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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

PARADISE, PERFORMANCE, REPLIKA. SLOVENIAN PHOTOGRAPHIC ART im Fotografie Forum Frankfurt

Lauter belichtete Trugbilder oder eine Frage der Perspektive?

Ein Beitrag zum Ehrengastland Slowenien auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse

Von Petra Kammann

Drei Positionen, drei Generationen, drei verschiedene Sichtweisen slowenischer Fotografen. In den unter dem Titel „Paradise, Performance, Replica, Slovenian Photographic Art“ ausgestellten rund 60 Arbeiten im Fotografie Forum Frankfurt (FFF) befinden sich sowohl Fotografien wie auch Installationen und Multimedia-Projekte der slowenischen Foto-Künstler*innen Vanja Bucan, Jošt Dolinšek und Bojan Radovic. Sie alle loten auf ihre je eigene Weise die Grenzen des Mediums Fotografie experimentierend aus. Dabei geht es ihnen vor allem um Selbstvergewisserung und vertiefte Wahrnehmung von Realität.

Vanja Bucan (*1973) wirft ihren Blick auf typisch weibliche Gesten, dekonstruiert, rekonstruiert und fügt sie zu einer neuen Komposition zusammen, Foto: Petra Kammann 

Vanja Bucan zum Beispiel. Sie inszeniert mit ihrem offenen und neugierigen Blick auf die Welt ganz frische und farbenfrohe surreale Bildkompositionen. Geboren wurde die heute 50-jährige verwandlungsfähige Fotokünstlerin aus Nova Gorica in Slowenien. Seit 10 Jahren lebt und arbeitet die Mutter von drei Kindern inzwischen in Berlin. Dabei hatte sie ihren Abschluss im Fachbereich Fotografie an der Royal Academy of Arts in der niederländischen Metropole Den Haag gemacht. Und bevor sie sich überhaupt der Fotografie widmete, hatte sie zunächst einmal Soziologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften in der slowenischen Metropole Ljubljana studiert und sich im Umweltschutz engagiert. Davon blieb ihr künstlerisches Schaffen natürlich nicht unberührt.

Invisible Housewives, 2022. From the series Birds of Paradise, 2021–2023 © Vanja Bucan, 2023

Besonders einschneidend waren ihre Erfahrungen in der Pandemie zwischen 2021 und 2023, als sie sich plötzlich in die traditionelle  Hausfrauenrolle zurückgeworfen sah mit der sowohl dienenden als auch unbezahlten Frauenarbeit. Da entstand ihre hintersinnig witzige Serie Birds of Paradise. Es ist wohl bislang ihre persönlichste fotografisch-künstlerische Sequenz. Da sie alles andere als eine die Realität abbildende Foto-Reporterin ist, nähert sie sich der Wirklichkeit erst einmal analytisch, um dann ihre Fotografien zu inszenieren.

Da fotografierte sie zunächst einmal die zahlreichen täglichen so sprechenden, meist unbemerkten jedoch tagesfüllenden kleinen Hände und Handreichungen, die nun wegen des Lock down meist im Verborgenen blieben. Diese schnitt sie zunächst aus, montierte sie in ihre neue Komposition ein, färbte sie ein in poppig leuchtende Farben und collagierte sie geradezu skulptural in eine neue Bild-Wirklichkeit. Auf diese Weise erschuf sie absolute farbenfrohe Hingucker, die völlig neue Bild-Erzählungen in sich tragen, welche zwar die Psychologie des weiblichen Alltags widerspiegeln, die damit verbundenen Gesten reflektieren, allerdings eher augenzwinkernd als verbissen anklagend.

FFF-Pressesprecherin Sabine Königs beim Presserundgang, Foto: Petra Kammann

Viele ihrer teils im wahrsten Wortsinne ausgezeichneten Arbeiten stellte sie inzwischen in internationalen Gruppenausstellungen, Biennalen und Einzelausstellungen aus wie im Kunsthaus Wien, während des Athens Photo Festivals, bei den Bieler Fototagen, im CAFA Art Museum Beijing in China; beim European Month of Photography in Bratislava, Berlin, Luxemburg Brasilien; auch in der Wetzlarer Leica Galerie  sowie in der Artget Gallery in Belgrad undundund… Wen wundert’s?

Jošt Dolinšek am Eingang des Fotografie Forums Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Ganz anders, eher introvertiert-intellektuell geht der in Ljubljana geborene 26-jährige Jošt Dolinšek vor, der derzeit im schwedischen Göteborg lebt, wo er an der HDK-Valand Fotografie studiert. Seitdem er 2020 einen Bachelor in Psychologie an der Universität von Ljubljana erworben hat, arbeitet er hauptsächlich an Langzeitprojekten, in denen er die visuelle Erfahrung der Umwelt und seine Beziehung zu ihr erforscht.

