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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schlendern durch Avignon

Sur le pont d’Avignon …

Von Petra Kammann

Avignon hat mehr zu bieten als nur le Pont d’Avignon, die liedgewordene Brücke an der Rhône… Klar, der dortige Papstpalast ist den meisten ein Begriff. Aber wer kennt schon die begrünte Beton-Markthalle, in der mittags von einem Amerikaner Kochkurse gegeben werden, wer die italienische Kunstsammlung im Musée du Petit Palais oder die zeitgenössische Kunstsammlung von Yvon Lambert, einem Mäzen und Sammler im Gehäuse eines Palais aus dem 17. Jahrhundert, und wer weiß schon, dass der Hochgeschwindigkeitszug TGV einen Bahnhof mitten in der Stadt hat?

Blick auf das Kulturerbe der Stadt von der Rhone aus, Foto: ORT Avignon

Bei der wenigen Zeit, die mir nach meiner TGV-Ankunft aus Marseille für Avignon zur Verfügung steht, bin ich froh, dass Philippe mich am Bahnhof abholt und mich bei einem gemeinsamen Spaziergang gleich auf die richtige Fährte setzt, zumal am Samstagvormittag hier noch alles zu schlafen scheint, und es leicht regnet, was im Midi wohl eher selten der Fall  ist.

Eines der idyllischen Plätzchen in der Altstadt von Avignon, Foto: Petra Kammann

Wir streifen zunächst entlang der Stadtmauer durch die kleinen Gässchen, über die idyllischen Plätzchen, mit ihren kleinen Cafés, staunen über eine nostalgisch angehauchte Kräuterapotheke und über die Rue des Teinturiers, die Straße der Färber mit ihrem großen Wasserrad, einem der malerischsten Orte Avignons, wo das Collectif des Fabricateurs  (Kunsthandwerker und alternative Produzenten)dafür sorgt, dass an rund zwanzig Orten Künstler, Designer und Kunsthandwerker in den unterschiedlichsten Formen kreativ tätig werden: Design, Textilkunst, Dekoration, Mode-Accessoires, Street Art, Möbel und zeitgenössische Kleinkunkunst.

Phantasievoll und einfach: Mobile Buchhandlungen im Regen, Foto: Petra Kammann

Vorbei an den im Regen stehenden mobilen Buchhändler geht es auf den Vorplatz zur Markthalle („Les Halles“). Denn dahin führt uns der Weg. Sie liegt direkt an der Place Pie mit ihren kleinen Cafés und Restaurants und einem kleinen Floh-und Gelegenheitsmarkt. Ihre Nordfassade ist mit einem vertikalen grünen Garten (30m x 11,50m) eingekleidet.

Geschaffen und angelegt hat diese „Mur Végétal“, wie es hier heißt, der französische Botaniker und Gartenkünstler Patrick Blanc. 20 verschiedene Pflanzenarten wachsen auf der 600 Quadratmeter großen Wand aus Zwergkoniferen, Zistrose, Sonnenröschen, Nelke und Salbei. Und wie geht so etwas, ohne dass das Gebäude darunter Schaden leidet?

Die „Mur Végétal“ , eine von Patrick Blanc mit Pflanzen eingekleidete Markthalle, Foto: Petra Kammann

Auf der zu begrünenden Wand wird ein Metallgerüst angebracht, auf dem Hartschaumplatten montiert sind, die mit Vlies bespannt werden, was wiederum den anwachsenden Pflanzen als Wurzelraum dient. Der Stoff aus Synthetikfasern leitet das Wasser und den Flüssigdünger, welche aus einem Rohr herauströpfeln, an die Pflanzen weiter. So wird die Feuchtigkeit gleichmäßig weiter gegeben, ohne dass die Bausubstanz dadurch beschädigt wird.

Betritt man die Markthalle, so wird man zunächst einmal vom verführerischen Aroma der prall gefüllten Obst-, Gemüse-, Fleisch,- und Fisch- und Gewürzstände angezogen.

