40 Jahre Verleihung des Friedrich-Hölderlin-Preises in Bad Homburg (2)
Ein junges Fest für die Literatur
Von Petra Kammann
Es war trotz der Dankes- und Lobreden weiß Gott keine der üblichen Preisverleihungen. Denn bevor es zur offiziellen Übergabe des mit 20.000 Euro dotierten Preises an den „Millenial“-Autor Leif Randt, der für sein Gesamtwerk ausgezeichnet wurde und an die Vergabe des mit 7.500 Euro dotierten Förderpreises an die Autorin Anna Yeliz Schentke für ihren Debütroman „Kangal“ (Stiftung Cläre Janssen) kam, gab es vorab lebendige Gespräche zwischen den Schülerinnen und Schülern des Bad Homburger Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums und den anwesenden Autoren, geleitet von der Juryvorsitzenden Sandra Kegel (FAZ) und Dr. Bettina Gentzcke, Leiterin des städtischen Kulturamtes. Die Schülerinnen und Schüler wurden dazu in die Gestaltung des sich anschließenden Festakts einbezogen. Sie trugen individuell Zitate aus den Dankesreden der bisherigen 40 Preisträgerinnen und Preisträger – von Hermann Burger bis Monika Rinck – vor und begleiteten den Festakt musikalisch.
Preisträger Leif Randt während seiner Dankesrede in der Bad Homburger Schlosskirche, Foto: Petra Kammann
Im Laufe der vergangenen 40 Jahre wurden die bedeutendsten Schriftstellerinnen und Schriftsteller deutscher Sprache mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. „Darauf kann unsere Stadt zu Recht stolz sein“, so Dr. Bettina Gentzcke. Das können die Bad Homburger in der Tat, sind darunter doch so bekannte Autoren wie Ulla Hahn, Peter Härtling, Wolf Biermann, Christoph Ransmayr, Judith Hermann, Ror Wolf, Durs Grünbein, Eva Menasse, Daniel Kehlmann undundund. Alles keine Leichtgewichte. Oberbürgermeister Alexander Hetjes erinnerte in diesem Zusammenhang an den ersten Jury-Vorsitzenden, den bekannten Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der legendäre Diskussionen über die Bedeutung von Hölderlin geführt habe, und „uns neue Welten erschlossen und Gedankenanstöße“ gegeben habe.
OB Alexander Hetjes hatte seine Ehefrau, eine begeisterte Leserin, mitgebracht. Foto: Petra Kammann
Da ist ihm nachträglich zu danken, ebenso wie dem früheren OB Wolfgang Assmann, der beschlossen hatte, das Andenken an Hölderlin wachzuhalten, als 1982 das letzte originale Haus, in dem Friedrich Hölderlin während seines zweiten Homburger Aufenthalts 1804 gelebt hatte, aus Gründen der Baufälligkeit abgerissen wurde. So wollte man damals wenigstens, dass das kulturelle Erbe, das Hölderlin in Bad Homburg hinterlassen hat, und die Erinnerung an den Dichter mit einem Literaturpreis, auf den sein Name verweist, wieder aufleben lassen. Das ist 40 Jahre lang bestens gelungen. Zudem erhoffte sich Assmann von dem Preis einen Schub für die „geistige Stadtentwicklung“. „In der Tat hat der Literaturpreis eine solche Entwicklung genommen. Die Preisverleihung ist ein Fest für die Literatur geworden“, sagte anerkennend der heutige Oberbürgermeister Alexander Hetjes in seiner Begrüßungsrede.
Bleibt die Frage: Was hat der Dichter Hölderlin, mit dem die Stadt Bad Homburg verbunden ist, heutigen Jugendlichen, die weniger mit der Buchszene als ihrem omnipräsenten Handy verbunden sind, noch zu sagen? Das wurde in der Schule zum Thema gemacht und eine Auswahl merkfähiger Sätze aus den Dankesreden der früheren Preisträger getroffen, welche die Lernenden in der Veranstaltung einzeln vortrugen. Da hieß es 1984 in der Rede der einstigen DDR-Schrifstellerin Sarah Kirsch noch ganz poetisch: „Ich sah den gesamten zärtlichen Garten in einer Wolke aus tausend emaillefarbenen Vergissmeinnichts liegen“, und fast zehn Jahre später bei der österreichischen Poetin Friederike Mayröcker, für die der Dichter einen geradezu leuchtenden Vorbildcharakter hatte: „Hölderlin eben: der war seit Jugendtagen die leuchtende Schrift an der Wand, im Himmel, im Buch.“ Und eng verwoben mit ihr gab sich der ansonsten eher wortspielerische Pop-Literat Ernst Jandl (z.B. laut und luise) im Jahre 1995 geradezu ernst-existenziell: „Jedes Gedicht ist eine Antwort auf Fragen, von denen wir unser Leben lang umstellt sind.“
Marcel Reich-Ranicki mit Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer bei der Premiere der Verfilmung seiner Autobiographie „Mein Leben“ 2009 in Köln, Foto: Petra Kammann