Dabei liebt er vor allem die Landschaft und die Stille der Natur, die er in unserer schnelllebigen medialen Wirklichkeit mit viel Zeit auf sich wirken lässt, denn er beschäftigt sich vorzugsweise mit deren visueller Wahrnehmung und Wirkung in Raum und Zeit. Dolinšek interessiert sich dabei vor allem für die Kunstfotografie und für verschiedene Ansätze der Fotokunst. So kombiniert er diese mit zusätzlichen Medien wie mit Tönen und einer Installation, zum Beispiel in seinem Foto- und Sound Projekt To Move the Sun and Earth Away.

To Move the Sun and Earth Away, #5 2019–2021 © Jošt Dolinšek, 2023 

In dreidimensional angelegten Kästen mit überlagerten fotografischen Ausschnitten erforscht er die menschliche Wahrnehmung der Umwelt, indem er in regelmäßigen Abständen auf das Landschaftsbild schmale gläserne Spiegelstreifen setzt und auf diese Weise die Bedeutung der Voreingenommenheit der Betrachter hinterfragt.

Da für ihn Anderssein allgegenwärtig ist, verzerrt er somit den Blick des Betrachters auf die Umwelt, dem sich daraufhin Fragen stellen wie, was denn eigentlich Wirklichkeit überhaupt sei, was Distanzierung gegenüber den allgegenwärtigen Dualismen bedeute, als da sind Wahrheit und Täuschung, Verbergen und Enthüllen, Akzeptieren und Ablehnen, Leugnen und Zugeben. Bei seiner Naturbetrachtung versucht er dabei weniger, die wie geradezu inzwischen allüberall gesuchten Gründe von Umweltkrisen herauszufinden, als vielmehr existenziell die individuelle Haltung des Einzelnen zu vergehender Zeit und sich veränderndem Raum.

Passing Cairns, 2021 © Jošt Dolinšek, 2023

Es sind vor allem die Steinlandschaften, die Dolinšek faszinieren. Sie bilden etwa seine „Passing Cairns“ megalithische Steinhaufen ab, die er in einem Holzkasten in eine dreidimensionale, eingefräste Landschaft eingebettet hat. Sie präsentieren eine kollektive Erinnerung der Menschheit, wie man sie aus Stonehenge oder den Megalithkulturen der Bretagne kennt, die nach und nach verfallen könnten…

Dass Dolinšek mit seiner Art zu arbeiten, Erinnerungs- und Wahrnehmungskultur zu betreiben, außerdem sehr erfolgreich ist, beweist, dass er einer der ausgewählten Künstler im 3. Zyklus der Parallel Photo Platform war. Seine Werke hat er u.a. bereits im Robert Capa Center in Budapest, in der Photon Gallery in Ljubljana und Wien, beim Voies-off Festival im südfranzösischen Arles, beim Charta Festival in Rom und beim Landskrona Foto Festival in Schweden ausgestellt. Seine Serie To Move the Sun and Earth Away präsentierte er bereits 2021 im Curiosa Sector bei ParisPhoto (FR).

FFF-Direktorin Celina Lunsford im Gespräch mit Jošt Dolinšek beim Rundgang, Foto: Petra Kammann

Bojan Radovic (*1960 in Novo mesto), Verleger und Gründer der Foto-Institutionen Fotogalerie Novo mesto und House of Photography, nimmt als Ausstellungsmacher der Fotografie wegen seiner großen Experimentierfreude und seiner Eigenschaft als Netzwerker eine wichtige Rolle in der Fotoszene Sloweniens ein. Seit den 1980er Jahren beschäftigt er sich in seinen Werken mit dem Prinzip von Wiederholung, Kopie und Nachbildung (Replica).

Bojan Radovic vor seiner „Matrix“, © Bojan Radovic, 2023,  die zwischen 2007 und 2022 entstand, Foto: Petra Kammann 

Sowohl das Thema Wahrnehmung, als auch die Idee der Replika, des Déjà Vu, der Icons und Illusionen bis hin zur Fata Morgana treiben  Bojan Radovic seit vielen Jahren um. Seine 1984 von ihm gegründete Fotogalerija Novo mesto wurde zu einem Zentrum der experimentellen slowenischen Fotografen-Community. Radovic schaffte es, seinen seriellen Arbeiten so etwas wie den Anstrich von Charakter zu verpassen.