Folgen gespannt den Anweisungen des gut gelaunten kalifornischen Kochstars Jonathan Chiri, Foto: Petra Kammann

An einem der Marktstände ist auch immer ein Starkoch aus der Region zu Gast und zugange – diesmal ist es der junge kalifornische Chefkoch Jonathan Chiri, der bereits in zahlreichen Restaurants in den USA und Europa gearbeitet, sich in der Region niedergelassen und „La Cuisine Centr’Halles“ gegründet hat.

Er lässt die Besucher und Besucherinnen seines Kursus‘ an seinen Kochtricks teilhaben. Bester Laune zeigt er, wie man eine „Lotte“ (Seeteufel) enthäutet oder wie man das Gemüse für die provenzalische Ratatouille so kleinschneidet, dass es den besonderen Geschmack entfaltet. Die Teilnehmenden machen das mit viel Spaß nach, dürfen zwischendurch probieren und können anschließend das Gekochte verspeisen. Auf jeden Fall ein kulinarischer Riesenspaß mit Erkenntnisgewinn!

Natürlich ist Avignon in verschiedener Hinsicht eine Ausnahmestadt – ihrer Geschichte, ihres gebauten Kulturerbes, ihrer Traditionen wegen. Werfen wir einen Blick in das Musée Calvet.

Der Innenhof des Museums „Musée Calvet“, Foto: Petra Kammann

Das Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert zählt mit seiner hochkarätigen Kunstsammlung zu einem der erfahrbaren geschichtsträchtigen Orte von Avignon, die man, ohne Eintritt zu zahlen, besuchen kann. Die herausragende und vielfältige Sammlung ist dem Physiokraten Esprit Calvet zu verdanken, der sein Leben der Medizin und der Kunst widmete.

1810 hatte er sein Geburtshaus, eine große Bibliothek, eine naturhistorische Sammlung, darunter auch ägyptische Sarkophage, eine Sammlung niederländischer Landschaftsmalerei und andere Kostbarkeiten der Stadt Avignon vermacht.

Ägyptische Funde nutzte Calvet auch zu Forschungszwecken, Foto: Petra Kammann

Daran knüpfte er allerdings die Bedingung, diese Sammlung aufrechtzuerhalten, was es dem Bürgermeister von Avignon forthin erlaubte, das Museum zum Wohle der Stadt zu nutzen. Daraufhin wurde ihm zu Ehren das daraus entstandene Museum Musée Calvet genannt. Heute wird es mit fünf weiteren Museen in Avignon von der Calvet-Stiftung geleitet. Alle sind kostenlos zu besuchen. Ein echtes Geschenk!

Blick ins Musée Calvet, Foto: Petra Kammann

1946 gelangte die Stiftung des Sammlers, Malers und Mäzens Émile Joseph-Rignault mit Werken des 19. und 20. Jahrhunderts ebenfalls ins Museum. Eine reiche Sammlung, in der sich Öl-Gemälde von Eugène Delacroixvon Édouard Manet bis hin zu Alfred Sisley befinden. Hinzu kam ein Werkblock von Chaim Soutine.

Weitere Arbeiten der Schenkung sind etwa das Pastellbild Madame Guillaumin im Garten von Armand Guillaumin und die Aquarelle Badende von Berthe Morisot sowie der Blick vom Trocadéro von Henri Edmond Cross, aber auch Zeichnungen und Arbeiten wie das Bildnis Eugène DelacroixBadende und Figuren- und Bewegungsstudien von Paul CézanneBadende und ein Porträt des Sohnes Pierre von Pierre-Auguste Renoir, ein Männerkopf von Amedeo Modigliani, Skizzen von Honoré DaumierSelbstbildnis und Straße in Paris von Albert Marquet und das Bildnis eines Mannes von Henri de Toulouse-Lautrec. Weitere Werke der Stiftung stammen von Künstlern wie Jean-François Millet, Constantin Guys, Maurice Utrillo,Raoul Dufy, Jean Dufy, Georges Rouault, Maurice de Vlaminck und Jean-Louis Forain. 

