Sonderkonzert am 475. Gründungstag der Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Semperoper
Eine Sternstunde
Von Petra Kammann
Weber, Wagner und Strauss. Dieses Dresden im 19. und 20. Jahrhundert prägende Komponisten-Trio stand am 22. September 2023 auf dem Programm des Festaktes der traditionsreichen Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Semperoper: Gespielt wurden Carl Maria von Webers „Jubel-Ouvertüre“, die in Dresden erstmals 1818 zu Ehren von König Friedrich August I., erklang, dann dirigierte Christian Thielemann die „Tannhäuser-Ouvertüre“ von Webers berühmtestem Nachfolger Richard Wagner, gefolgt von Richard Strauss’ Tondichtung „Also sprach Zarathustra“. Dieses skandalumwitterte Werk wurde zwar nicht in Dresden uraufgeführt, sondern in Frankfurt am Main, aber schon vier Monate später nach der Uraufführung 1897 war es in Dresden zu hören. Zum Abschluss gab es die bekannte Suite aus dem „Rosenkavalier“. Das begeisterte auch 2023 das Dresdner Publikum einhellig.
Die Dresdner Semperoper am Abend, Foto: Petra Kammann
Mit der idealtypischen Festmusik, der „Jubel-Ouvertüre op. 59“ von 1818, die wegen der Vorgeschichte Weber in nur zehn Tagen komponierte, ging es also los in der Semperoper mit dem abendlichen Zeremoniell des Festaktes. Der Komponist Carl Maria von Weber hatte als königlicher Kapellmeister am Dresdner Hof darin kurzfristig nach einem Triangelschlag die feierliche Hymne „Heil dir im Siegerkranz“ verarbeitet, die von verschiedenen Komponisten in den unterschiedlichsten Werken eingesetzt wurde wie beispielsweise von Johann Christian Bach in einem Variationszyklus über „God Save the King“ als Finale seines 6. Klavierkonzerts (op. 1, ca. 1763). Nirgends jedoch wird das Thema brillanter und überraschender eingesetzt als in der Jubel-Ouvertüre Webers. Hier war es die festliche Einstimmung in einen Abend, der zunächst einmal von Reden unterbrochen wurde.
Offizielle Grußworte des Intendanten der Semperoper und des sächsischen Ministerpräsidenten, Foto: Petra Kammann
Präsent waren beim Festakt mit Grußworten sowohl der Intendant der Semperoper Peter Theiler wie auch der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen Michael Kretschmer, der u.a. die anwesende sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch erwähnte, die immerhin Thielemanns Vertrag über 2023 hinaus nicht verlängert hatte. Für sie nämlich passte der weltweit begehrte Dirigent als solcher nicht mehr in die Zeit, weil ihrer Meinung nach künftig Themen wie Digitalisierung, Regionalisierung, Diversität, Inklusion, Outreach, also Zugänglichmachen von Informationen oder Dienstleistungen an Personen, die andernfalls ausgeschlossen sein könnten, und ähnliche gerade angesagte Themen stärker im Vordergrund stehen müssten.
Ebensowenig wurde der Vertrag des Intendanten Peter Theiler nicht über 2024 hinaus verlängert. Die Nachfolger sind schon ausgeguckt. Nora Schmid wird 2024 den Schweizer Peter Theiler ablösen, Daniele Gatti den hochdekorierten Chefdirigenten Christian Thielemann. Für einen so streitbaren wie selbstbewussten Dirigenten vom Schlage Thielemanns, der u.a. als der perfekte Wagner- und auch als der Strauss-Dirigent gilt, ist die im Forderungskatalog enthaltene Herausforderung zweifellos sekundär, denn der erreicht mit seinem leidenschaftlichen Dirigat sein Publikum in den verschiedensten renommierten Konzerthäuser gleich ob in Berlin, Wien, Salzburg, Bayreuth, Leuven oder London. Zuletzt war sein überzeugender Auftritt in der Alten Oper Frankfurt von FAZ-Musikkritiker Guido Holze entsprechend gewürdigt worden.
