Verleihung des Hessischen Film-und Kino-Preis 2023 in der Alten Oper (1)
Vorhang auf und ein paar Fragen offen
Von Petra Kammann
Nach drei Jahren schien die Prominenz aus der hessischen Filmwelt wieder in die Alte Oper zurückgekehrt, wo der Hessische Kino- und Filmpreis im Rahmen einer feierlichen Gala in der Alten Oper in Frankfurt vergeben wurde. Doch gab es eine oscarähnliche Stimmung wie noch vor ein paar Jahren? Oder haben wir das Feiern verlernt und die Ansprüche in der Corona-Pandemie heruntergeschraubt, fand doch die Verleihung des Hessischen Film- und Kinopreises in diesem Jahr nur im kleineren Rahmen statt? Es kamen lediglich 750 statt 2000 Gäste. Krise und Gala. Glamour und Ernst. Präsenz und Absenz. Lässt sich das nicht verbinden? Müssen da zwangsläufig auch Leichtigkeit und Humor des Illusionstheaters Film ein wenig auf der Strecke bleiben?
Vorhang auf für den Hessischen Film- und Kino-Preis, Foto: Petra Kammann
„Wir sind froh, dass wir die Welt des Films und des Kinos wieder feiern können – und vor allem die vielen Menschen, die dort arbeiten, die kreativ sind, die sich engagieren“, sagte Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn (Grüne) als Gastgeberin des Festakts. „Gut gemachte, künstlerisch hochwertige und sorgfältig recherchierte Filme ermöglichen einen differenzierten Blick auf die Welt“, so Dorn, die im Laufe des Abends gleich zweimal auf die Bühne trat, später nämlich in Vertretung des Ministerpräsidenten Boris Rhein.
Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) im Gespräch mit dem Moderator Rainer Ewerrien, Foto: Petra Kammann
Vieles an diesem Abend hat einen leichten Beigeschmack. Interessierten sich die für das Konzept Verantwortlichen nicht ernsthaft für das Ereignis? Oder hatten sie nur die Bebilderung von Ideologien aktueller Politik im Sinn, wie es bei einigen der ausgezeichneten Filme der Fall war?
Mehr Glanz hätte sicherlich nicht geschadet. Ihn hätte vor allem eine nach Frankfurt gebracht: die im wahrsten Wortsinn ausgezeichnete Schauspielerin Alexandra Maria Lara. Sie hatte zum Beispiel in Rollen wie Hitlers Sekretärin Traudl Junge im Bunker-Drama „Der Untergang“ von Oliver Hirschbiegel und Bernd Eichinger überzeugt, auch an der Seite von Kate Winslet in „Der Vorleser“ oder in „Small World“ mit Gérard Depardieu.
Trägerin des Ehrenpreises des Ministerpräsidenten Alexandra Maria Lara, Foto: Sisleyparisofficial
Alexandra Maria Lara wurde mit dem undotierten Ehrenpreis des Ministerpräsidenten Boris Rhein ausgezeichnet. Der allerdings glänzte leider allein durch Abwesenheit. Auch die zu ehrende Schauspielerin selbst wurde lediglich aus Fuerteventura zugeschaltet. So trug die hessische Kulturministerin Angela Dorn in Vertretung des Landeschefs Boris Rhein (CDU) dessen Rede vor. Darin bescheinigte er der Schauspielerin, dass sie mit ihrer Präsenz und ihrem Können das Publikum weltweit begeistere. Sie verkörpere die Vielfalt und die Qualität des deutschen Films. Gegen die Entscheidung für die wunderbare, so authentische wie bescheidene und inzwischen allseits anerkannte Schauspielerin Alexandra Maria Lara wird sicher im Saal niemand etwas eingewendet haben.
Der Ehrenpreis des Ministerpräsidenten ging an die zugeschaltete Schauspielerin und Präsidentin der Deutschen Filmakademie Alexandra Maria Lara, Foto: Petra Kammann
In zahlreichen Filmrollen unterschiedlicher Genres habe sie – so hieß es in Boris Rheins Rede weiter – in nationalen und internationalen Produktionen mit ihrer außergewöhnlichen Darstellungskraft und ihrem Charisma überzeugt und ihr Talent unter Beweis gestellt. Dass ihr der deutsche Film am Herzen liege, unterstreiche Alexandra Maria Lara auch durch die Tatsache, dass sie als Präsidentin der Deutschen Filmakademie seit 2022 gemeinsam mit Florian Gallenberger Verantwortung übernommen habe und das Ansehen des deutschen Films fördern wolle, unterstrich Rhein.
