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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

30 Jahre Stadtmuseum in Hofheim am Taunus – „Meine liebe Hanna! Hanna Bekker vom Rath und Ida Kerkovius“

Zwei starke Frauen und inspirierende Künstlerpersönlichkeiten

Von Paulina Heiligenthal

Bezaubernd sehen sie aus, die weißen Spitzenhäubchen aus Schnee auf den Hügeln des Taunusgebirges. Erfreulich und überraschend zugleich. Ich bin unterwegs nach Hofheim am Taunus, um dort  der Vernissage einer Jubiläumsausstellung mit dem geglückten Titel „Meine liebe Hanna! Hanna Bekker vom Rath und Ida Kerkovius“ beizuwohnen.

Am Kellereiplatz am Rande der Altstadt liegt das Stadtmuseum von Hofheim am Taunus, Foto: Paulina Heiligenthal

Die Altstadt von Hofheim ist ein schmuckes Kleinod. Liebevoll und mit größter Sorgfalt wurde die zum Teil historische Bausubstanz in den vergangenen Jahren restauriert. Neubauten wurden behutsam eingefügt. Die verwinkelten Gassen, die mit Efeu umrankten Bruchsteinmauern und Fachwerkbauten wie auch die verschwiegenen Ecken strahlen Charme und Beschaulichkeit aus.

In den 1970er Jahren sollte die Altstadt abgerissen werden um Platz für lukrative Wohnbauten zu schaffen. Der damalige Bürgermeister, Feingeist und Visionär, er wollte den alten Stadtkern für seine Bürger*innen erhalten. Der Grundgedanke zu einem Stadtmuseum wurde geboren. Wahrlich kein einfaches Unterfangen. Im Gegenteil!! Ohne Hartnäckigkeit und Hilfe einer Bürgerinitiative hätte es den historischen Stadtkern nie gegeben.

Die idyllischen Altstadtgässchen laden zum Verweilen und zum Innehalten ein, Foto: Paulina Heiligenthal

Erst im Jahre 1990 konnte der Nachfolger den ersten Grundstein legen, die Konzeption eines Stadtmuseums realisieren, das ursprüngliche Gebäude um einen Neubau erweitern. Längst ist das Stadtmuseum, auf dem Gelände des ehemaligen, kurmainzischen Kellereigutes aus dem 18. Jahrhundert gelegen, in der Kunstwelt zu einem Begriff geworden.

Die langjährige Leiterin Frau Dr. Eva Scheid machte das Haus zu ihrer Herzensangelegenheit, zu einer Adresse mit Strahlkraft. Renommierte Häuser, wie beispielsweise das Guggenheim-Museum in Bilbao leihen sich Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die in der Stadt am Taunus wirkten.

Ein dynamischer Pinselduktus verleiht den Farben ihre Form. Werk: Ida Kerkovius, Foto: Paulina Heiligenthal

Demnächst, nach Durchführung aller digitalen Anforderungen, darf das Stadtmuseum in umgekehrter Weise Werke aus anderen berühmten Häusern ausleihen. Heute aber feiert das wunderbare Stadtmuseum erst einmal seinen dreißigsten Geburtstag und ehrt zwei faszinierende Persönlichkeiten der Kunst: Hanna Bekker vom Rath und Ida Kerkovius.

Und ich bin mittendrin, mit Herzblut dabei! Ich höre mir die kurzweiligen Laudationes an, die u.a. davon handeln, dass Kunst nur in Freiheit einer Demokratie gedeihen kann. Worte mit großer Nachhaltigkeit!

Beide Weltkriege nahmen Ida Kerkovius’ Vermögen und ihren Status, nicht aber ihr Talent. Waren es im Ersten Weltkrieg ihre Stelle und ihr Malatelier an der Stuttgarter Akademie, so wurden im Zweiten Weltkrieg ihre Werke als „Entartete Kunst“ diffamiert. In ihrem Wirken war sie jahrelang eingeschränkt.

