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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (23)

“Der Geizige“ von Molière in einer Fassung von Sabrina Zwach und “0rlando“ nach Virginia Woolf

Von Renate Feyerbacher

Fotos: Thomas Aurin / Der Geizige und Jessica Schäfer / Orlando

„Der Geizige“, dieses Lustspiel des französischen Komödiendichters Jean Baptiste Poquelin alias Molière,  (1622-1773) ist in der Bankenstadt Frankfurt, wo die Goldkammer ist, übrigens gut angesiedelt. Denn die Banken können Geiz nicht gebrauchen. Sie machen trotz oder gerade wegen weltweiter Kriege und Krisen hohe Gewinne, die Mieten steigen enorm und bedrohen die Existenz vieler Menschen, die Obdachlosigkeit ist hoch. Aber kommen solche Gedanken in der Inszenierung überhaupt vor?

Der Geizige von Molière in einer Fassung von Sabrina Zwach Regie: Mateja Koležnik, Peter Schröder, Foto: Thomas Aurin

Von Molière sind 32 Komödien erhalten: zu den berühmtesten gehören „Le Tartuffe“, „Don Juan“, „Le malade ingaginaire“ (“Der eingebildete Kranke“), „Le bourgeois gentilhomme“ („Der Bürger als Edelmann“). Seine Protagonisten sind durch bestimmte Eigenschaften gekennzeichnet: Egoismus, Geiz, Habgier, Heuchelei, Dünkel, Einbildung von Krankheit (Hypochondrie). Molière nimmt die Zustände seiner Zeit ins Visier, kritisiert den Adelsstand, die Neureichen, die Ärzte, auch Bürger. Er selbst aus reichem Haus, aufgewachsen unter hochadeligen Mitschülern im Jesuitenkolleg, zunächst Schauspieler, Gründer einer Theatertruppe, ab 1664 Stückeschreiber für den Hof von König Ludwig XIV., der seine Hand über ihn hielt.

Die Idee zur Komödie „Der Geizige „ (L’avare“), die 1668 im königlichen Theater in Paris uraufgeführt wurde, kam Molière vom römischen Dichter Titus Maccius Plautus, (3. Jahrhundert vor Chr.), dessen Hauptfigur ein armer Tropf war, der durch Zufall einen großen Schatz fand, den er aber weggab, weil er ihm Kummer und schlaflose Nächte bereitete.

Der französische Dichter macht daraus eine andere Geschichte. Harpagon bleibt ein Geizhals. Er ist reich geworden und diesen Reichtum will er vermehren – seine Habgier ist maßlos. Durch seinen Geiz droht er das Leben der eigenen Kinder, das von Sohn Cléante und das von Tochter Élise, zu zerstören.

Vor einer meterhohen symbolischen Goldwand (Bühnenbild Olaf Altmann, ein Meister hoher, großer Räume) bewegt sich mit dem Rücken zum Publikum, ekstatisch, gekonnt, elegant, fast spinnenhaft eine Figur mit nacktem Oberkörper, langen Haaren, hohen schwarzen übers Knie gehenden Stiefeln. Kaum zu glauben: es ist der Schauspieler Peter Schröder, seit 2012 einer der bedeutendsten Ensemblemitglieder des Schauspiel Frankfurt. In einer solchen Rolle war er noch nie zu erleben. Er ist sprachlich hervorragend, interpretiert oft tiefsinnige Partien. Ein Ekel ist er nicht, sondern sogar sympathisch.

Harpagon, schnell mit schwarzem Oberteil bedeckt – außergewöhnliche Kostüme von Ana Savic Gecan, die schnelle Veränderungen zulassen –, macht sich an der Goldwand zu schaffen, kratzt vorsichtig geradezu liebevoll ein Fleckchen weg. Die Truhe mit den Goldstücken hat er im Garten vergraben – eigenhändig, damit niemand weiß wo. Rechts und links von der Goldwand sind Pendeltüren, die den späteren Turbulenzen zugute kommen.

Peter Schröder nach der Premiere am 21.9.2023, Foto: Renate Feyerbacher

Harpagon verbietet dem Sohn die Heirat mit Mariane, die aus bescheidenen Verhältnissen kommt. Da sie anspruchslos sein könnte, will er, der Alte, die junge Frau heiraten. Der Sohn dagegen soll eine reiche alte Witwe ehelichen und Tochter Élise einen wohlhabenden, älteren Herrn. Für Beide ist dann keine Mitgift notwendig. Élise liebt den mittellosen jungen Edelmann – genannt Valère, der sich bei Harpagon als Hausverwalter eingeschlichen hat.

Schuldzuweisungen, Namenstäuschungen, Verdächtigungen sind gang und gäbe. Alle versuchen, geschickt zu taktieren. Als Harpagons Goldkassette gestohlen wurde, ist die Hölle los. Der Zufall beruhigt das Geschehen: wie aus dem Nichts taucht am Ende Anselme, der tot geglaubte Vater von Valère und Mariane, auf. Er ist der alte Reiche, den Élise heiraten sollte. Harpagon bekommt seine Kassette zurück, Élise und Cléante können mit ihren Auserwählten getraut werden.

