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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Benjamin Kruithof und Ana Bakradze spielen in der Goethe Universität Duos für Violoncello und Klavier von Beethoven und Rachmaninov

Von Erhard Metz

Es mag einerseits der Genius loci, das in einer weitläufigen Gartenanlage errichtete Gästehaus der Goethe Universität Frankfurt am Main in der Frauenlobstraße sein, noch dazu an einem sonnigen Spätsommertag, der meist noch junge, jedoch hochqualifizierte Musikerinnen und Musiker im stets vollbesetzten Saal zu Spitzenleistungen inspiriert, so auch in der bereits achten Matinee beziehungsweise Soiree, zu der Professor Jürgen Bereiter-Hahn, Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen, heuer im 40. Jahr deren Bestehens gemeinsam mit Viviane Goergen, einst weltbereisende Konzertpianistin und heute noch Förderin hochbegabter junger Pianistinnen und Pianisten, Ende September ein interessiertes musikaffines Publikum eingeladen hatte. Letzterer gebührt das Hauptverdienst am Erfolg dieser Reihe, weil es ihr stets gelingt, bereits in den großen Häusern dieser Welt aufspielende Künstlerinnen und Künstler in besagte Idylle an der Frauenlobstraße zu locken. Zum Erfolg der Veranstaltung trug nicht zuletzt auch der – unentgeltlich überlassene – klangstarke Kawai-Flügel der Frankfurter Firma Demmer Pianos & Flügel bei.

Benjamin Kruithof und Ana Bakradze mit Viviane Goergen

Benjamin Kruithof und Ana Bakradze lauten die Namen des jüngst gastierenden Duos, 24 beziehungsweise 23 Jahre jung, er am Violoncello, sie am Klavier, das mit zwei höchst anspruchsvollen Werken, Ludwig van Beethovens Sonate für Klavier und Violoncello op. 102,1 Nr. 4 sowie Sergej Rachmaninovs Sonate op. 19, diesmal in der (wie wir noch sehen werden eigentlich falschen) Reihenfolge für Violoncello und Klavier benannt, im wahrsten Sinne des Wortes brillierte und das sonntägliche Auditorium faszinierte und begeisterte.

Benjamin Kruithof, 1999 in Luxemburg in einer Musikerfamilie geboren, erhielt seinen ersten Cellounterricht am dortigen Conservatoire du Nord und studierte am Conservatorium Maastricht bei Professor Mirel Iancovici und anschließend bei den Professorinnen Katharina Deserno und Maria Kliegel an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Seit 2017 setzt er sein Studium bei Professor Jens-Peter Maintz an der Universität der Künste in Berlin fort.

Als Solist konzertierte er bereits mit renommierten Orchestern wie dem George Enescu Philharmonic Orchestra oder dem Luxembourg Philharmonic Orchestra. Er spielte in bedeutenden Häusern wie dem Concertgebouw Amsterdam, der Salle Cortot in Paris, dem Gasteig in München und musizierte mit Künstlern wie beispielsweise Hartmut Haenchen, Vadym Kholodenko, Vahan Mardirossian oder Conrad van Alphen. 2020 nahm er sein Debütalbum „Russian Mood“ mit Werken von Glasunow, Tschaikowsky, David Popper und anderen mit der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford auf. Er gewann bereits mehrere internationale Wettbewerbe, so den „Cello Biennale Amsterdam“, die „Flame Competition“ in Paris und 2022 den renommierten „Enescu Wettbewerb“ in Rumänien, der ihm erlaubt, in 2023 und 2024 am Enescu Festival, einem der größten Festivals für klassische Musik in Osteuropa teilzunehmen. Allein in den letzten vier Monaten trat Kruithof wiederholt auf, so mit dem Ost-West Kammerochester in Bukarest, ferner beim Krzyzowa Musikfestival in Polen, beim Festival Musicorum in Brüssel; er konzertierte mit dem Concertgebow Orchestra in Amsterdam, mit dem Luxembourg Philharmonic Orchestra zum Nationalfeiertag in der Luxemburger Philharmonie, mit dem North Czech Philharmonic Orchestra in Prag. Erst am Vortag des Konzerts in Frankfurt kehrte er, wie Viviane Goergen in ihren einleitenden Worten informierte, von seiner Enescu Festival Tournee zurück.