Engagiert bei der Sache: der passionierte Dirigent Christian Thielemann beim Sonderkonzert am 475. Gründungstag der Staatskapelle Dresden, Foto: ©Matthias Creutziger
Bewegend und ein wenig wehmütig klangen daher seine persönlichen Worte, die er vehement und selbstbewusst vortrug. Sie gerieten zu einem Plädoyer für die Freiheit und Größe der Kultur, Bildende Kunst inklusive, die heute oft als elitär abgetan wird. Dabei dankte er vor allem auch den fabelhaften Musikern der Sächsischen Staatskapelle Dresden und der Semperoper, die er tief in der Identität Dresdens und Sachsens verwurzelt sieht, und die ihm auch ein langjähriges Wirken ermöglicht haben. Und Thielemann fügte berlinernd hinzu: „Und wenn det Orchester nicht mitspielt, dann kannste machen nüscht.“ Diese Jubiläumsspielzeit wird zugleich auch seine letzte als Chefdirigent sein. Ein kleiner Wink für seinen Nachfolger, das kulturelle zu verteidigen.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden, Foto:©Matthias Creutziger / Semperoper
Er rief dem Publikum in Erinnerung, was die Kultur und die ihr innewohnende Freiheit bedeutet, welche besondere Strahlkraft seit Jahrhunderten von Dresden ausgegangen sei, dessen Kunstsammlung sich in der Welt sehen lassen könne. Dresden sei für ihn im Laufe der Jahre ein Stückweit zur Heimat geworden, der Gang vorbei an der Renaissance-Residenz mit dem Fürstenzug und seinen Fliesen aus dem berühmten Meißner Porzellan. Er erinnerte an die unnachahmliche Kunstsammlung der Dresdner Gemäldegalerie mit den Veduten von Canaletto, der nach seinen Anfängen in Venedig ab 1747 in Dresden lebte und für den sächsischen Kurfürsten und polnischen König August III. malte…
Ebenso wie das herausragende, am 22. September 1548 gegründete Orchester, das in der ganzen Welt hochgeachtet ist und dem er von Herzen dankte. In der Schilderung ihrer Bedeutung berief er sich auf Zitate von Jean-Jacques Rousseau und Ludwig van Beethoven, der sich zu der Kapelle äußerte: „man sagt, sie sei die beste in Europa“. Unter den Generalmusikdirektoren waren im Laufe der Geschichte der Kapelle u.a. so bedeutende Hofkapellmeister, Konzertmeister und Dirigenten wie Heinrich Schütz (1585-1672), Johann Adolf Hasse (1683-1729), Carl Maria von Weber (1786-1826), Richard Wagner (1813-1883), Ernst von Schuch (1872-1914), Richard Strauss (1864-1949), Fritz Busch (1922-1933), der vor den Nationalsozialisten ins Ausland geflüchtet war.
Und um nicht in Melancholie oder gar Trauer über den Verlust des bedeutenden Postens zu verfallen, schloss Thielemann seine Betrachtungen so vergnügt wie lakonisch mit dem Satz: „Wenn’s aber schön ist, dann ist es schön – und jetzt spielen wir Tannhäuser“. Und schon setzte der geniale Wagner-Dirigent präzise ein: „Nicht schleppend, gehend“.
Kuppel der Pariser Garnier-Oper, in der Wagners „Tannhäuser“ 1861 aufgeführt wurde, Foto: Petra Kammann
Die monumentale Ouvertüre von Wagners „Tannhäuser“ hat selbst eine bewegte Geschichte geschrieben. Es sei ein Stück über das Gehen. Schon Richard Wagner selbst hatte zur „Tannhäuser“-Ouvertüre bemerkt „Allerdings heißt dieses Gehen auch immer: an Grenzen gehen; über Grenzen gehen“. Damit unterstreicht er die Energie des Grenzenüberschreitens der Gegensätze im „Tannhäuser“, der im Venusberg die sinnliche Freuden genossen hat, während ihm jedoch im irdischen Leben die große Liebe zu Elisabeth verwehrt blieb.
