home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

75 Jahre Wiederbegründung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main mit einem Festakt im Hessischen Rundfunk

Mazel Tov  – Feuilletonfrankfurt gratuliert 

Von Petra Kammann

Als die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main, eine der ältesten und größten Gemeinden in Deutschland, das 75-jährige Jubiläum ihrer Wiederbegründung im Sendesaal des hr feierte, gestaltete das hr-Sinfonieorchester unter Leitung des charismatisch amerikanisch-deutschen Dirigenten Jonathan Stockhammer den orchestralen Rahmen. Die interessante musikalische Reise entstand in Zusammenarbeit mit dem jungen Komponisten Camilo Bornstein, der auch mit seiner eindrucksvollen Uraufführung „Mitkanes“ zum Programm beitrug. Musikalischer Gast war zudem der renommierte New Yorker Kantor Yitzchak Meir Helfgot, der als Kantor in Frankfurt begonnen hatte. Begrüßt wurden die rund 800 geladenen Gäste vom Kulturdezernenten der Jüdischen Gemeinde Marc Grünbaum. Zu den Festrednern gehörten der Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt Prof. Dr. Salomon KornBundesinnenministerin Nancy Faeser, der hessische Ministerpräsident Boris Rheinsowie Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef.

Viel Applaus für den Festakt mit dem hr-Sinfonieorchester im Sendesaal des Hessischen Rundfunks, Foto: Petra Kammann

Zunächst schien die Trauer über das kürzlich verstorbene ausgesprochen aktive Gemeindevorstandsmitglied Harry Schnabel zu überwiegen, dem auch in einer Schweigeminute gedacht wurde. Prof. Salomon Korn bekannte, dass er sogar daran dachte, die Feier aus diesem Grunde ausfallen zu lassen, wollte dann aber doch auf das für alle so wichtige Datum aufmerksam machen. Diese Feier sei auch für ganz Frankfurt gedacht. Er beschrieb die heutige Jüdische Gemeinde, immerhin eine der größten der Republik, nämlich als „integralen Bestandteil der Stadt Frankfurt“ und verband damit die Hoffnung, so selbstbewusst wie auch hoffnungsfroh in eine nähere Zukunft blicken zu können. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, machte zudem ein eingeblendeter dokumentarischer Film deutlich, war die vor 1933 noch aus 30 000 Mitgliedern bestehende Jüdische Gemeinde doch während der Nazi-Zeit nicht nur enteignet worden, sie war auch gewaltig geschrumpft. 1945 noch gab es noch 400 Überlebende, die nach Kriegsende und ihrem Überleben wieder nach Frankfurt zurückgekehrt waren.

Es war „ein Zusammengehörigkeitsbedürfnis aufgrund des gemeinsamen Schicksals“„die vertraute Atmosphäre des Jüdischen, das ein klein wenig Trost spendete“ und ein bisschen Wärme vermittelte, so Korn

In der ersten Reihe: das Ehepaar Korn mit Ministerpräsident Boris Rhein, Foto: Petra Kammann

Umso erstaunlicher, dass das provisorische jüdische Leben in der Nachkriegszeit aus den Trümmern in Frankfurt wieder aufblühte, so dass in den 1980-er Jahren eigens ein neues Gemeindezentrum gebaut werden konnte, dessen Architekt übrigens auch Prof. Salomon Korn war. markante Satz anlässlich der Eröffnung des Jüdischen Gemeindezentrums 1986: „Wer ein Haus baut, will bleiben“ machte Schule und schrieb Geschichte, weil er seither immer wieder zitiert wurde.

Korn zeigte in seiner Rede zudem seine Vision auf. „Wir wollen ein blühendes und selbstbewusstes jüdisches Leben wieder aufbauen und gestalten. Das ist unser Ziel, das ist unsere Botschaft. Und dass wir solch eine Gemeinde in Frankfurt haben, ist etwas Herausragendes.“ Heute zählt die Jüdische Gemeinde, bestehend aus Orthodoxen, Liberalen und Agnostikern, immerhin 6400 Mitglieder. Durch den Krieg in der Ukraine ist sie sogar im vergangenen Jahr noch um fast 400 ukrainische Mitbürger gewachsen.

Gabriele Eick, eine veritable Vertreterin der Frankfurter Stadtgesellschaft, begrüßt Prof. Salomon Korn (rechts) und Marc Grünbaum (Mitte), Foto: Petra Kammann

Es gibt in Frankfurt, wo das jüdische Leben eine 1700-Jahre alte Tradition hat, inzwischen nicht nur eine Jüdische Gemeinde, sondern eine jüdische Volkshochschule, ein Familienzentrum, einen Kindergarten, eine KITA, ein Altenheim und seit 2021 besteht sogar die Möglichkeit, an der Isaac Emil Lichtigfeld-Schule Abitur zu machen. Auch das sei dem verstorbenen Harry Schnabel zu verdanken. Der Wert der Bildung war Juden schon immer ein wichtiges Anliegen. Ja, und nicht zuletzt gibt es den Sportverein Makabi. Wie es scheint, ist das jüdische Leben in Frankfurt zum selbstverständlichen Bestandteil der Frankfurter Stadtkultur und -gesellschaft geworden.

