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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ach was. Loriot zum Hundertsten“ im Caricatura Museum

Grandiose Hommage für Deutschlands größten Humoristen

Von Hans-Bernd Heier

Vicco von Bülow, alias Loriot, war ein humoristisches Universalgenie. Der Großmeister des feinen Humors wäre am 12. November dieses Jahres 100 geworden. Unter dem Titel „Ach was! Loriot zum Hundertsten“ widmet ihm das Caricatura Museum Frankfurt eine großartige Werkschau. Versammelt sind in dem Museum für Komische Kunst, das wie kein anderes für diese Präsentation geeignet ist, über 700 Exponate.

„Auf Reisen im Ausland“; Foto: Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst

Loriot war wohl der bedeutendste Humorist der Nation: Wie kaum ein anderer prägte er mit seinem ihm ganz eigenen Stil nachhaltig die deutsche Humorlandschaft. Bis heute sind Redewendungen aus seinen zahlreichen Cartoons, Sketchen und Filmen in den Sprachgebrauch eingegangen und erinnern als geflügelte Worte an urkomische Szenen und Dialoge.

„Loriot war ein Phänomen, dem man sich in all seinen Facetten als Autor, Zeichner, Schauspieler, Moderator, Bühnen- und Kostümbildner, Mops- und Opernliebhaber und als großzügigem Menschen und Gastgeber nähern kann“, so Museumsleiter Achim Frenz. Die große von Till Kaposty-Bliss und Tom Kronenberg kuratierte Präsentation ist in 13 Kapiteln untergliedert und erstreckt sich über alle vier Ebenen des Museums. Die chronologisch aufgebaute Werkschau dokumentiert in bisher noch nie gezeigtem Umfang den Künstler Loriot und sein höchst beeindruckendes, vielfältiges Werk. Darunter auch Arbeiten, die bislang noch nicht gezeigt wurden. Die zahlreichen Exponate, darunter fast 300 Zeichnungen und 200 Fotos, erstrecken sich über die gesamte Ausstellungsfläche des Museums

Mit seinem würdevollen Auftreten eines Gentlemans schien Loriot aus der Zeit gefallen; Foto: Hans-Bernd Heier

Loriot interessierte besonders das Alltagsleben und Familienleben der Menschen. Selten waren Tagesaktuelles oder Politik sein Thema. Über Politiker hatte der Künstler eine dezidierte Meinung: „Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen“. Aufgrund des Verzichts auf tagespolitische Ereignisse wirken seine Zeichnungen und Cartoons zeitlos.“ Mit Gespür für kleinste Details sezierte er die bürgerliche Mittelschicht in ihrer Durchschnittlichkeit und entlarvte ihre vielen situativen Widersprüche. „Weil seine Figuren keine Außenseiter der Gesellschaft sind, sondern der Mehrheit angehören, schuf Loriot einen hohen Wiedererkennungswert im Publikum, der seine Wirkung nicht verfehlt: das Lachen – auch über sich selbst“, erklärt Ko-Kurator Thomas Kronenberg.

„Loriots detaillierte, aufs Wesentliche konzentrierte Zeichnungen werden von seinen berühmten Knollennasenmännchen bevölkert, die zum Markenzeichen wurden. Es sind liebenswürdige Figuren, die Loriots humanistischen Ansatz durchscheinen lassen: Niemals werden sie verlacht, ihrer Würde beraubt“, ergänzt Frenz. „Dabei ist immer auch der spielerische Umgang Loriots mit Sprache und Worte spürbar“.

Ausstellungsplakat; Foto: Caricatura Museum

Die Schau beleuchtet auch weniger bekannte Facetten des Ausnahmetalents, die dem ein oder anderen Besucher ein interessiertes „Ach was?!“ entlocken dürften. So zum Beispiel seine frühen Werbegrafiken, die bislang noch in keiner Ausstellung gezeigt wurden. Die Ausstellung würdigt ferner die Verbindung Loriots mit der „Neuen Frankfurter Schule“. Loriot lieferte das erste Titelbild für die Satirezeitschrift Pardon, in der sich die Neue Frankfurter Schule zusammenfand, deren künstlerisches Erbe den Grundstock der Sammlung und der Ausstellungen des Caricatura Museums bildet. Zu sehen sind auch Zeichnungen anderer Humoristen, die sich mit Loriots Werk auseinandergesetzt haben.