Als die Oper im Jahre 1845 in Dresden erstmals gespielt wurde, hatte sie zunächst nicht den Erfolg, den Wagner sich erhoffte. Und erst recht nicht 1861 in der Pariser Garnier-Oper. Da war der „Tannhäuser“ ein Misserfolg, der von Pfeifkonzerten begleitet wurde. Aber Wagner hatte in Paris auch glühende Verehrer, die ihm den Rücken stärkten, wie den französischen Dichter der Fleurs du Mal Charles Baudelaire (1821-1867), der fasziniert war vom Genie des deutschen Komponisten, von dessen Leidenschaftlichkeit, dem Rauschhaften seiner Musik, vom Leitmotivischen und von der Idee des Gesamtkunstwerks. Er äußerte sogar seine Scham über das unangemessene und unwürdige Verhalten des Pariser Publikums in seiner Kritik der „Tannhäuser“-Aufführungen.
Blick in die Kuppel der Dresdner Semperoper 2023, Beide Kuppeln wurden nach dem 2. Weltkrieg neu gestaltet, Foto: Petra Kammann
Die beiden Gegensätze von himmlischer und irdischer Liebe in der „Tannhäuser“-Ouvertüre reizte die sächsische Staatskapelle denn auch musikalisch in allen Differenzierungen aus. Man hörte einzelne Instrumente wie Streicher und Bläser ebenso gut heraus wie die Hörner, Klarinetten und Fagotte. Fast demütig zurückgenommen begannen diese mit einem sehnsuchtsvoll choralähnlichen Thema, entfalteten es fein orchestriert. Dieses Thema wurde durch immer weitere anschwellende Instrumentengruppen intensiviert, bis diese zu erstarren drohen, als sich schon auch das neue Thema der freien Liebe Bahn bricht, das sich geradezu triumphierend entlädt und in sich zusammenfällt, begleitet von Streichern, die in das ursprünglich gläubige Thema wieder zurückführen, so als habe die Wagnerkritik von Hans Mayer bei der Interpretation neue Nahrung gefunden und zur Durchdringung dieser komplexen Ouvertüre beigetragen: „Hier scheint alles zu gleiten. Die Eindeutigkeit der Tonarten scheint verwischt, kühne Figurationen fahren wie Stichflammen auf“. Zweifellos, einer der musikalischen Höhepunkte des Abends.
In der Tondichtung „Zarathustra“ von Richard Strauss wurde bei aller Emotionalität und Sanftheit der angeschlagenen Töne die Transparenz und Präzision des Orchestration vernehmbar, unterstützt durch nachhaltige Kunstpausen im Dirigat, die Thielemann effektvoll setzte und dem Spiel dadurch etwas Spirituelles, Nachdenkliches verlieh. Dass Thielemann für das Festprogramm die Suite aus der Oper „Der Rosenkavalier“ op. 59 auswählte, erscheint geradezu logisch, nimmt es doch gezielt Bezug auf die in Dresden 1911 uraufgeführte Oper „Der Rosenkavalier“, die nicht zuletzt auch wegen der eingestreuten Walzer-Motive, die bisweilen wie ironische Zitate kitschiger Rezeption wirkten, gleichzeitig aber ebenso eine Art Hommage an die Musik- und Walzerstadt Wien darstellten.
Jubilierender Beifall für den Dirigenten Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden, Foto: Petra Kammann
Auch in der vielschichtigen Interpretation auf höchstem Niveau lief das Orchester beim Spielen dieser Suite mit all ihren klanglichen Schattierungen und Brechungen zur Hochform auf. Thielemann hatte sie mit großer Hingabe und Einfühlsamkeit dirigiert, so dass es das jubelnde Publikum nicht mehr auf den Sitzen hielt. Der Abend mit dem nuancierten Klangmagier Christian Thielemann wie auch mit der herausragenden Ensembleleistung des Dresdner Orchesters – es hatte mitgezogen – wird wohl allen Besuchern und Besucherinnen noch lange als Dresdner Sternstunde in Erinnerung bleiben.
