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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Johann Simons bringt im Schauspielhaus Bochum Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ auf die Bühne

Ein weißer Hund, ein Zwiebelturm, ein Kühlschrank, eine Schneelandschaft

von Simone Hamm

Fjodor Karamasow ist maßlos in allem, in seiner Gier, seiner Lasterhaftigkeit, seinem Egoismus. Er hat vier Söhne: Dimitrij, hochemotional, hitzköpfig, heftigst verliebt in die kalte Gruschenka, der auch der Vater nachstellt. Iwan, ein kühler, spöttischer Intellektueller, der noch in Stunden größter Not lieber diskutiert als handelt. Aljoscha, naiv, gläubig. Er ist ins Kloster gegangen.Der vierte Sohn ist Pawel Smerdjakow, ein unehelicher Sohn, der aus der Vergewaltigung einer verwirrten Bettlerin entstanden ist, die der Vater nur aus Jux, einer Wette wegen begangen hat. Smerdjakow arbeitet als Diener bei Karamasow. Über 1000 Seiten lang ist Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“. Wie kann man einen so dicken Roman, der aus unendlich viel Episoden besteht, vor allem aber aus theologischen, philosophischen Gedanken, auf die Bühne bringen?

Jele Brückner, Steven Scharf (v. li.) © Armin Smailovic

Johan Simons lässt sich sieben Stunden Zeit, entgeht so der Versuchung eine Kriminalgeschichte zu erzählen, nimmt vielmehr die philosophischen, theologischen Diskussionen auf. Er hat – zusammen mit Angela Obst – eine großartige Bühnenfassung geschaffen, natürlich basierend auf der Übersetzung von Swetlana Geier.

Simons lässt zuerst auf der Hauptbühne des Schauspielhauses, spielen, dann gehen die Zuschauer über die Bühne, vorbei an Garderoben hinunter zu den Kammerspielen. In der zweiten Pause wird an langen, weißgedeckten Tischen ein Menü gereicht, Borschtsch, Quiche, Salat und Panacotta. Und weiter geht es im Schauspielhaus.

Hier spielte auch der erste Akt. Die weißschimmernden Wände, die Ikonen, Kerzen, Glocken, die von Balken herunterhängen, deuten die klösterliche Umgebung an. Doch da sind auch zwei schwarze Feuertreppen, zwei Schiedsrichterstühle, Die dunklen Kugeln, die am Boden liegen, erweisen sich auf den 2. Blick als abgeschlagene Zwiebeltürme einer orthodoxen Kirche und verweisen auf das Grundmotiv der „Brüder Karamasow“: die Fragen nach Gott und Teufel, Schuld und Sühne, Gut und Böse, Vergebung und Erlösung. Die Frage nach dem, was nach dem Tod komme. Die Frage, ob es überhaupt einen Gott gäbe.

Victor IJdens, Konstantin Bühler (v. li.) © Armin Smailovic

Wolfgang Menardi hat an diesem Abend großartige Bühnenbilder geschaffen, eines überwältigt mehr als das andere.

Kostümbildnerin Kathrin Aschendorf hat der Klosterfrau Stariza Sossima eine weiß-beige Robe schneidern lassen, die buddhistisch anmutet. Stariza hält einen großen, weißen Hund an der Leine. Sie schickt Aljoscha aus dem Kloster in die Welt hinaus. Er soll Gutes tun, heiraten, den Streit der Brüder schlichten. Sie ahnt den Vatermord, der kommen wird. Zu Stariza kommt Katharina mit ihrer gelähmten Tochter Lisa. Lisa leidet mehr an sich als an ihrem kranken Körper.

Die Mutter glaubt, nach der letzten Begegnung im Kloster ginge es ihrer Tochter schon besser. Im Hintergrund ist in einer Videoaufnahme eine perfekte Küche zu sehen, in der jemand hantiert.

Oliver Möller, Anne Rietmeijer (v. li.) © Armin Smailovic

Und diese Küche ist das Bühnenbild im fulminanten 2. Akt. Da ist ein Kommen und Gehen, da ertönt Schostakowitsch, wenn Gruschenka die Kühlschranktür öffnet, da erleidet Smerdjakow einen epileptischen Anfall. In wilden Zuckungen liegt er auf dem Boden, seine Hände verkrampften. Sie geben den Rhythmus der Gitarre wieder, die eine Countrysängerin begleitet. Die Söhne werden zu galoppierenden Reitern, die eine imaginäre Kutsche ziehen. Der betrunkene Vater pöbelt, er will noch mehr trinken. Kohlköpfe rollen.

