„STREIT. Eine Annäherung“ – Eine Ausstellung im Kommunikationsmuseum
Steile Thesen laden zu heftigem Disput ein
Von Hans-Bernd Heier
„Ich will nicht streiten“. Diesen Satz haben wir alle schon einmal gehört oder vielleicht auch mal gesagt. Dabei ist Streit nichts Schlechtes. Streit ist essenzieller Teil der menschlichen Kommunikation. Er begegnet uns tagtäglich in den Medien, in politischen oder gesellschaftlichen Debatten, im privaten Umfeld in der Familie oder in einer Beziehung sowie im Berufs- und im Vereinsleben. Streit ist wichtig, weil er uns die Möglichkeit gibt, uns besser zu verstehen, auszutauschen und anzunähern. Das Museum für Kommunikation Frankfurt geht in der Ausstellung „Streit – Eine Annäherung“ diesem spannungsgeladenem Phänomen interaktiv und mit vielen Hörstationen nach.

Ausstellungsansicht; © Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Die höchst informative Schau im zweiten Obergeschoss des modernen Frankfurter Kommunikationsmuseums betrachtet die Entwicklungen, Herausforderungen und die Relevanz von Streit aus historischer, kommunikativer, politischer, aber auch persönlicher Perspektive. “Wir möchten ihm aus dem Weg gehen und können ihn doch nicht vermeiden. Und das ist gut so. Denn Streit gehört zum menschlichen Dasein dazu, bringt uns gesellschaftlich weiter und bietet die Chance, andere Standpunkte zu verstehen. Es beinhaltet, dass man zuhört, die Position des anderen aufnimmt und sich im besten Fall austauscht“, erklärt Helmut Gold, Direktor des Museums für Kommunikation.
Rund 150 „streitbare“ Objekten, Fotografien, Medien und künstlerische Positionen erzählen Streit-Geschichten aus allen Lebensbereichen. Sie beleuchten, welche Herausforderungen sich im Streit stellen und welche Entwicklungen möglich sind und was genau eigentlich ein Streit, eine Debatte oder ein Konflikt ist.
Nach einer grundlegenden Einordnung, was Streit alles sein kann, sind die Besucherinnen und Besucher zum Mitmachen eingeladen. Sie können eine persönliche Streit-Tier-Chipkarte auswählen, ob sie in ihrem Streit-Verhalten mehr dem Typus eines Fuchses, einer Eule, Schildkröte oder eines Wolfs ähneln.
Mit dieser Chipkarte können sie sich während des Ausstellungs-Rundgangs in verschiedene Streit-Szenarien versetzen und das eigene Streitverhalten reflektieren. Mitstreiten ist dabei durchaus gewollt, so erfahren Gäste, welcher Streit-Typus sie wirklich sind „Steile Thesen fordern“ laut Kuratoren „zum Reflektieren und Diskutieren auf“. Auch mit Stift und Zettel können sich große und kleine Besucher den individuellen Streit-Ärger von der Seele schreiben oder malen.
DER SPIEGEL feuerte mit dem Titel Nr. 35, 2019: „So isser, der Ossi“ Ost-West-Klischee-Vorurteile heftig an; © Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Die spannende Schau ist in vier Themenräume untergliedert: in KUNST, LIEBE, MACHT und GELD und lotet aus, welchen Einfluss Streit auf unsere Gesellschaft und auf uns privat hat. Das Publikum ist dabei beispielsweise mit Streit-Szenarien über Geschmack, Anerkennung, Wiedergutmachung oder Erwartungen konfrontiert und zu Interaktionen eingeladen.
Im Kunst-Themenraum wird nicht nur diskutiert, ob sich über Geschmack streiten lässt, sondern auch inwieweit man Kunst von Kunstschaffenden trennen kann. Kunst bereichert unser Leben. Sie kann so vielfältig sein wie die Menschen, die sie schaffen oder betrachten. Dabei gibt es keine klaren Grenzen, die festlegen, was Kunst ist und wer sich als Künstlerin als Künstler bezeichnen sollte.
So frei die Kunst auch scheint, so sehr muss sie sich dem öffentlichen Urteil stellen: Werden Grenzen des „guten Geschmacks“ überschritten? Ist die Kunst gleichbedeutend mit der Person, die sie erschafft? Ist Kunst mitunter sogar strafrechtlich relevant, wie wir das bei der letzten Documenta erlebt haben? Im Dialog über Kunst vereinen sich viele Positionen: emotionale Reaktionen, unterschiedliche Definitionen von Schönheit und persönliche Bewertungen der Künstler selbst.
Die Kunstbetrachtung ist immer ein individuelles Erleben und Wahrnehmen. Was manche besonders schön finden, kann für andere geschmacklos oder banal sein: „Das könnte ich auch!“ Kunstwerk oder Kitsch? Ist das Kunst oder kann das weg? Provokation oder Augenweide? Geschmäcker sind von Person zu Person verschieden und tragen damit zu einer vielfältig gestalteten Umwelt bei. Über Kunst lässt sich somit ganz hervorragend debattieren. Das betrifft nicht nur die Malerei, sondern auch die Musik und die Literatur.
MACHTfragen – Der Negativpreis „Goldene Kartoffel“ wird für „unterirdische Berichterstattung“ verliehen; Neue deutsche Medienmacher*innen, 2021; © Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Immer häufiger stellt sich auch die Frage, ob Kunst und Künstler voneinander zu trennen sind. Darf ich Bilder von Malerinnen und Malern mit problematischer Vergangenheit gut finden? Darf ich Musikerinnen und Musikern zuhören, die im Privatleben zahlreiche Verfehlungen begehen? Kann ich Bücher lesen, deren Sprache oder Autoren Menschen verletzen? Fragen über Fragen, über die gerade derzeit vehement gestritten wird.