Doch Korn goss auch Wasser in den Wein und griff in seiner Festaktansprache den von ihm formulierten Satz wieder auf und fügte seine Ergänzung hinzu: „und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit“. Damit verwies er auf die Fragilität von jüdischen Einrichtungen in der aktuellen Situation. Immer noch müssten diese  vor aggressiven Übergriffen geschützt werden. Oft sei das erste Gesicht, das ein jüdisches Kind zu sehen bekomme, „nicht etwa das fröhliche Gesicht der Erzieher und Lehrer, sondern das konzentrierte Gesicht eines Polizisten“. Nach wie vor werden nicht nur jüdische Institutionen und Personen angegriffen und müssen geschützt werden. Ein nicht akzeptabler Zustand. So zog sich sein Satz wie ein roter Faden durch fast alle anderen Reden der geladenen Politiker aus Stadt, Land und Bund.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser dankte der Jüdischen Gemeinschaft und sagte ihr Unterstützung zu, Foto: Petra Kammann

Schutz sicherte Bundesinnenministerin Nancy Faeser ihm zu und sagte u.a. weiter in ihrem Grußwort: „In Frankfurt überlebten nur etwa 160 Jüdinnen und Juden die Schoa. Heute zählt die Jüdische Gemeinde in Frankfurt zu den größten Deutschlands. Ihre Mitglieder engagieren sich vorbildlich für die Menschen in ihrer Stadt. Ich bin allen, die jüdisches Leben in Deutschland wiederaufgebaut haben, von ganzem Herzen für ihr Vertrauen und ihre große Leistung dankbar.“ „Sie sind ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft!“ und sie appellierte mit dem Satz „Nie wieder!“ an die damit verbundene Verpflichtung, Korn sprach sowohl der Stadt Frankfurt als auch dem Land Hessen für diese Solidarität einen großen Dank aus, und nicht zuletzt dem verstorbenen Harry Schnabel, der tatkräftig auch noch die jüdische Akademie an der Senckenberg Anlage auf den Weg gebracht habe.

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein nahm in seiner Rede u.a. Bezug auf Fritz Bauer, Foto: Petra Kammann 

Ministerpräsident Boris Rhein fügte hinzu: „Ihr 75-jähriges Bestehen ist ein wichtiger Meilenstein und ein Grund zum Feiern. Die Gemeinde hat einen bedeutenden Beitrag zur kulturellen Vielfalt und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Hessen geleistet“, während Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef der Gemeinde zum Jubiläum gratulierte, indem er sich auf den Sicherheitsaspekt jüdischer Einrichtungen bezog und die kulturelle Bedeutung hervorhob: „Kultur, Wirtschaft, Bildung – die Jüdische Gemeinde ist in all diesen Bereichen ein fester Partner. Dafür mein herzlicher Dank. Heute wie damals gilt: jüdisches Leben gehört fest zu unserem Frankfurt. Aber es gilt auch, sicheres jüdisches Leben ist nicht selbstverständlich. Deshalb müssen wir alles dafür tun, jüdisches Leben in Frankfurt am Main zu schützen.“ Außerdem nahm er Bezug auf den für Frankfurt und Deutschland insgesamt so wichtigen streitbaren hessischen Staatsanwalt Fitz Bauer, ohne den es möglicherweise nicht einmal die Auschwitzprotesse gegeben habe.

„Jüdisches Leben gehört fest zu unserem Frankfurt“, sagt Oberbürgermeister Mike Josef, Foto: Petra Kammann

Neben den Reden, die bisweilen an Wahlkampf erinnerten, war das musikalische Rahmenprogramm wirklich bemerkenswert. Eröffnet wurde der Festakt mit der farbigen Bühnenmusik der ersten Fantasie und dem VIII. Galopp aus der Bühnenmusik von Mikhail Gnessin für „Der Revisor“ von Gogol, der von der jüdischen Folklore inspiriert ist.

Gefolgt wurde dieser vom „Ad Heina“ in der Komposition von Rabbiner Meshulam Greenberger, eindringlich und eindrucksvoll vorgetragen vom renommierten New Yorker Kantor Yitzchak Meir Helfgot, dessen konzentrierte Stimme förmlich durch Mark und Bein ging. Das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung des agilen amerikanisch-deutschen Dirigenten Jonathan Stockhammer gab insgesamt sein Bestes bei der musikalischen Reise durch die 75-jährige Geschichte der Jüdischen Gemeinde.

Unter dem Motto „Aufbau der Gemeinde. In Frankfurt wieder Wurzeln schlagen“ erklangen so Kompositionen wie der berühmte Soundtrack „Remembrances“ des amerikanischen Filmkomponisten und Oskarpreisträgers John Williams aus dem Holocaust-Drama „Schindlers Liste“, der für den Beginn zwischen 1945 und 1950 stand mit der berückend zarten und dennoch durchdringenden, das Trauma der Schoah überwindenden Stimme des Solo-Violinsten Ulrich Edelmann.

