„Frankfurt Foto Bilder“ von Barbara Klemm im Historischen Museum Frankfurt
Die poetische Alltagschronistin
Bilder einer Stadt zwischen Unwirtlichkeit und Gemütlichkeit, zwischen Baustelle und Bühne, zwischen Alltag und Kultur
von Petra Kammann
Geboren wurde Barbara Klemm zwar nicht in Frankfurt, aber seit ihrem 19. Lebensjahr hat die Fotografin in der Stadt am Main gelebt, geschaut und gearbeitet. Das „Weltdorf“ wurde trotz ihrer zahlreichen Reportagen rund um den Globus zwischen 1970 und 2025 für die FAZ Lebensmittelpunkt der Chronistin. Und sie selbst damit zu einer Frankfurter Institution. Legendär wurden ihre ungewöhnlichen Schwarz-Weiß-Fotos in der FAZ-Tiefdruckbeilage „Bilder und Zeiten“. Voller Empathie blickte die politisch wachsame Zeitgenossin immer auch auf ihre ganz unmittelbare Umgebung und die in ihr lebenden Menschen. 230 ihrer Fotos aus Frankfurt stellt nun das Historische Museum Frankfurt aus. Was für eine vielfältige Zeitreise!
Lebendig wie eh und je – Barbara Klemm, beim Erläutern ihrer Motive, Foto: Petra Kammann
In gleichgroßen hellen Holzrahmen hängen, thematisch gegliedert in 19 verschiedene Bereiche, in einer Sonderschau im Historischen Museum die so unterschiedlichen Fotos von Barbara Klemm nebeneinander, manchmal zweireihig übereinander. Einzelne ihrer Fotomotive wurden fast wandhoch vergrößert, so dass deren besondere Details den Besuchern noch mal besonders ins Auge springen. Eine gelungene Konzeption für so viele unterschiedliche und doch auch charakteristische Motive.
Barbara Klemm vor dem großaufgezogenen Foto vom Graben zwischen Demonstrierenden und Ordnungshütern bei den Startbahn-West-Demonstrationen 1981, Foto: Petra Kammann
Manche der ausgestellten Fotografien wurden zu Ikonen der Zeitgeschichte wie die Aufnahmen aus der Studentenbewegung, welche die verkrustete Nachkriegswirklichkeit aufbrach und diese zur Diskussion stellte. Dazu gehörten eben auch die Demonstrationen, die Gräben zwischen Ordnungshütern und Aufbegehrenden rissen.
Da entstand die Kluft zwischen Polizei und Studenten. Eine heiße Zeit, welche die Fotografin bisweilen mit dem Blick von oben dokumentierte, sei es vom Fenster eines Hauses oder vom Dach eines VW-Busses. So machte die Fotografin die Gräben förmlich sichtbar. Ein Foto mit den behelmten Saalschützern einer NPD-Veranstaltung aus dem Jahre 1969 beim Bundestags-Wahlkampf im Cantate-Saal machte sie schlagartig europaweit berühmt.
Demonstrationen in Frankfurt, nur eines der 19 verschiedenen dargestellten Themen, Foto: Petra Kammann
Es wurde nicht nur im „Spiegel“, in der französischen Zeitschrift „Paris Match“ und der britischen Zeitung „The Observer“ veröffentlicht. Es bescherte der Fotografin, die seit 1959 in Frankfurt als „Freie“ lebte, ab 1970 auch eine Festanstellung bei der FAZ für die Bereiche Politik und Feuilleton. Der damalige Außenminister Walter Scheel war überzeugt, dass Barbara Klemms Fotos mit dafür verantwortlich gewesen seien, dass die NPD die Fünfprozent-Hürde damals nicht erreichte.
Eine aufmerksame Zeitgenossin war Barbara Klemm von Anfang an auch, was den Alltag betrifft. Sie wurde mit ihrem frischen Blick eine fotografische Beobachterin der Szenen und Menschen in ihrer Stadt, in der sie mit ihrem Mann Leo seit nunmehr 65 Jahren lebt. Bei ihren anfänglichen fotografischen Streifzügen entwickelte sie dabei ein Auge für die kleinen Leute in ihrem Viertel, in dem sie zunächst wohnte oder auch im Gutleutviertel in Nähe des FAZ-Gebäudes.