Blick in den Raum mit der klassizistischen Skulpturensammlung des Musée Calvet, Foto: Petra Kammann

In den 1980er Jahren wurde das Musée Calvet ob der Fülle in zwei Häuser aufgeteilt und erstreckt sich heutzutage auf zwei Gebäude in der Stadt: Das Museum für Bildende Kunst blieb im Stadtpalais von Villeneuve-Martignan, während sich das Lapidarium heute in der alten Kapelle der Jesuitenschule in der Rue de la République befindet.

Umgeben von einer mittelalterlichen Mauer steht der massive Papstpalast („Palais des Papes“) im Stadtzentrum, Foto: Petra Kammann

Natürlich kann man bei einem Besuch in Avignon den gewaltigen Papstpalast aus dem 14. Jahrhundert, in dem man sich allein einen ganzen Tag tummeln könnte, nicht beiseite lassen. Er war immerhin das Zentrum in der damaligen christlichen Welt. Und dank jahrelanger archäologischer Forschungen konnten inzwischen die mittelalterlichen Gärten des Papstpalastes originalgetreu nachgebildet werden.

Von 1309 bis 1377 war das monumentale Gebäude der Sitz der katholischen Päpste, wurde ab 1335 im Wesentlichen von zwei Päpsten gebaut (Benedikt XII. und sein Nachfolger Klemens VI.),  und blieb unter päpstlicher Herrschaft, bis er nach der französischen Revolution, als er schließlich 1791 offiziell zu Frankreich kam.

Die italienischen Fresken im Papstpalast, Foto: Petra Kammann

Die monumentale Residenz der Päpste aus dem 14. Jahrhundert ist mit 15.000 m² Fläche (das entspricht etwa den Umfang von vier gotischen Kathedralen) das größte gotische Bauwerk überhaupt. Über zwanzig Räume können darin besichtigt werden, insbesondere die Privatgemächer der Päpste mit wunderbaren Fresken des italienischen Künstlers Matteo Giovannetti.

Blick auf die vatikanischen Gärten, Foto: Petra Kammann

Heute findet drei Wochen lang im Juli außerdem in der Cour d‘Honneur des Papstpalastes alljährlich das berühmte Theaterfestival ( in diesem Jahr vom 5. bis 25. Juli)) von Avignon statt, das 1947 von Jean Vilar geschaffen wurde. Ein Stelldichein großer und berühmter Schauspieler.

Zum Festival von Avignon kamen schon immer die Besten der darstellenden Kunst sowie dersnationalen und internationalen zeitgenössischen Avantgardetheaters. Seit 2014 leitet der Regisseur  Olivier Py das Festival im Sinne des kämpferischen Gründers und vermittelt dem Publikum „eine andere Beziehung zu der Welt, in der Politik nicht vom Denken und Hoffen getrennt ist“.

Hier im Cour d’honneur des Papstpalastes  wird das Sommerfestival von Avignon stattfinden, Foto: Petra Kammann

Stimmung während des Festivals , Foto: JPCampomar, ORT Avignon

Zu dem eindrucksvollen Gebäudekomplex zählt auch der erzbischöfliche Palais, in dem heute das Musée du Petit Palais untergebracht ist, sowie im Norden der Stadt die romanische Kathedrale Notre-Dame des Doms, der Sitz des Erzbischofs von Avignon oberhalb des Papstpalastes auf einem Felssporn, die von einer vergoldeten Statue der heiligen Jungfrau überragt wird, und natürlich, was unbedingt auf der Liste zum Weltkulturerbe der UNESCO dazu gehört, die berühmte Bogenbrücke Pont Saint-Bénézet oder auch „Le Pont d’Avignon“ genannt, auf der – dem berühmten Kinderlied nach – getanzt wurde.

Blick auf das Musée du Petit Palais und rechts die Kathedrale Notre Dame des Doms, Foto: Petra Kammann

Das Musée du Petit Palais auf der anderen Seite des Platzes, in dem ursprünglich das Erzbischöfliche Palais untergebracht war,  beherbergt nun eine phantastische Sammlung bedeutender Mittelalter- und Renaissance-Kunstwerke aus Italien.