Der Geizige, hier: Andreas Vögler, Peter Schröder, Jannik Mühlenweg, Bühnenbild von Olaf Altmann, Kostüme: Ana Savic-Gecan, Foto: Thomas Aurin

Die mehrfach ausgezeichnete slowenische Regisseurin Mateja Koležnik ist bekannt für ihre tiefsinnigen Inszenierungen dramatischer Theaterliteratur. Nun diese Komödie von Molière, die sie anzüglich nach dem Motto Geld und Sex in Szene setzt. „Nicht mit den Reizen geizen!“ Frosine, die Kupplerin (Katharina Lindner), arbeitet mit ihrem üppigen Busen, und die jungen Frauen locken mit viel Beinfreiheit. Die Männer tragen Goldkettchen und benehmen sich ziemlich divers. Übertreibungen amüsieren das Publikum. Das geht manchmal auch bis zum Klamauk wie zum Beispiel die Furzerei des Hausangestellten. Molières unterschwellige Kritik geht dabei allerdings unter. In Harpagon wird die Geldgier mehr oder weniger gefeiert.


Das Team nach der Premiere mit Regisseurin Mateja Koležnik, Foto: Renate Feyerbacher

Die Schauspielerinnen und Schauspieler setzten dieses Konzept vortrefflich um: allen voran Peter Schröder, der Titelheld, Torsten Lässig als Cléante, Sarah Grunert als Élise, Jannik Mühlenweg als Valère, Tanja Merlin Graf als Marianne und auch die Darsteller der männlichen Nebenrollen.

Für das Publikum war es eine tolle Spielzeiteröffnung.

Weitere Vorstellungen 

am 28.10., am 11., 15. und 20.11., 2.12. 2023

Orlando – eine Biografie nach Virginie Woolf

Die englische Schriftstellerin Virginia Woolf (1882-1941) hat 1928 den Roman „Orlando“ geschrieben. Er wurde nun in Frankfurt zu einem Bühnenstück umgeschrieben. Von wem, geht aus Unterlagen des Schauspiels nicht hervor. Woolf, aus einem intellektuellen Elternhaus stammend, war eine ausgezeichnete Essayistin und Tagebuchschreiberin. Befreundet war sie mit der englischen Lyrikerin und Reiseschriftstellerin Victoria Sackville-West, Vorbild für Orlando. Eine Liebeserklärung.

Es ist das Jahr 1570. Orlando wird geboren, seine Familie reicher Landadel. Er schlüpft über drei Jahrhunderte ständig in neue Rollen: er ist ein Knabe, der von literarischem Ruhm träumt, ein Page, der die Gunst von Königin Elisabeth gewinnt, dann Gesandter am türkischen Hof ist, eine Zigeunerin heiratet, sich dann in eine Frau verwandelt und nach England zurückkehrt.

Woolf beschreibt einen Wandel des Daseins und erzählt die mehrfachen Verwandlungen des androgynen Orlandos.

Orlando – eine Biografie nach Virginia Woolf,  Regie: Anselm Weber und Katrin Spira, hier: Angelika Bartsch, Rokhi Müllern links: Sonja Beißwenger, Annie Nowak, Foto: Jessica Schäfer

Orlando lebt die individuelle Freiheit.

Die beiden Erzählerinnen (Sonja Beißwenger und Annie Nowak) beginnen in der Jetztzeit und kehren dann in die Vergangenheit zurück. In einer Stunde 30 Minuten zieht der geschichtliche Bilderbogen, die Stationen des Erwachsenwerdens am Zuschauer vorbei – schnell und nicht immer gut verständlich, weil zu leise gesprochen wird. Teils unverständlich, wenn man weit weg vom Sofa sitzt, auf dem die Erzählerinnen Platz nahmen. Alles wird nur angedeutet – erscheint wie improvisiert.

Gesang spielt eine große Rolle nicht nur Pop, sondern auch Henry Purcells „Cold Song“ („What power art thou“), fantastisch gesungen von Annie Nowak. (Musik: Bert WredeAna Savic Gecan ausgefallene Kostüme).

Die Schauspielerinnen und Schauspieler übernehmen mehrere Rollen, das erschwert das Verständnis: brillant Angelika Bartsch und Rokhi Müller ebenso André Meyer und Mark Tumba.

Regie geführt haben Intendant Anselm Weber und Dramaturgin Katrin Spira. Angekündigt war bei der Pressekonferenz im Mai für die Spielzeit 2023/ 2024, dass nur Regisseurinnen inszenieren werden. Jessica Glause war für „Orlando“ vorgesehen. Kurzfristig, denn im gedruckten September/Oktober-Spielplan steht sie als Regisseurin noch drin, ist sie aus persönlichen Gründen, wie es heißt, von der Regie zurückgetreten.

Es wäre die vierte Arbeit der vielfach Ausgezeichneten am Schauspiel Frankfurt gewesen. Sie arbeitet an den großen deutsch-sprachigen Theatern. Ihre Inszenierung in Frankfurt von „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ des israelischen Autors David Grossman  beeindruckte. Eine Besprechung ist zu lesen in „Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (17)“

Es wäre interessant gewesen, „Orlando“ aus der Sicht einer Regisseurin zu erleben.

Weitere Aufführungen am 26.10., am 10., 24. (Publikumsgespräch) und am 25.11.2023.

www.schauspielfrankfurt.de

Telefonischer Kartenverkauf: 069-212-4949

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