Auch wenn sich Alexandra Maria Lara gerade in einem Dreh in Fuerteventura befindet, war eine solche Präsentation misslich. Es konnte leicht der Eindruck entstehen, der Preis sei vielleicht doch nicht so bedeutsam, dass eine persönliche Präsenz notwendig sei. Natürlich kann man sich heute etliche Statements in der filmischen Konserve anschauen, braucht dafür dann aber auch keine festliche Veranstaltung. Das hätte man bei der Organisation vielleicht berücksichtigen sollen, wenn man vermeiden möchte, dass der Hessenfilm am Ende in die Provinz verbannt wird.
„Men in Blech“ sorgten zu Beginn für Stimmung, Foto: Petra Kammann
Insofern waren vergleichsweise die finanziell sicher wesentlich günstigeren Live-Ergebnisse und Veranstaltungen auf der benachbarten Buchmesse um ein Vielfaches überzeugender. Sei es auf der Messe selbst oder bei den zahlreichen Autorenveranstaltungen in der Stadt unter dem Dach von „open books“. Dort konnten die begeisterten Leser und Leserinnen mit den so zahlreich angereisten Schriftstellern und Schriftstellerinnen nämlich unmittelbar in Kontakt treten, sich mit ihnen über Gelesenes austauschen oder sich inspirieren lassen. Der Hunger nach menschlichem Austausch live und die Dankbarkeit dafür war dort allüberall deutlich zu spüren.
Open Books mit Tamara Stajner „Nieshof“ am 20.10.2023 in den Römerhallen bei „Debüts im Römer“, Foto: Alexander Paul Englert
Roadmovie als bester Spielfilm ausgezeichnet
In der Kategorie „Bester Spielfilm“ wurde in diesem Jahr das komische Roadmovie „Vamos a la Playa“ ausgezeichnet. Regisseurin Bettina Blümner erzählt darin von drei befreundeten Personen, die nach Kuba reisen und dort mit ihren eigenen Privilegien konfrontiert werden. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.
Moderatorin Annabelle Mandeng und Ko-Moderator Rainer Ewerrien im Gespräch mit HR-Intendant Florian Hager, Foto: Petra Kammann
Weitere Auszeichnungen gingen an den Dokumentarfilm „Einzeltäter Teil 3: Hanau“ von Julian Vogel (18.000 Euro Preisgeld). Der Film als Teil der Trilogie „Einzeltäter“, widmet sich Menschen, die bei den rechtsextremen Anschlägen von München 2016, Halle 2019 und Hanau 2020 Angehörige verloren haben. Julian Vogel bedankte sich bei den vom Hanauer Attentat betroffenen Anwesenden, die um weitere Aufklärung der Tat kämpfen, dass sie ihm in vielen Stunden die Möglichkeit gaben, der Geschichte intensiv nachzugehen. Sie blieben jedoch im Denken des Saals.
Mario Pfeifer konnte sich für „Zelle 5 – Eine Rekonstruktion” über den Preis für den besten Kurzfilm freuen und Emiliano Proietti, Absolvent an der Hochschule RheinMain, über den besten Hochschul-Abschlussfilm für seine Doku „Work in Transition“. Als „Bestes Drehbuch“ wurde Oliver Hardt für das Werk „Jumoke“ ausgezeichnet (jeweils 7.000 Euro).
Julian Vogel wurde für „Einzeltäter Teil 3: Hanau“ ausgezeichnet, Foto: Petra Kammann
In dieser Auswahl zeigt sich eine Überbetonung des politisch Korrekten und eine Einengung des möglichen vielfältigen Spektrums beim Film. Diese Ausweitung hätte der Veranstaltung sicherlich gut getan. Aber, so betonten es die Moderatoren, es sei gerade darum gegangen, Haltung zu zeigen und Solidarität mit Minderheiten auszudrücken.
Beste Haupt- und Nebenrolle und erstmals ein Ensemble-Preis vom HR
Auch der Hessische Rundfunk vergab mit einer eigenen Jury zwei Preise: für die beste Haupt- und Nebenrolle. Als beste Hauptrolle wurde in diesem Jahr Petra Schmidt-Schaller für ihre Leistung in der ARD-Serie „Ein Schritt zum Abgrund“ ausgezeichnet.
Sie spiele „überragend eine kluge, eigenwillige, starke und unberechenbare Frau, die sich von ihrem Ehemann hintergangen fühlt“, hieß es in der Begründung. Durch ihr „virtuoses Spiel“ führe sie den Zuschauerinnen und Zuschauern eine moderne und überzeugende Variante des Medea-Mythos vor.
Petra Schmidt-Schaller musste erst einmal tief durchatmen bei ihrer Dankesrede für „Ein Schritt zum Abgrund“, Foto: Petra Kammamm
Der Preis für die beste Nebenrolle ging an Brigitte Hobmeier. Im neuen hr-Tatort „Murot und das Paradies“ spiele sie „mephistohaft“ und ziehe so nicht nur Kommissar Murot, sondern auch die Zuschauer in den Bann, so die Jury.