Seit 1976 kann man dort in 19 Sälen etwa 300 Gemälde und 600 Skulpturen die zum Teil aus der umfangreichen Collection Camapana stammenden Werke des Sammlers Giampietro Campana bestaunen und fühlt sich nach Florenz oder Siena versetzt. Der französische Staat hatte sie in Teilen im Jahr 1861 erworben, u.a. mit so bedeutenden Stücken wie denen von Sandro Botticelli oder Simone Martini.

Bei einem Rundgang durch die Altstadt, flaniert man staunend durch die verschiedenen Jahrhunderte. Dabei gelangt man auch zu einem klassizistischen Palais und seinem idyllischen Vorhof mit alten Baumbestand, das innerlich von Gegenwärtigem und utopisch Zukünftigem beherrscht ist. 

Kaum hat man den Eingang des Doppel-Palais hinter sich gelassen, stößt man auch schon auf die Präsenz der zeitgenössischen Kunst, in welche der passionierte Kunstsammler und Mäzens Yvon Lambert sein ganzes Leben lang investiert hat. Eine Lichtsäule mit in den Boden und in die Höhe wandernden Sprüchen von Jenny Holzer führt durch das historische Treppenhaus. Lambert nennt seine Sammlung eine „Historie intime de l’art. Une collection, une donation, un lieux“ („Eine intime Kunstgeschichte. Eine Sammlung, eine Schenkung, ein Ort“).

So kühn und pionierhaft wie die fast 70-jährige Kunstsammlung ist auch die in das Gebäude eingebaute Treppe.

6000 Werke hat der visionäre Sammler Yvon Lambert zusammengetragen und diese 2012 dem französischen Staat vermacht. 2015 bekam er, um die Fülle des Gesammelten zeigen zu können, ein weiteres danebenliegendes Gebäude vom französischen Staat und der Stadt Avignon zur Verfügung gestellt, so dass seine Schenkung in den beiden Gebäuden vereint werden konnte.

Schon der Eingang  mit Jenny Holzers Werk schafft Aufmerksamkeit, Foto: Petra Kammann

Begonnen hatte der Pariser Galerist mit seiner Sammlung in den 1960er Jahren, als er begriff, dass Paris nicht mehr die Kunstkapitale war. So verfolgte er u.a. die  ganz neuartige Landart aus den USA und andere aufstrebende Künstler dort. Einige von ihnen, wie etwa Sol leWitt oder Cy Twombly wurden durch ihn erst international bekannt.

Aber auch einigen avantgardistischen europäischen Künstlern und Konzeptkünstlern wie dem durch seine Streifenbilder bekannten Daniel Buren, verhalf Yvon Lambert zum Durchbruch. Werke von Künstlern wie Douglas Gordon, Anselm Kiefer, Niele Toroni, Christian Boltanski, Andres Serrano fanden ebenfalls Eingang in seine Bildende-Kunst-Sammlung.

Blick in die Ausstellungsräume, Foto: Petra Kammann

Herausragend ist in diesem Zusammenhang auch sein frühes Engagement für den 1960 in New York geborenen ersten afro-amerikanischen Künstler Jean-Michel Basquiat. Eines seiner Werke, nämlich „Asbestos“, bildet den Aufmacher seiner Sonderausstellung „les chefs-d’oeuvre de la Collection Lambert“ („Meisterwerke der Sammlung“).

In den 1980er Jahren wandte der Sammler sich wieder der figurativen Malerei, der künstlerischen Fotografie und den Installationen zu und kooperierte mit dem Centre national des arts plastiques.

So kühn und pionierhaft wie die fast 70-jährige Kunstsammlung ist auch die in das Gebäude eingebaute Treppe.

Interessant, wie klassische Gebäude auch auf die Jetztzeit zugeschnitten werden können, mag die Geschichte – wie auch auch immer an ihr Ende gekommen sein -, wenn nur ein kreativer Kopf wie Lambert das Auge dafür hat und den Mut, ein altes Gebäude zu entkernen.

Neue Perspektiven zu bieten, das war schon immer die Spezialität der visionären Künstler ihrer jeweiligen Epoche, oft auch die der Mäzene…

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