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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Self on Stage. 17 Frauen. 17 Positionen“ in der Galerie Anita Beckers

Wie stellt sich heute weibliche Fotografie dar?

Von Petra Kammann

Hotspot Braubachstraße. Vernissage in der renommierten Avantgarde-Galerie Anita Beckers mit Fotoarbeiten von 17 Frauen und 17 Positionen der Firmensammlung Verbund in Wien: Allen voran Annegret Soltau. Neben einem ihrer Werke hat der FAZ-Journalist und Fotografie-Experte Freddy Langer 17 Positionen 17 blutjunger internationaler Künstlerinnen vorgestellt, die für ihre Arbeit sowohl vor als auch hinter der Kamera agieren. Fotografinnen, die sich mit dem Selbst auseinandersetzen und wie das sich heute in der weiblichen Fotografie darstellt: Radikal, humorvoll, skurril, schräg und experimentierfreudig sind die Bilder der Künstlerinnen, und völlig befreit von traditionellen weiblichen Rollenzuschreibungen.

Lia Sophie Laukants Selfie vor dem Selbstporträt „Handle with care“, Foto: Petra Kammann 

Allen voran Annegret Soltau. Sie war als Special Guest in die Schau geladen. Sie hat ihre Sache gut gemacht. Und ist dazu noch gut gelaunt. Das sieht man an ihren Lachfältchen. Dabei war es in ihrer Entwicklung sicher nicht immer leicht. Für die Pionierin der feminististischen Fotografie der 1970e Jahre muss die heute so viel gepriesene Work-Life-Balance zweifellos ein Dauerthema gewesen sein. Aber sie hat es hinbekommen und das als solches nicht thematisiert. Sie war auch eine der Ersten, die bei der Vernissage der so vielfältigen Ausstellung in der Galerie Anita Becker präsent war und sich putzmunter dem Gespräch der hineinströmenden Besucher stellte, für die der Platz in der Galerie kaum reichte, so dass sich die Schlangen auf dem Trottoir vor der Galerie in der Braubachstraße fortsetzten.

Annegret Soltau neben ihrer Cibachrom-Fotografie „2 TAGE DANACH – Tschernobyl 1986-90“, Foto: Petra Kammann

Von ihr hat Freddy Langer eine langgestreckte Fotoarbeit ausgewählt, die einen Einzelplatz einnimmt. Sie entstand, als ihre Kinder klein waren und Tschernobyl mit seinen Strahlen gerade Wald und Erde verseucht hatte. In einem Waldspaziergang hatte sie mit einer farbigen analogen Cibachrom-Fotografie „2 TAGE DANACH – Tschernobyl 1986-90“ unmittelbar auf das zerstörerische Ereignis reagiert. Der nackte weibliche Körper, verletzlich auf dem Gras zusammengekauert liegend, scheint von den Blättern auf dem Rücken, krummen Säbeln gleich, massiv bedroht. Farblich manipuliert hat sie diese Aufnahme noch in der Dunkelkammer, so dass die vom Wald ausgehende Aggression die entsprechende Wirkung erzielt.

Noch eine weitere kleine und äußerst subtile Arbeit von ihr aus dem Jahre 1985 ist zwischen den beiden Ausstellungsräumen eher versteckt zu sehen. Da hat sie sich selbst als Akt porträtiert, und zwar im Felsenmeer im Odenwald, wohin traditionell damals die Ausflüge mit den Kindern gingen. Auf dieser Aufnahme hat sie sich dann, Gregor Samsa ähnlich, in ein Insekt verwandelt. Doch anders als bei Kafkas Käfer scheinen die darüber projizierten vergrößerten Insektenflügel, die sie über ihre Arme in Zweitbelichtung gelegt hat, ihr die nötige Flugkraft zu geben, sich buchstäblich vom Alltag abzuheben. Eines ihrer gestalterischen Mittel, eine neue Freiheit zu gewinnen: Die Arbeit im Labor, welche durch Lichteinflüsse und Farben die Wirklichkeit verändern kann.

Freddy Langer bei seiner Einführung, Foto: Petra Kammann

Soltaus Arbeiten stehen gewissermaßen als Ausgangspunkt für die Befreiung von den gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen, an denen sich die ausstellenden jungen Fotografinnen, sich von der Vorgängergeneration abarbeiten und seither „austoben“ können. Sie müssen den mühsam emanzipatorischen Kampf früher Feministinnen nicht mehr führen, sondern können sich ihrer subjektiven Sicht hingeben.

Freddy Langer beschrieb in seiner Rede, wie er sich u.a. durch einen Besuch in der südfranzösischen Stadt Arles inspirieren ließ, wo auf dem legendären, 1970 vom Fotografen Lucien Clergue gegründeten Festival „Les Rencontres de la Photographie d’Arles“,alte wie junge Fotografen und Fotografinnen auf der Suche nach ihrer Identität waren. Für Langer war es aus der Fülle des Gebotenen, das er in seinem Hinterkopf hatte, nicht gerade leicht, eine konzentrierte Auswahl für die Galerie-Ausstellung zu treffen.

Galeristin Anita Beckers und ihr Mann bei der Vernissage, Foto: Petra Kammann

„Handle with care“ könnte durchaus über seinem Auswahlverfahren stehen. So aber lautet auch der Titel einer besonderen Aktfotografie, die von der Bremer Fotografin Lia Sophie Laukant stammt, die diesen Spruch auf die transparente Luftpolsterfolie über dem Akt als Selbstporträt aufgeklebt hat. Und so lautet auch der Titel ihres zentral ausgestellten Pigment Prints aus dem dem Jahre 2020. Mit großem Spaß machte die anwesende Künstlerin – gewissermaßen von der Meta-Ebene aus – mit einer Kollegin ein Selfie.