Das Interieur einer Werkstatt – meisterhaft von Barbara Klemm ins Licht gesetzt: Der Drechslermeister, 1964, Barbara Klemm, HMF
Da entdeckte sie zum Beispiel kleine Handwerksbetriebe, den Bäcker oder 1964 den Drechslermeister, den sie in der Umgebung seiner Werkstatt porträtierte, in einer Lichtstimmung, wie wir sie aus den Interieurs der alten flämischen Malerei kennen.
Insgesamt schenkte sie den Bedingungen der arbeitenden Bevölkerung damals große Aufmerksamkeit, zum Beispiel in den einstigen Adlerwerken oder dem Ankommen der angeworbenen Arbeitskräfte aus dem Ausland, deren Schwierigkeiten und Einsamkeiten an öffentlichen Orten ihr nicht entgingen.
Ausstellungsansicht mit dem hochaufgezogenen Foto aus den Adlerwerken von 1972, Foto: Petra Kammann
Dann wieder nahm sie die ersten Bürgerinitiativen wahr wie die AG Westend. Der bezahlbare Wohnraum war damals auch Mangelware, die alten Häuser wurden besetzt. Das führte schließlich dazu, dass die noch bestehenden Altbauten nicht mehr abgerissen wurden.
Auf ihren Bildern sehen wir etliche Straßenszenen, das Leben draußen, auch vor den, für Frankfurt so typischen Wasserhäuschen, aber auch an den Rändern der Gesellschaft arme, alte, kranke und von der Gesellschaft nicht wahrgenommenen Menschen, Tütenladys am Boden sitzend, Kinder auf Schrottgrundstücken spielend.
Fast bühnenreif wirken die Putzfrauen auf der Automobilmesse 1969 in ihren propperen Kittelschürzen, die ihrem Besenstielballett zwischen dem Gestänge der Messeaufbauten mal eine kurze Pause gönnen und schwatzen. Man ahnt, was sie untereinander zu besprechen haben. Um Autos ging es dabei wohl kaum.
Barbara Klemm beim Rundgang, Foto: Petra Kammann
Immer wieder bewies die begnadete Fotografin, Künstlerin und Menschenfreundin Klemm einen Sinn für die Besonderheit von Menschen ebenso wie für den richtigen Moment des Auslösens der Kamera, die für sie bis heute ihre ständige Wegbegleiterin ist. Unauffällig trägt sie diese kaum wahrnehmbar mit sich, meist in ihrer unauffälligen weichen Umhängetasche. Dann zückt sie sie blitzschnell und drückt konzentriert und punktgenau auf den Auslöser.
Und immer entstehen die Bilder ohne Blitz, allein das natürliche Licht nutzend. Den Sinn für die Komposition eines Bildes hat die Tochter des Künstlerehepaars Antonia und Fritz Klemm dabei schon im Kopf. Heute sind es jedoch nicht mehr die Straßenszenen mit Menschen, die sie reizen, sondern eher Landschaften und Lichtstimmungen.
Der komponierte Blick von außen: Barbara Klemm, „Zoohandlung“ von 1968, HMF
So verblüffend wie hinreißend ist es, wenn man sich nur zwei der ganz unterschiedlichen Frankfurter Bildmotive aus völlig verschiedenen Epochen, zwischen denen rund 60 Jahre liegen, anschaut. Wie hat sich die Stadt doch in der Zwischenzeit verändert! Daraus entstehen dann sowohl künstlerisch gelungene, liebevolle als auch humorvolle Kompositionen.
