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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Floralia“ im Senckenberg-Museum präsentiert exzellente Blumenbilder

Drei außergewöhnliche Frankfurterinnen, drei Epochen – eine Leidenschaft:

Werke zwischen Kunst und Erforschung der Pflanzen

Von Hans-Bernd Heier

Das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt zeigt in der Schau „Floralia“ hochkarätige Werke von Maria Sibylla Merian, Elisabeth Schultz und Ulrike Crespo. Zu bewundern ist bis zum 3. Dezember 2023 eine erlesene Auswahl ihrer eindrucksvollen Zeichnungen und Malereien sowie druckgrafischen und experimentell-fotografischen Arbeiten. Die Ausstellung stellt rund 100, teils noch nie gezeigte Werke der drei außergewöhnlichen Frankfurterinnen epochenübergreifend gegenüber und beleuchtet das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Die Analyse der Flora ist ein wichtiges Gebiet der Biodiversitätsforschung. Gleichzeitig sind Pflanzendarstellungen in der Kunst ein reizvolles Motiv. In Frankfurt haben es diese drei Frauen zur Meisterschaft der künstlerisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Bildgebung gebracht.

Elisabeth Schultz „Papaver rhoeas“ (Klatschmohn), aus der Frankfurter Flora, ca. 1835–1894, 31 x 23,6 cm, Foto: Sven Tränkner, © Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Die Verbindung einer künstlerischen mit einer forschenden Tätigkeit ist das Besondere an den Werken der drei – von uns in der neuen Sonderausstellung portraitierten – Persönlichkeiten In ihren Werken kommen Neugier, Drang zum Entdecken und geduldiges Befassen mit Details in Naturräumen und Beobachten von Zusammenhängen zum Ausdruck“, erläutert Museumsdirektorin und Kuratorin Dr. Brigitte Franzen. „Anhand ihrer Arbeiten zeigt die Ausstellung die Blickweisen und Untersuchungsinteressen der drei Frauen über die jeweiligen Zeitalter des Barock, der Industrialisierung und der Postmoderne hinweg und beleuchtet dabei das Verhältnis von Natur, Wissenschaft und Kunst.“

Maria Sibylla Merian „Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung“, 1. Theil, 1679, Titelgrafik, Umdruckverfahren, Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg; Foto: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

„Rot leuchten die zarten Blütenköpfe des filigran und naturgetreu gezeichneten Klatschmohns. Auf den blau-lila, an Hortensien erinnernden Blütenblättern lassen Regentropfen ganz eigene Muster und Farbmischungen entstehen. Eine Raupe erklimmt die Goldgelbe Lilie, auf deren Blättern verschiedene Insekteneier und Puppen liegen, während darüber schon der geschlüpfte Falter thront“, begeistert sich Co-Kuratorin Dr. Ellen Wagner. Elisabeth Schultz, Ulrike Crespo und Maria Sibylla Merian sind die Schöpferinnen dieser herausragenden, exemplarisch herausgegriffenen Pflanzenportraits. „Ulrike Crespo bezieht natürlichen Regen mit ein, in Merians Fall wird dabei sogar das Zusammenspiel der Tiere und ihrer Futterpflanze im Ökosystem dargestellt“.

Ulrike Crespo, aus der Serie „Rainflowers“, 2013/14, Tintenstrahldruck auf Papier, Regen, gescannt; © Crespo Foundation und die Künstlerin

Von Maria Sibylla Merian (1647–1717) werden mehrere Originalexemplare ihres berühmten Raupenbuches „Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung“, (unkoloriert, koloriert und Umdruckexemplar) präsentiert. In detailreich komponierten Darstellungen veranschaulichte sie den Zyklus eines Insekts: vom Ei über die Raupe und das Stadium der Puppe bis hin zum Falter – arrangiert um die und auf der jeweiligen Nahrungspflanze. „Diese Darstellungsform war ihre künstlerische Erfindung. Allen ihren Arbeiten gingen empirische Beobachtungen voraus“, so Ellen Wagner.

Maria Sibylla Merian „Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung, Anderer Theil“, 1683, Tafel XXV, Rosafarbener Ackerbindling, Umdruckverfahren, Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg

Merian, ein Jahrhunderttalent, eine der bedeutendsten Naturforscherinnen, studierte die Insekten, ihre Entwicklung und ihren natürlichen Lebensraum, begann die Tiere zu züchten und systematisch zu erforschen. Ihre Tätigkeit als zeichnende Naturkundlerin beziehungsweise naturkundlich forschende Künstlerin war eine Ausnahme in ihrer Zeit. An einer Medienstation können Besucherinnen und Besucher digital durch das Raupenbuch sowie Merians Prachtband „Dissertatio De Generatione Et Metamorphosibus Insectorum Surinamensium“ mit surinamischen Pflanzen und Insekten blättern. Darüber hinaus sind bisher nahezu unbekannte, Merian zugeschriebene Originalzeichnungen von Pflanzen mit Tieren sowie Handmalereien von Insekten, Schnecken und Blumen nach Georg Hoefnagel zu entdecken.

