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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Perkussionist Martin Grubinger nimmt Abschied von der Bühne

„Entweder macht man etwas mit totaler Hingabe oder gar nicht“

von Renate Feyerbacher

Die Schlägel wirbeln umher. Martin Grubinger flitzt von einem Instrument zum andern. Mit „Le sacre du printemps“ („Das Frühlungsopfer“) von Igor Strawinsky, der Geschichte der brutalen Opferung eines jungen Mädchens, arrangiert für zwei Klaviere und Perkussion, beginnt der Abend im Kurhaus Wiesbaden. Ungewöhnlich, faszinierend.

 Collage der Programmfotos des Rheingau Musik Festival, Foto: Renate Feyerbacher

Das Rheingau Musik Festival hat den „Weltschlagzeuger, Tausendsassa“ zum Fokus-Künstler bestimmt und ihm 2023 drei Konzerttermine anvertraut. Das erste Mitte Juli war zusammen mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, das zweite Ende Juli ein Abend für drei Perkussionisten und zwei Pianistinnen und am 27. August das Großprojekt „Martin Grubinger und The Percussive Planet“ in der Rheingoldhalle Mainz. Für „The Percussion Summit 2023“ wurden um die 20 Schlagzeuger aus der ganzen Welt eingeladen.

Zwei Tage später ehrt ihn das Bremer Musikfest, wo er seine letzten Konzerte in Deutschland geben wird. Dann folgen noch Schlagzeuggipfel in Paris und Salzburg.

Lange hatte der Vierzigjährige angekündigt, sich von der Bühne zurückzuziehen. Körperliche Extrembelastungen wie bei einem Hochleistungssportler werden ihm zugesetzt haben ebenso die Lautstärke. Mit 15 Jahren hat er bereits an internationalen Wettbewerben teilgenommen.

Nach 25 Jahren sei eine gewisse Müdigkeit eingetreten. Die vielen Konzertreisen, die Einstudierung neuer Konzerte sind äußerst intensiv. Er habe noch andere Interessen. So wolle er Geschichte studieren, die Arbeit mit den Studenten, an denen er hänge, am Mozarteum Salzburg, wo er Professor ist, vertiefen.

Für seine Familie, Ehefrau Ferzan Önder, die Pianistin, seinen Sohn und seine Eltern, Vater Martin Grubinger, selbst großer Perkussionist, der ihn in die Kunst des Schlagwerks einwies und seine Mutter, die für ihn als „Finanzministerin“ aktiv ist, wird er mehr Zeit haben.

Höchste Präzision, Taktgefühl und Ausdauer, Spielfreude dafür steht Grubinger. Schweißtreibend sind seine Auftritte. Bis zu 1.100 Schläge pro Minute hallen durch die Konzertsäle. Pro Auftritt verliert er rund drei Kilogramm an Gewicht. Musikalischer Hochleistungssport – jahrelanges Training gehörte dazu wie intensive Proben, bis zu 16 Stunden täglich.

Totale Hingabe, geradezu körperliche Verausgabung, unglaubliche Spielfreude machen einfach sprachlos, so auch am Konzertabend in Wiesbaden mit Werken, die sich mit der Natur beschäftigen. Blitzschnell wechselt er die verschiedenen Schlägel. Derer es viele gibt.

Anbetung der Erde heißt der 1. Teil von „Le Sacre du Printemps“. Strawinsky komponierte die Ballettmusik für großes Orchester. Die heidnische Opferweihe mit Szenen aus Russland provozierte1913 das Pariser Publikum. Theaterskandal. Sowohl im Konzertsaal als auch auf der Bühne feiert das Werk bis heute Triumpfe. Grandiose Ballettaufführungen unter anderem von Maurice Béjart (1959), Pina Bausch (1975) und Sasha Waltz (2013) blieben in Erinnerung.

Großes Schlagwerk verzeichnet „Le sacre du printemps“: fünf Pauken, große Trommel, Tamtam, (Flachgong) Triangel, Tamburin, Becken, Crotales, (Zimbeln).

Strawinsky selbst  hat zuerst eine Fassung für Klavier zu vier Händen erstellt. Er spielte sie mit seinem Komponistenkollegen Claude Debussy. Ekstatisch hämmernde Rhythmik fast wie Schlagzeug. Genügend Anlass für Grubinger, sich Strawinskys Werk zu widmen.

