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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Le Grand Macabre“ von György Ligeti in der Oper Frankfurt

Der Weltuntergang wieder verschoben

Von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt 

Der Komet rast auf die Erde zu, verkünden die Bild-Medien in allen Sprachen. Was macht man in den letzten Stunden, die bleiben? Chaos an der Autobahn, Toccata für zwölf Autohupen, so beginnt die Oper „Le grand macabre“, die einzige von György Ligeti, die nach drei Jahren Verspätung durch Corona von Regisseur Vasily Barkhatov und Generalmusikdirektor Thomas Guggeis nun realisiert werden konnte. Beide sind Liebhaber der Musik von György Ligeti (1923-2006), speziell dieser Oper.

v.l.n.r. Anna Nekhames (Venus), Peter Marsh (Piet vom Fass), Elizabeth Reiter (Amanda), Karolina Makuła (Amando) und Simon Neal (Nekrotzar) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt

Den Text hat der österreichische-ungarische Komponist zusammen mit Theaterregisseur, Puppenspieler, Puppenbauer Michael Meschke, 1931 in Danzig geboren, nach Schweden emigriert, geschrieben. Er beruht auf dem Schauspiel „La ballade du grand macabre“ (1935) des frankophonen, belgisch-flämischen Autors Michel de Ghelderodes (1898-1962), ein Spezialist des Absurden Theaters. Die Uraufführung war 1978 in Stockholm, Ligeti revidierte die Fassung 1996.

Der Inhalt ist absurd – grell, frivol, unanständig – „nichts ist absurder als die Realität“. Regisseur Vasily Barkhatov hat ihn zeitgemäß entschlackt und neu gestaltet. Wie schon erwähnt, ist an der Autobahn in Brueghelland totales Chaos. Die Nachrichten melden pausenlos die Ankunft des Kometen um Mitternacht. Er soll auf die Erde zurasen und würde die ganze Menschheit vernichten. Verzweifelte Szenen.

Den Säufer Piet vom Fass scheint das wenig zu beunruhigen, stattdessen macht er sich in und an Autos zu schaffen. Auch das Liebespaar Amanda und Amondo lässt die bevorstehende Apokalypse, das kommende Unheil, kalt, vielmehr fühlt es sich durch Piets neugierige Blicke gestört.

Nekrotzar alias der Große Makabre flößt den Menschen durch seine Visionen vom Weltuntergang Angst ein. Immerhin gewinnt er Piet als Gehilfen. Bevor die beiden losziehen, entdeckt Piet in einem der Autos einen Sarg und nimmt die tote junge Frau, sie soll Venus sein, heraus. Den leeren Sarg nutzt das Liebespaar. Verrückter, wahnwitziger geht’s nicht. Und so weiter verrückt, aber oft humorvoll.

Plakat: Foto Renate Feyerbacher

Die Konfrontation mit dem Tod ziehe sich wie ein roter Faden durch Ligetis Biografie, betont Dramaturg Maximilian Enderle. Als Kind jüdischer Eltern im rumänischen Siebenbürgen geboren, verlor Ligeti sowohl den Vater als auch seinen Bruder im Holocaust. Er selbst entging immer wieder knapp dem Tod, als er im Arbeitsdienst der ungarischen Armee, die mit Hitler verbündet war, schuften musste.

Ligetis Musik bietet viele groteske Elemente, Verfremdungen und Puppenspielhaftes – durch Meschke, Mitautor des Textes und Regisseur in Stockholm – beeinflusst.

Die Orchesterbesetzung hat nichts mit einem klassischen Sinfonieorchester gemein: nur drei Geigen, zwei Bratschen, einige Celli und sechs Kontrabässe spielen mit, dafür aber üppig Holz- und Blechblasinstrumente à la Wagner, ein großer Schlagzeug-Apparat, sechs Tasteninstrumente sowie Kochtöpfe, Peitsche und weitere artfremde Geräusche wie Uhrenticken, Papierrascheln, Sirenengeheul. Schnelle Passagen, dann langsame Stellen. Extreme, die das Orchester, bewusst überfordert, mit Bravour aber unter Leitung von GMD Thomas Guggeis meistert.

Es gehe quer durch die Musikgeschichte „von Rameau über Schubert, Beethoven und Offenbach bis hin zu Scott Joplin,“ so Guggeis, der bei Oper extra eine musikalischen Vorgeschmack gab. Ihm gefällt die „sinnliche Musizierfreude“. Die menschliche Stimme reizt Ligeti bis an die Schmerzgrenze aus „von der kantabel gesungenen Linie, über rhythmisches Sprechen bis hin zum existenzialistischen Schrei.“ (Guggeis -Programmheft S.21)

Foto 11: Simon Neal (Nekrotzar; in grünem Umhang) und Alfred Reiter (Astradamors; rechts daneben) sowie Chor der Oper Frankfurt

Das zweite Bild zeigt bösartig und witzig Szenen einer Ehe des Paares Astradamors und Mescalina, die sich sexuell vernachlässigt fühlt. Sie fleht zur Göttin Venus, ihr doch einen Liebhaber zu schicken. Prompt erscheint Nekrotzar, der mit Mescalina tanzt und ihr das Herz ausreißt. Astradamors ist glücklich über seine gewonnene Freiheit als Witwer.