Präsentation der anwesenden Akteure, Foto: Petra Kammann
Zum ersten Mal ehrte die hr-Jury ein ganzes Ensemble: die Darsteller und Darstellerinnen des Films „Was man von hier aus sehen kann“. Dabei kann man annehmen, dass das Ensemble der Darsteller auch vom altmodischen Charme des Drehortes angetan war, der 3000-Einwohner-Stadt Ulrichstein, die am höchsten Punkt im Vogelsberg liegt. Im Film wird aus diesem Ort allerdings eine Kleinstadt im Westerwald.
„Wir waren von der schauspielerischen Gesamtleistung total beeindruckt“, schwärmte die bekannte Moderatorin und Jurypräsidentin Cécile Schortmann: „Das ist einfach so ein originelles Miteinander, teilweise slapstickartig, dann aber auch wieder ernster oder poetisch.“
HR-Juryvorsitzende Cécile Schortmann moderierte von der Alten Oper für die ARD, Foto: Petra Kammann
Kasseler Filmemacher ist bester Newcomer
Der deutsch-iranische Filmemacher Behrooz Karamizade hatte schon vor der Verleihung als Preisträger des mit 7.500 Euro dotierten Nachwuchspreis festgestanden. Sein im Sommer veröffentlichter erster Langfilm „Leere Netze“ war außerdem als bester Spielfilm nominiert.
Newcomer-Preis für den deutsch-iranischen Filmemacher Behrooz Karamizade für „Leere Netze“, Foto: privat
Über die Vergabe des mit 7.500 Euro dotierten Newcomer-Preis hatte die Ministerin für und Wissenschaft und Kunst Angela Dorn (Grüne) persönlich entschieden, mit der Begründung, dass der Kameramann, Cutter und Produzent mit seinen 45 Jahren zwar nicht dem typischen Bild eines Newcomers entspreche. Es gehe bei der Auszeichnung jedoch „nicht unbedingt um junge Menschen, sondern um solche, die gerade ankommen in der Hessischen Film- und Medienbranche“, und auch um „Innovation, Potenzial und Talent“. Und genau das verkörpere Karamizade, so Dorn. Große Teile seines Films waren ursprünglich im Iran unter schwierigen Bedingungen gedreht worden. Der Film zeigt zwei Liebende, die nicht miteinander sein können, weil die Gesellschaft, in der sie leben, diese Liebe nicht zulässt und akzeptiert…
Preisübergabe des Newcomer-Preises an Behrooz Karamizade mit dem Kamera-Altmeister und Laudator Thomas Mauch, Foto: Petra Kammann
In der Jurybegründung heißt es: „,Leere Netze‘ gelingt mit stark inszenierten Schauspieler*innen aus einer Geschichte eine gesellschaftliche Parabel zu machen und bleibt dabei doch immer klar bei den Emotionen der Protagonist*innen. Bildgewaltig und in der Tradition des iranischen Kinos erzählt Karamizade eine Geschichte, die unbedingt ins Kino gehört.“
Sondervorstellungen ausgezeichneter Filme
Fast Einzelkämpferin – Sabine Imhof, Filmforum Höchst, freut sich über die Auszeichnung, Foto: Petra Kammann
Mit dem Hessischen Kinopreis zeichnete die Landesregierung zudem 20 gewerbliche und nicht gewerbliche Programmkinos und Filmkunsttheater mit insgesamt 150.000 Euro aus; die Hauptpreisträger – das Mal seh’n-Kino in Frankfurt, der Filmladen Kassel und das Traumstern Kino in Lich – erhielten ein Preisgeld in Höhe von je 20.000 Euro. Sie können das Preisgeld ganz besonders gut gebrauchen. Denn was wäre ein guter Film ohne eine geeignete Kinoleinwand?
Wer die am Freitagabend ausgezeichneten Filme auf der großen Leinwand sehen wollte, hatte am an Veranstaltungen nicht gerade armen Buchmessenwochenende in mehreren hessischen Städten die Chance: Das Cinéma Frankfurt, die Filmbühne Bad Nauheim (Wetterau), das Programmkino Rex in Darmstadt und das Capitol Kino in Witzenhausen (Werra-Meißner) hatten Sondervorstellungen im Programm.
Zu den Filmen im Einzelnen demnächst mehr.
Weitere Gewinner:
Regisseurin Bettina Blümner über den tragikomischen Film „Vamos a la Playa“, Foto: Petra Kammann
Spielfilm: „Vamos a la Playa“ von Bettina Blümner. Nominiert waren außerdem „Was man von hier aus sehen kann“ von Aron Lehmann und „Leere Netze“ von Behrooz Karamizade. Der Gewinner erhält 18.000 Euro Preisgeld, alle drei Nominierten je 4.000 Euro Nominierungsgeld.
