Impressionen vom Saisonstart der Galerien (2) in Frankfurt vom 8. – 10. September 2023
Internationale künstlerische Positionen am „Tag des offenen Denkmals“
von Petra Kammann
Ein großes Sammelsurium in einem Teil des Frankfurter Bahnhofsviertel: Zahlreiche Frisöre, Snackbars, Kebabs, türkische und asiatische Lebens- und Gemüseläden, eine Moschee im Hinterhof der Münchner Straße, die am Willy-Brandt-Platz beginnt, das Bahnhofsviertel durchquert und am Frankfurter Hauptbahnhof endet. Hier tummeln sich Menschen verschiedenster Nationen. Zwischendurch klingelt die Straßenbahn. Die Sonne scheint, die Stimmung ist entspannt. Darüber oft gut erhaltene hohe Altbauten aus der Gründerzeit mit viel Mainsandstein an den Fensterbrüstungen. So auch in der Münchnerstraße 38, in der ich auf das Klingelschild drücke, als es aus dem Lautsprecher tönt: „Im ersten Stock links“. Ich bin verblüfft, wie sorgfältig allein der Hausflur renoviert ist.
Hauseinangang zur Galerie Jean-Claude Maier in der Münchnerstraße, Foto: Petra Kammann
Premiere für Jean-Claude Maier
Rauf geht es über die geschwungene Treppe in den ersten Stock des bestens renovierten Gründerzeitstadthauses. Jean-Claude Maier steht an der Tür und führt mich in die Wohnung. “Debut Season” heißt es hier. Ist das eine Galerie oder eher eine Privatwohnung? Eigentlich fühle ich mich empfangen wie bei einer Einladung bei Freunden. Ach. Schon aber hat sich Jean-Claude Maier wirkungsvoll in der sehr persönlich interessant gestalteten Wohnung vor einem farbigen, übermannshohen Bild posiert, das in Streifen zerschnitten an der Wand hängt. Der Kunstsammler und Galerist ist zum ersten Mal dabei. Nicht bei der Kunst, sondern beim Saisonstart und erläutert, dass er mit John Hussain Flindts Arbeiten demnächst eine Einzelausstellung machen wird…
Galerist Jean-Claude Maier vor John Hussain Flindts Chromogenic Print Shadows and Objects, 2023
Gemalt ist das große farbige Bild offensichtlich nicht. Eine Fotoarbeit? Ja. Jedenfalls ein Chromogenic Print, dass mit einer Art Tesafilm am oberen Rand an der Wand befestigt ist. Ob er keine Angst habe, damit seine renovierte Wand, die zu einer darüberliegenden Stuckdecke führt, mit den Klebestreifen zu beschädigen, will ich wissen. Solche Klebestreifen seien medizinisch einwandfrei, würden auch von Chirurgen benutzt und ließen sich anschließend mühelos wieder abstreifen, ohne Schäden an der Wand zu hinterlassen, antwortet er entspannt. Also schaue ich mich weiter um.
Sofia Goscinskis Framing the Moon, Foto: Petra Kammann
Die Mischung der in der Wohnung ausgestellten Werke ist so bunt wie international, wie es auch ihr Background ist – und, was das Genre anbelangt. Da sehen wir neben der experimentellen, fotosensitiven Arbeit von John Hussain Flindt, auch nahezu gegenständliche Malerei oder subtile Werke auf der Basis von Beton wie Sofia Goscinskis Framing the Moon, kurzum auf jeden Fall Erstpräsentationen von Künstlern und Künstlerinnen der Rijksakademie, Beaux-Arts de Paris und der Städelschule wie Azzeazy, Aysen Kaptanoglu, Andreas Diefenbach, Gregory Tara Hari, Minju Kang oder eben Sofia Goscinski.
Und dann kann ich mich kaum sattsehen an dem langen Tisch aus Holzplanken eines Eindhovener Designers mit den auf Flohmärkten erworbenen, individuell zusammengewürfelten Stühlen in der Gemeinschaftsküche im vorderen Teil seiner Wohnung, in der Maier anscheinend auch als Unternehmensberater arbeitet, und der Mac steht auf dem Kühlschrank, während er selbst im hinteren Teil privat wohnt. Am Tisch finden oft auch gemeinsame Essen und Gespräche mit den Künstlern statt. Leben und Arbeiten scheinen hier eins zu sein.