Sein Beitrag zum Interesse an der künstlerischen Fotografie Sloweniens und seiner Entwicklung ist geradezu von europäischer Bedeutung. Er beteiligte sich nicht nur aktiv an verschiedenen fotografischen europäischen Projekten, Foren und Initiativen, sondern er ermöglichte auch einen Austausch zwischen internationalen Künstlern. Er selbst nahm als erster slowenischer Künstler 2012 an einer Ausstellung in Japan teil, wo er sich auf humorvolle Weise mit dem Phänomen der Fata Morgana auseinandersetzte. Da entstand die Serie „Mirages“, in der ein fotografisches Abbild von der landschaftlichen Sehenswürdigkeit bei schlechtem Wetter die Stelle des unmittelbaren touristischen Eindrucks ersetzen soll.

Marija Skocir von der Art Gallery Kakopic and Match Galleries in Ljubljana, vertritt die zeitgenössischen slowenischen Fotografen auch international, Foto: Petra Kammann

Mit sichtlichem Vergnügen geht Radovic aber auch der faszinierenden Bedeutungs- und Variationsvielfalt von „Replik“ in unterschiedlichen Variationen auf den Grund. Replik, das heißt für ihn, dass er sich selbst kopiert und ein schon mal fotografiertes Detail – meist als Tintenstrahlausdruck – nachbildet, als Grundlage verwendet und gleichzeitig weiterentwickelt.

Blick auf die „Icon“ -Serie, in der sich Radovic mit dem Symbol des (roten) Sterns auseinandersetzt,  Foto: Petra Kammann

Ein Teil seiner Serien beschäftigt sich mit dem Phänomen des Schon einmal Gesehenen, des „Déjà vu“ wie seine Arbeiten aus dem Jahr 2007. Fotogramme, die bei nächtlichem Lichteinfluss entstanden. Sie wurden nach dem Umzug der Familie aus dem Haus gewissermaßen als belichtete Relikte weiterverarbeitet.

Offensichtlich hat der epochenmachende Essay von Walter Benjamin „Das Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit“ das Bewusstsein des Fotografen bestimmt. Er ist wohl überzeugt, dass die Kunst (Fotografie) durch die weite Verbreitung in den Medien auf inhaltlicher und verfahrenstechnischer Ebene ihre Einmaligkeit, ihre Aura, wie Benjamin es ausdrückt, verloren hat. Also muss man sie auf einer weiteren Ebene transformieren.

Blick auf die Serie „Transformers“, archivfeste Tintenstrahldrucke auf Glas, von Bojan Radovic aus dem Jahr 2007

Dabei nimmt Radovic Bezug auf Ikonen der Fotografie- und Kunstgeschichte. Zum Beispiel auf die Fotogramme aus den 1990er Jahren (Vorläufer gab es übrigens auch in den 1920er Jahren), die er weiter verarbeitet und auf Plexiglas überträgt, um ihnen eine Dreidimensionalität zu verleihen. Für diese Serie scannt der Künstler sie und druckt sie auf Glas, weswegen er dafür das neue Wort Scannogramm erfand.

Das Spiel mit der Wiederholung, die Inszenierung von Rollen, der wiederholte und sich stets verändernde Blick auf die Umgebung bestimmen seine Arbeiten und stellen immer wieder den ersten unmittelbaren visuellen, oft genug auch emotionalen Eindruck in Frage.

Celina Lunsford (re) diskutiert mit Vanja Bucan (Mitte) und Bojan Radodovic (li) über dessen in Japan entstandenen Serie „Mirages“, Foto: Petra Kammann

Mit der von Celina Lunsford und Andrea Horvay kuratierten Ausstellung – schön und übersichtlich in der thematischen Hängung – lassen sich derzeit drei unterschiedliche Positionen zeitgenössischer Fotografie aus Slowenien ausmachen, sei es durch die Inszenierung sozialer Rollen, durch den Blick des Individuums auf die Welt und deren Transformation oder mittels des Spiels mit dem Phänomen der mehrfachen Spiegelung, Augentäuschung und Wiederholung.

 

PARADISE, PERFORMANCE, REPLIKA. SLOVENIAN PHOTOGRAPHIC ART 
Ausstellung zum Ehrengastlandprogramm  Slowenien zur Frankfurter Buchmesse 2023

07. Oktober 2023 – 07. Januar 2024 

Fotografie Forum Frankfurt
Braubachstraße 30-32
60311 Frankfurt

www.fffrankfurt.org

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