Ganz nah sind die Zuschauer am Geschehen. Niemand kann sich dem entziehen, was da vor sich geht.

Im 3. Akt sind wir wieder im Schauspielhaus. Zur Gerichtsverhandlung wie im Roman kommt es nicht. Auf schneebedecktem Boden liegt der ermordete Vater. Die Teufelin ist im Gespräch mit Iwan, der nicht an ihre Existenz glauben will. Katharina hat der Metaphysik abgeschworen und will künftig Goldminen ausbeuten. Dimitrijs Hände sind blutig. Er ist auf der Suche nach Gruschenka. Smerdjakow ist davon überzeugt ist, dass der Mord ihm eh angehängt werden wird und nimmt sich das Leben. Und  Aljoscha will allen sagen, dass sie sich nicht zu fürchten brauchen.

Nach dem überragenden zweiten Akt, in dem so viel passierte, hatte der letzte Akt doch einige Längen. Oder ließ die Konzentration nach?

Victor IJdens, Dominik Dos-Reis, Steven Scharf (v. li.) © Armin Smailovic

Dass dieser Abend dennoch ein Hochgenuss ist, dafür sorgen neben Regisseur, Dramaturgin und Bühnenbildner natürlich die großartigen Schauspieler. Sie zeigen jede Facette ihrer Figuren, wandeln sich, zweifeln, zaudern, zögern, kämpfen.

Pierre Bokma in Samtpantoffeln, Schlafrock und Riesenkoteletten ist ein grober Kerl, der gar nichts ernst nimmt. Für ihn gilt weder die göttliche noch die weltliche Ordnung.

Dominik Dos – Reis ist ein sanfter, lockenköpfiger junger Mann, der schlichten will und nicht kann, ununterbrochen unterwegs ist von einem zum andern, sich selbst, seine Liebe zu Lisa aufgebend. Er krümmt sich und weint und steht wieder auf.

Lisa zeigt ungeahnte perverse Tiefen. Sie wird vom rührenden Mädchen im Rollstuhl zu einer Furie.

Steven Scharf ist der spöttische kluge Iwan, überheblich, über den Dingen stehend und weniger hilflos, als es manchmal scheinen mag. Der Mord am Vater wird nicht geklärt, aber es sieht doch so aus, als habe Iwan seinen Halbbruder Smerdjakow geschickt dazu angestiftet.

Oliver Möller mit angefletschtem Haar ist dieser Smerdjakow, der uneheliche Sohn. Er zeigt seinen unbändigen, aber verhaltenen Zorn auf den schrecklichen Vater in jeder noch so kleinen Geste und auch in der Wut, mit der er die Küchenarbeiten ausführt.

Victor Ijdens gibt dem cholerischen Dimitrij bisweilen fast sanfte Züge, wenn er von der Liebe erzählt, von der armseligen Kindheit, in der ihm ein Arzt ein Pfund Nüsse schenkte, eine Gabe, die er nie vergessen hat. In der nächsten Sekunde ist er wieder aufbrausend und gewalttätig.

Elsie de Brauw © Armin Smailovic

Jele Brückner als Katerina ist erst fast bigott, dann umso weltlicher. Anne Rietmeijer als Gruschenka bleibt stets unnahbar. Sie hält die Zügel in der Hand. Elsie de Brouw ist kluge Klosterfrau und später eine veritable Teufelin.

Stolz und verzweifelt zugleich gibt Konstantin Bühler den Nikolaj, der sich für erlittenen Schläge und Demütigungen nicht mit Geld abspeisen lassen will, braucht er es auch noch so nötig. Nicht alles, so sieht es auch sein kleiner Sohn Iljuscha, den die Kinder David Cakmak und Mina Sikrôvset an wechselnden Abenden spielen, lässt sich erkaufen.

Am Ende umarmen sich die zerzausten, vom Leben ermatteten drei Brüder. Sie glauben gefunden zu haben, wonach sie sich so sehnten, eine Kindheit, eine Zukunft. Rosig sieht sie nicht aus.

Weitere Aufführungen 

Jeweils um 15 Uhr:

4.11., 5.11., 9.12., 10.12.2023,

13.1.2024, 14.1., 10.2., 11.2., 28.3., 29.3. 27.4., 28.4., 25.5., 26.5.,22.6.,23.6.2014

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