„Gemischtes Doppel – Die Molls und die Purrmanns“ im Museum Wiesbaden
Zwei Künstlerpaare zwischen Lovis Corinth und Henri Matisse – eine farbprächtige Augenweide
Von Hans-Bernd Heier
Unter dem frappierenden Titel „Gemischtes Doppel“ präsentiert das Museum Wiesbaden erstmals in einer großen Sonderausstellung das künstlerische Schaffen der Ehepaare Moll und Purrmann. Zu bewundern sind über 100 Werke, darunter jeweils 25 Gemälde und Skulpturen von Marg(arete) und Oskar Moll sowie Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann, den Mitbegründern der „Académie Matisse“. Ergänzt wird die farbprächtige Schau durch exzellente Arbeiten von renommierten Künstlern, die die künstlerischen Werdegänge der Eheleute prägten, wie Henri Matisse, Lovis Corinth, Max Liebermann, Sabine Lepsius und Franz von Stuck.
Ausstellungsansicht; © Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert
Der Titel „Gemischtes Doppel“ verblüfft zunächst, stammt er doch aus dem Tennis, wie Dr. Roman Zieglgänsberger, Kurator der Ausstellung, erläutert. „Zwei Paare spielen sich die Bälle zu und steigern sich zu Höchstleistungen, genau das geschah auch mit Marg und Oskar Moll sowie Hans und Mathilde Purrmann – mit dem einzigen Unterschied, dass die Inspiration nicht nur innerhalb der Ehepartner von den Männern auf die Frauen übersprang, sondern auch paarübergreifend und von den Frauen auf die Männer – genau dies, überraschende, bislang unbeachtete Wege der Inspiration, möchte die Ausstellung aufzeigen“.
Ausstellungsansicht; © Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert
Marg(arete) und Oskar Moll sowie Hans und Mathilde Purrmann waren nicht nur zeitweise freundschaftlich eng verbunden und kurz nach der Jahrhundertwende Teil jener Bewegung, die dem deutschen Impressionismus zu mehr Expressivität verhalf. Sie gründeten auch 1908 in Paris zusammen mit weiteren Engagierten die hoch angesehene und frequentierte Académie Matisse, die eine regelrechte Kaderschmiede war und für den französischen Fauvismus eine wesentliche Brücke nach Deutschland darstellte. „Damit hatten sie größten Anteil daran, dass die Kunst ihres weltberühmten Lehrers und geschätzten Freundes Henri Matisse sehr bald auch Deutschland erreichte. Die vielen gegenseitigen Besuche vor dem Ersten Weltkrieg – sei es in Paris, München oder Berlin – beförderten, dass die aktuellen französischen Tendenzen sehr schnell in Deutschland für Furore sorgten und von den aufgeschlossenen progressiven Künstlerinnen und Künstlern wahrgenommen werden konnten“, so Direktor Dr. Andreas Henning.
Das „Gemischte Doppel“ beleuchtet mit den beiden Paaren – „mit ihren populäreren Malern auch deren zwei relativ unbekannte Partnerinnen – das gesellschaftliche Normengefüge und ihre Geschlechterrollen. Nicht nur entstammen die vier Künstler:innen aus großbürgerlichen, wilhelminisch geprägten Verhältnissen; sie fassten etwa zeitgleich für sich vor dem jeweiligen Kennenlernen des Partners, den festen Entschluss, Künstler zu werden“, so Zieglgänsberger. Sowohl Oskar Moll wie auch Hans Purrmann strebten nach der Eheschließung ausgeglichene Partnerschaften an und wollten, dass ihre Partnerinnen weiterhin künstlerisch tätig blieben. Doch trotz dieser ungewöhnlichen Aufgeschlossenheit der Männer erwiesen sich die gesellschaftlichen Normen als schwierig zu überwinden, was sich auch daran zeigt, dass das Werk der beiden Künstlerinnen deutlich schmaler ausfällt und weniger erforscht ist.
Ausstellungsansicht mit Besucherin ; © Foto: Museum Wiesbaden/ Bernd Fickert
Im Fokus der Forschung standen bislang die männlichen Mitglieder der Académie Matisse – etwa Rudolf Levy, Oskar Moll oder Hans Purrmann. Kaum beachtet wurden dagegen die Beiträge der Künstlerinnen innerhalb der Gruppe. Marg Moll fand als einzige Bildhauerin innerhalb der Gruppe lange Zeit ebenso wenig Anerkennung wie die Malerin Mathilde Vollmoeller, die Hans Purrmann 1908 in Paris kennenlernte und 1912 heiratete. Dies war umso erstaunlicher, als Marg Moll Gründungsmitglied der Académie war und Mathilde Vollmoeller zum Zeitpunkt ihrer Bekanntschaft mit Hans Purrmann wesentlich mehr Erfolge in Paris vorzuweisen hatte als ihr zukünftiger Mann.