Etwa der Blick von außen in eine Zoohandlung im „Revolutionsjahr“ 1968. Über den Köpfen einer wohlkomponierten Betrachtergruppe aus einem altem, in sich versunkenen Mann, einem Kleinkind im Kinderwagen, einem etwas melancholisch dreinblickenden jungen Mädchen und einem faszinierten Ehepaar, das förmlich an der Fensterscheibe klebt, baumeln lichtdurchflutete Käfig-Gerippe. Sie scheinen zum Gesang der Vögel im Licht zu tanzen. Der doppeldeutige Hinweis auf die Eingangstür gibt der Komposition zusätzlich Halt und Würze.
Lichter einer Großstadt – Blick auf die Skyline und das Netzgewirr vom Frankfurter Hauptbahnhof aus, Foto: Barbara Klemm 2023 HMF
Demgegenüber verweist das 2023 entstandene Foto vom Hauptbahnhof fast filmisch auf die „Lichter einer Großstadt“, aus deren dunklem Untergrund die von innen beleuchteten Hochhäuser und das gewölbte Dach des herausfahrenden Zugs wie scharf konturierende Skulpturen hervortreten, während das Gestrüpp der darüberliegenden Spannungsleitungen undurchsichtig wirkt und am Leben hinter dieser Szene leichte Zweifel oder Fragen aufkommen lässt.
Blick auf Szenen der Frankfurter Buchmesse, die Barbara Klemm Jahr für Jahr besuchte, Foto: Petra Kammann
Natürlich spielten in der Stadt der Museen für die Feuilleton-Reporterin Barbara Klemm Kunst und Kultur immer eine herausragende Rolle, waren es in den 1960er und 70er Jahren so Konzerte wie die der Stones oder von Janis Joplin, seien es die Schauspieler und Künstler in der Stadt der Museen. Und natürlich war Frankfurt eben auch die Stadt der Internationalen Buchmesse, wo die Fotografin etliche Autoren und Autorinnen traf.
Köstlich das Bild zum 50jährigen Suhrkamp-Jubiläum, wo die Autoren wie Perlen an einer Schnur im Dunkel auf der Bühnen nebeneinander sitzen. Nachdenklich stimmend dagegen die einsame, an sich? zweifelnde Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, allein in der Villa Bonn auf einem Stuhl sitzend und rauchend. Dabei besuchte Klemm auch die Stände während des Aufbaus. Da konnte dann schon mal ein Schriftsteller wie Günter Grass oder Heinrich Böll als Plakat schief zwischen den noch unbestückten Regalen hängen.
Blick in die Ausstellung und auf das Villa Bonn-Motiv, Foto: Petra Kammann
Daneben gab es auch immer die zahlreichen begehrten Verlagsempfänge, zum Beispiel in der Villa Bonn. Da sehen wir die noch junge Silvia Bovenschen mit anderen auf der Treppe hocken, während Peter Rühmkorf eine sicher witzige Rede für die am Empfang Teilnehmenden hält. Szenenwechsel. Köstlich auch, allerdings im Park, im „Grüngürtel, und nicht auf der Buchmesse, steht der Karikaturist Hans Traxler mit seiner Schlägermütze, die Arme verschränkt, wie eine feste Statue als Säulenheiliger auf einem „Ich“-Sockel auf dem klassizistischen Sandsteinblock ganz in der Nähe der berühmten Gerbermühle, die wiederum Goethes wegen legendär ist…
Andy Warhol im Städel Museum 1981, Foto: Barbara Klemm, HMF
Natürlich darf der Pop Artist Andy Warhol vor Tischbeins Goethe in der Campagna im Städel unter den für Frankfurt ausgewählten Fotografien nicht fehlen. Das Bild vom amerikanischen Künstler hat Klemm nur machen können, weil sie häufig auch privat mit Kamera ins Museum gegangen ist. Im Städel hatte sie eines Tages einen Mann gesehen, der so aussah wie Andy Warhol. Er war es auch. Ihn hatte der damalige Städeldirektor Klaus Gallwitz herumgeführt. Ein Kollege von der „Frankfurter Neuen Presse“ habe sie damals netterweise bei seinem Termin mit fotografieren lassen.