Eine der Farblithografien Figuren auf blau aus 1963 von Ida Kerkovius,  Foto: Paulina Heiligenthal

„Meine liebe Hanna!“, so beginnen die meisten Briefe von Ida Kerkovius, *1879 in Riga – † 1970 in Stuttgart, an ihre ehemalige Schülerin Hanna Bekker vom Rath, *1893 in Frankfurt/Main – † 1983 in Bad Nauheim. Kerkovius` Briefe dokumentieren eindrucksvoll ihre lebenslange Künstlerinnenfreundschaft, die, nebst malerischem Dialog in dieser Sonderausstellung bespiegelt wird.

Konrad um 1920 von Hanna Bekker vom Rath. Nicht signiert wie viele ihrer Arbeiten, Foto: Paulina Heiligenthal

Autark und unkonventionell! Vorbildhaft! Jede für sich, beide zusammen! Bis heute! Und das in einer Zeit der Männerdomäne!

„Meine liebe Hanna!

Ihren armen Brief will ich gleich beantworten.

 (…) Ihr Erlebnis mit der Casseler Academie ist ja allerdings traurig, doch machen Sie sich nichts daraus. Wenn nicht dieses Mal, werden sie jedenfalls später aufgenommen werden, die Herren dort sind ja Eseln u. werden schon zur Einsicht kommen. Jedenfalls haben Sie die falschen Arbeiten hingeschickt, aber auch aus denen hätten sie was heraus sehen können, wenn Sie Augen gehabt hätten.

(…) Hanna, vielen begabten Menschen ist es so gegangen, drum machen Sie sich nichts daraus, Sie werden noch was erreichen.“

 heißt es in einem Brief von Ida Kerkovius an Hanna Bekker vom Rath vom 22. 01.1926 (Archiv Hanna Bekker vom Rath)

„Meine Welt ist die Farbe“

Ida Kerkovius begann mit 20 Jahren eine künstlerische Ausbildung an einer privaten Mal- und Zeichenschule in ihrer Heimatstadt Riga, dessen Abschlussdiplom sie zum zielgerichteten Kunstunterricht berechtigte. Ihr Kunstverständnis war bewusst westlich ausgeprägt. Dennoch sind östliche Phantasien, deren Farbempfinden und Mystik offenkundig.

1902 beschloss sie in Dachau die neue Kunstlehre Adolf Hölzels „das Flächige Sehen“, wie sie diese bezeichnete, in nur wenigen Monaten zu erlernen. Die essentiellen Dinge festzuhalten, ihrem Werk undogmatische Züge zu verleihen.

1908 siedelte sie nach Deutschland über und wurde Meisterschülerin und Assistentin von Adolf Hölzel, Leiter der Kompositionsklasse der Königlich-Württembergischen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und Wegbereiter der Moderne.

Die Cyan-Palette von Ida Kerkovius schäumt nur so über vor malerischer Spontanität und Unbefangenheit, Foto: Paulina Heiligenthal

In Baden-Württemberg war die Zulassung zur Hochschule für Frauen, die sogenannte Frauenbildung als erstes Bundesland Deutschlands ermöglicht worden.

„Mit aller Energie und Liebe tätig sein, denn Kunst ist Liebe, Energie und Tat, gesteigert bis zur höchsten Leidenschaft für die Kunst und ihre seltsamen Wunder.“ Adolf Hölzel (1853 -1934). Doch trotz des Einflusses von Hölzel auf ihre Kunst, realisierte sie ihren eigenen kubistischen Stil, der von expressiver Farbgebung geprägt war.

Sie zählte zum Stuttgarter Kreis der Avantgardisten um Hölzel, zusammen mit Willi Baumeister, Oskar Schlemmer und Johannes Itten, dem späteren Begründer der Farbenlehre. Hochgeschätzt von ihren männlichen Künstlerkollegen und -freunden. „Sie ist ganz Kunst“, Alexej von Jawlensky oder „In der Farbe ist sie uns allen überlegen“, Willi Baumeister, zeugen hiervon.