Piet und Venus, nun Chef der Gepopo – Geheime politische Polizei -,  ziehen zur Party, die Fürst Go-Go im dritten Bild für geladene Gäste gibt. Mit Alkohol und Gesellschaftsspielen wollen die Gäste ihre Angst vertreiben. Nekrotzar, dem der Zutritt verwehrt wurde, verschafft sich später gewaltsam Zutritt. Der Verkünder des Weltuntergangs wird allerdings schwach und lässt sich zum unmäßigen Trinken verführen. Um Mitternacht schlägt kein Komet ein.

Ernüchterung am nächsten Morgen. Nekrotzar bricht psychisch zusammen. Das Liebespaar taucht wieder auf und feiert Hochzeit. Weiterleben ist angesagt.

Simon Neal (Nekrotzar) sowie im Hintergrund v.l.n.r. Claire Barnett-Jones (Mescalina) und Kinderstatist der Oper Frankfurt

Die ausgefallenen Ideen von Regisseur Barkhatov richten sich nach der Musik.  Zinovy Margolin, dem in Weißrussland geborenen Bühnenbildner, der erstmals an der Oper Frankfurt arbeitet, gelingen ausgefallene Bilder, die Joachim Klein mit seinem Lichtdesign stimmungsvoll-dramatisch verändert. Auch zum ersten Mal ist Olga Shaishmelashvili, in St.Petersburg geboren, in Frankfurt aktiv. Die fantastischen Kostüme der Partygäste, die bei ihren letzten Stunden noch einmal alles zeigen wollen, reißen vom Hocker. Begeisterung beim Publikum. Ruth Stoffer und Tabea Rotfuchs verantworten die Videos.

Ein musikalischer Kraftakt für die Stimmen, für das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und den Chor, einstudiert von Tilman  Michael, den sie alle grandios bewältigen.

Simon Neal, Vasily Barkhatov, Thomas Guggeis am 22.10. 23, Foto: Renate Feyerbacher

Der irisch-britische Bariton Simon Neal, der weltweit auf den Bühnen als Wotan oder Jago steht, ist immer wieder Gast in Frankfurt. Seine große Gestalt verleiht Nekrotzar, dem Hochstapler Makabre, nicht nur eine imposante Figur, sondern auch eine durchdringende stimmliche Botschaft. Er beherrscht das Geschehen bis zum psychischen Zusammenbruch – einmalig.

Das langjährige Ensemblemitglied Peter Marsh in Bademandel, kleiner Unterhose und Schlappen steht ihm als versoffener Piet, in nichts nach. Seine klare tenorale Stimme

füllt die schwierige Rolle und sein hinreißendes Spiel begeistern. Der gebürtige Amerikaner – auch er ist weltweit unterwegs mit charakterstarken Rollen.

 Eric Jurenas ist ein gefragter Countertenor seiner Generation, Preisträger bei mehreren internationalen Wettbewerben. Wien, London, New York sind wichtige Stationen seiner Karriere. Großartig, ihn für die Rolle des Fürst Go-Go gewonnen zu haben.

Anna Nekhames, Foto: Renate Feyerbacher

Die Koloraturakrobatik der gebürtigen Moskauerin Anna Nekhames als Venus und Polizeichefin geradezu unglaublich. Sie gehört zum Ensemble. Die Königin der Nacht ist eine ihrer Paraderollen. In diesem Jahr übernahm sie die Titelpartie in der Oper „Francsca da Rimini“ von Saverio Mercandante. Die vielfach ausgezeichnete Sängerin ist ein Gewinn für die Oper Frankfurt.

Das zerstrittene Ehpaar Astradamors  – Alfred Reiters tiefer Bass – und Claire Barnett-Jones Mezzosopran als Mescalina – ein großes Vergnügen. Wie auch Elizabeth Reiter als Amanda und Karolina Makula als Amando. Ein Spaß, ihrem liebestollen Gesang zuzuhören und ihrem flotten Spiel zuzusehen.

Michael McCown und Iain McNeil, als weißer und schwarzer Minister, beide Ensemblemitglieder, komplettierten wie Nicolai Klawa, Yan Lei Chen, Yongchul Lim, das exzellente Sängerteam.

Die Musik von György Ligeti gefällt nicht jedem. Sie ist für viele zu extrem, zu skurril, zu dissonant, zu missklingend. Stimmen derart waren nach der Aufführung zu hören. Aber es lohnt sich, sich damit auseiander zusetzen. Die gelungene Regie der Oper „Le grand macabre“ erleichtert das Verstehen. Das Publikum spendete jedenfalls vergnügt Beifall.

Ein verrücktes bildlich-musikalisches Experiment, das zum Kommen einlädt – siehe Kurzfilm der Oper https://oper-frankfurt.de/de/oper-frankfurt-zuhause/?id_media=417

Weitere Vorstellungen sind am 18. 11. – danach Oper im Dialog, am  24., 26. und 30. 11., am 2.12.

Neu in der Oper:

Michel Friedman über APOKALYPSE im Gespräch mit Armin Nassehi, Soziologie-Professor in München, am 28.11.2023.

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