Dann erhielt zur Jahrtausendwende der sprachmächtige Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki selbst den Preis und unterstrich nochmal die unübertroffene Genialität des Dichters: „Vielleicht war dies das größte Unglück, das der deutschen Literatur in ihrer langen Geschichte widerfahren ist – dass Schiller die Fragwürdigkeit der Hölderlinschen Lyrik durchschaut hatte, ohne deren Genialität zu begreifen.“ Während sich 2017 der Schweizer Schriftsteller Urs Widmer auf das Melodische wie auf die Notwendigkeit der Höderlinschen Dichtung berief „… dort oben in den Lüften rief er seine Gedichte, er schrieb sie nicht, er sang sie. Die Notation, die dann ja noch stattfinden musste, war die reine Not.“
Preisträgerin 2022 Monika Rinck (ohne Maske), Foto: Petra Kammann
Oder im vergangenen Jahr Monika Rinck: „Es waren solche mehrdeutigen Zeichen, es war das Raffe, das Raue, was mir, Hölderlin lesend, plötzlich den Blick freigab auf die Welt.“ Andere wie Peter Stamm 2014 bekannten, dass sie vorher Hölderlin gar nicht gelesen hatten: „Ich musste den Friedrich-Hölderlin-Preis gewinnen, um mir klar zu werden, dass ich fast nichts von diesem großen Autor gelesen habe. Sein Name ist so omni-präsent in Literaturkreisen, dass man gerne annimmt, alle hätten seine Werke gelesen – man selbst eingeschlossen.“ So ist es auch ein Anreiz für die Ausgezeichneten, sich wieder mit diesem besonderen Dichter auseinanderzusetzen.
Leif Randt und Anna Yeliz Schentke während des Gespräch mit den Schüler:innen der KFG, Foto: Petra Kammann
Natürlich zeigt die kleine Auswahl der Zitate, welche die Schülerinnen und Schüler einzeln vortrugen, wie individuell unterschiedlich man der Literatur Hölderlins begegnen kann. Und auch der diesjährige Preisträger Leif Randt bekannte zunächst einmal, dass er sich dem hohen Ton Hölderlins gar nicht verwandt fühle, gehöre er doch eher der Millenial-Generation an, einer neuen Generation der Popliteratur, die neben Konsum und Oberfläche vor allem die sozialen Medien zum selbstverständlichen Diskursinventar seiner Bücher mache (s. seine Romane: „Schimmernder Dunst über Coby County“, „Planet Magnon“, in dem die Zukunft von einer künstlichen Intelligenz dirigiert wird, oder wie in dem Roman „Allegro Pastell“ einer Liebesgeschichte die größtenteils aus WhatsApp-Kommunikation besteht. Er begreife vielmehr das Internet als ästhetischen Gestaltungsraum.
Diskussionsrunde mit Literaturkritikerin Sandra Kegel und Kulturdezernentin Dr. Bettina Gentzcke, Foto: Petra Kammann
Ein Thema, das neben der Beschreibung von Natur natürlich auch die Schülerinnen und Schüler stark umtrieb und auch bewegte. Sie hatten im Unterricht sogar versucht, mit ChatGPT Gedichte à la Hölderlin zu verfassen, wobei nach großem Aufwand allerdings nur Herkömmliches herausgekommen sei. Ähnlich erging es der Förderpreisträgerin Anna Yeliz Schentke.
Leif Randt in der Diskussion mit den Schülern und Schülerinnen, Foto: Petra Kammann
In Leif Randts Dankesrede klingt es eher cool und unpathetisch. Da spricht er in seiner für ihn typischen Uneigentlichkeit von sich in der 3. Person und parallelisiert das Schicksal des soviel älteren Dichters mit seinem eigenen: „Friedrich Hölderlin jobbt als Hauslehrer und verliebt sich in eine verheiratete Frau. Er wird entlassen und flieht nach Frankreich. Die geliebte Frau stirbt, eine europaweite Revolution bleibt aus. Ab Ende 30 lebt er in einem Turmzimmer und schreibt vielleicht so avantgardistisch, dass ihn jetzt keiner mehr versteht. /Leif Randt schreibt, während die Digitalisierung voranschreitet. Er findet alles immer erstmal interessant. In gesellschaftlichen Fragen kommt von ihm weder glühende Zustimmung noch beißende Kritik. Er fühlt sich zuständig für die sentimentalen Grauzonen dazwischen. Mit Ende 30 denkt er machmal, er fängt jetzt gerade erst an.“
Und dann rückt er Hölderlin sowohl biographisch als auch per Google zu Leibe: „War Hölderlin verrückt? Google-Antwort: Hölderlin war nicht verrückt im klinischen Sinne, sondern eher ent-rückt im Sinne von: aus der Mitwelt verabschiedet.“ Und Randt, der selbst schon viel in der Welt herumgekommen ist und zweifellos „Mitte des Lebens“ von Hölderlin kennt, nähert sich ihm als ,Middle-Ager‘ und schlägt einen versöhnlich-abgrenzenden Ton an:
