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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Abschluss der Ruhrtriennale in der Kathedrale der Illusion, der Kathedrale der Industrie 

Nina Hoss brilliert in Fjodor Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Kellerloch“

von Simone Hamm

Im Eingangsbereich der Mischanlage der Kokerei auf der Zeche Zollverein knubbeln sich die Zuschauer. Nina Hoss ist in einer verwackelten Videobotschaft zu sehen: Einer nach dem anderen solle drei Stockwerke hochsteigen, die Hände bitte am Geländer lassen beim Gang durch diese Kathedrale der Industrie.

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch, Barbara Frey, Nina Hoss © Matthias Horn, Ruhrtriennale 2023

Die Zuschauer gehen vorbei an alten Walzen, rostigen Stahlträgern, gucken tief in Industrieschächte, laufen über ein Feld mit Nacktschnecken, tappen durch dichten Nebel, schnuppern Weihrauch, hören Krähengekrächz, beobachten, wie ein Lasertropfen viele Meter nach unten fällt, bevor er wie ein Wassertropfen aufkommt. Wer Höhenangst habe, so war im Foyer auf einem Anschlag zu lesen, der solle die Mitarbeiter der Ruhrtriennale um Hilfe bitten.

Grunzen und Stöhnen sind zu hören, oft ist es stockfinster.

Das Kellerloch, © Matthias Horn, Ruhrtriennale 2023

Bettina Meyer hat einen ungeheuer eindrucksvollen Aufgang, Alex Silva dazu die Klangwelten geschaffen. Ulrich Schneider setzt das gekonnt ins Licht.

Oben angekommen gibt es erstmal einen Wodka und einen schwarzen Tee, bevor die Zuschauer sich auf Matratzen fallen lassen können.

Nina Hoss kommt eine Treppe herunter, sie trägt  einen pelzbesetzten Morgenmantel und weite Hosen, setzt sich auf einen Stuhl. Sie ist der 40jährige Namenlose, der am Rande von Sankt Petersburg im Keller haust. Sie rezitiert den ersten, den essayistischen Teil von Fjodor Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Kellerloch“.

Sie bezeichnet sich als boshaft, verkommen und ungeheuer klug. Sie kritisiert den wissenschaftsgläubigen, aufgeklärten Menschen. Der tätige Mensch sei nichts als dumm. An Bewusstsein aber erkranke man. Je mehr Bewusstsein ein Mensch habe, desto stiller werde er. Bis er eben in einem Kellerloch verschwinde.

Regisseurin Barbara Frey hatte sich keine andere Schauspielerin für diesen Monolog vorstellen können. Sie überlässt Nina Hoss den Raum, den sie braucht, setzt ganz auf sie. Und das kann sie auch: Nina Hoss ist großartig, furchtlos, kühn. Sie wechselt von gelangweilt zu aggressiv. Komik blitzt auf. Dann wieder Mitleid mit einer kleinen Kreatur, etwa einer Maus. Sie spricht die Zuschauer an. Sie geht einen Gittersteg entlang.

Einen freien Willen? Den gäbe es nicht. Erkenntnis erhalte man allenfalls durch Verzweiflung. Und immer wieder verhöhnt sie die Wissenden, die Aufgeklärten. Deshalb singt sie mit Verve Hildegard Knefs „Eins und eins das macht zwei. Drum küß und denk nicht dabei. Denn Denken schadet der Illusion“.

https://www.ruhrtriennale.de/

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