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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Salon Frankfurt in der Alten Oper: Die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky für das Neue Frankfurt

Mit Humor und Esprit

Ein Küchenkabinett mit Filmausschnitten, Gesprächen, Tondokumenten und passender Musik

Von Petra Kammann

Wenn die „Frankfurter Küche“ der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky im Neuen Frankfurt der 1920er Jahr sprechen könnte… Wie würde eine solche Küche wohl klingen? Das wurde akustisch und optisch im Mozartsaal der Alten Oper durchgespielt, von HR-Moderatorin Anna Engel charmant aufgetischt, gewürzt mit literarisch-kulinarischen Beigaben, die Helge Heynold genüsslich rezitierte. Dazu gab’s eine witzige „Revue de cuisine“, musiziert von exzellenten Studierenden der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), als I-Tüpfelchen noch dazu die Uraufführung eines frisch zubereiteten „Tournedos Rossini“ von Arwen Campbell. Im Gespräch mit der kenntnisreichen Kuratorin Dr. Maren Härtel vom Historischen Museum wurde das Zeitfenster in die 1920er Jahre weit aufgestoßen.

Das „Küchenkabinett“ der „Frankfurter Küche“ beim Schluss-Applaus, Foto: Salay Bargan / Alte Oper

Zunächst aber einmal der Blick auf die faszinierende Persönlichkeit und Erfinderin der sogenannten „Frankfurter Küche“ selbst, auf  Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000). Die emanzipierte berufstätige Frau aus einem bürgerlichen Wiener Elternhaus wuchs in liberaler Atmosphäre auf. Bemerkenswert war ihr gesamter Lebenslauf und ungewöhnlich genug für eine Frau ihrer Generation. In den meisten Fällen war deren Karriere eher als „Heimchen am Herd“ vorgezeichnet.

Doch Schütte-Lihotzky wurde trotz ihres bewegten und nicht immer einfachen Lebens sage und schreibe 103 Jahre alt. Eine Ausnahmeerscheinung in vielfacher Hinsicht. Ebenso eindrucksvoll wie ihre klare selbstbewusste Stimme, die anfangs in dem abgedunkelten Mozartsaal ganz präsent war, wurde ihr eindringliches, vom Bubikopf umrahmtes Gesicht auf die Leinwand projiziert. Auch war von der Begegnung am Wiener Heldenplatz mit dem legendären Frankfurter Stadtbaurat der 1920er Jahre Ernst May (1886-1970) zu hören.

Der Blick auf die projizierte Margarete Schütte-Lihotzky, Foto: Petra Kammann

Der war nämlich angetreten, in der fortschrittlichen Stadt am Main in kürzester Zeit viel Wohnraum für eine neue und wachsende arbeitende Bevölkerung zu schaffen. May musste Lihotzky also erst einmal von dem Projekt überzeugen. Er wollte die begabte Designerin mit ihren Fähigkeiten nach Frankfurt in das Umfeld des damals experimentierfreudigen Oberbürgermeisters Ludwig Landmann (1868-1945) locken. Schließlich sollte sie ihn dabei unterstützen, die nach dem Ersten Weltkrieg ausgebrochene Wohnungsnot architektonisch zu bewältigen.

Köstlich, wie die österreichische Architektin den stattlichen Hünen Ernst May ironisierend mit der „Statur eines Dandy“ und dem „Eigensinn eines Kindes“ mit seinen riesig großen Füßen und „katholisch-schlesischen Schuhen“ beschreibt. May kam nämlich aus Breslau. Ihm gelingt es aber, sie in ihrem Atelier in der Hofburg, zu besuchen und ihr beim präzisen Zeichnen über die Schulter zu schauen. So fordert May sie auf, einen Artikel über das Thema Wohnbau und rationelle Haushaltsführung für seine Zeitschrift „Das Schlesische Heim“ zu schreiben.

Die Bedeutung des Neuen Frankfurt, verkörpert in der Person Ernst Mays, Foto: Petra Kammann

Der Beginn einer gemeinsamen Karriere. Die beiden verstehen auf Anhieb ihr jeweiliges Anliegen. 1926 folgt Grete Lihotzky dem Stadtrat für Bauwesen May dann an das Frankfurter Hochbauamt, wo sie in der Abteilung Typisierung tätig sein wird. Als sie 1927 ihren deutschen Architektenkollegen Wilhelm Schütte heiratet, hat sie bereits dort schon die rationnelle „Frankfurter Küche“ im Kompaktformat auf gerade einmal 6,5 Quadratmetern entwickelt.