Bernhard-Victor Christoph-Carl, Rufname Vicco, von Bülow wurde am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel geboren. Mit seinem jüngeren Bruder lebte er ab 1927 bei der Großmutter und Urgroßmutter in Berlin, nachdem sich der Vater von seiner ersten Frau hatte scheiden lassen. Das Ambiente der großmütterlichen Wohnung, das aus dem 19. Jahrhundert stammte, beeindruckte und prägte den jungen Vicco. 1933 kehrten die Brüder zum Vater und seiner zweiten Ehefrau zurück, die inzwischen nach Berlin-Zehlendorf gezogen waren. In der Schulzeit zeigten sich schon früh sein Talent in den Fächern Deutsch und Kunst sowie seine lebenslange Leidenschaft für Musik.

Pardons erstes Titelbild von Loriot; Foto: Hans-Bernd Heier

Auf den Rat seines Vaters begann er 1947 ein Malerei- und Grafikstudium an der Landeskunstschule in Hamburg. Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums arbeitete er ab 1950 als Werbegrafiker und begann seine Karriere als Cartoonist mit ersten Arbeiten für die Zeitschrift „Die Straße“. Um seine humoristischen Arbeiten von seinem Brotberuf als Werbegrafiker zu trennen, signierte er die Zeichnungen mit Loriot, französisch für Pirol, dem Vogel im Wappen der von Bülows.

1950 publizierte der „Stern“ eine erste Zeichnung Loriots, der bald weitere folgen sollten. Henri Nannen intensivierte 1953 die Zusammenarbeit mit dem Zeichner und warb ihn für den sehr erfolgreichen Comic „Reinhold das Nashorn“ an. Loriots Serie „Auf den Hund gekommen“ hingegen stellte der Stern-Chef aufgrund heftiger Leserproteste, die in den Zeichnungen eine „Herabsetzung der Menschenwürde“ sahen, nach nur sieben Folgen ein. „Auf den Hund gekommen“ sollte dennoch ein Erfolg werden: Bereits 1954 erschien diese Reihe in Buchform im neu gegründeten Diogenes Verlag. Gründer und Verleger Daniel Keel hatte das Potenzial dieser Serie erkannt, die zuvor von anderen renommierten Verlagen abgelehnt worden war. Der Grundstein einer lebenslangen Zusammenarbeit war damit gelegt.

„Kegeln“; Foto: Caricatura Museum

Bundesweite Aufmerksamkeit erreichte der vielseitige Künstler durch die Fernsehsendung „Cartoons“ des Süddeutschen Rundfunks, die er von 1967 bis 1972 moderierte. Seine An- und Abmoderationen, die humoristisch-fachkundig durch die in- und ausländischen Cartoons führten, wurden schnell zu Publikumslieblingen. Die Sendung gewann zunehmend an Profil, indem Loriot immer mehr eigens dafür produzierte Realsketche integrierte, in denen er nicht nur Rollen übernahm, sondern zunehmend auch die Regie.

In den frühen 70er Jahren eroberte Loriot auch mit „Wum“, ab 1975 zusammen mit dem Elefanten „Wendelin“ die Herzen der Zuschauer. Der clevere Hund, den Loriot zunächst zur Bewerbung der Rate-Show „Drei mal Neun“ (Aktion Sorgenkind) gezeichnet hatte, sollte auf Wunsch von Moderator Wim Thoelke in der Sendung eine Nebenrolle übernehmen, die Loriot selbst einsprach. „In seinem späteren Fernsehschaffen wurde aus dem moderierenden Zeichner der schauspielende Komiker, seine Fernsehsketche mit Evelyn Hamann gehören zu den Höhepunkten der deutschen Fernsehgeschichte“, so Frenz.