Ida Kerkovius war einziges weibliches Gründungsmitglied des Rat der Zehn des Künstlerbundes Baden-Württemberg, dem u.a. auch Otto Dix angehörte, Foto: Paulina Heiligenthal

1916 beteiligte sie sich an der Ausstellung „Hölzel und sein Kreis“. Durch diesen Kreis um Hölzel kam Ida Kerkovius mit den Werken von Paul Cézanne und Vincent van Gogh in Berührung. Sie lernte die Brücke-Gruppe kennen.

Einundvierzigjährig fing die bereits etablierte Malerin zwischen 1920 und 1924 ein Studium am Bauhaus in Weimar an. „Um zu sehen, wie dort gelehrt wird!“ Sie studierte unter anderem bei Walter Gropius, Paul Klee und Wassily Kandinsky. Hier lernte sie ihre ureigene Bildsprache und gestalterische Ideen zu vervollkommnen. Zusätzlich befasste sie sich mit der Kunst des Bildteppichwebens.

Hanna Bekker vom Raths‘ Blumen mit blühender Artischocke in subtiler Farbnuancierung, Foto: Paulina Heiligenthal

Erst 1922 erhielt sie die deutsche Staatsangehörigkeit. In Zeiten des Nationalsozialismus dann wurden mehrere ihrer Werke konfisziert. Ein Berufsverbot blieb allerdings aus. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Bildteppichweberin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt sie die Anerkennung als eine der wichtigsten Künstlerinnen der deutschen Klassischen Moderne im 20. Jahrhundert.

„Beobachterin der Kunst“

Hanna Bekker vom Rath entdeckte schon früh die Liebe zur Kunst in sich. Bereits als Zwölfjährige  betrieb sie Mal- und Zeichenstudien. Erst als Zwanzigjährige erlaubten die Eltern endlich den privaten Zeichen- und Malunterricht bei Ottilie W. Roederstein in Hofheim am Taunus. Die Künstlerin erkannte ihr Talent und empfahl ihr eine weitergehende Ausbildung in Stuttgart. So wurde sie in den Wintermonaten von 1915 bis 1918 Schülerin der 14 Jahre älteren Ida Kerkovius, die ihren Malstil maßgeblich beeinflusste.

Während dieser Zeit erwarb Hanna Bekker vom Rath bereits erste Werke ihrer Lehrerin. Noch keine 25 Jahre alt, erwachte die Sammlerin und Förderin in ihr. Mit dem Fokus auf die damalige Gegenwartskunst.

Zurück in Frankfurt frequentierte sie die Orte, an denen sie Werke der künstlerischen Avantgarde betrachten und ihren Vertretern begegnen konnte. In der berühmten Kunsthandlung Ludwig Schames erstand sie erste Werke von Heckel, Kirchner und Schmidt-Rottluff.  Ihren späteren Ehemann Paul Bekker, der als Musikkritiker der Frankfurter Zeitung die zeitgenössische Musik besprach, lernte sie hier kennen.

Zwar empfand Hanna Bekker vom Rath das Malen und Zeichnen, soweit sie zurückdenken konnte, als eine Notwendigkeit, „auch wenn das Leben zuweilen Pause einlege“.  Eine Ausstellung ihrer eigenen Arbeiten sei nie eine Option für sie gewesen. Sich im Stillen auszudrücken eher schon.

„Ein Kunstwerk hängt immer davon ab, dass in seiner Aussage die Kraft einer eigenständigen Persönlichkeit sichtbar wird, womit ihm auch bleibender Wert zufällt.“ Hanna Bekker vom Rath, 1956

Das Blaue Haus in Hofheim

Die Sommervilla mit verwunschenem Garten aus 1880 am Kapellenberg von Hofheim erwarb Hanna Bekker vom Rath in 1921, nachdem sie hier ein Jahr zuvor zwei Zimmer mit Ehemann Paul Bekker angemietet hatte.