Überzeugt hatte May sie wohl auch mit seinen gemachten Erfahrungen einer ersten USA-Reise, wo er mit amerikanischer Fließbandarbeit in der Autofabrik von Henrik Ford in Berührung kam und sich mit dem effizienten Taylorimsus auseinandergesetzt hatte. Seine Erkenntnis daraus: Eine erfolgreiche Produktion muss effektiv sein, exakt kalkuliert werden, kein Zentimeter darf verschenkt werden. Also tüftelte Lihotzky die Arbeitswege in der Einbauküche auf kleinstem Raum aus.

Frankfurter Küche, Foto: Historisches Museum Frankfurt/Petra Welzel

Geradezu atemberaubend wirkten die dazu die im Mozart-Saal projizierten und animierten Zeichnungen über Bewegungsspielräume auf kleinstem Raum. Schütte-Lihotzky berechnete scharf und exakt jeden Arbeitsweg und Handgriff in der praktisch mit Wandschränken, Schütten, Arbeitsplatten und Spülbecken eingerichteten Küche, wie wir sie bis heute kennen. Ab 1927 wurde die so entstandene Einbauküche rund 10 000 mal in die neuen praktischen und minimalistisch geplanten Plattenbauwohnungen eingebaut. Mays feste Stimme nehmen wir rückblickend aus den 1960er Jahren wahr und werden nach und nach mit den Zeichnungen für das Neue Frankfurt in der Römerstadt optisch vertraut.

Geschichten hinter der Geschichte: Anna Engel im Gespräch mit Museumskuratorin Dr. Maren Härtel, Foto: Petra Kammann

Der österreichischen Designerin ging es bei all ihren Entwürfen immer auch um die Emanzipation der arbeitenden Frau, die so wenig Zeit wie möglich oder nötig in der Küche verbringen sollte, so die Kuratorin Dr. Maren Härtel vom Historischen Museum. Im Gespräch wurde dieser Aspekt im Salon Frankfurt aber auch kritisch diskutiert. Da erschien die Wohnküche, in der alle um einen Tisch sitzen und sich austauschen können oder in der man sich zu später Stunde bei einer Party trifft, als sozial verträglicher. Immer spiele sich in der Küche alles ab: auch Lieb und Leid.

Schon wendet sich an diesem abwechslungsreichen Abend das Treiben in der Küche ins Musikalische. Insofern passte die herrlich ironische „Küchenrevue“ des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů, der in seiner Ballettmusik eine für sechs Instrumente irrwitzige Musik komponierte, welche die in der Küche benutzten Utensilien repräsentieren wie Topf, Deckel, Schneebesen und Scheuerlappen und diese um die Wette tanzen lässt. Herrlich, wenn das Cello die Seufzer nachzuahmen oder die pfiffige Trompete kecke Fragen zu stellen scheint und das Tempo ebenso vorgibt wie das Pizzicato der Streicher den Rhythmus.

Prof. Hansjacob Staemmler, Klavierkammermusik und Instrumentalkorrepetition an der Hochschule für Musik, im Gespräch mit Anna Engel, Foto: Petra Kammann

Mit Leib und Seele spielten die Studierenden die Musik des „böhmischen Mozart“ Martinů, der in Paris damit bestens reüssierte. Atmosphärisch blitzten dabei Erinnerungen an fetzige Zwanziger-Jahre-Tänze wie Charleston und Tango auf, aber auch neuartige Jazzklänge. Und wie man aus dem Gespräch von Anna Engel mit Prof. Hansjacob Staemmler, Klavierkammermusik und Instrumentalkorrepetition an der Hochschule für Musiker, erfuhr, hat Staemmler die teils slapstickartige Musik in den verschiedenen Stimmungen mit den Studierenden vorher eingeübt. Diese praktische Erfahrung werden die engagierten Studierenden wohl so schnell nicht wieder vergessen.