Hier wird ab und zu gekocht und mit den Künstlern gegessen, Foto: Petra Kammann
15 Jahre lebt Jean-Claude-Maier, Sohn einer österreichischen Mutter und eines französischen Vaters, wohl schon hier. Seine Lebensgeschichte ist eine eigene Story wert. Die Galerie (ursprünglich als JCYM PRIVATEOFFSPACE) betrieb er bislang im Hintergrund, allerdings mit internationalem Netzwerk, nun schon seit mehr als seit acht Jahren wohl mehr im Verborgenen. Er habe Kunst gesammelt, sie habe ihn halt schon immer interessiert, nicht zuletzt seiner Vorfahren wegen.
Seine erste Ausstellung im privaten Rahmen sei die mit dem einstigen Städelschüler und DJ-Plattenaufleger Andreas Diefenbacher gewesen, von dem diesmal auch eine neue vielschichtige Arbeit hier hängt: „Rückkehr aus der Zeit in die Gegenwart“ (Siebdruck und Acryl auf Leinwand). Nun aber sei die Zeit reif, um auch offiziell am Saisonstart der Galerien mitzumachen, weswegen er sein Programm „Debut Season“ nennt, um hier Künstlerinnen und Künstler vorzustellen, die ihre erste Einzelausstellung überhaupt und demnächst eine zweite Einzelausstellung künftig in der Galerie haben werden.
Italianità
Das Treppenhaus der denkmalgeschützten Villa der Frankfurter Westend-Galerie, Foto: Petra Kammann
Weiter geht es ins Westend in die Arndtstraße 12, und zwar in die denkmalgeschützte Villa der Deutsch-Italienischen Vereinigung. Schon im Treppenhaus empfängt mich die Vorstandsvorsitzende Dr.Caroline Lüderssen, die auch für Frankfurter Stiftung für deutsch-italienische Studien zuständig ist, die das Haus in der Arndtstraße als Begegnungsort für die Freunde italienischer Kultur sichert. Ein Vermächtnis des Lyrikers, Literaturdozenten, Galeristen und Wissenschaftlers Salvatore A. Sanna († 2018), der 1966 die Deutsch-Italienische Vereinigung e.V. gründete, die er bis 2016 ehrenamtlich leitete.
Dr. Caroline Lüderssen, Chefin der Deutsch-italienischen Vereinigung und der Westend-Galerie, Foto: Petra Kammann
Unter dem Oberbegriff ARTE hat nun anlässlich des Galeriensaisonstarts die Frankfurter Westend Galerie „weibliche“ und junge Kunst aus Italien (Jahrgang 1991 bis 1997) in den Fokus gerückt mit so verschiedenartigen Werken wie denen von Rossella Barbante, Mariasole Caio, Anna Colombi und Silvia Cotugno, die wiederum Begriffen wie Anthropozän – Authentizität – Allegorie – Augenschein zugeordnet werden können, um deren individuelle Eigenart hervorzuheben.
Zum Thema AuthenTizät – das Einkanalvideo „Human Attitude“ – von Mariasole Caio, Foto: Petra Kammann
Die zeitgenössischen interdisziplinären Arbeiten beschäftigen sich sowohl kritisch und konstruktiv mit der Gesellschaft, der zerstörten Umwelt, mit ihrer Weiblichkeit als auch mit dem Individuum. Sie verwenden dazu auch vier so unterschiedliche Techniken wie: Acryl auf Leinwand, Mischtechnik und Harz auf Dibond, Zeichnung auf Papier oder Leinwand sowie Video. Das Wechselspiel von Makro- und Mikroebene ermöglicht ihnen eine direkte Konfrontation mit den Betrachterinnen und Betrachtern und rückt die Frage nach der aktuellen kulturellen und gesellschaftlichen Angehörigkeit der weiblichen Künstlerinnen in den Mittelpunkt.