Elisabeth Schultz (1817–1898) widmete ihre künstlerische Arbeit der vollständigen Dokumentation der Frankfurter Flora. Über 40 Jahre hinweg entstand ein bis heute einzigartiges Kompendium von über 1.200 Gouachen, mit dem die Künstlerin einen „Atlas der wildwachsenden Pflanzen aus der Umgebung von Frankfurt am Main“ schuf. Rund 40 Blätter aus diesem Gesamtwerk, das sie der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung nach ihrem Tod vermachte, sind erstmals in der Ausstellung zu sehen. Versehen sind die Werke mit den botanischen Bestimmungen im Lateinischen wie auch den deutschen Trivialnamen. Obwohl Schultz weder den genauen Fundort noch das Funddatum vermerkte, gibt ihre Arbeit einen fundierten Einblick in die Frankfurter Pflanzenwelt zu ihrer Zeit. Die angesehene Blumenmalerin und Lehrerin hat auch Pflanzen dargestellt, die es heute nicht mehr in Frankfurt gibt.

Elisabeth Schultz „Digitalis grandiflora“ (Großblütiger Fingerhut), aus der Frankfurter Flora, ca. 1835–1894, 30,5 x 24,2 cm, Foto: Sven Tränkner; © Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

„Ihre Darstellung erinnert an Vorgehensweisen in Herbaren, Sammlungen konservierter, meist getrockneter und gepresster Pflanzen, bei der alle Teile einer Pflanze zergliedert und auf einem Papierbogen zusammengebracht werden“, erklärt Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. So stellt Schultz auch Blätter umgedreht dar, um die Unterseite erkennen zu lassen, oder knickt ganze Pflanzenteile ab, wenn sie für die Darstellung auf einer Seite zu groß sind. „Ihre Werke erfüllen dabei wissenschaftliche Standards botanischer Zeichnungen, wie Vollständigkeit, Realitätsgebundenheit und faktische Authentizität“. Gleichzeitig folgen sie einer eigenen Bild- und Lichtregie, bei der mit künstlerischen Stilmitteln Plastizität und Räumlichkeit erzeugt werden. 1897 wurde Schultz als erste Frau zum Ehrenmitglied der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, der heutigen Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, ernannt.

Glenkeen Garden, Gräserwiese von Piet Oudolf, Foto: Ulli Crespo 2017; © Crespo Foundation und die Künstlerin

Von Ulrike Crespo (1950-2019) ist eine Auswahl ihrer Serie „Rainflowers“ zu sehen. Die Arbeiten der Fotografin und Psychologin sind untrennbar mit „Glenkeen Garden“ verbunden, einem Landschaftspark mit verschiedenen gärtnerisch gestalteten und natürlich belassenen Zonen, den die Künstlerin gemeinsam mit ihrem Partner Michael Satke an der Küste in West Cork, Irland in langjähriger Arbeit angelegt hat.

 

Ausstellungsansicht; Foto: Hans-Bernd Heier

„Crespo nähert sich den Pflanzen fotografisch und experimentell. Die individuellen Blütenstände oder Blätter sind ihr Material, das sie im Fall der „Rainflower“-Serie, die über 200 Blätter umfasst, direkt auf die Scanfläche eines Farbkopierers arrangiert, um den Ausdruck anschließend dem Wetter auszusetzen. Die durch Regenwasser unterschiedlich stark aufgelösten Farben verleihen ihren Werken die besonderen, abstrakten Effekte“, erläutert Prof. Christiane Riedel, Vorstand der Crespo Foundation. „Im darauffolgenden Transformationsprozess scannt sie die Motive erneut ein, um den bildnerischen Prozess digital abzuschließen. Ihre ,Rainflowers‘ rücken das Spiel von exakter digitaler Aufzeichnung und zufälligen, durch die Naturelemente entstehenden Mustern ins Zentrum“.

Die Ausstellung „Floralia“ zeigt die kleinformatigen „Originalvorlagen“, die für die finalen Bilder wiederum eingescannt wurden, mehrere großformatige ungerahmte Drucke sowie ein Motiv als Fototapete, das über eine ganze Wand des Ausstellungsraumes gezogen ist.

Die beeindruckende Schau, „Floralia: Merian – Schultz – Crespo“, die von der Crespo Foundation gefördert wird, ist bis zum 3. Dezember 2023 im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt zu sehen; weitere Informationen unter: www.museumfrankfurt.senckenberg.de

Die Crespo Foundation ist eine gemeinnützige private Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie wurde 2001 von der Psychologin und Fotografin Ulrike Crespo gegründet, mit dem Ziel, Menschen in den entscheidenden Phasen ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, sie dazu zu motivieren, ihr Potenzial zu entfalten und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Dazu engagiert sich die Crespo Foundation mit vielfältigen Projekten in den Bereichen Kultur, Bildung und Soziales. Mit der Senckenberg Gesellschaft besteht eine Partnerschaft zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Natur(forschung).

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist eine Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft und erforscht seit über 200 Jahren weltweit das „System Erde“ – in der Vergangenheit, der Gegenwart und mit Prognosen für die Zukunft. Sie betreibt integrative „Geobiodiversitätsforschung“ mit dem Ziel, die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Zudem vermittelt Senckenberg Forschungsergebnisse auf vielfältige Art und Weise, vor allem in den drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden; weitere Informationen unter: www.senckenberg.de

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