Dann das kontemplative Lento religioso aus Erich Wolfgang KorngoldSymphonischer Serenade für Streichorchester B-Dur op. 39 III., welche nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1846 und 1947 entstand. Da trauern deren Klänge einer Art längst versunkenen, aber sehnsüchtig umso geliebteren Wiener Kultur nach. Sehr einfühlsam spielten sowohl die Geiger, besonders  Ulrich Edelmann, aber ebenso der hochsensible Klarinettist Tomaz Mocilnik oder die fein modulierende Solo-Harfenistin Anne-Sophie Bertrand.

Dynamisches und einfühlsames Dirigat von Jonathan Stockhammer und dem herausragenden Solo-Geiger Foto: Petra Kammann 

Ganz anders, stärker rhythmisiert und nach Aufbruch eben klang danach der erste Satz des Radio rewrite mit zwei Klavieren und zwei Xyolophonen von 1973 des New Yorker Komponisten Steve Reich. Der  Vertreter einer neuen Generation der 1970er und 1980er Jahre repräsentiert die Minimal Music. Das lustvolle Spiel der hr-Musiker erzeugte mit den zeitgenössischeren Tönen, Strukturen und Wiederholungen einen faszinierenden labyrinthischen, durch neue Einflüsse bereicherten Klangteppich, der vor dem inneren Ohr entstand.

Das Lento aus der 4. Kammersinfonie aus dem Jahre 1944 des polnisch-jüdischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg, der nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 nach Moskau geflüchtet war, sollte für die Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zwischen 1990 und 2000 und deren neuem Selbstverständnis stehen. In der Sowjetunion wurde Weinberg ein Freund des Avantgarde-Komponisten Schostakowitsch. Beide Musiker gerieten indes in die Mühlen stalinistischer Kulturpolitik, die wiederum mit einer neuen einhergehenden Verunsicherung verbunden war. Auch das findet sich in der melancholischen Komposition wieder.

Beifall für den jungen, in Frankfurt lebenden brasilianischen Komponisten Camillo Bornstein (Mitte), Foto: Petra Kammann

Dazu konnte das anwesende Publikum die berührende Uraufführung der Komposition „Mitkanes“ des in Rio de Janeiro geborenen und in Frankfurt lebenden und unterrichtenden Komponisten Camilo Bornstein, der bereits den ersten Preis der Kategorie Klassik des Wettbewerbs JüMiD – aktuelle jüdische Musik in Deutschland – gewann, miterleben. Bornstein entwickelte und komponierte das Werk in der Beschäftigung mit dem Anschlag von Halle als Auftragsarbeit der Jüdischen Gemeinde eigens für diesen Festakt. Wie das Surren und Anschwellen eines Mückenschwarms (mit 52 neuen Tönen, die der Anzahl der Besucher der Synagoge entsprechen), wirkten die Streicher hier ganz bedrohlich, auch in den leisen Stellen. Mitkanes steht dazu im Hebräischen für so gegensätzliche Bestrebungen des Zueinanderstrebens und Auseinandergehens, was wiederum für die Wurzel der Synagoge,- Beit Knesset -, dem Ort des Attentats, steht.

Abgang des Kantors und Blick auf die hervorragende Solo-Harfenistin Anne-Sophie Bertrand, Foto: Petra Kammann

Nach einem Interludium des Kantors mit „V’lirushayahim“, dem 14. Segensspruch aus dem Talmud, der die Sehnsucht nach einem Zuhause symbolisiert, gewährte dann der 2. Satz „Profanation“ von Leonhard Bernsteins 1. Sinfonie „Jeremiah“ aus dem mit schmerzlicher Aktualität zu empfindenden kriegerischen Jahr 1942 den Blick in eine bessere Zukunft. Sie war hier an diesem Abend als Solidaritätsbekundung für den Krieg in der Ukraine gedacht. Das hatte der Komponist der populären „Westside Story“ übrigens seinem, in der Ukraine geborenen Vater Samuel Bernstein gewidmet. Ein nachdenklicher Abschluss eines Festaktes, der kurz vor dem Beginn des jüdischen Neujahrsfestes Rosch Haschana stattfand, was so viel bedeutet wie „Haupt des Jahres“, bei dem jüdische Gläubige auch die Erschaffung der Welt feiern. Dem kann man nur hinzufügen: Schana tova u’metuka!, ein gutes und neues süßes Jahr!

Erster Geiger Ulrich Edelmann, Komponist Camillo Bornstein, Klarinettist Tomaz Mocilnik, Kantor Yitzchak Meir Helfgot, Dirigent Jonathan Stockhammer, Foto: Petra Kammann

Der Festakt im hr-Sendesaal war der vorläufige Höhepunkt der Jubiläumsfeiern verschiedener Aktivitäten der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Fortsetzung findet das Jubiläumsprogramm im Dezember 2023: dann wird im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum eine Ausstellung zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde Frankfurt seit ihrer Wiederbegründung in den Jahren 1948/1949 eröffnet, die bis zum Frühjahr 2024 laufen und von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm begleitet werden wird.

„Wer ein Haus baut, will bleiben – und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit“ – Das Festkonzert zum 75. Jubiläums der Wiederbegründung der Jüdischen Gemeinde

 

Comments are closed.