„Ich freue mich auf das Middle-Age. Ich freue mich auf den Sommer. Und auf das kommende Frühjahr. Und auf das Frühjahr danach. Und auf das Frühjahr in drei Jahren. Im Mai und Juni hat man leicht reden. Ausgeschlafen hat man leicht reden. Und als Hölderlin-Preisträger der Stadt Bad Homburg hat man besonders leicht reden. Liebes Publikum, dies ist mein bisher vielleicht schönster Preis! Vielen Dank!“
KFG-Lehrkräfte in vorderster Reihe: Nina Salus-Flohr und Michael Lembach sowie der KFG-Schuldirektor Jochen Henkel, Foto: Petra Kammann
Ein Dank ist unbedingt der Kooperationsinitiative des städtischen Kulturamtes und vor allem den Lehrenden und dem Direktor des KFG in Bad Homburg auszusprechen, die neben dem Unterrichtsstoff die Anstrengung unternommen haben, die Schüler und Schülerinnen an den in manchem auch sperrigen Dichter Hölderlin heranzuführen, sich mit ihm zu beschäftigen. „Die Schülerinnen und Schüler haben sich bereits intensiv mit dem Dichter, unserem Literaturpreis und seinen Preisträgerinnen und Preisträgern befasst. Das ist in einer zunehmend digitalisierten Welt keine Selbstverständlichkeit. Mein Dank dafür gilt den Lehrkräften Nina Salus-Flohr und Michael Lembach“, so die Kulturamtsleiterin Gentzcke. Da die Lernenden außerdem Teil der Gestaltung der Preisverleihung wurden, werden sie diesen Dichter und ihren persönlichen Auftritt wohl so schnell nicht wieder vergessen.
Alle an der Preisverleihung in der Bad Homburger Schlosskirche Beteiligten, Foto: Stadt Bad Homburg
Die Hölderlin-Preisjury und deren Begründung
(Vorsitzende: Sandra Kegel, Feuilleton FAZ, weitere Mitglieder: Prof. Heinz Drügh, Universität Frankfurt, Prof. Thomas Boyken, Universität Oldenburg, Prof. Bohnenkamp-Renken, Freies Deutsches Hochstift, Alf Mentzer, Hessischer Rundfunk sowie Oberbürgermeister Alexander Hetjes) begründet ihre Entscheidung wie folgt:
„Leif Randts literarisches Werk – vier Romane hat er bislang vorgelegt – formiert eine der konsequentesten Ästhetiken der Gegenwart. Randts Texte schreiben die Tradition des Schönen unter den Bedingungen des Heute weiter, eines Heute, in dem das Schöne, wie in dem Roman „Schimmernder Dunst über Coby County“ nicht nur durchweg von Räumen des Konsums umgeben, sondern auch mit diesen verstrickt ist. Der Science Fiction-Roman „Planet Magnon“ wiederum imaginiert eine Zukunft, die von einer künstlichen Intelligenz dirigiert wird, und konfrontiert die Individuen dennoch mit dem Druck, stets kreativ und leistungsbereit sein zu sollen – das Ganze in einer hochartifiziellen Ästhetik mit Reminiszenzen an den Spacepop ebenso wie an Harry Potter oder Aldous Huxleys „Brave New World“. Der 2020 vorgelegte Roman „Allegro Pastell“ schafft das Kunststück, eine Liebesgeschichte zu erzählen, die von den Style-Geboten der Gegenwart bestimmt wird und zu nicht unwesentlichen Teilen aus WhatsApp-Kommunikation besteht. Das ist nie unmittelbar und naiv, sondern vielfältig gebrochen, aber auch nicht parodistisch, sondern auf wundersame Weise ebenso gegenwartsdiagnostisch und intelligent wie anrührend.“
„Anna Yeliz Schentke zeichnet mit ihrem literarischen Debut „Kangal“ aus dem Jahr 2022 ein sehr aktuelles, sensibles und vielstimmiges Generationenporträt junger deutsch-türkischer Menschen – unter den Bedingungen einer repressiver werdenden Gesellschaft in der Türkei und alt eingeschliffenen Klischees in der Bundesrepublik. In schnell geschnittenen, sich gegenseitig kommentierenden und facettierenden Perspektiven der Protagonisten Dilek, Tekkin und Ayla entsteht ein Bild der Lebensbedingungen in der Türkei nach 2016, dem Putschversuch gegen das Erdogan-Regime und der Verfolgung kritischer Oppositioneller, und einer Bundesrepublik zwischen Türkei-Traumurlaub, realer Diskriminierung und Erdogan-Nostalgie unter in Deutschland lebenden, türkischstämmigen Menschen. Eine hochpolitische Literatur, die nie den Finger hebt, sondern in unaufgeregtem Ton und mit genauen Bildern ganz auf der Höhe der Zeit erzählt.“
Die Hölderlin Preisverleihung läuft in hr2-kultur in der Sendung „Literaturland Hessen“, am 16. Juli um 12 Uhr und am 22. Juli um 18 Uhr.