Alle vier Künstler werden mit ihrem gesamten Schaffen gleichwertig vorgestellt, in der klar gegliederte, thematisch gehängten Schau, auch mit etlichen Hauptwerken. „Sie verdeutlicht ihre wichtigsten Berührungspunkte untereinander sowie ihre künstlerischen Übereinstimmungen und Eigenständigkeiten. Auch werden die Verbindungen der Protagonisten zum deutschen Impressionismus aufgezeigt und einer neuen Bewertung unterzogen“, so der Kurator. Es war nicht nur die „Inspiration Paris“, welche die Vier zu Höchstleistungen anregte. Erstmals widmet sich eine Ausstellung in zwei Sälen ihrer impressionistischen frühen Phase, in der sie als junge Künstler bereits bemerkenswerte Arbeiten schufen. In der Ausstellung treten die Kunstwerke der Molls und Purrmanns erstmals im Rahmen einer musealen Präsentation in Dialog.
Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann auf Korsika, 1912; Foto: Hans Purrmann Archiv, München
Hans Purrmann, 1880 in Speyer geboren, absolvierte zunächst eine Malerlehre im väterlichen Handwerksbetrieb, bevor er an der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe und dann an der Münchner Akademie Malerei studierte, unter anderem bei Franz von Stuck. Anschließend zog er nach Berlin und orientierte sich an der Malerei der Berliner Sezessionsgrößen Lovis Corinth, Max Liebermann oder Max Slevogt. Er schuf dort Werke, die als außerordentliche Arbeiten des deutschen Spätimpressionismus gelten. Das Talent von Mathilde Vollmoeller, geboren 1876 in Stuttgart, wurde bereits um die Jahrhundertwende in Berlin von der Malerin Sabine Lepsius erkannt und gefördert.
Oskar Moll, 1875 in Brieg/Schlesien geboren, war ein enger Freund von Lovis Corinth, dessen Bilder er auch sammelte und den er mit Porträtaufträgen versorgte. „Seine impressionistischen Werke brauchen den Vergleich zu seinem frühen Mentor nicht zu scheuen – weder was die Motive und den kraftvollen Farbauftrag noch was die Komplexität der Kompositionen betrifft“, betont Zieglgänsberger. Von Marg Moll, 1884 in Mülhausen/Elsass geboren, sind nur wenige Werke aus der Frühphase des deutschen Aufbruchs in die Moderne erhalten. Es mag als Hinweis auf ihre starke Persönlichkeit und ihr eindrückliches künstlerisches Können gelten, dass zwei der größten Maler ihrer Zeit – Corinth im Jahr 1907 und Matisse 1908 – anspruchsvolle Porträts von ihr angefertigt haben.
Marg und Oskar Moll in Caputh, 1906; Foto: Nachlass Marg Moll
Übrigens erhielt Margarete Haeffner, so der Mädchenname von Marg Moll, ab 1902 eine duale Ausbildung in Wiesbaden bei Hans Völcker zur Malerin und in Frankfurt bei Louise Schmidt zur Bildhauerin. Völcker, der das Oktogon im Wiesbadener Museum gestaltet hat, empfahl ihr 1905 seinen Freund Oskar Moll als Lehrer – eine lebensentscheidende Begegnung für beide. Später in Berlin erhielt sie bei Lovis Corinth Unterricht im Aktzeichnen.
Purrmann zog 1905 als Erster des Doppels nach Paris. Er verkehrte im „Café du Dôme“, einem beliebten Treffpunkt deutscher Künstler, laut Kunstkritiker Julius Meier-Graefe, Sammler Karl Ernst Osthaus und Kunsthändler Alfred Flechtheim. Sein Atelier befand sich unter dem seiner zukünftigen Frau Mathilde Vollmoeller, die inzwischen ebenfalls nach Paris gezogen war. Vollmoeller verzeichnete unter den vier Kunstschaffenden in Paris die größten Erfolge. Sie konnte ihre Arbeiten mehrfach sowohl im „Salon d’Automne“ als auch im „Salon des Indépendants“ präsentieren. 1908 gelang dies im Salon d’Automne auch Oskar Moll, der nur kurz zuvor gemeinsam mit seiner Frau nach Paris gekommen war.