In der Animation „Selbstporträt mit Hut um 1948“ wird HBvR umringt von vielen ihrer Künstlerfreunde, Foto: Paulina Heiligenthal

Für Hanna Bekker vom Rath sollte das Haus über 60 Jahre lang ihr Refugium bleiben. Für Künstler, Musiker, Schauspieler, Kunstliebhaber wurde es ein Ort der Begegnung und des Austauschs.

Der spätere Name das „Blaue Haus“ – nach einer kühn blau-gelben Farbgebung – wurde von Ida Kerkovius in einem ihrer Briefe aus Berlin geprägt. Das Blaue Haus entfaltete sich zu einem periodischen Domizil vieler namhafter Künstler wie Emy Roeder, Willi Baumeister, Ludwig Meidner und Karl Schmidt-Rottluff.

Als Gastgeberin trug Hanna Bekker vom Rath tatkräftig zu deren Unterstützung bei und führte viele Künstler mit Sammlern zusammen. Ferner bot sie Künstlern Raum und Zeit, Ruhe, Frieden und gesunde Luft sowie Hilfe in schweren Tagen.

Hanna Bekker vom Rath porträtierte den engen Freund und Gründungsmitglied der Künstlergruppe Die Brücke Karl Schmidt Rottluff, Foto: Paulina Heiligenthal

So gründete sie 1929 die „Gesellschaft der Freunde der Kunst von Alexej von Jawlensky“ in Wiesbaden. Neben anderen Sponsorinnen zählte sie zu den sogenannten „Nothelferinnen“ des Künstlers, den sie bis an sein Lebensende unterstützte.

Ida Kerkovius verdankte ihr später auch umfassende finanzielle Förderung.Während der suppressiven Kulturpolitik des Nationalsozialismus setzte sich Hanna Bekker vom Rath mutig und engagiert für verfemte Künstler ein, organisierte heimlich Ausstellungen.  So wurde ihr Haus zu einem Zufluchtsort für den künstlerischen Dialog.

Blick vom blauen Balkon auf den Hofheimer Garten. Ein unsigniertes Werk von Hanna Bekker vom Rath, Foto: Paulina Heiligenthal

Im Jahr 1947 gründete sie das Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath zunächst als Forum für die ehemals als „entartet“ geächteten Künstlerfreunde. Das Haus trug wesentlich zur Rehabilitierung und zur Kunstvermittlung in den Nachkriegsjahren in Frankfurt bei. Als Botschafterin der Kunst wurde sie schließlich bekannt, als sie ab 1952 allein auf große Reisen ging. Außergewöhnlich genug für Frauen zum damaligen Zeitpunkt.

Im Gepäck, zwei leuchtend blau angemalten Koffern, befand sich die deutsche Gegenwartskunst, die darauf wartete, weltweit präsentiert zu werden. Auf dem Rückweg brachte die Botschafterin internationale junge Kunst mit nach Frankfurt. Ein kultureller Austausch und eine Umarmung zwischen den Welten.

Hanna Bekker vom Rath lebte und handelte unermüdlich für die Freiheit von Kunst, wirkte vermittelnd für Menschen, ihre Künstler und Kunstliebhaber. Eine begabte Netzwerkerin mit humanistischer Geisteshaltung, die ihre Visionen begeisternd umsetzte.

„Meine liebe Hanna! Hanna Bekker vom Rath und Ida Kerkovius“
Die GRANDE DAME der internationalen Kunstwelt und Ida Kerkovius, eine der bedeutendsten deutschen Malerinnen des 20sten Jahrhunderts, sind vom 26.11.2023 – 17.03.2024 in einer sinnesanregenden Sonderausstellung im STADTMUSEUM HOFHEIM AM TAUNUS zu sehen.

                                                                                                                                                                                   

                                                                                 

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