Und schließlich zeichnet sie mit ihren atmosphärischen Bildern die Stadt zwischen Unwirtlichkeit und provinzieller Gemütlichkeit nach, dem teils köstliche und dokumentarische Fotos gewidmet sind. Kein Wunder, dass dem Psychoanalytiker, Hochschullehrer und Schriftsteller Alexander Mitscherlich die Formulierung „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ ausgerechnet in der sich ständig umwälzenden Stadt eingefallen war.
Barbara Klemm, Gerechtigkeitsbrunnen, 1978, HMF
Für den Direktor des Historischen Museums Frankfurt Jan Gerchow, der zwei Jahre lang mit Barbara Klemm intensiv an der Vorbereitung der exzellenten Ausstellung zusammengearbeitet hat, ist das Bild vom Römerberg aus dem Jahre 1978 von Bedeutung. Er ist froh, dass dieser Ort heute doch aufgeräumter wirkt als zu Zeiten des noch bestehenden Technischen Rathauses und der öde leere Platz, auf dessen Mitte der Gerechtigkeitsbrunen mit seiner Justitia thront, inzwischen stärker von Besuchern angenommen wird und das Historische Museum auch eine neue Gestalt bekommen hat.
Dieses Motiv wurde dann bezeichnerweise auch zur Titelabbildung des fabelhaft gedruckten Ausstellungskatalogs genutzt, den der renommierte Verleger Gerhard Steidl mit aller Sorgfalt herstellte. Die Tiefenwirkung der Schwarz-Weiß-Fotos kommt in den Abbildungen bestens zur Geltung.
HMF- Direktor Jan Gerchow lernte durch die zweijährige Zusammenarbeit mit Barbara Klemm anders zu sehen, Foto: Petra Kammann
Zu jedem der atmosphärisch gelungenen Schwarz-Weiß-Bilder von Barbara Klemm – alle übrigens auf Barytabzug, was heute einem Unikat gleichkommt, weil ein solches Fotopapier nicht mehr produziert wird – lässt sich eine Geschichte erzählen. Eine tatsächliche oder eine erfundene. Und genau das macht den Reiz all ihrer Bilder aus. Immer bieten sie auch einen Spielraum für eigene Assoziationen und Geschichten. Außerdem steckt in ihnen in der Stadt der alten und der Neuen Frankfurter Schule, in der Stadt der Gegensätze und ständiger Baustellen viel Liebenswertes.
Die Fotografin bekennt sich zu der sich stetig verändernden Großstadt am Main, wenn sie sagt: „Frankfurt hat mich geprägt, ich lebe mittlerweile seit 65 Jahren hier. Wenn man durch die Ausstellung geht, zeigt sie das Leben von meinem Mann und mir. Was die Gestaltung der Plätze angeht, so hat sich die Stadt insgesamt zum besseren entwickelt. Einer meiner Lieblingsplätze ist der Opernplatz. Die Neugestaltung der Altstadt hat mich zwar nicht überzeugt, aber es gibt ein tolles Kulturangebot in der Stadt. Gleichzeitig schämt man sich, wenn man Teile des Bahnhofsviertels sieht.“
Daneben wirkt ihr jüngstes Bild vom Hauptbahnhof, wo sie das Elend ausblendet, wie ein geschliffener funkelnder Edelstein.
Beruhigend wirkt der Blick auf das Klemm-Foto vom Niddapark, 1997, am Ausgang der Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Barbara Klemm – Frankfurt Bilder
9. November 2023 – 1. April 2024
Historisches Museum Frankfurt
Saalhof 1
60311 Frankfurt am Main
Katalog
Barbara Klemm – Frankfurt Bilder
für das Historische Museum Frankfurt herausgegeben von Jan Gerchow
(Schriften des Historischen Museums Frankfurt, Bd. 43),
Steidl-Verlag, Göttingen, ISBN 978-3-96999-270-8
264 S., 23,5 x 30 cm Schwarzweißfotografien im Triton Offsetdruck,
Hardcover, 40,00 €
https://www.hessenschau.de/kultur/barbara-klemm-im-historischen-museum-in-frankfurt,audio-88150.html