Dokumentarfilm: „Einzeltäter Teil 3: Hanau“ von Julian Vogel. Nominiert waren außerdem „Das Kino sind wir“ von Livia Theuer und „Fitness California“ von Nadine Zacharias. Der Gewinner erhält 18.000 Euro Preisgeld, alle drei Nominierten je 4.000 Euro Nominierungsgeld.
Kurzfilm: „Zelle 5 – Eine Rekonstruktion” von Mario Pfeifer. Nominiert waren außerdem: „Emo Doc“ von Chao Wu und „Als Gottes Blut auf die Schultern der Kinder tropfte“ von Aria Azizi. Der Gewinner erhält 7.000 Euro Preisgeld, alle drei Nominierten je 1.000 Euro Nominierungsgeld.
Hochschulabschlussfilm: Dokumentarfilm „Work in Transition“ von Emiliano Proietti, Hochschule RheinMain. Nominiert waren außerdem der Animationsfilm „Vom Duft der roten Beete und den Menschen, die ewig leben“ von Petra Stipetic und Maren Wiese, Kunsthochschule Kassel und der Dokumentarfilm „Von dem, was bleibt“ von Johanna Groß, Kunsthochschule Kassel. Der Gewinner erhält 7.000 Euro Preisgeld, alle drei Nominierten je 1.000 Euro Nominierungsgeld.
Drehbuch: „Goldfisch im Dunkeln“ von Kimia Eyzad Panah. Nominiert waren außerdem „Paws“ von Lukas Rinker und „Jumoke“ von Oliver Hardt. Der Gewinner erhält 7.000 Euro Preisgeld, alle drei Nominierten je 1.000 Euro Nominierungsgeld
Newcomerpreis,: Der mit 7.500 Euro dotierte Newcomerpreis, über dessen Vergabe die Kunst- und Wissenschaftsministerin entscheidet, ging an den deutsch-iranischen Filmemacher, Drehbuchautor, Kameramann, Cutter und Produzenten Behrooz Karamizade.
Schauspieler*innen-Preis des Hessischen Rundfunks
Ensemble: Der Cast von „Was man von hier aus sehen kann“
Hauptrolle: Petra Schmidt-Schaller (in „Ein Schritt zum Abgrund“). Außerdem nominiert waren: Nina Kunzendorf (in „Das Mädchen von früher“) und Xidir Koder Alian (in „Asbest“).
Nebenrolle: Brigitte Hobmeier (in „Tatort: Murot und das Paradies“). Außerdem nominiert waren: Anatole Taubman (in „Asbest“) und Lana Cooper (in „Martha Liebermann – Ein gestohlenes Leben“).
Der Preis des hr ist undotiert.
Kinopreis
Filmausschnitt beim Mal seh’n-Kino, Foto: Petra Kammann
Hauptpreisträger mit je 20.000 Euro Preisgeld: Mal seh’n-Kino (Frankfurt), Filmladen Kassel, Traumstern Kino in Lich. Weitere Preise nicht gewerbliche Kinos: Murnau Filmtheater (Wiesbaden), Filmforum Höchst (Frankfurt), Filmkreis – Das Unikino in Darmstadt, Kino Pupille (Frankfurt), Kommunales Kino Weiterstadt, naxos.Kino (Frankfurt), KiezKino (Kassel), Kino des Deutschen Filmmuseums (Frankfurt) und Caligari FilmBühne (Wiesbaden). Gewerbliche Kinos: Casablanca Art House (früher Kult Kinobar, Bad Soden), BALi-Kinos Kassel, Harmonie (Frankfurt), programmkinorex (Darmstadt), Capitol Arthousekino-Center (Marburg), Lichtspielhaus Lauterbach, Cinéma (Frankfurt), Kronberger Lichtspiele. Die Anerkennungen gehen an das Eldorado (Frankfurt) und den Filmklub Offenbach.
Die Jury des Hessischen Film- und Kinopreises vergab zudem einen Sonderpreis an den Dokumentarfilm „Das Kino sind wir“ von Livia Theuer, der die Geschichte einer ganz besonderen hessischen Kulturinstitution erzählt: Er feiert den Filmladen in Kassel und die engagierten Menschen dahinter.
Der Film, so die Jury, „ist sich ganz sicher, dass es nicht nur, aber natürlich immer auch die Filme sind, die das Kino beleben und immer wieder neu erfinden. Der Filmladen in Kassel ist nicht nur Kinogeschichte, er ist Kinozukunft. Livia Theuer schafft es mit ihrem Dokumentarfilm, Lust aufs Kino zu machen.“ Der Sonderpreis ist undotiert.