Die Bühne im Wiesbadener Kurhaus ist voll von Schlaginstrumenten und zwei Flügeln. Die Zwillingsschwestern Ferhan & Ferzan Önder sind die Pianistinnen.

Manchmal spielen sie zusammen, manchmal alleine, aber das Schlagwerk überdeckt oft ihr Spiel. Ihre rhythmisch-pointierten Anschläge werden dennoch wahrgenommen. Keine leichte Aufgabe für die türkisch-österreichischen Musikerinnen, die in Ankara und in Wien studiert hatten, sich gegen das mächtige Schlagzeug durchzusetzen.

Am Ende des Konzertabends bei der Zugabe eines außergewöhnlichen Astor Piazzollas Tangos war ihr fulminantes pianistisches Können gut zu hören und bestätigte ihr Weltniveau.

 Grubinger, Leitner, die Zwillingsschwestern Önder, Georgiev, Foto; Renate Feyerbacher

Martin Grubinger hatte zwei Perkusssionisten-Kollegen zur Verstärkung geholt: Jürgen Leitner, er gehört zu seinen Schlagzeugfreunden. Mit Leitner ist er in den großen Konzertsälen oft unterwegs. Der gebürtige Bulgare Alexander Georgiev studierte in Linz und hat heute eine Professur am Kärntner Landeskonservatorium in Klagenfurt inne.

Fazil Say widmete Grubinger 2019 sein Konzert für Schlagzeug und Orchester op.77. Jeder Satz stellt ein bestimmtes Instrument in den Mittelpunkt. Rototoms, Octoban-Trommeln, Water- und Vibraphone, Röhrenglocken sind ständig im Einsatz. Seine Stimmen der Natur haben heftige, aber auch besinnliche, ruhige Momente. Das Ende, der Ausblick auf seine Heimat Türkei, ist allerdings düster und beklemmend.

Nach jedem Werk muss die Bühne umgebaut werden, neue Instrumente kommen hinzu. Die Künstler bauen die Bühne um – unterstützt vom Team der Mitarbeiter des Kurhauses. Immer wieder tüftelt Grubinger an einem Instrument.

Grubinger beim Umbau, Foto::Renate Feyerbacher

Dann spricht Martin Grubinger über „The Tears of Nature“ des gebürtigen Chinesen Tan Dun, der in New York lebt. Sommer, Herbst und Winter, den hoffnungsvollen Frühling hat er ausgeschlossen. Das 2012 Grubinger gewidmete Konzert reflektiert drei Naturkatastrophen: das Erbeben in China 2008, das 70.000 Menschenleben forderte, das Seebeben 2011 vor der Küste von Fukushima und die ausgelöste Atomkatastrophe, der Hurrikan Sandy 2012 in der Karibik, der auch New York schädigte.

Tan Dun, er ist auch Dirigent, ist in  der ganzen Welt aktiv ebenso in Deutschland, wo er einige Preise  erhielt.

Grubinger hat das Konzert schon mehrfach mit großem Orchester gespielt, in Wiesbaden spielen es die beiden Pianistinnen, die Zwillingschwestern Ferhan und Ferzan Önder und die drei Perkussionisten. Mit einem „steinernen Gesang“, das  heißt Steine werden zum Instrument, beginnt das Werk.

Kesselpauken und japanische Taikos demonstrieren die Naturgewalten und die Marimba stimmt ein chinesisches Klagelied an, das sich bis zum Ende des Werks durchzieht. „Ein Sog des Untergangs, in den sich mit Gongs, Waterphone und Regenmacher die Stimme der Natur mischt, ohne am Ende aber triumphieren zu können.“ (Erklärung im Programmheft). Ein harter nüchterner Schlag zertrümmert alle Hoffnungen.

Eine Wucht. Am Schluss, hat man das Gefühl, Martin Grubinger sei nicht erschöpft, bedankt er sich doch beim Publikum, das ihn und seine Mitspieler so gefeiert hat.

Dann erwähnt er noch das digitale Projekt My Groove, an dem jeder teilnehmen kann. Damit die Welt wieder mehr Musik mache. Es ist „die erste Appp, in der du zusammen mit Artists auf deinem Instrument in einer Band spielen und dabei deine Fähigkeiten verbessern kannst.

Kostenloser Test:  MyGroove Freemium

FeuilletonFrankfurt über Abschied von Grubinger in Frankfurt

→ Martin Grubingers Abschiedskonzert in Frankfurt: einfach hinreißend

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