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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

34. Hessischer Film- und Kinopreis 2023 (2)

Die ausgezeichneten Filme

 von Renate Feyerbacher

Bei  der Pressekonferenz im Frankfurter Kino Cinéma am Roßmarkt hatte Ministerin Angela Dorn die beiden Filmspezialisten vorgestellt, die für die Nominierungen verantwortlich waren: Cécile Schortmann, Jury zum Schauspielerinnen- Schauspielerpreis des Hessischen Rundfunks und Professor Dr.Marcus Stiglegger, Mitglied  der Filmjury. Der gebürtige Mainzer studierte an der dortigen Johannes Gutenberg Universität Film- und Theaterwissenschaft, Ethnologie, Philosophie und habilitierte sich. Er hat und hatte mehrere Lehraufträge und ist Autor einer Vielzahl von Film-Büchern und Artikeln. Er produziert auch kurze Spielfilme. Also ein Kenner der Filmszene.

Cécile Schortmann, Ministerin Angela Dorn, Marcus Stiglegger, Foto: Renate Feyerbacher

Wohlstandsunterschied

Ausgezeichnet wurde bei der Gala des Hessischen Filmpreises der Spielfilm „Vamos a la playa“ der Regisseurin Bettina Blümner – einer der drei Nominierungen. Der Titel lässt ein Ferienvergnügen vermuten. Ja und nein. Wer den Song „Vamos a la playa“ von Righeira aus den 80ern kennt, vermutet Schlimmes:

„Los Leute, alle an den Strand, die Bombe ist explodiert.
Die Strahlung röstet und färbt alles blau.

Und vergesst eure Hüte nicht,
denn diese Radioaktivität verursacht einen Wind,
der die Frisur ganz durcheinander bringt.

Los ab an den Strand,
endlich ist das Meer wieder sauber!
Kein stinkender Fisch mehr
und ihr glaubt gar nicht,
wie schön das Wasser leuchtet.“ (Übersetzung aus dem Internet)

Der Song bezog sich wahrscheinlich auf den Nuklearunfall von Palomares nahe Almeria (Südspanien), wo ein US-Bomber und ein Tankflugzeug 1966 zusammen stießen. Noch ist der Boden mit Plutonium belastet.

Hat die Regisseurin den Vorfall beim Titel im Kopf gehabt?

Bettina Blümner hat eine Zeit lang auf Kuba gelebt und gearbeitet. Sie ist Regie-Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Für ihren ersten langen Film, den Dokumentarfilm PRINZESSINNENBAD, für den sie im Jahr 2007 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. 2016 erhielt Bettina Blümner das Wim Wenders Stipendium für ihren Spielfilm „Vamos a la playa“.

Daniel Nocke ist Co-Autor des Drehbuchs, Benjamin (Leonhard Scheicher) erscheint am Flughafen mit Rucksack, angespannt und nervös ist er, will wissen, warum Katharina (Victoria Schulz), die Tochter seines Auftraggebers, ihre Freundin Judith (Maya Unger) im Schlepptau hat. Katharinas reicher, kranker Vater hat Benjamin beauftragt, Sohn Wanja (Jakub Gierszal ), der auf Kuba verschollen sein soll, zu suchen und zu finden. Kurz und gut, er wird gefunden – eine Zufallsbegegnung – in Begleitung einer kubanischen Familie, die Wanja aufnahm. Der Vater, der nur erwähnt wird, löst „Beklemmungen“ aus, sagt Katharina.

Regisseurin Bettina Blümner mit Maya Unger (Judith), Foto: Renate Feyerbacher

Die Drei kamen nach Kuba, in ein Land, in dem nicht nur Fassaden bröckeln. Vorbereitet sind sie nicht. Sie wissen nichts über die Menschen, über ihre Armut, über ihre Gastfreundschaft, über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, über Traditionen und vor allem, wie sie sich verhalten sollen. Europäische Arroganz legen sie an den Tag. Nicht nur die Suche nach Wanja, vielmehr die Suche nach sich selbst beginnt.