Insgesamt reagieren die heutigen jungen Fotografinnen mal mit schrägem Humor, mal melancholisch, mal bedienen sie sich ungehemmt und  frech vorgegebener berühmter Motive aus der Kunstgeschichte. Dabei setzen sie neue Akzente wie Laukant mit dem Blick auf den weiblichen Körper, welcher im Alltag immer noch von Sexualisierung und sexistischer Erfahrung geprägt ist. Mit dem schönen Akt bittet sie selbstironisch gleichzeitig um Respekt. „Handle with care“, auch zu verstehen als „Noli me tangere“ wie man ein solches Motiv aus der  Kunstgeschichte kennt, in der die biblischen Geschichte abgebildet wurde, als Maria Magdalena den auferstandenen Jesus umarmen will und er sie mit den Worten „Berühre mich nicht“ abweist.

Elina Brotherus, Villa Strassburger, Baignoire 2023, Pigment Print, 40 x 28 cm

Die aus Finnland stammende Fotografin Elina Brotherus (*1972) wiederum, die sicher zu den bekanntesten Vertreterinnen ihrer Generation zählt, beschäftigte sich in Form fotografischer Serien u.a. mit der Art-Deco-Villa in Brüssel, der „Villa Straßburger“, heute die „Villa Empain“, zu der sie sich in Beziehung setzt und dabei gleichzeitig zu ihrer eigenen Biographie, ihrem Körper, der Landschaft, des Raumes und zu Motiven aus der Kunstgeschichte. Mit Selbstauslöser schuf sie geradezu gravitätische Rückenfiguren in den Interieurs. Die innere Stille und Einsamkeit erinnern an Bilder eines Caspar David Friedrich.

Isabelle Wenzel, Rosie and me 1, 2022. Archival Fine Art Print

Andere wie Isabelle Wenzel (*1982) machen Kopfstände aller Art. Die in Amsterdam ausgebildete und in Wuppertal arbeitende kopfstehende akrobatisch geschulte Künstlerin (Pina Bausch is watching you from beyond). Sie ist Fotografin, Modell und Betrachterin zugleich. Ihren eigener Körper, den sie halsbrecherisch nach Belieben modellieren und wie eine Performance in Szene setzen kann, gerät dabei wie ein Ausrufungszeichen zur surrealen Skulptur.

Martina Stapf, self in sofa 2015. Analoge Fotografie, Pigment Print 53,6 x 77,4 cm

Andere betreiben ihr persönliches geheimnisvolles Cocooning oder verbergen bewusst ganz bewusst ihr Gesicht vor der Öffentlichkeit und erwecken so die Entdeckerlust der Betrachter wie etwa die in Wien lebende und mit Textilien arbeitende Martina Stapf. Die klinkt sich förmlich aus der Realität aus und setzt ein deutliches Signal als Gegenwehr gegen Überforderung: und scheint zu sagen: Just come down.

Emma Sarpaniemi,  Self-portrait as Cindy 2022, Archival Inkjet Print. 23 x 17,7 cm

Während die 1993 geborene finnische Fotografin Emma Sarpaniemi  die Definitionen von Weiblichkeit mithilfe von performativen Selbst- und Gemeinschaftsporträts hinterfragt. Sie stellt ihren unmittelbaren Bezug zu Cindy Sherman, der anderen Leitfigur feministischer Fotografiegeschichte, her. Ihr „Self-portrait as Cindy“ wurde sogar als Titelbild der diesjährigen „Rencontres“ in Arles ausgewählt.

Hier wurde nur eine kleine Auswahl an bemerkenswerten Fotoarbeiten getroffen. Die 17 unterschiedlichen Positionen in der Frankfurter Galerie für Contemporary Art reichen von Elina Brotherus und über Kourtney Roys skurrile Überlebensstrategien während der Corona-Lockdowns bis zu Johanna Keimeyers Rollenporträts, in der sich die Künstlerin auf verblüffende Weise mal als Andy Warhol mal als Frida Kahlo anverwandelt weniger überzeugend  die Verwandlung in Marylin Monroe.

Dennoch ist der Weg in die Galerie auf jeden Fall mit neuen frischen und überraschenden Eindrücken gepflastert.

 

Teilnehmende Fotografinnen

Kincső Bede, Elina Brotherus, Susan Copich, Rachel Feinstein, Marine Foissey, Melanie Issaka, Cloe Jancis, Johanna Keimeyer, Tarrah Krajnak, Lia Sophie Laukant, Grit Reiss, Nina Röder, Kourtney Roy, Corinne Rusch, Emma Sarpaniemi, Martina Stapf, Isabelle Wenzel
und Annegret Soltau als Special Guest

 

Self on stage 17 FRAUEN . 17 POSITIONEN
kuratiert von Freddy Langer
26.10.2023 bis 2.12.2023

Galerie Anita Beckers

Braubachstraße 9
60311 Frankfurt am Main
+49 69/921 019 72
geöffnet:
Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 12-17 Uhr

galerie-beckers.com

Die Galerie Anita Beckers

ist außerdem im November auf der

PARIS PHOTO  2023  

Vertreten mit einem Stand und Fotos von

THORSTEN BRINKMANN
JÜRGEN KLAUKE
ANNEGRET SOLTAU und
ISABELLE WENZEL

Und auf der

ART COLOGNE 2023

Mit Arbeiten von:

ARMIN BOEHM
DANIEL CANOGAR
JONAS ENGLERT und
JOHANNA REICH

 

 

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