»BRAVO«-Starschnitte. Eine Sammlung von Legenden“ in den Opelvillen
Zeitgeist und Kunstgeschmack
Heiß begehrte Symbole und Ritterschlag für die abgebildeten Stars
Von Hans-Bernd Heier
Brigitte Bardot, die Beatles, Madonna, ABBA, Elvis Presley, Udo Lindenberg – sie alle sind zu bestaunen in der Opelvillen-Schau »BRAVO«-Starschnitte. Eine Sammlung von Legenden“. Die höchst unterhaltsame Ausstellung in Rüsselsheim bietet einen ebenso spannenden wie unterhaltsamen Blick in die popkulturelle Stargeschichte der 1960er- bis 2000er-Jahre.
„Die Beatles“ von 1966 war der Starschnitt, für den sich die Fans am längsten gedulden mussten: insgesamt 39 Bravo-Ausgaben des wöchentlich erscheinenden Blatts; BRAVO 32/1966; © Sparkassenstiftung Lüneburg
Anhand von ausgewählten Postern und Sammelobjekten werden Rockstar-Ikonen und längst vergessene Sternchen aus Film, Fernsehen und Musik wieder wach. Gezeigt wird wie das Zeitgeist-Magazin, das über 25 Jahre eine Auflage von mehr als einer Millionen Exemplaren verbuchen konnte, Jugendkultur in westdeutschen Zimmern abbildete.
„Was Sie auf der nebenstehenden Seite sehen, sind die Füße von Brigitte Bardot“. Mit diesen Worten begann im Jahr 1959 die Geschichte der »BRAVO«-Starschnitte, die sich das Blatt klugerweise hat schützen lassen.Die damals für einen Riesen-Hype sorgende junge französische Filmschauspielerin war das erste Motiv von über hundert folgenden Exemplaren der lebensgroßen Poster. Die Einzelteile wurden über viele Ausgaben gesammelt, ausgeschnitten und zusammengeklebt. Da pro »BRAVO«-Ausgabe damals nur ein Posterteil enthalten war, wuchs die Sammelleidenschaft des jungen Publikums von Woche zu Woche.
Ausstellungsansicht von Brigitte Bardot als vollständiges Poster und in Einzel-Ausschnitten auf elf Bravo-Ausgaben verteilt; Foto: Hans-Bernd Heier
In späteren Heften heizten die Blattmacher die Spannung der Leser noch dadurch an, dass sie den Namen des Stars nicht nannten. Erst mit der Abbildung des Kopfs als letztem Teil der Serie wurde bisweilen bekannt, um wen es sich bei dem Starschnitt handelte. Bis dahin war größte Geduld gefragt, da es Monate dauern konnte, bis das Poster vollständig war. Doch oh Schreck, wenn ein Leser eine Ausgabe verpasst hatte, dann fehlte dem angehimmelten Star leider ein Knie oder der Busen.
Ausstellungsansicht mit Tournee-Jacke von Mick Jagger (Leihgeber: Stones Fan Museum Lüchow); © Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Foto: Frank Möllenberg
„BRAVO-Starschnitte waren nicht nur zusammenklebbare Sammelseiten der großen Stars – sie waren für viele Heranwachsende mehr“, sagt Carsten Junge, Geschäftsführer der Sparkassenstiftung Lüneburg, der beim Aufräumen des Dachbodens seines Hauses eine große Pappschachtel mit vier BRAVO-Starschnitten entdeckte.
Er war, wie er berichtet, so „geflasht“ von dem Dachbodenfund, dass er beschloss, daraus etwas zu machen. Das Ergebnis war die erste Ausstellung »Der Bravo-Starschnitt« in der Kunsthalle Lüneburg im Februar 2017. „Die Bravo-Poster“, so Junge „symbolisieren Zeitgeist und Kunstgeschmack. Sie zeigen die Entwicklung der Fotografie und der Mode. Sie zeigen das Kommen und Gehen von Trends, sie zeigen Schicksale und Weltkarrieren. Die Ausstellung zeigt Zeitgeschichte, Kunstgeschichte und Mediengeschichte“.
Ausstellungsansicht; © Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Foto: Frank Möllenberg
„Die BRAVO-Poster waren“ laut Junge „die Insignien der Coolheit – das wahre Statussymbol war aber ein kompletter Starschnitt im Jugendzimmer. Die Starschnitte waren die erste Alternative zu den gemusterten Blümchentapeten und den niedlichen Tierbildern im Kinderzimmer. Sie waren groß, sie waren schrill, sie waren dominant, unübersehbar. Sie waren der krasse Gegensatz zu den röhrenden Hirschen im Wohnzimmer der Eltern“.