Die Musizierenden: Kiyun Kim (Piano), Bodam Lee (Violine), Nana Kusaka (Klarinette), Rike Neumann (Tompete), Charlotte Sutthoff (Fagott), Leon Kapar (Cello), Foto: Salay Bargan / Alte Oper

Und bei der echten Uraufführung bürstet die 1994 geborene Arwen Campbell, Dozentin für Kontrabass und Musikalische Früherziehung in Bad Soden, die ein Kompositionsstudium an der HfMDK Frankfurt absolviert, mit einem neuen musikalischen Rezept den Rossini „Braten“ ganz schön und voller Verve gegen den Strich.

Blumen für Arwen Campbell, die junge Komponistin des neuartigen „Tournedos Rossini“, Foto: Petra Kammann

Ein Vergnügen im wahrsten Wortsinn waren dann auch die Vorträge des Rezitatoren Helge Heynold, der Wilhelm Buschs „Pfannkuchen und Salat“ ebenso genüsslich zitierte wie Passagen aus dem „Don Quichote“, in dem die Augen des Gierigen auf den mit Ferkeln gespickten  Ochsenbraten immer größer werden, so dass ein ganzer Eimer zum Probierlöffel mutiert.

Natürlich durfte in Frankfurt Goethes vermeintliche Liebe zur „Grie Soß“ nicht fehlen. Doch statt den Wahrheitsgehalt der Behauptung zu überprüfen, ob es sich dabei wirklich um die Lieblingsspeise des Frankfurter Dichters handelte, der „alles andere als ein Kostverächter“ war, hat sich die quicklebendige Anna Engel mit Andreas Maier, dem Gastwirt vom „Gemalten Haus“, einer der ältesten Apfelweingaststätten Frankfurts, in das Ernst-May-Haus in die Römerstadt aufgemacht, um sich der dort eingebauten Frankfurter Küche zeigen und dabei filmen zu lassen, wie man noch heute nach fast 100 Jahren auf stabilen Ausziehbrettern einer echten Frankfurter Küche, mit einem schlichten großen Messer die 7 berühmten Kräuter der legendären Frankfurter „Grünen Soße“ (Pimpernelle, Kresse, Borretsch, Sauerampfer, Kerbel, Schnittlauch und Petersilie) bestens zerhacken kann.

Die Pianistin Kiyun Kim und Querflötistin Vivien Schwarz spielten Lili Boulangers Komposition“ D’un matin de printemps“, Foto: Petra Kammann

Aber wie alles in der Frankfurter Salon-Geschichte mit zahlreichen Geschichten untereinander in Beziehung steht und verbunden ist, so ging es dann wieder zurück zur emanzipierten und kämpferischen Schütte-Lihotzky, für die eine ebenbürtige Komponistin aus der Zeit als Pendant gefunden wurde, nämlich die französische Komponistin Lili Boulanger (1893 – 1918). Ihr war jedoch im Gegensatz zur Avantgarde-Architektin leider nur nur ein kurzes Leben vergönnt. Dafür hatte die blutjunge Komponistin seinerzeit schon als 18-Jährige den renommierten „Prix de Rome“ gewonnen. Wirklich ungewöhnlich für eine  komponierende Frau in der damaligen Zeit!

Mit ihrer poetisch-impressionistischen Komposition „D’un matin de printemps“ aus dem Jahre 1917, die an diesem Abend für Klavier (Kiyun Kimund Querflöte (Vivien Schwarz) arrangiert und feinfühlig gespielt wurde, löste sich dann assoziativ der Blick vom Küchenfenster der May-Siedlung und weitete sich nach außen auf die Nidda-Wiesen, wo man glaubte, die Vögel tirilieren zu hören.

Das Experiment, eine besondere Melange aus Musizieren, Rezitieren und Spekulieren, aus Küche, Kochen und Komponieren als Salon-Veranstaltung zu konzipieren, war rundherum gelungen. Dabei blieb auch die kritische Auseinandersetzung mit den Grenzen der rein funktionalen Küche nicht auf der Strecke.

Bestens gelaunt verließ das Publikum nach zwei Stunden ohne Pause die Veranstaltung den Mozart-Saal in der Alten Oper.

Dieses Konzert war Teil der Reihe Salon Frankfurt 2023/24 und Konzerte Alte Oper2023/2 und ist Teil des Abonnements Wahlabonnement 2023/24.

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