Katharina ist geradezu sexsüchtig und praktiziert ausbeuterischen, beschämenden Sex-Tourismus. „Ich will nur seinen schönen Körper und sonst nichts.“

Benjamin, er führt exakt die Ausgaben, und versucht, mit der zurückhaltenden Judith anzubandeln. Seine Gefühle sind verwirrt. Judith nähert sich  am ehesten den kubanischen Menschen. Sie tanzt Salsa und verliebt sich in den Salsa-Lehrer Ignacio (Torrolla Ramos), den sie heiratet, unbeirrt von den Warnungen und Mahnungen, dass so eine Ehe nicht gut gehen kann.

Dass die sexgeile verschwenderische Katharina und die besonnene Judith Freundinnen sind, ist kaum zu glauben. Diese sehr verschiedenen Frauengestalten würzen aber das Geschehen.

Das ausgezeichnete Schauspielerinnen- und Schauspieler-Team lässt manche unpassende, Klischee behaftete Passage des Films vergessen. Sie spielen natürlich, sind authentisch, ohne Schminke. Blümner hat mit Leichtigkeit die Personen geführt, immer wieder typisch kubanische Momente eingebaut. Ein sehenswerter Film trotz manchem Einwand.

Ministerin Angela Dorn und Behrooz Karamizade, Foto: Renate Feyerbacher

Der Newcomerpreis, dotiert mit 7.500 Euro, über den die Ministerin für Kunst und Kultur Angela Dorn entscheidet, wurde dem deutsch-iranischen Filmemacher, Drehbuchautor, Kameramann, Cutter und Produzenten Behrooz Karamizade für seinen Spielfilm „Leere Netze“ zuerkannt.

„Er ist ein Multitalent: auf dem Regiestuhl, hinter der Kamera und am Schneidetisch. Dadurch hat er ein feines Gespür für Details. Er schaut sehr genau hin und legt behutsam den Kern der Geschichten frei, die er erzählt. In seiner Arbeit als Regisseur mit den Schauspielerinnen und Schauspielern ist er einfühlsam; damit wirken seine Filme absolut authentisch [..]Der Nachwuchspreis will Aufmerksamkeit auf Menschen legen, die gerade im Durchbruch sind. Es geht um Innovation, Potenzial und Talent. All das verkörpert Behrooz Karamizade“, so begründete Ministerin Dorn ihre Entscheidung.

1985 kam der sieben Jahre alte Filmemacher nach Deutschland. In seinem ausgezeichneten Abschlussfilm an der Kunsthochschule Kassel „Bahar im Wunderland“, (2013) erzählt das kurdische Mädchen Bahar (Kani Mohammadi) die Flucht mit dem Vater (Korkmaz Aslan) von Syrien nach Deutschland aus ihrer Sicht. Gezeigt wurde der Kurzfilm bei über 150 Festivals, gewann viele Preise und erhielt 2014 den deutschen Menschenrechtspreis in der Kategorie Bildung.

„Leere Netze“ (2023) ist das Langfilmdebüt von Behrooz Karamizade, der auch das Drehbuch schrieb, für das er mit dem deutschen Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde.

„Amir (Hamid Reza Abbasi) liebt Narges (Sadaf Asgar) und Narges liebt Amir. Sie träumen davon, ein gemeinsames Leben aufzubauen, doch als Amir seinen Job verliert, rückt eine Heirat in weite Ferne – zu hoch ist der Brautpreis, den die iranischen Traditionen von ihm verlangen. In der Hoffnung, die Klassenunterschiede mit harter Arbeit überwinden zu können, heuert Amir bei einer ländlichen Fischerei an der rauen Küste des Kaspischen Meeres an und verstrickt sich dort in kriminelle Machenschaften – illegaler Kaviar-Wilderei. Zunehmend gerät Amir in einen Sog, der er auch die Beziehung zu Narges gefährdet. Schließlich muss er entscheiden, ob er sich aufgibt oder einen Neuanfang wagt.“(Pressehefttext)

Karamizade drehte einen Film über die Probleme der jungen Generation, deren Schwierigkeiten er für groß und derzeit hoffnungslos hält. Die jungen Menschen haben keine Zukunftsperspektive. Selbst die alltäglichen Träume bleiben unerfüllt. Das hat ihn beschäftigt, diese Situation wollte er zeigen.

