsbeginn 1939 emigrieren die beiden Meidners dann resigniert nach England, wo sie von ihrer Kunst weder existieren noch Anschluss an den Kunstbetrieb finden können. Im englischen Exil fehlen zudem die materiellen Voraussetzungen für das Malen in Öl. 1953 kehrt Ludwig Meidner wieder nach Deutschland zurück. Auch hier kann er nicht wirklich an seine früheren künstlerischen Tätigkeiten anknüpfen, sich jedoch durch Mal-Aufträge über Wasser halten.

Helga Dierichs, Vorsitzende der Stiftung Citoyen, engagierte sich für die Werkausgabe, Foto: Petra Kammann

Erst in den 1960er Jahren wurden seine Werke in größerem Umfang wieder in Ausstellungen gezeigt. Die Verfemung und Vertreibung Meidners während der Schoa hat sowohl das künstlerische Schaffen Ludwig Meidners als auch dessen Rezeption nachhaltig geprägt. Nach dem Krieg überwiegt das Zeichnen.

Für Museumsdirektorin Prof. Mirjam Wenzel ist die Abteilung Kunst und Exil ein wichtiges Anliegen, Foto: Petra Kammann

Erst in den 1960er Jahren werden seine Werke nach und nach wieder in größerem Umfang ausgestellt – vor allem die aus seiner expressionistischen Werkphase zwischen 1912 und 1916. Kurz vor seinem Tode 1966 erscheint dann die erste umfassende Monographie zu seinem Lebenswerk, während seine Frau Else Meidner  zunehmend vereinsamt in England bleibt und dort auch 1987 in London stirbt. Ihr wird voraussichtlich im kommenden Jahr eine Ausstellung im Jüdischen Museum gewidmet.

Erik Riedel,
„Ludwig Meidner, Werkverzeichnis der Gemälde bis 1927“ (Deutsch und Englisch)
Berlin, Gebr. Mann Verlag
336 Seiten, 59 Euro.

Das Werkverzeichnis dokumentiert die erste Phase seines malerischen Schaffens, die 1906 in Paris beginnt und Mitte der 1920er Jahre mit seinem „Gang in die Stille“ endet. Die Meidner-Gesellschaft, das Jüdische Museum und die Stiftung Citoyen haben seit 2014 die Arbeit an dem Gemälde- Werkverzeichnis möglich gemacht.

Weiterführende Literatur:

Horcher in die Zeit. Ludwig Meidner im Exil
(Ausst. Kat. Museum Giersch der Goethe-Universität, Frankfurt am Main), München 2016.

Presler, Gerd/Riedel, Erik,
Ludwig Meidner Werkverzeichnis der Skizzenbücher / Catalogue Raisonné of His Sketchbooks, München 2013.

Heuberger, Georg (Hg.)
Ludwig und Else Meidner
(Ausst. Kat. Jüdisches Museum Frankfurt, Ben Uri Gallery, London), Frankfurt a. M. 2002

Gerda Breuer und Ines Wagemann
Ludwig Meidner. Zeichner, Maler, Literat. 1884-1966.
2 Bde. (Ausst. Kat. Mathildenhöhe Darmstadt), Stuttgart 1991.

Thomas Grochowiak
Ludwig Meidner Recklinghausen 1966.

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