Standing ovations, soweit das Auge reicht, Foto: Petra Kammann
Christian Thielemann
Seit der Saison 2012/2013 ist Christian Thielemann Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Über Stationen an der Deutschen Oper Berlin, in Gelsenkirchen, Karlsruhe, Hannover und Düsseldorf kam er 1988 als Generalmusikdirektor nach Nürnberg. 1997 kehrte der gebürtige Berliner in seine Heimatstadt als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin zurück, bevor er das gleiche Amt von 2004 bis 2011 bei den Münchner Philharmonikern innehatte. Neben seiner Dresdner Chefposition war er von 2013 bis 2022 Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg.
Intensiv widmete sich Christian Thielemann in den vergangenen Spielzeiten den Komponistenjubilaren Wagner, Strauss und Beethoven. Aber auch Werke von Bach bis hin zu Henze, Rihm und Gubaidulina standen für ihn in Dresden und auf Tournee auf dem Programm. In der Semperoper leitete er zuletzt Neuproduktionen von »Ariadne auf Naxos«, »Capriccio« und »Aida«. Bei den Osterfestspielen Salzburg dirigierte er unter anderem »Die Walküre«, »Tosca«, »Die Meistersinger von Nürnberg« und »Lohengrin«.
Eine enge Zusammenarbeit verbindet Christian Thielemann mit den Berliner Philharmonikern und Wiener Philharmonikern, deren Neujahrskonzert er 2019 dirigierte. Er war musikalischer Berater und Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, die er seit seinem Debüt im Sommer 2000 alljährlich durch maßstabsetzende Interpretationen prägt. Darüber hinaus folgte er Einladungen der großen Orchester in Europa, den Vereinigten Staaten, Israel und Asien.
Christian Thielemanns Diskographie als Exklusivkünstler der UNITEL ist umfangreich. Zu seinen jüngsten Einspielungen mit der Staatskapelle gehören die Symphonien von Anton Bruckner und Robert Schumann, Arnold Schönbergs »Gurre-Lieder« sowie zahlreiche Opern.
Christian Thielemann ist Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London, Honorarprofessor der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden sowie Ehrendoktor der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar und der Katholischen Universität Leuven in Belgien. 2003 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Im Mai 2015 erhielt er den Richard-Wagner-Preis der Richard-Wagner-Stiftung Leipzig, im Oktober 2016 wurde er mit dem Preis der Stiftung zur Förderung der Semperoper und im April 2022 mit dem Ehrenzeichen des Landes Salzburg ausgezeichnet. Christian Thielemann ist Schirmherr der Richard-Wagner-Stätten Graupa. Für seine Einspielungen wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden
Die Sächsische Staatskapelle Dresden wurde 1548 von Johann Walter im Auftrag des Kurfürsten Moritz von Sachsen gegründet und zählt damit zu einem der ältesten und traditionsreichsten Orchestern der Welt. Außerdem ist es eines der wenigen Orchester, das seitdem ununterbrochen musiziert hat.
Ihre erste Blütezeit erlebte die Sächsische Staatskapelle Dresden im 17. Jahrhundert unter Heinrich Schütz, der das Orchester von 1615 bis 1672 leitete. Seitdem hatten viele große Komponisten und Dirigenten wie Johann Adolf Hasse, Carl Maria von Weber und Richard Wagner die Leitung inne.
Freundschaftlich war vor allem Richard Strauss über sechzig Jahre lang der Staatskapelle verbunden. Insgesamt neun seiner fünfzehn Opern, darunter „Salome“, „Elektra“ oder „Der Rosenkavalier“ wurden in Dresden uraufgeführt. Seine „Alpensinfonie“ widmete er dem Orchester.
An diese Tradition knüpft die Sächsische Staatskapelle Dresden seit 2007 mit dem Programm „Capell-Compositeur“ an, bei dem namhafte zeitgenössische Komponisten eigene Werke für das Orchester schreiben. Dazu gehören Sofia Gubaidulina, Wolfgang Rihm, Györty Kurtág, Arvo Pärtsowie Peter Eötvös.
Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden ist seit der Saison 2012/2013 Christian Thielemann.