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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Buchpreis 2023 im Frankfurter Römer

„Lesen ist Empathie-Training und Toleranzschule, Denkanstoß und Ambiguitäts-Coaching“

Eine Rede über den Reiz von Literatur anstelle einer Kritik
von Karin Schmidt-Friderichs  

Fast haben die Literaturkritiker*innen alles gesagt und geschrieben, was es über die Auswahl der 6 Finalisten zur Verleihung des Deutschen Buchpreises zu sagen gibt. Da wir die Rede der Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs, zum Auftaktes Veranstaltung im Kaisersaal des Frankfurter Römers sehr passend fanden – eine Art Bekenntnis zu dem, was Literatur ausmacht -, möchten wir sie an dieser Stelle veröffentlichen. 

Begrüßungsrede im Frankfurter Römer von Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Foto: Petra Kammann

Liebe Gäste hier im Römer, liebe Freund*:innen des Deutschen Buchpreises an den Bildschirmen zu Hause, liebe Unterstütze*:innen, liebe Ina Hartwig, liebe Cécile Schortmann, liebe Jury und – die Wichtigsten! – liebe Autor*innen: Terézia Mora, Necati Öziri, Anne Rabe, Tonio Schachinger, Sylvie Schenk, Ulrike Sterblich,

wegen Ihrer Bücher sind wir heute hier. Sie zu ehren, Sie zu feiern. Jedes Jahr sind Long- und Shortlist des Deutschen Buchpreises nicht nur unbedingte Lese-Empfehlungen, sondern auch eine Art Kaleidoskop aktueller Themen und Thesen. Literatur ist ja immer auch Zeitzeugin.

Die 6 Finalisten: v.l.n.r.: Sylvie Schenk, Anne Rabe, Ulrike Sterblich, oben: Terézia Mora, Tonio Schachinger, Necati Öziri, Foto: Petra Kammann

Oft setzt sie auch selbst Themen, die in der Freiheit des Fiktionalen reifen dürfen und dann – als gute Geschichten gewoben – Menschen und Meinungen prägen. Gute Geschichten entfalten diese Kraft, weshalb totalitäre Systeme – Staaten, Glaubensgemeinschaften oder politische Gruppierungen – solche Angst vor der Freiheit der Fiktion haben. 

Mir macht es Sorgen, dass namhafte Literat:innen davon ausgehen, ein Buch wie die „Satanischen Verse“ des diesjährigen Friedenspreisträgers Salman Rushdie würde heute weder geschrieben werden noch einen Verlag finden, der den Mut hat, es zu veröffentlichen.

Mir macht es Sorgen, wenn amerikanische Gouverneure, Schulleitungen und Bibliotheken Bücher verbannen, in denen es um queere Beziehungen, Identitätsfindung oder Rassismus geht. 90 Jahre, nachdem in Deutschland Bücher brannten, möchte ich in aller Deutlichkeit die Freiheit des Wortes und des Publizierens als Grundlage der Demokratie hervorheben!

Lassen Sie uns das Lesen eben nicht nur als eine der schönsten Freizeitbeschäftigungen der Welt werten, sondern auch als Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe und wirtschaftlichen Erfolges. Lesen ist Empathie-Training und Toleranzschule, Denkanstoß und Ambiguitäts-Coaching.

Gute Bücher wie diejenigen, die wir hier heute feiern, leben davon, dass es eben kein so eindeutiges „gut“ und „schlecht“ gibt – und dass sie allzu einfachem Schwarz-Weiß-Denken ein kleines Schleudertrauma versetzen, in Leser*innen-Köpfen konstruktives Chaos auslösen.

Verwirren und bewirken, dass die Leser*innen anschließend mit einem etwas anderen Blick auf die Welt schauen. Diese Kraft der kleinen Interventionen macht Bücher für fanatische Menschen so gefährlich. Für alle anderen macht genau das ihren Reiz aus! Deshalb ist es wichtig, dass wir immer wieder das Gespräch über Literatur suchen und pflegen. 

Wie erfahren Sie von außergewöhnlichen, von besonderen Büchern? Wie kommt die Literatur zu Ihnen? Eine Möglichkeit ist natürlich die gute Beratung in der Buchhandlung Ihres Vertrauens. Über Print- und Onlinemedien entdecken Sie daneben Ihre nächste Urlaubslektüre, auf Social Media folgen Sie Blogger*innen, die Ihren Geschmack treffen. Im Radio und am Bildschirm verfolgen Sie 

Lesungen oder Interviews Ihrer Lieblingsautor*innen. Noch. Denn die Vermittlung von Literatur über die Medien nimmt immer weiter ab. Feuilletons werden dünner, Literaturformate verschwinden aus dem Programm der Sendeanstalten. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht aktuell in der Kritik.

Bei Kultur- und Literatursendungen wird immer mehr gekürzt oder sie erhalten Sendeplätze zu Uhrzeiten mit geringer Frequenz. Die ARD plant eine Zentralisierung der Redaktionen, die dafür sorgen wird, dass die Sichtbarkeit der großen Vielfalt an Büchern, regionale Unterschiede und individuelle Berichte verloren gehen. Das können wir so nicht hinnehmen!

Die Entscheidung, der Kultur einen so wichtigen Teil ihres öffentlichen Raums zu nehmen, bedeutet, Meinungsbildung und Themenvielfalt aktiv entgegenzuwirken. Ich appelliere an die Entscheider*innen in den Medienhäusern, die Sichtbarkeit der Literatur bei allen geplanten Reformen im Blick zu behalten. Die Kraft guter Geschichten kann sich nur entfalten, wenn wir ihnen den nötigen Raum geben. 

Lassen Sie uns ab Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse die Vielfalt und Lebendigkeit von Literatur feiern und heute sechs Autor*innen ehren, die das öffentliche Gespräch über Literatur befeuern und bereichern.

Dafür danke ich Ihnen ganz herzlich und gratuliere Ihnen! Mein Dank gilt zudem der Deutsche Bank Stiftung.
Lieber Herr Fitschen, liebe Frau Dr. Schmidt-Matthiesen, lieber Herr von Dryander, liebe Frau Dr. Hasenpflug: Ohne Ihre Förderung wäre dieser Preis so nicht möglich. Danke auch an die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt für Ihre Unterstützung.

Und jetzt gehört die Bühne den guten Geschichten! 

Buchpreisträger Toni Schachinger und Börsenvereinsvorsitzende Karin Schmidt-Friderichs, Foto: Petra Kammann

Und FeuilletonFrankfurt gratuliert dem diesjährigen Buchpreisträger Tonio Schachinger für seinen Roman „Echtzeitalter“ (Rowohlt).

Später mehr!

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