Mit „LIEBE tut weh“ ist ein weiterer Themenraum überschrieben. Liebe ist eine der stärksten Emotionen. Wenn wir lieben, gehen wir meist feste Verbindungen ein, vertrauen uns anderen Menschen an und öffnen uns. Für die Liebe kämpfen wir besonders leidenschaftlich. Je näher wir dabei anderen Menschen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann zum Streit kommt.
Auch der Streit ist Teil der Liebe. Im Streit um etwas, was uns aufrichtig am Herzen liegt und besonders wichtig ist, wird die Sachebene häufig verlassen. Im Zwischenmenschlichen werden Meinungsverschiedenheiten schnell emotional, persönlich oder aggressiv. Wir fühlen uns persönlich angegriffen und gekränkt. Verallgemeinerungen, Beschimpfungen und emotionale Verletzungen können folgen. Doch wo Liebe ist, lohnt es sich zu kämpfen und zu streiten.
Ausreden lassen, zuhören, nicht persönlich werden: Es gibt Regeln, die einen Streit besser machen. Aber manchmal spielen nicht nur das Gesagte und eigene Verhalten eine Rolle, sondern auch, wo gestritten wird. Die Debatte am Esstisch, in der Wohngemeinschaft oder in der Kneipe, im Internet, am Telefon oder im aufgewühlten Fußballstadion: An manchen Orten kommen wir besser ins Gespräch, konzentrieren uns mehr auf unser Gegenüber oder haben einfach besonders viel Spaß daran, leidenschaftlich für die eigene Sache zu kämpfen.
GELD-Probleme
Über vieles kann man diskutieren, doch bei einer Sache scheint das gegenseitige Verständnis an seine Grenzen zu stoßen: „Bei Geld hört die Freundschaft auf“, besagt ein Sprichwort. Geld ist die treibende Ressource unserer Zeit – und daher Gegenstand grundlegender und häufiger Auseinandersetzungen. Fehlt es an dem nötigen Geld oder fühlen wir uns bei der Verteilung benachteiligt, kommt es zu Konflikten: Vor allem Arbeitnehmer führen seit Jahrhunderten einen Kampf für bessere Löhne und mehr Wertschätzung. Über Geld spricht man vielleicht nicht, doch als Anlass für einen handfesten Streit eignet es sich allemal.
MACHT-Fragen
Die Bundesrepublik Deutschland ist als freiheitlich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat verfasst. Unser gemeinschaftliches Zusammenleben folgt Strukturen und Regeln. Diese organisieren das Miteinander und die Kommunikation. Gerade in einer Demokratie werden diese Regeln durchaus konträr diskutiert und debattiert, denn: „Eine Demokratie in der nicht gestritten wird, ist keine“, sagte einst Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Dabei treten Machtgefälle auf. Es gibt Menschen und Organisationen, die den Diskurs stark beeinflussen können, und es gibt viele Menschen, deren Anteil an den öffentlich geführten Debatten teils ungehört oder unsichtbar bleibt. Der demokratische Streit sollte dabei helfen, aufeinander zuzugehen, gegenseitiges Verständnis zu schaffen und Machtgefälle zu überwinden. Mal passiert dies geordnet, mal meinungsstark und engagiert, wie in der Schau eindrücklich zu sehen und zu hören ist.
Wie wichtig die Bereitschaft zur Annäherung ist, zeigt nicht zuletzt die politische Polarisierung in der Gegenwart. „Für eine gelungene Demokratie ist das Streit-Aushalten sehr wichtig“, betont Gold. „Es ist die Grundlage, um sich anzunähern“, ergänzt Florian Schütz, der die Ausstellung gemeinsam mit Laura Schmidt kuratiert hat.
Am Ende des fesselnden Parcours erlebte der Autor eine Überraschung: Er war gespannt, ob sich das von ihm gewählte Streit-Tier – die Schildkröte – aufgrund seiner gewählten Antworten mit dem tatsächlichen Streit-Typ deckt. Erstaunt stellte er fest, dass sein Streit-Verhalten wohl eher dem der Eule entspricht.
Ausstellungsplakat; © Museumsstiftung Post und Telekommunikation.
Die hochinteressante Ausstellung „STREIT. Eine Annäherung“, die noch bis zum 25. August 2024 im Museum für Kommunikation Frankfurt zu sehen ist, wird durch ein umfangreiches Vermittlungsangebot und Rahmenprogramm begleitet.
Im Forum auf der ersten Etage des Kommunikationsmuseums ist eine weitere Sonderausstellung zu sehen: „Prototypen – Einen Versuch ist es wert“. Prototypen dienen als Verbindung zwischen Gegenwart und Zukunft. Sie sind der erste Schritt bei der Umsetzung einer Idee in die Realität. Sie helfen, Möglichkeiten sichtbar zu machen, zu erforschen und umzusetzen. Dazu will auch die kleine, aber feine Schau beitragen, die eine Übernahme des Deutschen Museums Nürnberg ist.
Der BeTRITON – eine Kombination von Boot, Fahrrad und Camper – ist ein besonders phantasievoller Prototyp; Foto: Hans-Bernd Heier
Die Ausstellung „Prototypen“ wird bis zum 14. April 2024 im Museum für Kommunikation Frankfurt gezeigt.
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