Die Dokumentarfilmerin Mariasole Caio präsentiert gleich zwei eindrucksvolle Videos. In einem der Videos filmt sie in einem überwucherten Lost place, begleitet von elektronischer Musik, eine junge Frau, die in eine 10 Meter lange durchsichtige Folie eingewickelt und damit zum Objekt gemacht wird, bis sie sich nach und nach von dieser künstlichen Folie befreit, während ihr dabei Wunden zugefügt werden. Das zweite Schwarz-Weiß-Video entstand während des in Italien extrem strengen Lockdowns zwischen März und April 2020, wo das Leben in Einsamkeit zu ersticken drohte und sich ihr so existenzielle Fragen wie „Chi siamo? Dove andiamo? Cosa facciamo?“ (Wer sind wir? Wohin gehen wir? Was tun wir?) stellten.
Die italienische Kunstkritikerin Gaia Bresiani vor Roselila Barbantes Arbeit „Sublime artificiale“, Foto. Petra Kammann
Ganz selbstbewusst und selbstverständlich bewegen sich die vier Künstlerinnen zwischen Genres und Themen wie Ökofeminismus, Ästhetik und Dokumentation und spinnen gleichzeitig die Fäden zur Kunstgeschichte, innerhalb derer sie sich bewegen. Außerdem verwenden sie dazu auch vier so verschiedene Techniken wie: Acryl auf Leinwand, Mischtechnik und Harz auf Dibond, Zeichnung auf Papier oder Leinwand sowie Video.
Anna Colombos Arbeiten Allegoria IV, V und VI bilden eine Art Triptychon, Foto: Petra Kammann
Rosella Barbante stammt aus der Basilikata, wo sie erlebt, wie durch die Erdölbohrtürme Umweltkatastrophen in der idyllisch belasteten Landschaft entstehen und reflektiert über das Zeitalter des Anthropozän. Ihre Eindrücke in den mehrschichtigen Arbeiten, die sie Sublime artificiale nennt, entwickelt sie aus grellen Acrylfarben auf Dibon, Gießharz und Brenner.
Anna Colombi, die sich in ihren Gemälden „Allegorie“ von den wolkenartigen Gebilden eines Giambattista Tiepolo inspirieren ließ, arbeitet ebenfalls mit mehreren Farbschichten, indem sie über die pflanzlich besprühte Leinwand Schablonen etwa von Spitzen, die traditionell für die Arbeit von Frauen stehen, übermalt und so die ersten Eindrücke buchstäblich wieder verwischt.
Silvia Cotugno vor ihren feingliedrigen Zeichnungen, Foto: Petra Kammann
Für die so zarten wie akribischen Tusche- und Graphit-Zeichnungen auf Papier, Leinwand oder Holz von Silvia Cotugno unter dem Schwerpunkt Augenschein muss man sich etwas Zeit nehmen, um sie zu entschlüsseln. Sie bilden das Gegenteil zu den heute schnellen digital hergestellten Fotografien von Jederman und Jederfrau. Cotugno fordert uns vielmehr dazu auf, genauer hinzuschauen und dem ersten Augenschein zu misstrauen. Mit großer Sorgfalt entschlüsselt sie zeichnerisch vielmehr lichterfüllte Orte im Freien, in Gassen, an Gebäudefassaden oder Palmen, die sie auch mit freier Fläche umgibt, um auf deren Besonderheit hinzuweisen und stellt sich gleichzeitig in die Tradition der italienischen Architekturzeichnungen.
Fantastisches im südlichen Westend
Ebenfalls in historischem Gebäude „DIE GALERIE“ im Grüneburgweg, Foto: Petra Kammann
Nach diesen Eindrücken führt es mich weiter ins nördliche Westend in „DIE GALERIE“ auf den Grünburgweg 123, wo es im wahrsten Wortsinne „tierisch“ zugeht.