Ana Bakradze wurde 2000 in Tiflis, Georgien, geboren. Nach ihrem ersten Klavierunterricht an der dortigen Kunstschule, den sie als Sechsjährige begann, setzte sie ihre Ausbildung 2014 an der Zentralen Musikschule Zakaia Paliashvili für hochbegabte Kinder in Tiflis fort. 2018 schloss sie die Musikschule und das Gymnasium als Jahrgangsbeste und mit einer Goldmedaille ab. Seit 2019 studiert sie an der Universität der Künste in Berlin bei Professor Gottlieb Wallisch.

Sie ist Stipendiatin der intenationalen Musikakademie Liechtenstein, der Ad lnfinitum Foundation, der DAAD-Stiftung und der Paul Hindemith-Gesellschaft. Lang ist die Liste der Preise, die sie erhielt, wie Viviane Goergen aufzählte: Jeweils den Ersten Preis gewann sie beim Klavierwettbewerb von Nodar Gabunia in Tiflis, dem Grand Prix in Tengiz, dem Tengiz Amirejibi International Piano Competition, dem 4. Nationalen Klavierwettbewerb von Tiflis und beim Deutschen Musikfestival-Wettbewerb in Tiflis (erster Preis und Preis für die beste Bach-Interpretation), ferner beim Grand Prix Festival-Wettbewerb der klassischen Musik „Finde deinen Stern”. Ana Bakradze ist bereits mit dem Georgischen Staats- und Nationalorchester von Tiflis aufgetreten. Als Solistin und Kammermusikerin spielte sie unter anderem bei den Mecklenburg-Vorpommerschen Festspielen, dem Grachtenfestival in Amsterdam, aber auch in Berlin, London, Wien und Genf. In Frankreich hatte sie die Ehre, zusammen mit der weltberühmten Pianistin Khatia Buniatishvili im Rahmen des Festivals Pianoscope zu konzertieren. Auch Ana Bakradze kam erst am Vortag zum Frankfurter Konzert aus Berlin angereist.

Es ist gewiß kein Zufall, dass diese beiden Musikinstrumente in der Duo-Literatur seit langem einen beachtlichen Beliebtheitsgrad erreicht haben, korrespondiert das oberton- wie registerreiche, gleichsam kantable, mehr als vier Oktaven (vom großen C bis zum dreigestrichenen g“‘) umfassende Cello doch auf das Trefflichste mit dem fast alle Stimmlagen abdeckenden „Alleskönner“ Klavier. Obwohl solistische Konzertpianistin, schätzte auch Viviane Goergen dieses kammermusikalische Genre, spielte sie doch seinerzeit mit dem renommierten Cellisten Daniel Robert Graf zahlreiche Kompositionen für Cello-Klavier-Duo auf Schallplatten ein.

Vielleicht gründet dieses Format im musikalischen Schaffen von Johannes Brahms, der neben dem Klavier auch das Cello beherrschte, wie ein frühes, für 1851 belegtes „Duo für Pianoforte und Violoncell“ belegen mag. Auch wenn Brahms nur zwei weitere Sonaten für Cello und Klavier veröffentlichte, räumte er dem Instrument mit seinem „männlich ernsten Charakter“ markante Partien in seinem anderweitigem kammermusikalischen wie auch konzertanten Werk ein.