Nach 1960 stieg die Beliebtheit der Poster in Lebensgröße von Jahr zu Jahr und erfasste Jugendgenerationen über vier Jahrzehnte. Die Popularität der heiß begehrten Starschnitte ließ diese Bravo-Rubrik zu der erfolgreichsten des Jugendmagazins werden. „Gleichzeitig waren die 1:1-Poster nicht nur einfache Abbilder der Jugendhelden, sondern sie wurden zum Symbol einer Abgrenzung von der Elterngeneration und einer Identifizierung neuer Werte von Rock ’n’ Roll und Pop“, erklärt Dr. Beate Kemfert, Kuratorin der Opelvillen. Aus den insgesamt 118 klassischen Starschnitten hat die Kuratorin 45 für die großartige Rüsselsheimer Schau ausgewählt.
Pierre Brice als „Winnetou“; er spielte den Apachen-Häuptling in insgesamt elf Karl-May-Filmen; BRAVO 14–21/1977; © Sparkassenstiftung Lüneburg
BRAVO-Starschnittmotiv zu sein bedeutete für die abgebildete Künstlerin oder den Künstler gewissermaßen der berühmte Ritterschlag. Nur wenige kamen überhaupt zu dieser Ehre, ganz wenige nur ein zweites Mal. Über zwei Starschnitte konnten sich die Beatles und sieben weitere Musiker freuen: Cliff Richard, Roy Black, Shaun Cassidy, Ricky Shayne, Robert Fuller und Shakin‘ Stevens. Auch Elvis Presley wurde zweimal mit einem lebensgroßen Starschnitt geehrt:
1960 mit einer Fotografie und nach seinem Tod 1978 noch einmal mit einem gezeichneten Abbild in Farbe. Zweimal schafften es die Damen, die es insgesamt nur auf 30 Porträtierte gegenüber 160 männlichen Porträtierten brachten: Marie Versini, Manuela, Uschi Glas, Nena und Britney Spears. König der Starschnitte war allerdings der Franzose Pierre Brice als „Winnetou“. Der Mann mit der Silberbüchse schaffte es 1964, 1967 und 1977 als einziger dreimal als Starschnitt ins Heft.
Mit diesem Poster feierte Madonna 1985 ihr Comeback; BRAVO 47–52/1985; © Sparkassenstiftung Lüneburg
Das Sammelfieber der Fans beschränkte sich allerdings keineswegs nur auf die Starschnitte, sondern umfasste auch viele andere Artikel, wie die sehr unterschiedlichen, teils kitschigen, teils komischen Exponate in den Vitrinen der Ausstellungbelegen: Von Beatles-Memorabilien, Kleidungsstücken einiger Idole, über Film-Plakate der Brigitte Bardot bis zum Bastelbogen der Ponderosa Ranch der amerikanischen Kultserie „Bonanza“ wird eine bunte Palette an originalen Werbe- und Merchandisingprodukten vorgestellt.
Udo Lindenberg als Poster – damals noch ohne Hut und Brille, daneben als Holzskulptur von Gero Braeutigam; Foto: Hans-Bernd Heier
Eine Besonderheit ist die Auswahl kurioser Beatles-Fanartikel aus den 1960er-Jahren, als nur wenige Manager von Popgruppen wussten, dass man auch mit Musik-Merchandising Geld verdienen konnte. Für die ersten Beatles-Manager handelte es sich dabei lediglich um gute Öffentlichkeitsarbeit. So kamen ulkige Beatles-Sonnenbrillen, Pflaster, Cake-Topper, Ringe, Broschen, Anstecknadeln, Lunchboxen, Zinnfiguren und vieles mehr auf den Markt. Diese werden in dieser Form zum ersten Mal ausgestellt.
Die sehenswerte Schau in den Opelvillen ist eine Kooperation mit dem Kunstarchiv Lüneburg der Sparkassenstiftung Lüneburg. Sie ist bis zum 1. Oktober 2023 zu genießen und wird ergänzt von einem umfangreichen Begleitprogramm, siehe dazu:
Besonders hingewiesen sei auf „Let’s swing!“ die exklusive Abendführung mit Musik und Cocktail – mit und ohne Alkohol. Hier können die Gäste im Anschluss an den Ausstellungsbesuch in geselligem Beisammensein auf der Terrasse oder im Wintergarten der Opelvillen das Gesehene Revue passieren lassen. Jeder Monat steht dabei unter dem Motto eines anderen Jahrzehnts; im Juli Beat der 1950er und 60er Jahre, Disco-Sound der 70er und 80er im August und im September Dance-Move der 90er und 2000er Jahre.
Am Sonntag, den 16. Juli um 17 Uhr, ist der Star-Fotograf Wolfgang »Bubi« Heilemann zu Gast in der Ausstellung. Heileman hat alle Rock- und Pop-Ikonen der 60er-, 70er- und 80er-Jahre abgelichtet. Allein für »BRAVO« fotografierte er über 250 Titelbilder und Starschnitte. In den Opelvillen wird er über seine Freundschaften mit den großen Pop-Idolen berichten und im Gespräch mit Dr. Beate Kemfert und Carsten Junge das Besondere seiner Dokumentation dreißigjähriger Rock- und Popgeschichte erörtern.