Raymond E. Waydlich, Loup des Vosges, Borne bemalt, 2021
Hier treffen wir auf „Fantastische Tiere“, angefangen von den bedrohlichen höllischen Wölfen und Wildscheinen aus bemalter Bronze des Bildhauers Raymond E. Waydlich bis hin zu den gemalten Dämonen von Klaus Zylla über Salvador Dalías Venus Giraffe, den Fabelwesen eines Max Ernst bis hin zu den befremdlich-gruseligen Gemälden von Torsten Holtz, die allerdings meisterlich gemalt sind. Schon die Surrealisten hatten Tiergestalten in ihren Werken dargestellt, weil sie sich auf ihre Weise mit Mythologie und dem Unterbewusstseinauh auseinandersetzten.
Fast der ganze fantastische „Zoo“, sei es in freier Wildbahn oder gezähmt, kurzum das imaginäre Universum der Tierwelt, ist hier bis in die zeitgenössische Kunst zu entdecken und lässt einen über das Animalische im Menschen anders nachdenken, wie es das Gemälde des Berliner Künstlers und Meisterschülers Volker Stelzmanns Torsten Holtz nahelegt.
Temporeiches Großstadtleben
Der Blick in die Galerie Barbara Stechow eine Ecke weiter, in der Feldbergstraße 28 – und ebenfalls im Altbau, aber mit großen Schaufenstern zur Straße hin – lässt uns mit Hilfe der leuchtend farbigen Gemälde „Seven Steps to Manhattan“ von Tom Christopher in den hektischen Verkehr von New York eintauchen.
Christopher, der zwar in Hollywood aufwuchs, aber mit um die 30 nach New York übersiedelte, ließ sich von der Energie, die von den dortigen Skyscrapers, Bussen, Taxen, Fahrradfahrern, Skateboadern und E-Rollern, Fußgängern und den hektischen Menschenmassen immer wieder inspirieren, war den Blick aber immer auch auf Einzelpersonen wie auf verlorene Kinder in „A small child. Grew up to be a small man“.
Bisweilen skizzenhaft und mit schnellem Pinselstrich überträgt Christopher die temporeiche Dynamik des städtischen Großstadtlebens in das Bildgeschehen. Ein reizvoller Gegensatz zum Ausstellungsort im Altbau, auch eine spezielle Morgendämmerung wie „Early eye with rose Sky“ oder lakonische Liebeserklärungen in Momentaufnahmen wie in dem Bild „I liked the way she dressed in winter. I liked her nerve as well“.
Kunst aus Ghana
Daniel Hagemeier, Direktor der Galerie Sakhile & Me mit den Arbeiten von Larry Boncaka
Weiter führt mich der Weg in die Nähe zur Alten Oper in die Oberlindau 7 in die Galerie Sakhile & Me, abermals in einen Altbau, in dem diesmal Afrika präsent ist, d.h. die Arbeiten des ghanaischen Multimedia-Künstlers und einstigen Städelschülers Larry Boncaka mit dem Titel „Denk-mal: Relics in Crisis“. Er setzt sich kritisch mit dem Kulturerbe von Ghana auseinandersetzt, auch mit den historischen Skulpturen, die er fotografisch mehrschichtig darstell mit einem Reststaub aus Gold an der Oberfläche...
Er baute die „Auntie DeiDei„-Puppen, die nach der ghanaischen Unabhängigkeit massenhaft produziert wurden für Frauen, die Mädchen gebaren, und in Vergessenheit gerieten. Er baute sie z.B. zu Reliefs und Skulpturen um, stellt sie im Kreis als bunte Einheiten zusammen, um damit deutlich zu machen, dass traditionell das Wir im Zusammenhalt mächtiger ist als der Einzelne.“ I am because we are„, erläutert Frau Matlhare die Denkweise, die in Ghana Tradition hat. „Being connectited to other people „, sei ganz entscheidend. So sieht es auch der Galerist selbst, der die inhaltliche Kompetenz auf seine Frau und Partnerin Sakhile Matlhare überlässt.
Hagemeier & Matlhare sind gleichberechtigt in der Galeriearbeit, Foto: Petra Kammann
Denk-Mal! Auch in dieser Galerie ist die Spannung zwischen Alt und Neu am“ OffenenTag des Denkmals“ anregend, um neu über Geschichte, Gegenwart und Zukunft nachzudenken.
→ Impressionen vom Saisonstart der Galerien (1) in Frankfurt vom 8. – 10. September 2023