Ludwig van Beethoven (1770-1827) schuf fünf Sonaten für Cello und Klavier, die in ihrer Abfolge das gesamte Spektrum seines frühen, mittleren und späten Werks widerspiegeln. Entsprechen die ersten beiden Sonaten, wie Viviane Goergen erläuterte, in denen dem Klavier gegenüber dem Cello die dominantere Rolle zukommt, noch dem jungen, provokanten Temperament des Klaviervirtuosen, weist bereits die dritte Sonate (A-Dur) insoweit eine ausgewogene musikalische Struktur auf. In den beiden letzten Werken dieses kammermusikalischen Genres, die die späte Stilphase des Meisters einläuten, tritt hingegen das Violoncello in den Vordergrund vor dem Klavier, unbeschadet der Tatsache, dass auch die Bewältigung des Klavierparts virtuose spielerische Qualitäten und ein hohes Einfühlungsvermögen in das gemeinsame Musizieren voraussetzt.

Die Cello-Klavier Sonate op. 102,1 Nr. 4 in C-Dur mit den beiden Sätzen Andante – Allegro vivace und Adagio – Allegro vivace war einerseits dem jungen Cellisten Joseph Linke gewidmet, der Beethoven zu diesem Werk inspirierte. Es handelt sich, führte Viviane Goergen aus, um eine Sonata quasi una fantasia, wobei der quasi improvisatorische Duktus auf die zwei Instrumente verteilt ist. Hier war Beethoven seiner Zeit weit voraus. 1815 spielten Joseph Linke und Carl Czerny, ein Schüler Beethovens, die Uraufführung dieser und der letzten Sonate in Wien. Zugleich schrieb aber Beethoven, ständig in Geldnot, die Sonaten op. 102 für seine kunstsinnige langjährige Freundin und Gönnerin Gräfin Anna Maria Erdődy.

Wie so viele Spätwerke des Meisters lösten auch diese letzten Cellosonaten bei den Zeitgenossen Irritation und Befremden aus. Sie wirkten zu kapriziös, hieß es, zu eigenwillig, zu streng. Der Mannheimer Kapellmeister Michael Frey schrieb in seinem Tagebuch nach der Uraufführung 1815, das Werk sei „ohnmöglich beim ersten Hören zu verstehen“. Hingegen schrieb 1824 die Berliner allgemeine musikalische Zeitung in der Sprache der Beethovenzeit, wie Viviane Goergen zitiert: „Diese Sonate besteht aus einem Einleitungs-Andante C-Dur, welches eine süße, liebliche Melodie zum Thema hat. Es ist ebenso einfach und rührend als herzlich und eine bittende, weiblich schöne Empfindung atmend. Hart und rau, im männlichen Zorne, beginnt ein kurzes Allegro (a-moll) in der Sonatenform, wahr und glücklich erfunden, in großer Einheit bis zum Schlusse durchgetobt. Ein Adagio aus C-Dur präludiert sanft, wie auf einer Laute, zu dem ersten schönen Eingangssatze hin, welcher in ein heiteres lebensfrohes Allegro vivace aus C-Dur kindlich übergeht. Dieses Finale ist ganz dem großen Genius würdig.“

„Ohnmöglich beim ersten Hören zu verstehen“ – diesen Klageruf hätte der Mannheimer Kapellmeister Frey nach dem Konzert des Duos Benjamin Kruithof/Ana Bakradze gewiß nicht ausgestoßen. Bereits beim Eintreten der beiden in den Saal mit ihrem heiteren, entspannten, selbstbewussten Lächeln stellte sich beim Besucher ein Gefühl freudiger Erwartung ein, die im harmonischen Zusammenwirken der Musizierenden von den ersten Takten an erfüllt wurde. Kruithof brachte sein Instrument im melodiösen Andante alsbald zum Singen, bevor im Allegro mit kraftvollen Strichen und entschlossenem Anschlag am Klavier sich wie von selbst ein überaus transparentes „Gespräch“ zwischen den beiden Instrumenten entfaltete. Ähnlich im zweiten Satz: Im kantablen Adagio und dem akzentuierten Allegro vivace weckten Cellist und Pianistin in wiederum transparenten, klar strukturierten Linien vom zartesten bis robust-sonoren „Singen“ bis zu mitunter schroffen Beethoven-typischen Ausbrüchen ein Feuerwerk an Gefühlen. Wohl wahr: In diesem Dialog läßt sich bereits die Poesie der aufziehenden Romantik erkennen. Begeisterter Applaus des Auditoriums!