Nach der Vorführung des Films im Cinéma Frankfurt sprach Behrooz Karamizade vor wenigen Besuchern über sein Vorgehen. Er drehte ausschließlich im Iran an Originalschauplätzen – und das 2021. Das war ihm wichtig. Ein namhafter iranischer Filmemacher, mit dem er befreundet ist, half ihm, die Drehgenehmigung zu bekommen.

Der iranische Filmemacher Behrooz Karamizade, Foto: Renate Feyerbacher

Karamizade konnte den namhaften Kameramann Ashkan Ashkani verpflichten. Dieser drehte oft mit dem kritischen Filmemacher Mohammad Rasoulof, Goldener Bär 2020 für seinen Film „Es gibt kein Böses“ – Spielfilm zum Thema Todesstrafe im Iran, außerdem Jurymitglied beim Festival in Cannes 2023. Er durfte aber nicht aus dem Iran reisen.

Karamizade fand auch hochqualifizierte, ausschließlich iranische Schauspielerinnen und Schauspieler wie zum Beispiel Keyvan Mohamadi als der gesuchte Intellektuelle Omid und Pantea Panahiha als Amirs Mutter.

Sehr realtiätsnah sind die Szenen mit den Fischern und ihre Arbeit am Kaspischen Meer. Ein Ort der Unterdrückung. Der Regisseur lebte mehrere Wochen mit den Fischern, schlief in ihren Schlafsälen, fuhr mit ihnen aufs Meer hinaus und lernte ehrliche und kriminelle Arbeiter kennen. Schauspieler und Laien bildeten das Team.

Die zappelnden Fische in den Netzen sind eine Metapher für den Zustand im Iran. Den Tierschutz habe er streng beachtet. Erschüttert war er auch über den Zustand des Meeres, das durch den Müll vergiftet wird. Die Authenzität des Films fesselt. Die Kraft der Bilder ist enorm.

Den Newcomerfilmpreis hat Behrooz Kamarizade, der hofft, eines Tages wieder im Iran drehen zu können, absolut verdient. Noch ist der Film im Iran nicht gelaufen. In deutschen Kinos wird er ab Anfang 2024 gezeigt.

Allerdings  brodelt es dort in jeder Beziehung. Der Tod von Jina Mahsa Amiri vor einem Jahr und vor kurzem der Tod der 16jährigen Kurdin Armita Garavand. Beide wurden wegen ihres nicht richtig sitzenden beziehungsweise fehlenden Kopftuches gefoltert und starben. Mittlerweile solidarisieren sich auch viele Männer. Fraglich, ob der Film „Leere Netze“ heute noch so gedreht werden könnte im Iran. Er zeigt alltägliche Missstände, die nicht gefallen könnten.

Produzenten waren Eva Kemme, Ansgar Frerich und Uschi Feldges (BASIS BERLIN Filmproduktion) Koproduzenten Jörn Möllenkamp (Living Pictures Production), Majid Barzegar, der befreundete, iranische Filmemacher (Rainy Pictures, Iran), ZDF/Das kleine Fernsehspiel zusammen mit ARTE, gefördert durch die BKM, Hessen Film & Medien, Kuratorium Junger Deutscher Film und DFF.

Petra Schmidt-Schaller,“eine der besten deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation“, Foto: Renate Feyerbacher

Für Ihre Darstellung in der vierteiligen Serie „Ein Schritt zum Abgrund“ (ARD April 2023) bekam die Serie, aber vor allen Dingen Petra Schmidt-Schaller höchstes Lob. („Hervorragend“, „Eine der besten deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation“) und nun den Schauspielerinnen Preis des Hessischen Rundfunks in der Kategorie Hauptrolle.

Mit einem Frauenhaar auf dem Schal ihres Mannes beginnt für Jana, sie ist Mutter, Ärztin und glaubt eine glückliche Ehe zu führen, der erste Schritt in den Abgrund. Der Fund des Haares lässt sie grübeln. Ihr Vertrauen schwindet, sie forscht im Umfeld. Ihr Mann, (Florian Stetter) konfrontiert mit ihrem Verdacht, streitet alles ab.