Anfang Januar 1908 gründeten die Vier zusammen mit anderen Künstlern die Académie Matisse, deren Manager Purrmann wurde. Das enge Verhältnis der Vier zu Matisse geht nicht nur aus den vielen Werken, die sie von ihm gesammelt haben hervor, sondern auch aus den vielen gegenseitigen Besuchen in Berlin, Heidelberg, München und Paris. Das Herzstück der beeindruckenden Wiesbadener Schau ist dieser Zeit im Umfeld um Henri Matisse zwischen 1907 und 1914 gewidmet. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf den Gattungen „Landschaft“, „Akt“ und „Stillleben“. In diesen Gattungen haben alle vier Künstler ihren lebendigen Kolorismus entwickelt – „eine Augenweide“, schwärmt Direktor Henning.
Ausstellungsansicht; Foto: Hans-Bernd Heier
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete das gemeinsame Kapitel Paris. Die Molls konnten von Berlin aus nicht mehr dorthin reisen. Die Purrmanns verloren ihre Pariser Wohnung samt Atelier. Aus gesundheitlichen Gründen wurden Oskar Moll und Hans Purrmann vom Kriegsdienst befreit. Beide Paare hatten inzwischen mehrere Kinder – die Molls zwei Töchter und die Purrmanns zwei Töchter und einen Sohn. Mit der damals üblichen gesellschaftlichen Rollenverteilung, dass Frauen die Erziehungsarbeit übernehmen, kam Marg Moll besser zurecht. Ihr gelang es, ihre Karriere weiterzuverfolgen, und sie nahm gemeinsam mit ihrem Mann und Hans Purrmann mit Skulpturen und Zeichnungen an Ausstellungen in Berlin (1915) und Wiesbaden (1916) teil. Mathilde Purrmann blieb zwar weiterhin künstlerisch mit Aquarellmalerei tätig, zog sich aber vom Ausstellungsbetrieb zurück.
Die Molls zogen zur Jahreswende 1918/19 nach Breslau, als Oskar Moll eine Professur für Malerei an der dortigen Akademie erhielt. Mit dem Umzug nach Breslau kühlte das Verhältnis zwischen den beiden Künstlerpaaren merklich ab. Die Purrmanns hatten bereits 1919 in Langenargen am Bodensee ein Fischerhaus erworben, wo sie sich im Wechsel mit der Hauptstadt bis 1935 immer wieder aufhielten und zeitweise auch in Rom. Obwohl die Paare nur noch wenig persönlichen Kontakt hatten, standen sie sich aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk von Henri Matisse künstlerisch nahe.
Ausstellungsansicht mit Besucherin; © Foto: Museum Wiesbaden/ Bernd Fickert
Für alle vier bedeutete der Machtwechsel zum Nationalsozialismus im Januar 1933 einen harten Einschnitt. Beide Maler standen, weil sie stets die Kunst des Franzosen Henri Matisse offensiv propagiert hatten, von Beginn an im kritischen Fokus nationalsozialistischer Kulturpolitik. Von ihnen wurden über 30 Werke aus öffentlichen Museen beschlagnahmt und jeweils zwei Gemälde in der Schand-Aktion „Entartete Kunst“ diffamiert. Darunter war auch Marg Molls Bronze „Tänzerin“, die jetzt in der Wiesbadener Schau zu bewundern ist.
Die großartige Präsentation, die durch die Hans Purrmann Stiftung, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Nassauische Sparkasse, die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und die Freunde des Museums Wiesbaden gefördert wird, ist bis zum 18. Februar 2024 im Museum Wiesbaden zu sehen und wandert anschließend nach Neu-Ulm in das Edwin Scharff Museum.
Neben einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm findet freitags während der Ausstellungslaufzeit eine besondere Aktion statt: Gäste können zu viert kommen und zahlen nur für zwei. Ferner hat das Hotel Nassauer Hof Wiesbaden im Rahmen einer Kooperation zur Ausstellung ein Gericht kreiert, welches von der Farbharmonie des Gemäldes „Stillleben mit roter Decke“ von Hans Purrmann inspiriert wurde. Gäste können vom 13. Oktober 2023 bis zum 18. Februar 2024 im Restaurant Orangerie in den Genuss von „Purrmanns Tiramisu“ kommen und dabei das Kunstwerk mit allen Sinnen erfahren.
Zur Ausstellung ist ein profunder wissenschaftlicher Katalog erschienen; Preis: 32 € an der Museumskasse. Eine kostenfreie Media Tour in der MuWi-App begleitet die Schau.
Weitere Informationen unter:
http://www.museum-wiesbaden.de