Nach kurzem Innehalten folgte von Sergej Rachmaninov (1873-1943) die Sonate op. 19 in g-moll für Violoncello und Klavier. Anders als bei Beethoven dominiert bei Rachmaninovs (abgesehen von zwei „Stücken für Violoncello und Klavier“ – Prélude und Danse orientale) einziger Cellosonate eindeutig das Klavier, das in die meisten Themen einführt, die das Cello dann übernimmt. Manche sprechen von einem „Kammerkonzert für Klavier“. Der Komponist widmete das 1901 fertiggestellte Werk seinem befreundeten Cellisten Anatoliy Branduko, mit dem zusammen er in Moskau auch die Erstaufführung spielte. Die spätromantische Sonate op.19 zählt zu den anspruchsvollsten Werken der Cello-Klavier-Literatur: Auch wenn bei ihr das Klavier den führenden musikalischen Part einnimmt, hat auch der Cellist eine ebenso schwierige wie virtuose Komposition zu meistern.

Nach dem Mißerfolg seiner ersten Sinfonie war Rachmaninov bekanntlich in eine tiefe Depression und Schaffenskrise gefallen, von der ihn sein Cello spielender Arzt Nikolai Dahl im Wege der Hypnose – damals eine bahnbrechend neue Behandlungsmethode – befreite. „Meine Angst war weg und hatte einer frühlingshaften Träumerei Platz gemacht, einer Art Sehnsucht, die von Hoffnung und Begierde erfüllt ist“, atmete Rachmaninov auf. Aus Dankbarkeit dedizierte er dem Hypnotiseur neben dem berühmten zweiten Klavierkonzert op. 18 auch dieses Werk, das mit den vier Sätzen Lento – Allegro moderato, Allegro scherzando, Andante und Allegro mosso gleichsam von der anfänglichen Dunkelheit und Verzweiflung hin zum Licht führt – eine Entwicklung, die wir auch von Beethovens Werk kennen.

Die Sonate stellt an beide Spieler in gleichberechtigtem Zwiegespräch von Klavier und Violoncello sehr hohe Anforderungen an Spieltechnik und persönlicher Reife. So mutet es umso erstaunlicher an, wenn junge Interpretinnen und Interpreten sich an eine solche Komposition heranwagen, und es ist umso faszinierender, wenn dies in den Personen Benjamin Kruithof und Ana Bakradze bereits eine Vollendung erreicht, die dem aufgeschlossenen, wenn auch selbst nicht mehr praktizierenden Musikbegeisterten eigentlich kaum mehr übertreffbar erscheint. Bewunderswert die gleichsam schlafwandlerische Verständigung zwischen Cellist und Pianistin, die im bekannten Winkel – aufgeklappter Flügel und Vorderseite des Streichinstruments dem Publikum zugewandt – zueinander sitzen und sich kaum je durch direkten Blickkontakt verständigen können. Hinzu kommt die vermeintliche Selbstverständlichkeit, ja Heiterkeit und Leichtigkeit ihres Spiels. „Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer“ wusste schon Goethe im Faust-Drama. Ihr Spiel kündet von einer außerordentlichen musikalischen und interpretatorischen Souveränität und verspricht den beiden noch jungen Protagonisten bei aller „Konkurrenz“ eine große Zukunft auf den Bühnen dieser Welt.

Mit rauschendem Applaus bedankte sich das Publikum. Der Dank galt auch Viviane Goergen, dieses wunderbare Duo, Benjamin Kruithof und Ana Bakradze, an den heimischen Main geholt zu haben.

Fotos: Erhard Metz

 

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