Das Drehbuch schrieb Britta Stöckle, Regisseur Alexander Dierbach durchwatet alle psychologischen Untiefen: Verdacht, Lüge, Täuschung, Falle. Der nordfriesische Schauplatz und der Blick aufs Watt beruhigen.

Erhielt diesmal den Preis für die beste Nebenrolle – Brigitte Hobmeier, , Foto: Renate Feyerbacher

Brigitte Hobmeier bekam für ihre Nebenrolle in „Tatort: Murot und das Paradies“ – ein seltsam-verstörender Beitrag – den Preis für die beste Nebenrolle. Ein spiritistischer Auftrag – ein Todesengel. Murot (Ulrich Tukur) verzweifelt an der Welt, will mit Gott reden, der meldet sich aber nicht. Er sucht nach Glück. Was ist denn Glück?  Die Suche danach hätte ihn fast das Leben gekostet.

Brigitte Hobmeier ist auch eine bedeutende Bühnenschauspielerin. In Salzburg spielte sie zwei Jahre lang im „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal die Buhlschaft. In ihrem neuen Film „Wald“ (Premiere Ende September 2023 in Wien) nach dem Roman der österreichischen Schriftstellerin Doris Knecht ist sie eine Aussteigerin, die iohne Strom im Wald lebt. Sie zieht aus der Stadt, um ihr Leben wieder zu stabilisieren.

Patrycia Ziólkowaks ist auch Bühnenschauspielerin, Foto: Renate Feyerbacher

Patrycia Ziólkowaks. Auch sie ist eine bedeutende Bühnenschauspielerin. In diesem Jahr erhielt sie zusammen mit Alicia Aumüller für „Ödipus Tyrann“ in Zürich den renommierten Gertrud Eysoldt Ring. Auch im Frankfurter Schauspiel stand Patrycia Ziólkowaks auf der Bühne.

Sie hielt die Laudatio zur Kurzfilm-Dokumentation „Zelle 5“ von Mario Pfeifer, für den dieser mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Die Rekonstruktion zeigt die Abläufe und Umstände in der Polizeizelle, bei denen der schwarze Asylbewerber Oury Jalloh, angekettet, bei lebendigem Leib verbrannte.

Mario Pfeifer, Foto: Renate Feyerbacher

Die Jury begründete ihre Entscheidung: „Die akribische Darstellung den Zuschauenden eine intensive Verbindung zu der sich entfaltenden Tragödie. ZELLE 5 nimmt eine unvoreingenommene Haltung ein und präsentiert die Ereignisse ohne moralische Vorurteile. Dieser Ansatz ermöglicht es, dass der Nachhall des Schocks weit über die unmittelbare Handlung hinausgeht und Aufmerksamkeit auf das Gespenst des strukturellen Rassismus wirft, der seine Wurzeln tief in der Gesellschaft hat.“ (Wissenschaft Hessen)

Einen Sonderpreis erhielt „Das Kino sind wir“, von Livia Theuer, die den „Filmladen“ in Kassel porträtiert – eine hessische Kulturinstitution. Ihr Dokumentarfilm macht Lust aufs Kino. Der Sonderpreis ist undotiert, aber der Filmladen Kassel, das Mal seh’n Kino in Frankfurt und das Traumkino in Lich wurden jeweils mit 20.000 Euro unterstützt. Weitere gewerblich und nicht gewerbliche Kino wurden mit Preisen bedacht.

Margarita Broich, diesmal nicht als Tatort-Kommissarin, Foto: Renate Feyerbacher

Überreicherin der Filmpreis-Löwen war die Fotografin und Schauspielerin Margarita Broich, die vielen vor allem als Frankfurter Tatort-Kommissarin Anna Janneke bekannt ist.

Der Filmpreis-Löwe, Foto: Renate Feyerbacher

Es ist ein besonderes Anliegen von Kultusministerin Angela Dorn und von Hessen Film und Medien, das Filmland Hessen zu stärken und weiterzuentwickeln. Das finanzielle Füllhorn wird immer wieder geöffnet. Es hat sich einiges getan.

→ Verleihung des Hessischen Film-und Kino-Preis 2023 in der Alten Oper (1)

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