„Meeresverschmutzung“; Foto: Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst

Auch wenn Loriot sich mit eigenen Produktionen zunächst aus dem Fernsehen verabschiedete, blieb er dem deutschen TV-Publikum mit Beiträgen und Auftritten erhalten: So beispielsweise als dirigierender Hausmeister beim Bundeskanzlerfest der Berliner Philharmoniker (1979), mit Sketchen für das Politmagazin „Report“ (SWR, 1980 bis 1981), Gastauftritten in Fernsehfilmen wie „Wer spinnt denn da, Herr Doktor?“ (1981) und „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (1982).

Auch für die Opern „Martha“ (Stuttgart, 1986) von Friedrich von Flotow und „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Ludwigsburg, 1988) übernahm er die Rolle als Regisseur und skizzierte Bühnenbild und Kostüme. Loriot, ein leidenschaftlicher Wagnerianer, feierte 1992 mit dem „Ring an einem Abend“ eine viel beachtete Premiere am Nationaltheater Mannheim.

Das Kino eroberte Loriot 1988 mit den Filmen „Ödipussi“ und 1991 mit „Pappa ante portas“. Der vielfach ausgezeichnete Verwandlungskünstler schrieb nicht nur das Drehbuch, sondern übernahm auch Regie und die Hauptrollen. Beide Filme erfreuten Millionen von Zuschauern und wurden zu echten Kassenschlagern.

„Hochhauslift“, Foto: Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst

Loriot, der Humorgeschichte geschrieben hat, ist vielfach ausgezeichnet worden – unter anderem mit den wichtigsten Film-, Schallplatten- und Karikaturenpreisen. Schulen, Straßen und Plätze wurden nach ihm benannt. Zahlreiche Denkmäler an Wirkungsstätten Loriots erinnern an das Ausnahmetalent. 1988 erhielt er das „Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Zu seinem 100. Geburtstag würdigt die Bundesregierung Vicco von Bülow mit einer 20-Euro-Sammlermünze.

Verheiratet seit 1951 mit seiner Frau Romi lebte Loriot mit ihr und seinen beiden Töchtern von 1963 bis zu seinem Tod am 22. August 2011 in Ammerland am Starnberger See.

Familie Loriot mit Möpsen; Foto: Caricatura Museum

Besucher und Besucherinnen des Caricatura Museum dürfen sich auf einen höchst amüsanten Streifzug durch Loriots künstlerisches Lebenswerk freuen – ergänzt durch kurzweilige Hörstationen. Auch Film-Enthusiasten können viele Dokumente und Auszüge seines filmischen Werks im eigens eingerichteten Kino in der Galerie des Museums genießen. Als Selfie-Highlight für Groß und Klein dürfte sich eine Original-Stele aus Loriots Privatbesitz erweisen, an der er jahrzehntelang seine zahlreichen (prominenten) Besucher für das ebenfalls ausgestellte Gästebuch in seinem Haus in Ammerland fotografierte.

Das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum (Schaumainkai 41) präsentiert in Kooperation mit dem Caricatura Museum „Ödipussi“ (am Mi, 18.10., 20:30 Uhr & Sa, 28.10., 20:30 Uhr) und „Loriots große Trickfilmrevue“ (Sa, 21.10., 20:30 Uhr & So, 29.10., 20:30 Uhr).

Im November folgt „Pappa ante portas“ – die Termine werden noch bekannt gegeben und können unter: www.https://www.dff.film/kino/kinoprogramm/aktuelleskinoprogramm/ abgerufen werden. Mit Loriot-Kinoticket gilt ermäßigter Eintritt zur Caricatura-Ausstellung und umgekehrt.

Das Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst dankt für die Unterstützung der großartigen Schau, die bis zum 25. Februar 2024 zu sehen ist, dem Kulturfonds Frankfurt; weitere Informationen unter: www.caricatura.de

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